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Gedenken an Dieter Eich im Mai 2010 |
Zwölf Menschen starben seit der Wiedervereinigung in Berlin durch die Hand von Neonazis -
so zumindest die offizielle Statistik. Die Erinnerung an eben jene, die von den
Neonazis ermordet wurden, verschwimmt mit der Zeit und macht somit auch die Tat an
sich scheinbar ungeschehen. Darum ist es unsere Aufgabe diesen Menschen Namen und
Gesichter zu geben, damit sie, der Mord an ihnen, aber auch das Ausmaß nationalsozialistischer
Ideologie nicht in Vergessenheit geraten. Gedenkdemonstrationen, wie sie seit
Anfang der 90er für Silvio Meier oder seit 2005 für Thomas Schulz in Dortmund stattfinden,
stehen genau für dieses Anliegen. Die Art, in welcher Form gedacht wird, ist für uns
zweitrangig. Wichtig ist, dass es geschieht.
Seit nunmehr drei Jahren finden auch in Berlin wieder Gedenk-Aktionen für Dieter
Eich statt. Sein Todestag jährt sich am 25. Mai 2010 zum zehnten Mal. Für
uns ist dies ein Anlass, verstärkt auf die Umstände der Tat und die gesellschaftlichen
Hintergründe hinzuweisen. Eich bezog Sozialhilfe und wohnte damals
in einer der Plattenbausiedlungen am Nordost-Berliner Stadtrand. In der
Nacht vom 24. auf den 25. Mai 2000 betrank sich eine Gruppe junger Neonazis
im selben Mietshaus im Stadtteil Buch, in dem auch Dieter Eich wohnte.
Gegenseitig aufgestachelt fassten sie den Entschluss einen "Assi zu klatschen".
Sie drangen in Dieter Eichs Wohnung ein, wo sie ihn vorfanden, brutal zusammenschlugen
und anschließend flüchteten. Kurze Zeit später kehrten sie zurück
und töteten ihn mit mehreren Messerstichen, damit er keine Aussage bei der
Polizei machen konnte. Dieter Eich verblutete in seiner Wohnung.
Ideologische Hintergründe
Dieter Eich wurde erstochen, weil er in den Augen seiner Mörder ein Sozialschmarotzer
war. Die Mörder Eichs stehen damit in direkter Tradition der
massenhaften Ermordung von Bettlern, Erwerbslosen und Landstreichern
während des NS. So wurden beispielsweise im Rahmen der Aktion "Arbeitsscheu
Reich" im April und Juni 1938 über 10.000 Personen, als sogenannte
Asoziale, in die Konzentrationslager verschleppt. Eine Kontinuität, die sich vom
Nationalsozialismus bis in die heutige Zeit zieht, lässt sich nicht verleugnen.
Die Formel "Wer nicht arbeitet ist nichts wert" wird so gut wie ausnahmslos von
allen Kräften dieser Gesellschaft geteilt. So weit außerhalb des politischen
Mainstreams standen Eichs Mörder also nicht. Der feine Unterschied zwischen
bravem Bürger, Staat, Wirtschaft und Medien gegenüber den Neonazis ist
der, dass es sich in diesen Kreisen nicht geziemt "Faulenzer" und "Schmarotzer"
einfach abzustechen.
Auch, wenn die wenigstens Menschen zufrieden sind mit den Arbeitsverhältnissen,
unter denen sie sich verdingen, so sehr sie einen vernünftigen Urlaub einer
Überstunden-Schicht vorziehen, so verachten sie trotzdem Menschen, die nicht
arbeiten können oder wollen. Als was ist dies anders zu verstehen, als eine, vor
Unterwürfigkeit triefende, Danksagung an das tägliche Schuften? Ein Dankeschön
also an die elenden Verhältnisse in denen wir leben!
Die Diskriminierung nicht arbeitender Menschen geschieht allerdings nicht allein
aus dem sich im Sozialneid begründeten Eigenantrieb des Bürgers, sondern
ist auch von oberster Stelle gewollt und legitimiert. Das, was eh schon viele
über Erwerbslose denken, gießt der Staat z.B. in Form von Hartz 4 in Gesetze
mit dem klaren Ziel durch Zwang mehr Produktivität aus seinen Staatsbürgern
herrauszuquetschen, aber auch um Konflikte zwischen Erwerbslosen
und Lohnabhängigen zu schüren. Wichtig für den Staat, denn schließlich könnte
es ja passieren, dass sich der malochende und der faulenzenden Pöbel gegen
den Staat selbst richtet.
Bezüglich des Themas Arbeit igeln sich Gesellschaft und Staat feige in eine
Doppelmoral ein, die es sich heraus nimmt, auf nicht arbeitenden Menschen
rumzuhacken, sich aber gleichzeitig die Hintertür aufhält, nach einem Mord, wie
dem in Berlin-Buch, eine mitleidige Miene aufsetzen zu können. Wenn es nach
uns geht, sollten denen, die eben jene Ausgrenzung mittragen und sich dann
moralisierend präsentieren, wenn mal wieder ein "Assi" in den Rinnstein geprügelt
wurde, ihre erhobenen Zeigefinger gefälligst abfaulen. Sollen sie an jeder
Silbe ihrer Verlogenheit ersticken, die sie von sich geben. Wer die Grundlagen
für ein Gesellschaftsklima ermöglicht, in dem der Wert eines Menschen nur an
seiner Arbeitskraft gemessen wird, der darf sich nicht erstaunt geben, wenn
rechte Schläger sich durch eben jene Gesellschaft in der Richtigkeit ihres
Handelns bestätigt fühlen. Und genauso wenig brauchen sich diese Leute darüber
wundern, dass sie uns zum Feind haben!
Mai 2010: Schau nicht weg! Greif ein!
Zehn Jahre nach dem Mord an Dieter Eich wollen wir mit Veranstaltungen
und Aktionen das Gedenken an Dieter Eich weiter aufrechterhalten und dessen
gesellschaftlichen Hintergründe klar benennen. Außerdem ist uns daran
gelegen, wenigstens punktuell, in Buch und der näheren Umgebung antifaschistische
Akzente zu setzen. Die anhaltende Präsenz von rechtem Gedankengut
vor Ort unterstreicht nur umso mehr die Notwendigkeit, das Gedenken an die
Opfer rechter Gewalt mit dem Tageskämpfen gegen Neonazis zu verbinden!
Ein Text der North-East Antifascists (NEA).
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