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Antiziganismus - Eine ungebrochene Tradition
Die Sinti und Roma sind eine Minderheit in Deutschland, die wie kaum eine andere Gruppe staatlicher Verfolgung und Rassismus ausgesetzt ist. Diese Feindschaft gegen Sinti und Roma, die als Antiziganismus bezeichnet wird, hat in Deutschland eine bis ins Mittelalter reichende Tradition. Die damaligen Sinti und Roma wurden als "vogelfrei" erklärt und konnten somit ungestraft ermordet werden.

Kaum ein anderer Rassismus ist in der deutschen Gesellschaft so weit verbreitet und akzeptiert wie der Rassismus gegen Sinti und Roma. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung hegt antiziganistische Vorurteile. Viele benutzen das Wort "Zigeuner" ohne Scheu und verbinden damit gängige Klischees, die vom angeblichen Umherziehen über ausgeprägte Musikalität bis hin zu arbeitscheu und kriminell reichen. Die mediale Auseinandersetzung mit dieser Bevölkerungsgruppe zeigt die vorhandenen Vorurteile auf und reproduziert diese. Der Begriff "Bettelroma" ist hierbei nicht weniger rassistisch besetzt als der Begriff "Zigeuner". Wie bei allen Vorurteilen ist auch hier zu betonen, dass Antiziganismus seine Wurzeln in der Mehrheitsgesellschaft hat, die ihre Vorurteile auf eine Gruppe von Menschen, in diesem Fall die Sinti und Roma, projeziert.

Neben der Verfolgung und Ausgrenzung durch große Teile der deutschen Mehrheitsbevölkerung spielt der staatliche Rassismus gegen Sinti und Roma in Deutschland eine besondere Rolle. Dieser fand im Nazifaschismus seinen bisherigen Höhepunkt im Völkermord an einer halben Million europäischer Sinti und Roma. Nach 1945 ging es mit der staatlichen Verfolgung fast nahtlos weiter. Sinti- und Roma-Verbände müssen bis heute für die Anerkennung als Verfolgte der NS-Zeit kämpfen. Entschädigungszahlungen werden nach wie vor weitestgehend verweigert. Weiterhin wird die historische Verantwortung, die die Bundesrepublik als Nachfolgestaat für die Verbrechen trägt, unter den Tisch gekehrt.

Dabei sind die Kontinuitäten erschreckend offensichtlich: Ärzte wie Hermann Arnold, die während der NS-Zeit nachweislich grausame, oft tödliche Menschenversuche an Roma vorgenommen hatten, blieben nicht nur unbehelligt: Arnold galt in der Nachkriegszeit auch noch als kompetenter "Zigeuner-experte" und konnte sein von Grund auf rassistisches Menschenbild vom volksschädigenden "Zigeuner" bis in die 1980er Jahre in seinen Publikationen vertreten. Andere Funktionäre der Vernichtungsmaschinerie wurden nach 1945 in den "neuen" Polizeiapparat und in Behörden und Gremien übernommen, ungeachtet der unzähligen Menschenleben, die ihre Arbeit gekostet hatte.

Auch die seit 1899 existierende, polizeiliche Sondererfassung von Roma und Sinti fand nach 1945 kein Ende. Die unrechtmäßig angelegten "Zigeuner"-Rasseakten des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), wurden mitsamt den KZ-Nummern der ehemaligen KZ-Häftlinge in Polizeidienststellen übernommen und weiterhin zur "Strafverfolgung" verwendet. Wer im Dritten Reich als Zigeuner und später Landfahrer bzw. "ZN" (Zigeunername) oder "HWAO" (Person mit häufig wechselndem Aufenthaltsort) erfasst wurde, wird heute unter dem Kürzel "MEM" (mobile ethnische Minderheit) erfasst. Dass die allermeisten Roma und Sinti in Deutschland über einen festen Wohnsitz verfügen, findet hierbei keine Beachtung. Das zugrunde liegende rassistische Menschenbild vom umherziehenden oder fahrenden "Zigeuner" bleibt unangetastet.

Aktuell sind etwa 10.000 Roma, die im Laufe der letzten 10 bis 15 Jahre infolge des Nato-Krieges unter der Beteiligung Deutschlands gegen Jugoslawien/Serbien aus dem Kosovo nach Deutschland geflohen sind, von der lebensbedrohlichen Abschiebepraxis der Bundesrepublik bedroht. Ende September 2009 machte die deutsche Regierung ernst: Vierzig Roma wurden in ein Flugzeug gesetzt und ins Ungewisse in den Kosovo abgeschoben. Grundlage hierfür bildet ein sogenanntes "Rückübernahmeabkommen", das der deutsche Staat im April 2009 der neuen Kosovoregierung diktierte.

Im Kosovo erwarten die Roma menschenunwürdige Lebensbedingungen in Ghettos und Barackenlagern. Die Arbeitslosigkeit liegt bei nahezu 100 Prozent, rassistische und pogromartige Übergriffe finden immer wieder statt. Der deutsche Staat hat damit keinerlei Probleme und skizziert öffentlich und in Berichten eine ganz eine andere Lage im Kosovo. Mit der Realität für die Roma-Flüchtlinge hat dies mitnichten etwas zu tun. Oberstes Ziel der deutschen Regierung ist es, sich so schnell wie möglich der Flüchtlinge zu entledigen.

Das wollen wir nicht hinnehmen! Ebenso wenig wie viele Roma selbst. So blieben beispielsweise die meisten Plätze im Flugzeug leer, als die erste Abschiebung in den Kosovo stattfand. Viele Roma hatten sich der Abschiebung durch rechtzeitiges Untertauchen entzogen. Außerdem finden in letzter Zeit verstärkt Kundgebungen und Veranstaltungen statt, wo Organisationen und andere Betroffene auf die drohenden Abschiebungen aufmerksam machen.

Wir wollen die Roma in ihrem Kampf gegen die drohenden Abschiebungen unterstützen und gemeinsam mit den Sinti und Roma gegen den Antiziganismus in Deutschland kämpfen! Es muss endlich Schluss gemacht werden mit der verbrecherischen Verfolgung und Ausgrenzung von Sinti und Roma durch den deutschen Staat, Nazis, Alltagsrassisten und die antiziganistische Medienhetze! Gegen jede Form von Rassismus! Für einen Stopp aller Abschiebungen und ein bedingungsloses Bleiberecht!

Ein Text der Jugendantifa Berlin (JAB).
Silvio Meier Siempre Antifascista Antifaschistische Aktion