Vom Nachwuchs der LINKEN zum Querdenker bei den PIRATEN

7. Februar 2021 | News Redaktion

Im Dezember 2020 wurde Paul Rost zum Spitzenkandidaten der Piratenpartei bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) im Berliner Stadtteil Lichtenberg 2021 gewählt [Bild 1]. Das ehemalige Mitglied der Linkspartei fiel in den letzten Monaten vor allem als Nebendarsteller in den Videos des rechten Youtubers Martin Lejeune auf, der sich in Berlin als Sprachrohr der autoritären Corona-Proteste inszeniert. Über ihn versucht Rost sich als Möchtegern-Journalist in der Meinungsblase der Corona-Leugner*innen zu etablieren.

Paul Rost im Mediennetzwerk der Querdenker
Seit dem Beginn der rechtsoffenen Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen (als sog. „Hygiene“-Demonstrationen in Berlin) war Martin Lejeune mit seiner Kamera dabei und verbreitete ungefiltert deren krude Verschwörungserzählungen. Lejeune, der mehrfach mit antisemitischen Positionen in die Öffentlichkeit trat – unter anderem als Redner des islamistischen Al Quds-Marsches in Berlin – unterstützt offen die Hamas und den Syrischen Machthaber Assad und dessen Terrorpolitik gegen die eigene Bevölkerung. Er ist weiterhin glühender Anhänger des faschistischen türkischen Ministerpräsidenten Erdogan und konnte nun seine Bekanntheit mit den Aktivitäten im Rahmen der „Hygiene“-Demonstrationen über die rechte Querfront, in der er sich sonst bewegt, hinaus erweitern. Inzwischen ist er ein bekanntes Mediensprachrohr der Querdenken-Proteste in Berlin und teilweise bundesweit. Alleine oder zusammen mit seiner neuen Partnerin Anne Höhne aus dem Umfeld der selbsternannten „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ von Anselm Lenz und Co. betreibt er mehrere Youtube-Kanäle (u.a. „Martin und Anni“ oder „Anni und Martin“). Seit Mai 2020 taucht in seinen Videos immer wieder Paul Rost auf. Zuerst erscheint er vermehrt als „zufälliger“ Interviewpartner von Lejeune (u.a. am 09.05., 16.05. oder am 24.10. – s. Bild 2). Doch andere Videos zeigen, dass sie oft zusammen auf den Versammlungen unterwegs sind. So kommentiert Rost den Stream von Lejeune am 02.05. oder beide besuchen gemeinsam die Querdenken-Kundgebung auf dem Alexanderplatz am 14.11. [Bild 3]. Dabei ist in den Videos von Lejeune deutlich zu erkennen, dass er und Rost nicht zufällig zusammenstehen oder sich spontan treffen. Sie verbringen teilweise stundenlang miteinander, besprechen sich regelmäßig oder helfen sich als Team gegenseitig beim Filmen. So waren sie auch zusammen bei den Protesten am 18.11.2020 vor dem Brandenburger Tor unterwegs. Dort berichteten sie positiv über die von Nazis durchsetzten Ausschreitungen und interviewten u.a. gemeinsam den völkischen AfD-Bundestagsabgeordneten Armin-Paul Hampel [Bild 4]. Bei seinem letzten Auftritt mit Lejeune am 14.01.2021 bezeichnet sich Rost im Stream von „Anni und Martin“ sogar als „Mitglied vom Team Lejeune“ [Bild 5]. Somit kann inzwischen von einer dauerhaften Zusammenarbeit mit dem rechten Medienmacher ausgegangen werden.

Politischer Werdegang
Diese ideologische Parteinahme von Rost überrascht, da er auf eine Vergangenheit in der Lichtenberger Linkspartei zurückblickt. Als damals jüngstes Mitglied im Ortsverband Fennpfuhl engagierte er sich u.a. gegen die Verlängerung der Stadtautobahn A100 (2016) oder nahm am antifaschistischen Gedenken der VVN-BdA zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau im Bezirk (2017) teil. Über Bürger*innen-Fragen in der BVV versuchte er sich in die Bezirkspolitik einzubringen und nahm auch im November 2016 an den Protesten gegen den Einzug der AfD ins Bezirksparlament teil. Insgesamt war Rost nachgewiesen zwischen Mitte 2014 und Ende 2017 in der Partei und allgemein linkspolitisch im Bezirk Lichtenberg aktiv. Dies fällt ziemlich genau in die Zeit seines Umzuges von Würzburg nach Berlin und seinem Abitur am Herder-Gymnasium in Lichtenberg. Danach taucht er nicht mehr öffentlich in Parteizusammenhängen auf. Auch seine sonstige politische Entwicklung ist unklar. Zum Zeitpunkt seines Eintritts in die Piratenpartei ist ebenfalls nichts bekannt. Dort ist er allerdings nicht nur im Bezirksverband aktiv, sondern soll sich seit März 2020 auch um die Kontakte zur Jugendorganisation „Junge Piratinnen“ zu kümmern [Bild 6]. Insgesamt ist die Piratenpartei sowohl in Lichtenberg als auch in Berlin weitestgehend bedeutungslos. Dementsprechend hat Rost trotz seines ersten Listenplatzes wohl kaum eine realistische Chance in die BVV einzuziehen.

Ideologische Wendung
Allerdings ist es kaum nachvollziehbar, dass die Piratenpartei nichts von den Ansichten ihres Mitglieds mitbekommen haben will und ihn in wichtige Parteiposten wählt. So reicht ein Blick auf den twitter-Kanal, den die Partei öffentlich auf ihrer Homepage teilt, um eine politisch fragwürdige Ausrichtung zu erkennen [Bild 7]. Hier gibt es die obligatorischen Retweets von vermeintlich seriösen Anti-Corona-Inhalten (u.a. von Stefan Homburger) und verschwörungsideologischen Kanälen (z.B. KenFM oder Boris Reitschuster). Allerdings sind diese Inhalte nicht in der Mehrheit. Stattdessen präsentiert sich Rost eher als vermeintlich liberal-konservativer Demokrat. Doch wie viele andere, die sich so geben, hat er zahlreiche Schnittstellen zur autoritären bis völkischen Rechte und ihren Themen. Retweets von AfD-Politikern (Marlon Buchholz), ehemaligen Parteimigliedern (Mario Mieruch) oder Max Otte von der Werteunion gehören dazu. Zudem teilt er Inhalte zu fast allen Lieblings-Themen der politischen Rechten. Rost beschwert sich über „Cancel Culture“, positioniert sich dezidiert antifeministisch (z.B. gegen das Gendern) und verbreitet Inhalte maskulinistischer (Männerrechts-)Verbände, wie „Väter-Netzwerk e.V.“ oder „MANNdat e.V.“. Seine antikommunistischen Äußerungen sowie eine generell anti-linke (z.B. gegen Häuserkämpfe, wie die L34 oder die R94, oder die Verteidigung des Dannis) aber dafür umso bullenfreundlichere Ausrichtung erstaunen da höchstens noch mit Blick auf seine politische Vergangenheit. Paul Rost ist ein typischer rechtsaffiner Internettroll, der sich demokratisch gibt, aber vor allem seine Privilegien als weißer, deutscher Mann verteidigt sehen möchte. Der Piratenpartei, die sich immer mit ihrer Internetaffinität und einer vermeintlichen gesellschaftspolitisch progressiven Haltung brüstet, können diese Denkmuster nicht entgangen sein. Vielmehr scheint sie sie zu ignorieren oder sogar zu unterstützen. Insgesamt sind der Partei die möglichen Auswirkungen der Nominierung von Rost wohl nicht klar. Indem sie einen starken Befürworter der rechtsoffenen Corona-Proteste auf den ersten Listenplatz setzt, macht sie sich mit den größtenteils autoritären Inhalten gemein. Die Piraten in Lichtenberg tragen zu einer Normalisierung dieser Bewegung bei und öffnen ihr einen politischen Gestaltungsraum. Zudem sind die Sympathien von Rost für die AfD spätestens nach dem Werbevideo mit Hampel klar. Es ist durchaus möglich, dass hier ein junger Profilneurotiker auf dem Ticket der Piraten versucht, in die BVV einzuziehen, um sich dann entsprechend medienwirksam ausgeschlachtet, der AfD-Fraktion anzuschließen. Das politische Kalkül für so eine Aktion ist zumindest seinem politischen Ziehvater Martin Lejeune zuzutrauen.

Der Möchtegern-Journalist
Über die Gründe für die politische Entwicklung von Paul Rost kann nur spekuliert werden. Allerdings scheint es so, als ob der selbsternannte CEO der ausgedachten Firma „Rubigo Consulting“ mit seinem realen Leben in wechselnden Mini-Jobs mehr als unzufrieden ist und ein Ventil für diese Frustration sucht. Damit steht er bei den Querdenken-Protesten nicht alleine da. Neben politischen Schnittflächen bieten ihm die Proteste eine Möglichkeit, endlich Anerkennung als vermeintlicher Journalist zu bekommen. Dieses Selbstbild pflegt er schon lange und bezeichnet sich auch auf seinem twitter-Profil als „Freier Journalist“. Bereits in seiner Schulzeit war Rost Ansprechpartner für die Schüler*innen-Zeitung des Herder-Gymnasiums und steuerte regelmäßig Artikel für Zeitungen der Lichtenberger Linkspartei (u.a. „info.links“ und „Fennpfuhl Post“) bei. In den letzten Jahren verfasst er unter seinem Klarnamen vor allem Beiträge für open-publishing Portale im Mobilitätsbereich. Mit dem Anwachsen der rechtsoffenen Corona-Proteste boten diese auch geltungssüchtigen Möchtegern-Journalist*innen neue Betätigungsfelder, wie Martin Lejeune, Daniela Schenk oder Stephan Böhlke beweisen. Alles was sie tun mussten, war die Ansichten der Proteste unhinterfragt zu verbreiten und schon wurden sie bekannter. Nun scheint sich auch Rost, der inzwischen offen mit seinem Namen auftritt, im Windschatten von Martin Lejeune in der vermeintlich „kritischen“ Medienszene der Corona-Leugner*innen bekannt machen zu wollen. Dem gilt es einen Riegel vorzuschieben.

Bei Paul Rost vermischen sich ein persönliches Geltungsbedürfnis im politischen wie beruflichen Feld, mit einer deutlichen Sympathie für autoritäre Positionen und rechtsoffene Proteste. Wer sich Nazi-Freunden, wie Martin Lejeune, andient und Neofaschisten, wie Armin-Paul Hampel, eine Bühne bietet, hat nichts in der Berliner Bezirkspolitik zu suchen und muss überall mit antifaschitischem Gegenwind rechnen. Zur Inspiration hat er netterweise alle seine persönlichen Daten ins Internet gestellt.

Erstveröffentlichung auf Kontrapolis am 21. Januar 2021

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