Tschüssi statt Horrido |
Phase 1 - Die Eröffnung
Anfang Mai 2009 tauchte im Internet eine Seite auf, die die Eröffnung eines
"Erik & Sons"-Ladens in der Straße Alt Friedrichsfelde für den 8. und 9. Mai
ankündigte. Zeit für eine Besichtigung. Ladenschild dran. Drinnen Kisten.
Scheinbar stimmt die Info. Also wurden die Berliner Antifastrukturen informiert
und eine Kundgebung für den 9. Mai organisiert, um Öffentlichkeit zu erreichen
und die Eröffnung zu begleiten. Wir waren nicht die einzigen, die von der Eröffnung
Wind bekamen, und so musste die Eröffnung des Ladens ohne Schaufensterscheibe
stattfinden. Der erste Schritt war getan. Die Szene, Zivilgesellschaft
und Bezirk wussten über den Laden Bescheid.
Phase 2 - Recherche und Verbreiterung des Protests
Um die Szene weiter auf das Thema einzuschießen, wurde im Anschluss für
den 20. Mai eine zweite Kundgebung organisiert. An dieser, die mit der Jugendantifa
Nordost und der Autonomen Antifa Lichtenberg-Süd organisiert wurde,
nahmen etwa 50 Menschen teil. Die linke Presse nahm sich im Anschluss
des Themas an. Das Bündnis der Gruppen, die die Kundgebung organisiert
hatten, festigte sich, um weitere Proteste zu planen. Dazu war eine lange
Phase der Observation des Laden nötig. Dabei kam heraus, dass der Laden
schlecht besucht war, dass alles mit dem Betreiber stand und fiel. Wenn er krank
war, war der Laden zu. Der Laden fuhr kein Geld ein und wurde erst relativ spät
als offizieller "Erik & Sons"-Laden auf der Homepage der Marke geführt. Die
Schäden am Geschäft konnten nicht finanziell abgepuffert werden und es galt
als realistisch, dass die Ladenbetreiber anders als bei Thor Steinar-Läden, gegen
eine Kündigung nicht klagen würden. Also wurde eine doppelte Strategie
antifaschistischer Druck und bezirkliches Vorgehen gewählt.
Phase 3 - Information und Druck
Da für die Schließung eines Naziladens mehr nötig ist, als Kundgebungen, wurde
der Bezirk in die Verantwortung genommen. VertreterInnen des Bezirksamtes
nahmen im folgenden Kontakt mit der Vermieterfirma Palu Suisse auf und forderten
die Kündigung des Geschäfts. Gleichzeitig informierte am 22. Juli eine
"Bürgerinitiative Buntes Friedrichsfelde" mit mehreren tausend Flugblättern die
Anwohner über das Geschäft. Auch sie schrieb Beschwerdebriefe an den Vermieter.
Die Netzwerkstelle Licht-Blicke veranstaltete am 9. Juli zusammen mit
der MbR eine Bürgerveranstaltung in einem nahe gelegenen soziokulturellen
Zentrum. Die Antifa verbreitete zu dieser Zeit Faltblätter, die näher auf die verkauften
Marken eingingen und verbreitete im Kiez massiv Aufkleber, die die
Schließung des Geschäfts forderten.
Phase 4 - Der letzte Tritt
Nachdem Palu Suisse erste zaghafte Schritte in Richtung Kündigung machte,
begann der letzte Teil der antifaschistischen Mobilisierung. Zusammen mit
Gruppen aus Friedrichshain wurde eine bezirksübergreifende Demonstration für
den 30. August geplant, die neben dem "Horrido" auf den "Thor Steinar"-Laden
?Tromsö? thematisierte. Mehr als 700 AntifaschistInnen forderten an diesem
Tag die Schließung der Läden. Wenige Tage später, am 5. September wurde
bekannt, dass Palu Suisse dem "Horrido" gekündigt hatte. Als Grund dafür
hatte sie unter anderem die Gefährdung der Hausbewohner angegeben. Die antifaschistische
Mobilisierung und die regelmäßigen Beschädigungen am Laden
hatten somit einen wesentlichen Anteil an der Kündigung. Die offene Frage, ob
der Besitzer gegen die Kündigung klagen werde, wurde am 1. Oktober beantwortet.
Pünktlich zum Monatsanfang war der Laden geräumt, die Schilder
entfernt. Innerhalb der letzten anderthalb Jahre wurden in Lichtenberg zwei Naziläden
("Horrido" und "Wearwolf") und eine Nazikneipe ("Kiste") geschlossen.
Nicht nur, dass die Neonazistrukturen im Weitlingkiez weitgehend zurückgedrängt
werden konnten. Auch mit ihren Locations haben sie im Bezirk nichts zu
lachen. Dieser Rückgang bietet den lokalen Antifa-Strukturen mehr Raum, eigene
Themen zu setzen. Da wären zum einen die eigenen alternativen Strukturen,
u.a. das Unabhängige Jugendzentrum in Karlshorst, die Zeitung Abuje,
eigene Ausstellungen und Veranstaltungen, zum anderen weitere gesellschaftliche
Themen, so das neu eingerichtete "Ausreisezentrum" in der Degnerstraße
oder Erinnerungspolitik zum Nationalsozialismus. Antifa in Lichtenberg ist deutlich mehr,
als nur Nazis hinterher zu rennen.
Ein Text der Antifa Höhenschönhausen (AH).
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