Am 1. Mai 2010 rufen Neonazis aus Freien Kameradschaften und NPD zu einem Aufmarsch in Berlin auf. Unter dem Motto „Unserem Volk eine Zukunft. Den bestehenden Verhältnissen den Kampf ansagen - Nationaler Sozialismus jetzt!“ versuchen sie erneut, die sozialen Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft in völkisch-nationalistischen Antworten aufzulösen. Mit der erfolgreichen Blockade des letzten neonazistischen Großaufmarsches im Februar diesen Jahres in Dresden gewinnen die alljährlichen Aufmärsche zum 1. Mai weiter an Bedeutung für die Neonazis. Diese finden bereits seit Anfang der 1990er in unterschiedlichen Städten statt und haben sich spätestens mit dem Jahrhundertwechsel fest im Terminkalender der Neonazis etabliert. Bereits seit Herbst letzten Jahres mobilisieren die Neonazis zum 1. Mai nach Berlin. Eine erfolgreiche Verhinderung des Aufmarschs könnte eine nachhaltige Schwächung der berliner und der bundesweiten Neonazi-Szene zur Folge haben. Es gilt den Neonazis nach der Verhinderung ihres Aufmarsches in Dresden keine Erholung zu gönnen.
Nichts desto trotz kann es für eine antifaschistische Bewegung, die sich als Teil der radikalen Linken versteht, am Ersten Mai nicht nur darum gehen den Nazi-Aufmarsch zu verhindern. Dem Versuch der Neonazis den Ersten Mai zum „Tag der Deutschen Arbeit“ um zu deuten, gilt es die Idee des Ersten Mai als internationalem Kampftag der Arbeiter_innenbewegung für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung entgegen zu halten.
Antikapitalismus von rechts?
Die nicht gerade neue Idee der Neonazis, einzelne Auswüchse des Kapitalismus zu kritisieren, muss von Linksradikalen ernst genommen werden. Die Neonazis vertreten dabei Ansichten, die bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen. Der Kern des kapitalistischen Gesellschaftssystems, die Produktionsverhältnisse, wird dabei jedoch nicht angetastet. Im Gegenteil, durch das Konstrukt der nationalen „Volksgemeinschaft“ werden die real existierenden Interessensgegensätze eingeebnet. Anstatt den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, den der Kapitalismus in sich birgt, zu thematisieren, wird in „schaffendes“, produktives und „raffendes“ Finanzkapital unterteilt. Das Finanzkapital wird der produktiven Arbeit gegenüber gestellt, da es scheinbar aus dem Nichts entsteht. Ausgeblendet wird dabei, dass das Finanzkapital selbst investiert wird und der Zins seinen Ursprung in dem in der Produktion erzielten Profit hat. Diese Unterteilung ist dabei anschlussfähig an das antisemitische Stereotyp des geldraffenden Juden. In der Hetze gegen „gierige Manager“ als Verursacher der Finanzkrise findet sich dieses Argumentationsmuster in weiten Teilen der Gesellschaft wieder.
Den Zumutungen kapitalistischer Lohnarbeit für diejenigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen können, und drohender Armut für den Rest halten sie die Heroisierung „der deutschen Arbeit“ und eine Arbeitspflicht nach dem Vorbild des Reichsarbeitsdienstes entgegen. Dass dabei nicht das Interesse des Individuums, sondern bloß seine Nützlichkeit für die „Volksgemeinschaft“ im Zentrum steht, ist klar, denn: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz!“ Und so wird sich bereits über das Problem der „Arbeitsunwilligen“ Gedanken gemacht. Die Grenzen zur Hetze Westerwelles und Sarrazins gegen Bezieher_innen von Sozialleistungen sind dabei fließend. Auch diese wollen Menschen, die von Sozialleistungen abhängig sind, zu Arbeit im Dienste an der Gemeinschaft verpflichten. Die ersten Ansätze solcher Ideen finden sich seit Hartz 4 in den sanktionsbewehrten 1-Euro Jobs.
Jenseits der Neonazis
Der Kampf um eine Gesellschaft jenseits von Ausbeutung und Unterdrückung kann jedoch nicht bei den Neonazis enden. Einerseits trägt die bürgerliche Demokratie selbst die Möglichkeit der faschistischen Barbarei immer in sich. Sie bringt in ihrem normalen Funktionieren sowohl die Vereinzelung der Individuen durch ständige Konkurrenz, als auch nationalistische Vergemeinschaftung und die Vertretung eines (vermeintlichen) Allgemeininteresses durch den Staat täglich hervor. Andererseits ist der alltägliche Vollzug bürgerlicher Herrschaft auch jenseits dieser Möglichkeit eine ständige Zumutung.
Nicht erst in der aktuellen Wirtschaftskrise verlieren immer mehr Menschen ihren Job und damit ihre Existenzgrundlage. Ganze Bevölkerungsschichten werden dauerhaft aus der Arbeitswelt ausgeschlossen – ihre Arbeitskraft ist für die kapitalistische Wirtschaft schlicht überflüssig geworden. An dem Zwang seine Arbeitskraft zu verkaufen, um den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren, ändert dies freilich nichts. Und so droht denjenigen, die dazu nicht in der Lage oder Willens sind, im globalen Süden die Verelendung und in Deutschland die Gängelung durch das Jobcenter. Eigentlich kein Wunder, beruht die kapitalistische Ausbeutung doch genau auf diesem Zwang. Wer wäre schon freiwillig bereit sich tagein tagaus dem Diktat des Kapitals zu unterwerfen und einen Großteil seiner Lebenszeit fremdbestimmter Arbeit zu opfern?
Während auf einmal riesige Geldsummen für die Rettung von Banken da sind, werden die Sozialleistungen seit Jahren gekürzt. Viele sind darüber empört, jedoch ist dieses Handeln des Staates durchaus konsequent. Schließlich ist es die Kernaufgabe des bürgerlichen Staates, den reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Wirtschaft abzusichern und den Interessen des jeweiligen nationalen Kapitals Geltung zu verschaffen, um in der Konkurrenz mit den anderen Nationalstaaten möglichst weit vorne dabei zu sein. Erschreckend ist jedoch, wenn sich die deutschen Gewerkschaften auf die Seite des eigenen Standorts stellen anstatt internationale Solidarität mit den Lohnarbeiter_innen in anderen Teilen der Welt zu üben.
Die Kritik darf jedoch nicht an einzelnen Auswüchsen der bürgerlichen Gesellschaft enden. Der Fokus unserer Kritik ist die kapitalistische Gesellschaft selbst. Tagtäglich (re-)produzieren Menschen aufs Neue den gesellschaftlichen Reichtum. Im Mittelpunkt der Produktion stehen dabei jedoch nicht die Bedürfnisse der Menschen oder ihr Sinn für die Gesellschaft, sondern die Vermehrung des Profits als Selbstzweck. Während immer mehr Menschen aus der Arbeitswelt ausgeschlossen werden, müssen die noch Beschäftigten immer intensiver und länger arbeiten. Gleichzeitig steigt die gesellschaftliche Produktivität unaufhörlich – immer weniger Arbeit ist notwendig, um den gesellschaftlichen Reichtum aufrechtzuerhalten und sogar noch zu steigern. Innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft ist jedoch an eine sinnvolle Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit auf alle Menschen nicht zu denken.
Den Preis bestimmen wir
Angesichts der mörderischen Qualität der neonazistischen Bedrohung ist ihre wirkungsvolle Bekämpfung notwendig. Daher halten wir zur Verhinderung des Nazi-Aufmarschs auch eine Zusammenarbeit mit Bündnispartner_innen für geboten, von denen uns in vielen anderen Fragen einiges trennt.
Das Bündnis "1. Mai nazifrei", in dem sich Antifa-Gruppen, Parteien und Gewerkschaften zusammengefunden haben, bereitet Massenblockaden gegen den Aufmarsch vor. Für diese wurde sich auf einen Aktionskonsens geeinigt: „Wir sind bunt und wir stellen uns den Nazis in den Weg. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen. Dabei sind wir solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen den Naziaufmarsch verhindern zu wollen.“ Gleichwohl halten wir als Autonome Antifa auch direkte Aktionen im Umfeld des Naziaufmarsch für unerlässlich. Zuletzt Dresden hat gezeigt, welche Schlagkraft wir durch eine solche Kombination entwickeln können.
Unser Kampf für eine herrschafts- und klassenlose Gesellschaft fängt jedoch bei der Bekämpfung von Neonazis erst an. Am 1. Mai gehen weltweit Menschen gegen das kapitalistische System, das Krisen und Krieg hervorbringt, auf die Straße. Auch in Berlin werden wir nach der erfolgreichen Verhinderung des Naziaufmarsch unsere unversöhnliche Ablehnung des Kapitalismus bei der Revolutionären 1. Mai-Demonstration auf die Straße tragen.
Naziaufmarsch blockieren, sabotieren, verhindern! Soziale Kämpfe statt Volksgemeinschaft |