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Aktives Gedenken
20 Jahre Silvio Meier Demonstration - Eine Dokumenation
FLT*I* heisst Antifa, und Antifa heisst Angriff!
Für mehr (queer-)feministische Interventionen innerhalb antifaschistischer Politik(en)!

Alle Jahre wieder....

Die vorderen Reihen der diesjährigen Silvio-Meier-Demo sind eine queerfeministische Intervention, um auch 2012 auf heteronormative und patriarchale Strukturen und Ausschlussmechanismen aufmerksam zu machen und ihnen entgegen zu treten. Uns geht es darum, dass die ersten Reihen nicht wieder als männlich dominiert wahrgenommen werden. Seit der ersten Gedenkdemonstration nach Silvio Meiers Ermordung gab und gibt es Auseinandersetzungen über feministische Selbstorganisation, die einen Ausdruck in der Gestaltung der Demo fand und findet. Auch die linksradikale Szene steht nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern reproduziert gesellschaftliche Macht- und Unterdrückungsverhältnisse, die anzugreifen sind.

Die Reaktionen auf die Interventionen der letzten Jahre reichten von unsolidarischem Verhalten auf der Demo bis hin zu unverhohlen sexistischen Beschimpfungen, aber auch zu durchaus berechtigten Fragen zur Umsetzung von radikaler queerer Intervention innerhalb der linken Szene.

Dieser Text soll auf die genaueren Hintergründe für eine Selbstorganisation innerhalb der vorderen Reihen eingehen und Diskussionsanregung für eine fortlaufende Auseinandersetzung über die Ausgestaltung solcher Aktionsformen bieten. Die Auseinandersetzung bewegt sich dabei inhaltlich im Spagat zwischen einem radikal dekonstruktivistischen Ansatz und alltäglich erlebten gesellschaftlichen Unterdrückungs- und Diskriminierungsmomenten. Selbst wenn wir versuchen wollen, Geschlecht komplett zu dekonstruieren und abzuschaffen, müssen wir trotzdem auf die uns zu Verfügung stehende Sprache zurückgreifen und dürfen die gesellschaftlich machtvollen Strukturen nicht aus den Augen verlieren.

FLT*I* - FYI – Frauen_Lesben_Trans*_Inter* For your information

Die FLT*I*-Reihen sind ein Versuch, den herrschenden Machtverhältnissen in der Gesamtgesellschaft und in der linken Szene etwas entgegenzusetzen. Frauen_Lesben_Trans*_Inter* (abgekürzt: FLT*I*) umfasst verschiedene Selbstbezeichnungen und Identitäten. „Lesbe“ wird hier getrennt von der Kategorie „Frau“ aufgeführt, weil es auch eine Selbstbezeichnung von Menschen ist, die sich explizit nicht als „Frau“ definieren. Außerdem soll damit darauf hingewiesen werden, dass „Frau“ i.d.R. heterosexuell gedacht wird. Trans* bzw. Transgender sind offene Begriffe für Menschen, die nicht (oder nicht ausschließlich) in dem Geschlecht leben wollen oder können, dem sie bei ihrer Geburt zugeordnet wurden. Intersexuelle bzw. intergeschlechtliche Menschen werden mit einem Körper geboren, der den Normen von „Mann“ und „Frau“ nicht „eindeutig“ zuzuordnen ist. Die Unterstriche und Sternchen symbolisieren, dass es auch Übergänge und Zwischenräume zwischen den verschiedenen Kategorien gibt. All diese Kategorien möchten wir jedoch als offene und prozesshafte Begriffe verstanden wissen, die einen noch immer notwendigen Rückbezug zu dem Dualismus „Männlich/Weiblich“ und der heteronormativen Matrix bilden.

In Bezug auf Demonstrationen lässt sich dabei festhalten, dass diese in der Außenwirkung dem vielzitierten Bild von den „jungen, militanten Männern aus dem schwarzen Block“ entsprechen sollen und wir bewusst einen Bruch mit diesem Bild suchen, ohne jedoch auf Ausdrucksstärke, Entschlossenheit und kraftvolle Wut zu verzichten. Hierbei haben wir uns dafür entschieden, uns einen eigenen Raum zu nehmen. Der punktuelle Entzug von Privilegien kann dabei nicht gleichgesetzt werden mit der strukturellen Diskriminierung von FLT*I* in einer patriarchalen Gesellschaft.

… Von Magenschmerzen und Brechreizen

Uns ist klar, dass die Reihen nur einen symbolischen Bruch mit den gesellschaftlichen Normen darstellen und wir auch hier an der Unzulänglichkeit von Sprache und Kategorien scheitern müssen. Nichtsdestotrotz sehen wir es noch immer als Notwendigkeit an, eigene Reihen als strategisches Projekt durchzuführen, um zumindest punktuell Diskriminierung sichtbar zu machen. Dabei geht es nicht nur um die Benachteiligung, die „Frauen“ erfahren, sondern auch um die Unsichtbarmachung von Menschen, die nicht in die klassischen Kategorien „männlich“ und „weiblich“ passen. Ein wie auch immer geartetes queeres und feministisches Selbstverständnis beinhaltet für uns auch immer, Präsenz zu zeigen und Handlungsmöglichkeiten zu reflektieren und einzufordern. Voraussetzung, um mit Bezügen auf machtvolle Kategorien wie class, race, gender, ability etc. emanzipatorisch arbeiten zu können, muss sein, diese Rückbezüge ständig zu hinterfragen.

Wir würden uns - auch vor der Revolution – einen solidarisch(er)en Umgang mit queerfeministischen Kämpfen wünschen, denn es geht uns nicht darum, einzelne Geschlechtsidentitäten und Personen anzugreifen oder auszuschliessen, sondern wir wollen einen gemeinsamen Angriff auf die patriarchalen und heteronormativen Strukturen, in denen wir uns alle bewegen. Der Kampf gegen das System und eine antifaschistische Praxis kann nicht bei Kapitalismuskritik und Faschismusanalyse haltmachen, sondern muss auch Patriarchat, Sexismus und Trans*phobie in den Blick und die Kritik nehmen. Nebenwidersprüche gibt es unserer Meinung nach in diesem System nicht, genauso wenig wie hierarchiefreie Räume. In diesem Sinne: FLT*I* heisst Antifa, und Antifa heisst Angriff!

FÜR MEHR SELBSTBEWUSSTE BRÜCHE UND QUEERFEMINISTISCHE_ANTISEXISTISCHE PRAXIS ÜBERALL UND IMMER!

Die ersten Reihen der Silvio-Meier-Demo 2012

 

Zum Weiterlesen:

„Sexismus ist Zum Kotzen. Statement zu den Frauen*reihen auf der Silvio-Meier-Demo 2010 und Anstoß zur weiteren Diskussion.“ Text der Autonomen Antisexist_innen 2010: brechreize.blogsport.de

„Eine Frage der Solidarität? -Zur (Un)möglichkeit von Räumen für FrauenLesbenTrans* (im Folgenden FLT) innerhalb von linker Szene“, Text der Gruppe _diss Hamburg 2010: de.indymedia.org/2010/12/296982.shtml

„Der Frauen*- und Lesbenblock im Kampf gegen Mackermilitanz“, Text aus der aktuellen Broschüre „Und die, die sterben, die werden weiterleben“ zum Gedenken an Silvio Meier 2012, online einsehbar unter www.antifa-berlin.info/silvio-meier-doku/broschuere.php

Silvio Meier Siempre Antifascista Antifaschistische Aktion