Hellersdorf Revisited – eine Analyse der rassistischen Mobilisierung

11. August 2014 | News Redaktion

Hier dokumentieren wir in digitaler Form eine Auswertung des antirassistischen und antifaschistischen Diskurses im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf der vergangenen 12 Monate. Dieser Text wird in Broschürenform in den kommenden Wochen erscheinen und dann auch als PDF-Download zur Verfügung stehen. Gleichzeitig wollen wir an dieser Stelle auf die Antirassistische Aktionswoche aufmerksam machen, die vom 25. bis zum 30. August 2014 in Berlin-Hellersdorf stattfindet. Spread the word!

Als sich Dekonstruktion Ost im vergangenen Sommer in Reaktion auf die rassistische Mobilisierung im Bezirk Marzahn-Hellersdorf gründete, standen wir vor einem riesigen Haufen Arbeit. Anders als in der Auseinandersetzung mit organisierten Nazistrukturen traten in der Verknüpfung zwischen antirassistischem und antifaschistischem Engagement viele Problemfelder auf, in die wir uns erst einarbeiten mussten; in den letzten 12 Monaten haben wir immer wieder unsere Grenzen und unseren Horizont verschoben. Wir haben versucht, Spannungsfelder für uns aufzulösen, uns mit theoretischen Grundlagen zu beschäftigen. Gleichzeitig war da der rassistische Volksmob, der tobte, und mit dem wir einen praktischen Umgang finden mussten, um ihn in seiner Massivität zurückzudrängen. Genoss_innen arbeiteten in langen Nachtschichten daran, die Drahtzieher_innen der rassistischen Mobilisierung zu entschlüsseln, wir versuchten dann, politische Gegenstrategien zu entwerfen, sie unseren Bündnispartner_innen zu präsentieren und mit ihnen zusammen umzusetzen. Wir setzen starke Zeichen und erlebten auch herbe Niederlagen. Als geflüchteter Mensch in Hellersdorf zu leben, heißt auch weiterhin, in ständiger Gefahr zu leben. Wir begreifen unser Wirken nur als Tropfen auf dem heißen Stein, der die deutsche und europäische Asyl- und Lagerpolitik als auch den Rechtsruck der Gesellschaft darstellt.

Diese Publikation soll einen Arbeitsstand des emanzipatorischen Aktivismus abbilden. Aus unserem Gruppenstandpunkt heraus versuchen wir, die Situation in einen größeren politischen Kontext einzuordnen, die relevanten Strukturen und Akteure genauer zu betrachten und unser eigenes Engagement kritisch zu betrachten. Sie bietet auch den Platz, auf Randerscheinungen und Bezirksspezifika einzugehen, die in einer verkürzten Gesamtdarstellung ansonsten unterzugehen droht. Wir würden uns freuen, wenn die interessierten Leser_innen ihre eigene politische Arbeit damit sinnvoll gestalten können und diese Publikation als Ausgangspunkt und Debattenbeitrag verstehen würden.

Antirassist_innen und Antifaschist_innen von Dekonstruktion Ost im Juni 2014

Pfingsten in Hellersdorf: „Spring, Parasit!“

Über dreißig Nazis stehen mit Deutschlandfahnen vor einer Unterkunft, in der Geflüchtete wohnen, und brüllen ihnen entgegen: „Parasiten“; „Das hier ist unser Land“.[1] Vom Lautsprecherwagen, der vor den versperrten Fenstern vorbeirollt, dröhnt Rechtsrock und NS-Rap. Es ist Sonntagnachmittag, Pfingsten, und weit und breit ist keine Polizei zu sehen.[2]

Was klingt wie eine Szene aus dem Anfang der Neunziger Jahre aus strukturschwachen, ländlichen Gebieten ist in Wahrheit die Bundeshauptstadt, der Bezirk Hellersdorf, Pfingstwochenende 2014. Vor nur wenigen Wochen wurden die Berliner Innenbehörden auch nach eigenen Aussagen[3] von dem konspirativ geplanten Naziaufmarsch überrascht. Auch antifaschistischen Gegenprotest sucht man vergeblich, nur wenige Beobachter_innen begleiten die Demonstration und werden von den selbstsicher agierenden Nazis bedrängt. Die eingesetzten lokalen Polizeikräfte sehen kein Grund, die per Fax als Eilversammlung angemeldete Demonstration zu verbieten, vielmehr schlägt sie den Nazis eine umfassende Routenführung bis zum mit einem Pfingstfest gefüllten Alice-Salomon-Platz, der Hellersdorfer Dorfkern in spe, vor, für den sich diese auch nach der Demonstration bei der Direktion feixend bedanken. Die Straftaten, die aus der Demonstration heraus vorher begangen wurden, werden nicht in die Entscheidung mit einbezogen, auch nicht die Straftaten, die auf der letzten konspirativen Demonstration der sogenannten Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf am 9. August 2013 begangen wurden. Damals zeigten 12 der knapp 60 teilnehmenden Rassist_innen den Hitlergruß und wurden dafür festgenommen, der Einsatzleiter musste den Anmelder auffordern, die strafbaren Parolen in der Demonstration zu unterbinden.[4] Die für den Bezirk zuständige Polizeidirektion gibt sich als willfährige Handlangerin der Nazis, Kritik an der heute unter dem Namen „Bürgerbewegung Hellersdorf“ firmierenden Gruppe verbittet sich der Einsatzleiter, das seien redliche Leute.

Das ist nur das vorerst letzte Kapitel einer Entwicklung, die von dem breiten antirassistischen Konsens des letzten Jahres hin zu einer verfestigen neonazistischen Struktur geführt hat. Diese Entwicklung hat viele Facetten und geht über Hellersdorf hinaus, stellt sich vielmehr in den Kontext der Flüchtlingspolitik des Landes Berlin und den Zustand der antifaschistischen Bewegung im Allgemeinen.

Die Niederschlagung der Refugee-Proteste in Berlin

Der Umgang mit den Geflüchteten am Oranienplatz hat den schwarz-roten Senat 2013 an die Grenze der Koalitionsfähigkeit gebracht – während CDUler Frank Henkel ein hartes Vorgehen gegen die widerrechtliche Nutzung der Grünflächen propagiert und damit eigentlich sagen will, dass die Menschen, die dort ihre Interessen vertreten, in Lager[5] gesperrt werden sollen oder am besten gleich abgeschoben werden müssten, hält der regierende SPDler Wowereit eine behutsamere (aber nicht etwa menschlichere) Vorgehensweise für notwendig. Er sieht den Druck, der in Hamburg auf den alleine durch die SPD geführten Senat in Flüchtlingsfragen aufgebaut wird und kann sich einen Fauxpas wie Scholz in dem insgesamt linkeren Berlin nicht leisten, zudem er wegen dem BER-Skandal keine weitere „Front“ eröffnen möchte. Als Henkel offen die Räumung ankündigt[6], lässt ihn Wowereit auflaufen und schickt Senatorin Kolat vor, die Verhandlungen führen soll. Diese Verhandlungen laufen für den Senat erfolgreich, er schafft es, eine große Gruppe der am Oranienplatz lebenden Geflüchteten für seine Angebote zu begeistern – ein fataler Fehler, wie einige Refugees schon damals anmerken, und sich inzwischen auch offen zeigt.[7]

Diese Strategie lässt auch eine linksradikale Mobilisierung, die die Räumung des Oranienplatzes verhindern soll, ins Leere laufen. Viele linke Gruppen haben schon seit langem keine Bestrebungen mehr, die Proteste der Geflüchteten zu begleiten und zu unterstützen, stehen oft vor ihrem eigenen Paternalismus und gleichzeitig vor der Unfähigkeit, aus der europäischen Privilegienstellung resultierende umfassende Kritik möglichst vieler Machtverhältnisse eine Akzeptanz für die heterogene Selbstvertretung der Geflüchteten zu entwickeln. Deutsche Aktivist_innen sind überfordert mit den Strukturen, die nicht konsensual arbeiten, es gibt Probleme mit Sexismus und es gibt handfeste Auseinandersetzungen. Anstatt diese Probleme aufzuarbeiten, anstatt einen Weg zu finden, aus der privilegierten Binnendiskussion, in der sich die radikale Linke seit Jahren befindet, einen Schritt herauszutreten, wird schweigend die Unterstützung aufgegeben. In den Monaten vor der Räumung des Oranienplatzes kommt es zu mehreren Anschlägen auf die Geflüchteten, ein Toilettenwagen und ein Zelt werden angezündet und brennen aus; wichtige, schwer zu ersetzende Infrastruktur fällt damit den Flammen zum Opfer, Menschenleben werden ernsthaft gefährdet. Die Solidarität hält sich – gelinge gesagt – in Grenzen. Und auf der Seite der Hellersdorfer Bürgerbewegung taucht exklusives Bildmaterial auf, dazu Texte, die sich auch wie indirekte Bekenner_innen-Schreiben lesen.[8] Man kann sich vorstellen, unter welchem Druck die Geflüchteten am Oranienplatz stehen: die Räumung als omnipräsentes Damoklesschwert, Anschläge, Hetze in der Presse, schwindende Unterstützer_innen-Strukturen[9] und kaum noch Möglichkeiten, ihr Anliegen wahrnehmbar zu machen. Und in dieser Situation treffen viele von Ihnen eine Entscheidung: die Aufgabe des Oranienplatzes. Die Verhandlungspartner_innen vom Senat, versuchen erst gar nicht, ein Angebot zu entwerfen, das alle Geflüchteten zufriedenstellen könnte. Sie spekulieren auf der Öffentlichkeit kommunizierbare Mehrheiten und finden sie nach wochenlangen Verhandlungen auch.[10] Sie treffen damit schon vorab die Entscheidung, wer „guter“ und wer „schlechter Flüchtling“ sei.

Am Tag der Räumung kommt es zu hässlichen Szenen: einige Geflüchtete versuchen die große Gruppe derjenigen Refugees, die, wie vom Senat diktiert, die Zelte in Kooperation mit der BSR abbauen auch mit körperlicher Gegenwehr an ihrem Vorhaben zu hindern. Weiße Unterstützer_innen, vorher nie am Oranienplatz aktiv, greifen ein, solidarisieren sich mit der Gruppe, die bleiben will und aktiv den Abbau der Zelte verhindert, mischen sich ein in einen Konflikt, der nicht ihrer war.[11] Viele der abbauenden Geflüchteten fühlen sich durch die vor Ort agierenden Linksradikalen instrumentalisiert. Weiße entscheiden nun erneut, wer „guter Flüchtling“ und wer „schlechter Flüchtling“ sei, wer mit dem „System“ kooperiere und Handlanger des Kapitals und des Staates sei und deswegen im Unrecht sei. Es wird handgreiflich, schlimme Szenen: weiße Linke greifen Geflüchtete an! Daneben steht die Polizei und kommt aus dem Staunen nicht heraus, einige der eingesetzten Bereitschaftspolizist_innen werden wohl vor Schadenfreude innerlich jauchzen. Im vergangenen Jahr sah das noch ganz anders aus: als sich die Polizei zur Unterstützung einer durch die grüne Bezirksregierung geplante Räumung zusammenzog, wurde sie durch die Straßen gejagt, 31 von 150 Polizist_innen meldeten Verletzungen.[12]

Danach demonstriert ein Teil der Berliner Linksradikalen am Kottbusser Tor.[13] In Ermangelung eigener Produktivität und Raumnahme erklärt sie die „freiwillige“ Räumung des Oranienplatzes als einen Angriff auf ein konstruiertes „Uns“. Der Oranienplatz wird als Kernpunkt der Berliner Linksradikalen ausgerufen, dabei hatte außer einer kleinen Unterstützer_innen-Gruppe schon lange kein politischer Zusammenhang mehr die Nähe zu den Refugees gesucht, die ihrerseits skeptisch aufgrund der unreflektierten Privilegienstellung der weißen, akademisierten Linken auf Abstand bleiben. Einige politische Gruppen bieten eine schnelle Erklärung für die Umstände der Räumung an: der Senat hätte die Refugees benutzt und sie gegeneinander aufgehetzt. „Divide et impera!“ ist eine vielzitierte Maxime in diesen Tagen.[14] In dieser plakativen Schuldzuweisung scheint der omnipräsente Paternalismus vieler linker Strukturen gegenüber den sich selbst vertretenden Geflüchteten durch: die Fähigkeit, bewusste Entscheidungen zu treffen wird ihnen abgesprochen. Ihre Subjektstellung im politischen Diskurs wird ihnen in dieser Argumentation verwehrt, vielmehr werden sie zum unwissenden und/oder unfähigen Objekt der Senatsvertreter_innen erklärt. Wie selbstverständlich werden die „Szenestandards“ der linken Politsubkultur auf die heterogene Zusammensetzung des Oranienplatzes übertragen. Es gibt keine Reflektion darüber, dass Konsens-Entscheidungen und verbindliche Plenastrukturen ein Privileg der Akzeptanz der bürgerlichen Gesellschaft sind; sich in die Position hineinzuversetzen, dass man Entscheidungen darüber treffen muss, ob man eine Aussicht auf einen gesicherten Aufenthaltsstatus hat oder ohne diesen weiterkämpft und eventuell dafür abgeschoben wird – diese Transferleistung schaffen wenige weiße Aktivist_innen. Wenn die Berliner Linksradikale in Zukunft gestaltende Teilhabe an den Refugee-Protesten sucht, ist eine Auseinandersetzung mit der Räumung des Oranienplatzes unabdingbar.

Die Räumung ist der Wendepunkt der Regierungspolitik – von nun an wird die Deutungshoheit über Asylfragen mit aller Macht vom Senat eingefahren. Das muss sie auch, denn der Rechtsruck in der Gesellschaft ist für die Parteiendemokratie nicht mehr zu ignorieren – mit der Alternative für Deutschland (AfD) wäre eine rechtspopulistische Partei 2013 fast in den Bundestag eingezogen und hat es einige Monate später in das Europaparlament mit knapp 7% (in Berlin überdurchschnittlich: 7,9%[15]) geschafft. Nun geht es um Wähler_innenstimmen – und die Wähler_innen haben rassistische Politik mitgewählt. Zudem hat sich auch das Machtspektrum auf der Landesebene verändert. Die CDU-Senatoren sind unzufrieden mit dem Machtwort Wowereits in der Frage um den Oranienplatz. Er hat Henkel auflaufen lassen und gleichzeitig den originären Aufgabenbereich von Sozialsenator Mario Czaja der Integrationssenatorin Dilek Kolat von der SPD zugespielt. Neben dem BER-Skandal wird Klaus Wowereit in aller Öffentlichkeit für seine Miet- und Wohnpolitik abgestraft, mit dem erfolgreichen Volksbegehren „100% Tempelhofer Feld“. Der „König von Berlin“ hängt schlaff in seinem Thron, und die Nachkommenschaft streitet sich um die Krumen, die herunterfallen. Und lässt dabei ordentlich Federn.[16] In dieser Situation setzt die CDU sich mit neuem Selbstbewusstsein durch.

Der Diskurs verschiebt sich. Von nun an bestimmt in der Konsequenz eine harte Linie den Umgang mit Geflüchteten durch den Berliner Senat: eine hungerstreikende Gruppe von Geflüchteten aus Sachsen-Anhalt wird wegen des Verstoßes gegen die Residenzpflicht von dutzenden Polizisten an der Gedächtniskirche umzingelt und zurück in das Flächenland deportiert[17] – ein Berliner Novum für den polizeilichen Umgang mit Refugees im politischen Protest. Die vom Senat getroffenen Zusagen für die Geflüchteten am Oranienplatz werden nicht umgesetzt[18], stattdessen werden Abschiebeverfahren gegen die ersten Refugees eröffnet, die sich auf die Liste derer eingetragen haben, die das Verhandlungsergebnis des Senats akzeptieren. Die systematische Erfassung von Illegalisierten ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Verhandlungen für die Berliner Behörden – das macht sie dem Kontroll- und Abschiebesystem überhaupt erst zugänglich und lässt sie in das Mühlwerk der Bürokratie fallen. In Berlin wurde letztendlich doch eine „Hamburger Linie“ etabliert – und der Protest, der in Hamburg auf ganzer Breite wirkte und eine ganze Schüler_innen-Generation politisiert hat[19], bleibt in Berlin aus.

Antifa in der Krise

Die antirassistische Linksradikale steht vor einem Scherbenhaufen und tut aus der Angst, etwas falsch zu machen, am Ende schlichtweg nichts. Die Beschäftigung mit dem Thema Asyl wird, anders als in Hamburg[20], zur Nebensache. Als die NPD durch Kreuzberg marschieren will, ist der Skandal die Wahl des Postbezirks SO36 (Berlin-West) als Aufmarschgebiet, nicht das gezielte Anlaufen der Kristallisationspunkte antirassistischer Politik und der Selbstvertretung Geflüchteter.[21]Die Blockaden des 26. April 2014 stehen ganz im Sinne eines alternativen „Heimatschutzes“, die antifaschistische Linke zeigt mit tausenden von Menschen, dass sie Nazis nicht in „ihrem“ Bezirk haben möchte, ganz nach dem Motto „not in my backyard“, immer wieder wird die identitäre Vorstellung vom eigenen Kiez betont. Mit Solidarität hat das wenig zu tun. Die Nazis weichen nach Adlershof aus – die dortige Naziszene, angeschlossen an die starke neonazistische Infrastruktur in Schöneweide, mobilisiert seit Wochen ähnlich wie in Hellersdorf gegen eine Unterkunft für Asylsuchende – und können dort über Kilometer ungestört laufen. Von den tausenden Menschen aus Kreuzberg schaffen es nur wenige Dutzend an den Endpunkt der Nazis, um dort zu protestieren. Stattdessen kommt es in Mitte und Kreuzberg zu einer „Siegesdemonstration“. Man feiert die Verdrängung der Nazis an den Stadtrand – was nur wenige interessiert: die Verdrängung an den Stadtrand findet auch für Geflüchteten statt, die dort in Lagern untergebracht werden und nun wiederum den an den Stadtrand verdrängten Nazis schutzlos ausgeliefert sind. Immerhin: die Machtdemonstration der Nazis in Kreuzberg schlägt fehl und schädigt den angeschlagenen Landesvorsitzenden der NPD, Sebastian Schmidtke, enorm. Eine für den 1. Mai geplante Demonstration fällt aus, die Szene fährt nach Rostock oder Dortmund. Was folgt, ist ein motivationsloser Wahlkampf der Berliner Nazis für den Europawahlkampf.

Selbstbestätigung als Ritual verbleibt regelmäßig wichtiger als tatsächliche antifaschistische Arbeit.[22] Auch der 1. Mai wurde inhaltlich und praktisch nur wenig mit den Refugee-Protesten kontextualisiert, auch hier ist der ritualhafte Charakter hervorzuheben.[23]Und doch: trotz der anhaltenden Kritik von weiten Teilen der Linksradikalen konnte der 1. Mai steigenden Zulauf verzeichnen. Das verstärkte Bekenntnis zu einer linksradikalen politischen Perspektive und die internationale Bezugnahme und europäische Vernetzung sind dabei durchaus positiv zu verzeichnende Nachrichten, dennoch wäre es wünschenswert, wenn sich dieses Bekenntnis nicht nur mit dem symbolischen Sturm der SPD-Zentrale, sondern mit täglichem und praktischem Widerstand gegen (nicht nur) SPD-Politik verbinden würde. Denn politische Rituale sind das Todesurteil der widerständigen Praxis, sie gliedern sich ein in die Realität einer bürgerlichen Gesellschaft und werden als fester Bestandteil assimiliert. Der ritualhafte Ausbruch aus den Konventionen wird selbst zur Konvention.[24]

Die notwendige Reflektion dieses Zustandes findet ebenfalls in Berlin statt. Der Kongress „Antifa in der Krise“[25] setzt viele Themen auf die Tagesordnung, die antifaschistische Aktivist_innen gerade bewegen: warum kommt keine Jugend mehr zu uns? Macker vom Land vs. Studenten aus der Stadt! Internationale Vernetzung und lokale Vereinzelung. Die Beziehung zu bürgerlichen Plattformen, Bündnisarbeit, Perspektive über den Antifaschismus hinaus. Nicht zuletzt auch: Rassistische Mobilisierung und das Verhältnis zur antirassistischen Bewegung. Fast zu viele Fragen für ein Wochenende, aber ein guter Anfang – die Hoffnung bleibt, dass dieser Kongress künftig in aller Regelmäßigkeit stattfindet: entweder, um eine antifaschistische Bewegung neu zu formen und ihre Probleme aufzuarbeiten – oder um den Totengräber zu spielen, die Transformation in eine neue Bewegung zu begleiten. Denkbar sind beide Perspektiven, fest steht: antifaschistische Politik ist verdammt notwendig – und verdammt selten geworden.

Rassistische Mobilisierung – ein Erfolgskonzept?

In dieser Melange aus repressivem Staat und Schwächen in Szene und sozialer Bewegung sehen sich viele Bezirke mit neu eingerichteten Lagern konfrontiert. Und die Berliner Naziszene versucht, Hellersdorf als Blaupause für die rassistische Mobilisierung zu nutzen: überall entstehen ominöse Bürgerinitiativen und „Nein zum Heim“-Facebook-Seiten, man versucht auf digitalem Wege einige Mitstreiter_innen aus der direkten Wohnumgebung anzuwerben. In Neukölln vereiteln eine stark aufgestellte Zivilgesellschaft und jahrelang aktive Strukturen den Plan der Nazis. Die ausgefallene Demonstration der NPD am 1. Mai sollte in die Nähe der Neuköllner Unterkunft führen – Blockaden hätten das mit aller Sicherheit verhindert. Anders in Köpenick und Adlershof: die hier entstehenden Lager werden zentrale Agitationspunkte, es gibt Brandanschläge, Anwohner_innen-Proteste, NPD-Kundgebungen und wieder zentrale Tarnseiten auf Facebook, deren Drahtzieher zumindest bald offen benannt werden.[26] Die Gegendemonstrationen sind in der Regel klein und werden von der Polizei an absurde Orte gesetzt, ein Protest gegen die Rassist_innen wird aktiv verunmöglicht.[27]Aktivist_innen vor Ort fühlen sich aber auch alleine gelassen, zu wenig seien mobilisierbar, um ein starkes Zeichen zu setzen, gegen die Nazis, die sich gerade in Adlershof pudelwohl fühlen, sogar eine Delegation tschechischer Faschisten auf einer Kundgebung empfängt.[28]

Für die Berliner Nazis ist das – nur mäßig funktionierende – Konzept ein Hoffnungsschimmer. Ihre Szene liegt am Boden, die vielbeschworene „Volksnähe“ ist seit Jahren de facto nicht existent, Aufmärsche finden in der Regel in menschenleeren Gegenden statt oder werden blockiert[29], meistens reicht es nur für Kundgebungs-Hopping mit LKWs oder kleinen Transportern und weniger als 10 Personen. Die NPD muss dringend für ansteigende Wahlergebnisse sorgen, sonst ist sie noch vor dem Verbotsverfahren[30] pleite, ihrer Belegschaft musste sie inzwischen vollständig kündigen.[31] Multifunktionär Schmidtke bekommt in den Gerichtsverfahren der letzten Monate die Quittung für seine neonazistischen Aktivitäten[32], inzwischen muss er jedes Wort gut überlegen – jede weitere Verurteilung ist der sichere Weg ins Gefängnis. Auch privat hat er zu kämpfen, sein Laden „Hexogen“ muss schließen.[33]

Die Erfolge, die das Hellersdorfer Konzept für ihn und die Berliner Szene birgt, sind umso befreiender: durch die Aktivierung rassistischer Anwohner_innen hebt sich das Gefühl der gesellschaftlichen Isoliertheit auf, dass Nazi-Aktivist_innen seit Jahren begleitet. Sie haben endlich eine Art „Nachwuchs“ aus der für sie so wichtigen „Mitte der Gesellschaft“, den sie langsam und stetig über die vorgebliche „Betroffenheit“ an sich binden können und der Aktivismus zeigt. Dieser „Nachwuchs“ steht in der Regel fester im Leben als über Szenehabitus angeworbene Jugendliche, er hat höhere Ressourcen und kann persönliche Netzwerke aktivieren, die außerhalb der Naziszene wirken.[34] Aufgaben können an sie delegiert werden; rassistische Aktionen werden nach Außen als legitim, weil durch Anwohner_innen getragen, kommuniziert. Und es produziert Wahlergebnisse: zur Bundestagswahl lag in einem Wahllokal nahe des Hellersdorfer Lagers der NPD-Zweistimmenanteil bei über 10%, insgesamt hatte sich das Ergebnis im gesamten Wahlkreis um über einen Prozentpunkt auf 4.4% verbessert.[35]

Die Furcht vor Lichtenhagen

Diese Ergebnisse sind lokal betrachtet schockierend, aber haben auf Bundes- und Landesebene kaum Einfluss gehabt. Ein „Überschwappen“ der Stimmung in breite Teile der Bevölkerung ist nicht erfolgt, auch ist das Hellersdorfer Konzept kein Selbstläufer geworden. Es konnte sich bisher nur unter der Führung der Extremen Rechten etablieren, die rassistische Mobilisierung ohne organisierten neonazistischen Hintergrund hat deutlich andere Formen angenommen als in den 90ern.[36]

In der medialen, aber vor allem in der innerlinken Debatte über die rassistische Mobilisierung in Hellersdorf wurde oft das Bild der rassistische Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 bemüht. Es war zentraler Antriebspunkt für viele Aktivist_innen, sich an den Gegenprotesten zu beteiligen: solche Szenen wie in Lichtenhagen solle es nie wieder geben, ein Pogrom müsse mit aller Kraft verhindert werden. Gerade weil auch schon Nazis, die auf dem „Braunen Dienstag“[37] agitierten, unmittelbaren Bezug zu Lichtenhagen nahmen und die Daten auf T-Shirts trugen. Die linke Debatte fragte allerdings auch schon früh kritisch nach der Qualität und den Bedingungen von Rostock-Lichtenhagen 1992, und ob diese in Berlin-Hellersdorf 2013 erfüllt wären.[38] In dem beachtenswerten Positionspapier der Gruppe „avanti“ wird unter dem Titel „Nur Mob, noch keine Elite“ konstatiert: „Trotz der von Antifas befürchteten und von den Nazis beschworenen Parallelität zu der Pogromstimmung zu Beginn der 1990er Jahre liegt ein wesentlicher Unterschied darin, dass das politische Establishment aktuell kein Interesse an einer gewaltförmigen rassistischen Mobilisierung hat. […] Allerdings suchen die Konservativen momentan nicht das »Bündnis von Mob und Elite« (Hannah Arendt), sondern bedienen sich der kalten Instrumentarien bürgerlichen Verwaltungshandelns.“[39] Inzwischen muss man konstatieren: die Entwicklung hat zumindest die Berliner Regierung vor sich hergetrieben. Ein „Bündnis aus Mob und Elite“ ist zwar immer noch nicht offen erkennbar, aber es zeichnet sich eine Dreiecksbeziehung aus Bürgermob, Parlamentselite und Naziterror ab, die sich gegenseitig in ihren Interessen stützen: während der rassistischen Mobilisierung durch die Behörden erlaubt wird, tief in die Privatsphäre von Geflüchteten einzudringen und ihnen damit das Leben zur Hölle zu machen, bleiben individuelle rassistische Attacken und Anschläge weitestgehend straflos, Ermittlungen werden noch am selben Tag für eingestellt erklärt.[40] Auf Landesebene wird kein Protest der solchen Zuständen ausgesetzten Menschen mehr geduldet. Und auf Bundesebene geht eine der strengsten Verschärfungen des Asylrechts seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1992 in Reaktion auf Rostock-Lichtenhagen in die Lesung.[41] Hinzu kommt, dass nicht nur das „politische Establishment“ ein Faktor in dem Diskurs ist, sondern auch gerade die Bedrohung dieses Establishments durch die AfD, deren rassistische Politik die Grenze des Sag- und Machbaren spürbar verschiebt. Der Vergleich mit Lichtenhagen kann allerdings nur selbiges bleiben: ein Vergleich. Die Zustände sind vergleichbar mit den frühen 90ern, die das Wort „Lichtenhagen“ stellvertretend für Hoyerswerda, Mölln und die unzähligen unerwähnten Orte symbolisiert – sie sind vergleichbar dort, wo sie rassistische Mobilisierung, bundesweit Anschläge auf Unterkünfte von Asylbewerber_innen und eine Verschärfung von parlamentarischer Debatte und Gesetzeslage zur Folge haben. Sie sind aber keine Kopie der konkreten Tage von Lichtenhagen, mit den tausenden Menschen, die ihrem rassistischen Hass freien Lauf ließen und dabei die Bewohner_innen eines ganzen Wohnblocks verbrennen wollten.

Diskursentwicklung in Hellersdorf

Aber wie ist es nun einzuordnen, wenn wie eingangs erwähnt über 30 Nazis vor der Hellersdorfer Unterkunft stehen und einem Geflüchteten am Fenster zurufen: „Spring doch, du Parasit!“? Als im vergangenen Jahr die Geflüchteten einzogen, standen Anwohner_innen an gleicher Stelle. Sie riefen: „Haut ab.“ Die Hitlergrüße des „Ronny“[42] bestimmten bundesweit die Medien, gegenüber der Unterkunft positionierten sich weitere Rassist_innen, so Daniela Fröhlich, Marcel Rockel, aber auch Marcus K. und Ronald Habel[43]. Vor dem Lagereingang zeigten antirassistische Aktivist_innen ihre Solidarität, setzen sich mit den Anwohner_innen auseinander, drängten den rassistischen Protest zurück und verschoben das Angriffsziel teilweise auch auf sich, wurden mit wüsten Beleidigungen bedacht. Viele Geflüchtete überforderte die Situation: schon die Anreise war ein einziges Fiasko, sie wurden in einem durch Polizeitransporter geschützten Konvoi aus Rote-Kreuz-Wagen durch die Stadt gefahren. Die fehlende Sensibilität der Verwaltung war erschreckend – wusste niemand, dass die Wagen des Roten Kreuzes für viele aus Kriegsgebieten geflohene Menschen die Fahrt durch eine Gefahrenzone bedeutete? Dazu die Situation, in der sie landeten: bürgerkriegsähnliche Zustände in Bezug auf die eigene Fluchterfahrung der Geflüchteten wird es wohl am ehesten umschrieben.[44] Zwei Konfliktparteien stehen sich gegenüber, für die Geflüchteten ist nicht erkennbar, wer sie sind und was sie wollen, eine Differenzierung ist schwer und sie selbst sind in eine absolut passive Rolle gedrängt, viele unfähig, den Konflikt zu begreifen und in der Konsequenz damit einen Umgang zu finden. Und so tun einige Geflüchtete das, was sie schon einmal tun mussten. Sie flohen. Eine Flucht aus Hellersdorf, eine Flucht vor den Hellersdorfer Zuständen.

Auf dieser Flucht begegneten sie den antirassistischen Aktivist_innen, deren Kommunikationsleistung nicht ausreichte, um den Geflüchteten verständlich zu machen, wer sie sind und warum sie gerade Zelte vor der Unterkunft aufbauen. Sie werden angeschrien und in Panik attackiert. Die Geflüchteten flohen weiter und standen am Bahnhof, während direkt neben ihnen die Situation eskaliert: die Köpfe der Bürgerinitiative, Daniela Fröhlich, Marcel Rockel und Kai Schuster sowie ein führender Berliner Parteifunktionär der neonazistischen Partei „Die Rechte“, Patrick Krüger, attackieren gerade einige Antifaschist_innen, bewerfen sie mit Bierkrügen.[45] Während die Polizei die Nazis festnimmt (und spätestens zu diesem Zeitpunkt die Personalien der Köpfe der Bürgerinitiative / Bürgerbewegung hat), werden die Geflüchteten von einigen zivilgesellschaftlichen Aktivist_innen betreut und Richtung Innenstadt gebracht. Die durch Antirassist_innen mitverursachte neuerliche Flucht ist wohl der größte Makel dieses Tages, der die Hilfslosigkeit linker Strukturen trotz ihrer weitestgehend erfolgreichen Interventionsstrategie zeigt. Die Zelte werden über Nacht zu einer Mahnwache ausgebaut.

Diese Mahnwache trieb als Fixpunkt antirassistischer Feuerwehrpolitik über Wochen einen Keil zwischen die über die Bürgerinitiative lose organisierten rassistischen Anwohner_innen: mit persönlichen Gesprächen wurden dutzenden Anwohner_innen auf einer argumentativen Ebene mit ihren rassistischen Vorurteilen konfrontiert, manchmal hitzig diskutierend, oft aber freundlich und bestimmt. Die Präsenz von hunderten Antifaschist_innen im Hellersdorfer Kiez lässt zudem die lokalen Nazis und gewaltsuchenden Rassist_innen schnell sehr klein werden – die physische Präsenz lässt ihnen die Lust auf Pöbelei oder mehr schnell vergehen, weil sie die Quittung postwendend erhalten. Die Strategie funktioniert. Die NPD versucht in den Tagen nach dem Einzug Stimmung zu machen. Immer wieder stellen sich ihnen Hunderte in den Weg, nur mit Mühe und Not kann die Berliner Polizei ihnen die Wege zu den Kundgebungsplätzen freiprügeln.[46] Auch die rechtspopulistische Kleinstpartei Pro Deutschland versucht, die Stimmung für sich zu nutzen und hält eine Kundgebung gegen Asylbewerber_innen ab – auch sie bekommen dafür ein Pfeifkonzert.[47] Die Mahnwache fungiert als Treff- und Informationspunkt, das gefällt der Bezirksverwaltung nicht, die die Ruhe der Anwohner_innen (und damit meinte sie nicht die neuen Anwohner_innen in Form der Geflüchteten) geschützt sehen wollte und erst nach harten Verhandlungen ein gangbares Konzept für die Aufrechterhaltung des Protestes akzeptierte.

Für die Geflüchteten ist an ein normales Leben nicht zu denken. Sie bekommen Ausgangssperre für die ersten Tage, es sei nicht sicher, das Gebäude zu verlassen, wird ihnen erklärt. Es wird ihnen auch explizit vom Umgang mit antirassistischen Aktivist_innen abgeraten. Erst nach einigen Tagen dürfen sie sich in ihrer neuen Wohnumgebung umschauen, einige knüpfen vorsichtig Kontakt mit den Aktivist_innen an der Mahnwache, viele machen sich erstmal mit den Versorgungsmöglichkeiten vor Ort vertraut. Dort treffen sie auf den kühlen Hass vieler Hellersdorfer und die Ablehnung ihrer Person. Einkaufen wird oft zum Spießrutenlauf – bis heute.

NPD-Wahlkampf und Wahlergebnisse

Hellersdorf wird im Bundestagswahlkampf 2013 – also innerhalb weniger Wochen – durch mehr als ein halbes Dutzend Kundgebungen von Parteien der Extremen Rechten „besucht“. Insbesondere die NPD erhoffte sich regen Zuspruch auf ihre rassistische Hetze und legte eine große Varietät in Teilnehmer_innen-Zahl (von 10 bis 120 Personen) und Ausgestaltung (Kundgebung, Kundgebungs-Hopping, Kundgebung mit demoartiger Anreise) an den Tag. Ihre Reden gehen allerdings im Lärm der Gegendemonstrant_innen unter. Auch Anwohner_innen scheinen sich vorerst nicht sonderlich zu interessieren – anders als bei Veranstaltungen der Bürgerbewegung. Interessant verbleibt auch, dass trotz des Versuches der NPD, sich als diejenigen zu präsentieren, die sich für die Belange der Anwohner_innen einsetzen, die beiden parlamentarischen Vertreter der NPD in der Bezirksverordnetenversammlung, Matthias Wichmann und Karl-Heinz Burkhardt,[48] auch in der Hochphase des Diskurses um die Unterkunft kaum Aktivität zeigen.[49]

Trotzdem wird das Ergebnis[50] der Bundestagswahl für die NPD ein Erfolg ihrer Strategie. Mit 0,9% mehr Zweitstimmen im Vergleich zu 2009 verbessert die NPD sich im Wahlkreis 85 enorm auf 3,9%. Entgegen des Bundestrends, wo sich die NPD um 0,3% auf ein Wahlergebnis von 1,5% verschlechtert, profitiert die NPD hier vom rassistischen Diskurs. Insbesondere die Wahllokale der an die Unterkunft angrenzenden Wohngebiete haben erschreckende Ergebnisse: im Wahllokal 601 erringt die NPD 10,2% Zweitstimmen und hat damit berlinweit das zweithöchste NPD-Ergebnis. Wenigen Straßen weiter, in den Wahllokalen 617 (9,8%) und 618 (9,1%) fallen die Ergebnisse ähnlich hoch aus. Aber: es ist nicht der stärkste Kiez der Nazis, weiter nördlich[51], an der Grenze zu Brandenburg, stimmten noch mehr Menschen für die NPD.

Aber schon in der Bundestagswahl 2013 zeigt sich, dass nicht nur die NPD von dem rassistischen Diskurs profitiert hat. Im Wahllokal 601 stimmen 9,5% für die AfD – obwohl der Bezirkswahlkampf durch die AfD kaum wahrnehmbar geführt wurde und auch keine explizite Positionierung zur Hellersdorfer Unterkunft erfolgte. Hinzu kommen Pro Deutschland mit 1,2% der Stimmen und die Republikaner mit 0,5%. Insgesamt hat der Kiez also Klientel, das zu 21,4% rechts der CDU wählt. In den anderen Wahllokalen sieht es nicht besser aus. Die Schutzbehauptung der Bezirkspolitik, „ihre“ Anwohner_innen wären nicht „rechts“ und schon gar nicht rassistisch hatte spätestens zu dem Zeitpunkt ein Problem: die Positionen von NPD, AfD & Co. sind bei einem Fünftel der Wähler_innen nicht nur denk- sondern auch wahlfähig gewesen. Das zeigt auch die innere Überzeugung, die der rationalen und individualisierten Wahlentscheidung im Unterschied zugrunde liegt, in Differenz zum emotionalisierten Massenphänomen der Nein-zum-Heim-Parolen des „Braunen Dienstages“.

Die letzten Monate wurden dann durch den Europawahlkampf bestimmt, in dem die NPD zwei Kleinst-Aktionen nach Hellersdorf verlegte, insgesamt also deutlich weniger Engagement als im Bundestagswahlkampf zeigte. Schon hier legte die Polizeidirektion 6 aber einen Grundstein für die Selbstsicherheit der Nazis am Pfingstsonntag: sie erlaubte die Abschlusskundgebung der NPD in nur 100m Entfernung zur Unterkunft, in Hör- und Sichtweite der Geflüchteten, die eine halbe Stunde lang von Schmidtkes Reden beschallt wurden. Gegenproteste hingegen wurden daran gehindert, sich schützend zwischen NPD und die Geflüchteten zu stellen, und weit abseits hinter die NPD verbannt.
Trotz der vergleichsweise geringen Aktivitäten der NPD im Wahlkampf 2014 stellte sich erneut ein hohes Ergebnis[52] im Bezirk ein. Inzwischen sind die an die Unterkunft angrenzenden Wahlkieze 6E (7,4%) und 6A (6,0%) diejenigen mit dem höchsten NPD-Anteil in Berlin. Auch wenn das zweistellige Ergebnis der Bundestagswahl dort nicht erneut erreicht wurde, zeigt sich eine verfestigte Tendenz. Erneut sehr stark schneidet die AfD ab, die mit 10,8% und 11,1% aber noch unter dem Bezirksschnitt von 11,7% lag. Ihre Hochburgen liegen im kleinbürgerlich geprägten Mahlsdorf, wo sie in der Spitze 14,2% erhalten. Im Kiez um die Unterkunft kommt es zu 18, 7% der Stimmen rechts der CDU, erneut liegt der rechte Wahlanteil bei knapp einem Fünftel der Wähler_innen.

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die rassistische Agitation der NPD zusammen mit der Bürgerbewegung, von denen ihnen immer wieder indirekte Wahlempfehlungen ausgesprochen wurden, sich in einer Verfestigung rechter Wählerschaft übersetzte. Gleichzeitig liegt sie in starker Konkurrenz mit der AfD – die durch NPD und auch Bürgerbewegung offen angefeindet wurde – und es bleibt zu vermuten, dass die rassistische Mobilisierung und die Stimmungsmache bezirksweit für das Wahlergebnis der AfD mitentscheidend war, obwohl oder gerade weil sich diese nur indirekt zur konkreten Problematik in Hellersdorf geäußert hat und vor Ort keine eigene Aktivität entfaltete. Die NPD geht insgesamt gestärkt aus dem Europawahlkampf hervor: durch die Aufhebung der 5%-Hürde ist ihr Spitzenkandidat, der Wahlberliner Udo Voigt, der Einzug ins Europaparlament gelungen. Dadurch rückt Schmidtke in die BVV Treptow-Köpenick nach und hat damit nach der Abgeordnetenhaus-Reform vom 1. Januar 2014 eine steuerfreie Grundsicherung bis 2016.[53]

NPD, Die Rechte und Nazistrukturen in Marzahn-Hellersdorf

Schmidtke konnte zuletzt im Europawahlkampf auch auf lokale NPD-Strukturen vertrauen, die seit dem vergangenen Sommer gefestigter und aktiver auftreten. Eingebunden sahen sich vor allem Kai Schuster, Rene U., Lars N., Dennis P., Andreas K. und Romano S., die sich selbst immer wieder beim Plakate hängen filmten – Hashtag: #NPD – Selfies, so hatte man den Eindruck, waren auf den einschlägigen Facebook-Profilen der Trend des Frühlings. Die NPD Marzahn-Hellersdorf (KV4) gibt explizit an, dass sie mit den Freien Kräften zusammenarbeitet, was zeigt, wie eng die Vorstellung des Kampfes um die Parlamente und des Kampfes um die Straße in den lokalen Strukturen verzahnt ist. Der Bezirksverband hat inzwischen auf die Erfahrungen, die er im Rahmen der Mitarbeit in der Bürgerbewegung mit digitalen Medien sammeln konnte, aufgebaut und betreibt eine eigene aktive Facebook-Präsenz, die aber unweigerlich weniger Zuspruch erhält als die Bürgerbewegungs-Seite. Trotzdem ist bemerkenswert, wie Arbeitsergebnisse und Erfahrungen hier ihre Übertragung finden. Weitgehend davon abgeschottet befanden sich in den letzten Monaten die BVV-Vertreter Matthias Wichmann und Karl-Heinz Burkhardt, die sich weder um aktive lokalpolitische Arbeit in Form von Anträgen oder Wortbeiträgen bemühten, noch um eine Repräsentation gegenüber der Öffentlichkeit – NPD-Politik bleibt in Marzahn-Hellersdorf glücklicherweise eine Farce[54], man greift seine Gelder ab und hat es sich im ach-so-verhassten System bequem gemacht.

Dabei startete die Bürgerinitiative unter den Flaggen der lokalen NPD. Mit Thomas Crull zeichnete sich ein lokaler NPD-Kandidat für das erste Auftreten der Bürgerinitiative überhaupt – auf Flyern voll mit rassistischer Hetze – presserechtlich verantwortlich.[55] Die Flyer sollen auch von Matthias Wichmann im Wohngebiet um die Unterkunft (er selbst wohnt nur wenige Meter vom Lager entfernt) noch um Juni 2013 verteilt worden sein. Schnell wurde auch bekannt, dass Karl-Heinz Burkhardt sich mit seinem BVV-Ausweis Zutritt zur Unterkunft verschaffen wollte. Danach wurde es ruhig um die beiden NPD-Parlamentarier. Sie tauchten auf keinen Demonstrationen oder Veranstaltungen auf. Erst in den letzten Wochen scheinen sie wieder intensiver Informationen aus der BVV an die Bürgerbewegung weiterzugeben, Informationen aus NPD-Anfragen[56] werden ohne Quellen auf deren Seite hochgeladen.

So richtig ein- und unterordnen will man sich in der lokalen NPD-Basis anscheinend nicht: die Aktionen des Landesverbandes werden nur selten mitgetragen, meistens erscheint man auf Demonstrationen. Zwei zentrale Agitationsversuche von Schmidtke erloschen jedoch im Nirwana, wohl auch durch den fehlenden Umsetzungswillen vor Ort. Es wurde einerseits die Einrichtung einer Bürgerwehr durch Schmidtke angekündigt, die gegen die angebliche Kriminalitätsbelastung, die durch die Hellersdorfer Unterkunft entstanden wäre, vorgehen würde. Kühl suchten die Behörden Schmidtke auf und verbaten ihm eine weitere Agitation in diese Richtung, die Aktion floppte.[57] Bürgerwehrstrukturen waren nicht mehr feststellbar, auch wenn die zahlreichen Gassi-Runden mit Max & Co. zeitweilig den Anschein einer festen Institution machten und die Befürchtung einer Bürgerwehr in spe aufkommen ließen. Andererseits versuchte Schmidtke durch eine Unterschriftensammlung – in Papierform! – den öffentlichen Druck zu erhöhen und die Schließung der Unterkunft zu forcieren.[58] Noch im Februar 2014 wurde das Konzept zwar digital durch die Bürgerbewegung verbreitet und mitgetragen, doch durch die Straßen gehen und klingeln wollte anscheinend niemand, wohl wissend, dass sie damit ihr Gesicht in der Öffentlichkeit präsentieren hätten müssen und sofort antifaschistischen Aktivist_innen aufgefallen wären, die ihnen trotz der Behauptung, in Hellersdorf würden eigentlich gar keine Antifas wohnen und die kämen aus Kreuzberg angereist, schon lange im Alltag auf die Pelle rückten und viele Agitationsversuche unter Beobachtung und Intervention stellten. Die Unterschriftensammlung floppte also auch, bis heute ist weder ein Ergebnis noch ein neuerlicher Anlauf zur weiteren Sammlung entstanden.

Im Sommer 2013 gründete sich in Berlin der Landesverband der Partei „Die Rechte“ aus dem Umfeld der ehemaligen Frontbann24-Mitglieder, deren vorherige Organisationsform verboten wurde.[59] Frontbann 24 war auch in Marzahn-Hellersdorf aktiv, und so ist es wenig verwunderlich, dass der stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes, Patrick Krüger, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Nicole H. und zwei Kindern in Marzahn wohnt. Wie das Recherchekombinat Oprema aufführte ist der sehr auffällige, offen mit neonazistischen Tattoos herumlaufende Krüger ein Anhänger des bewaffneten Arms der in Deutschland verbotenen Blood-&-Honour-Bewegung[60], Combat 18[61], und posiert im Netz mit Hitlergrüßen. Seine bewegte Vergangenheit führte ihn unter anderem in das Umfeld des NSU und in mehrere militante, neonazistische Skinheadgruppierungen.[62] Krüger gibt sich als reisefreudiger Demonstrationsteilnehmer, und ist bei vielen zentralen Aufmärschen der Szene bundesweit zu finden. In Oderberg vertrat er zusammen mit Daniela Fröhlich, die für die Bürgerbewegung sprach, seine Partei in einem Redebeitrag.[63] Er pflegt zudem gute Kontakte nach Barnim. Umso interessanter ist es, dass die parteipolitischen Aktivitäten der Partei „Die Rechte“ im Bezirk nicht wahrnehmbar sind. Man schaffte es als Partei auch nicht, an der Europawahl teilzunehmen und scheint auch sonst wenig parlamentarisches Interesse zu entwickeln. „Die Rechte“ dient nicht nur in Berlin als reines Auffangbecken für Mitglieder verbotener Kameradschaften und Organisationen, auch in Dortmund finden sich beispielsweise die Mitglieder des verbotenen NWDO (Nationaler Widerstand Dortmund) in der Partei wieder – und sorgen mit einem versuchten Rathaussturm und Angriffen auf Vertreter_innen der demokratischen Parteien für Schlagzeilen.[64] Es ist also nicht nur berlin- sondern auch bundesweit nachweisbar, dass die Partei nur als Ersatzorganisation für verbotene Strukturen dient und keine Beteiligung an der Parteiendemokratie im Sinn hat – unter normalen Umständen ein geläufiger Verbotsgrund, den die FAP durch die Einstufung als Verein anstatt als Partei und das postwendende Verbot selbiger im Jahre 1995 stürzen ließ.[65] In Berlin scheint es diese normalen Umstände aber auch mit offenkundig militant organisierten Nazis wie Patrick Krüger nicht zu geben. Ein Verbot der „Die Rechte“ im Land steht nicht auf der Tagesordnung, die Innenverwaltung hat kaum Informationen über die Partei und fokussiert sich in ihren Berichten auf die NPD. Dabei hat „Die Rechte“ in mittelfristiger Sicht durchaus das Potential, mit Aktionismus und Straßenterror die Lücke zu füllen, die durch die schwache NPD und den Repressionsdruck gegen NW Berlin (Nationaler Widerstand Berlin) entstanden ist. Schon die Demonstration am 21. September 2013 in Lichtenberg unterschied sich in ihrer Aggressivität deutlich von den NPD-Veranstaltungen der letzten Jahre.[66]Ein Redner ließ es sich nicht nehmen, in der Verlesung der Auflagen die polizeilich untersagten Parolen in die Menge der Gegendemonstrant_innen hineinzubrüllen, zur Begeisterung seiner Anhänger_innen. Auch Patrick Krüger nahm an dieser Demonstration teil, forderte Antifaschist_innen auf, sich ihm „zu stellen“. „Die Rechte“ organisierte auch den Berliner Ableger der dezentral organisierten Kundgebungen zur Thematisierung der Flieger-Angriffe auf Dresden am Ende des 2. Weltkrieges.[67]

Zwischen NPD, „Die Rechte“ und Bürgerbewegung finden sich auch immer wieder herausstechende einzelne Nazis. Es tauchen in aller Regelmäßigkeit offen nationalsozialistische Sticker und Spuckis auf, es werden verschiedene Labels benutzt, um eine breite Aktionsfront zu signalisieren, hinter ein weitestgehend gefestigter kleiner Personenkreis stehen dürfte, der seit Jahren im Bezirk aktiv ist.[68] Beunruhigend ist allerdings die – zumal öffentlich zur Schau gestellte – zunehmende Militanz auch der subkulturellen, unorganisierten Nazis.

Ein junger Journalist wird im Herbst 2013 am Alice-Salomon-Platz durch zwei Nazis krankenhausreif geprügelt und kommt nur knapp mit schweren Kopfverletzungen davon.[69] Einer der Angreifer ist Norman K., er wird in der Silvesternacht in Frankfurt/Oder gestellt und ein offener Haftbefehl vollstreckt.

Im Januar 2014 muss dann Marco Z. eine viermonatige Haftstrafe antreten. Sein Facebook-Profil wimmelt von nationalsozialistischen Bezügen, gleichzeitig fühlt er sich, nachdem er im April 2014 aus der JVA Plötzensee entlassen wird, von der rechten Szene missachtet und ausgegrenzt. Er sucht aber weiterhin die Nähe zur NPD, wo er am 24. Mai bei den Kundgebungen auf dem Alice-Salomon-Platz und vor der Unterkunft auftaucht. Schon im Sommer 2013, kurz nach dem „Braunen Dienstag“ bedrohte er Aktivist_innen über Facebook-Nachrichten mit Vergewaltigung und Tod und drohte, das entstehende Lager und die einziehenden Bewohner_innen niederzubrennen.

Romano S. und sein Bruder Marcel stellten am 18. Mai 2014 ein Bild auf Facebook ein, das sie mit einer Pistole, einem Baseballschläger und Kampfhandschuhen zeigt. Die Brüder sind oft am Nachmittag oder Abend am Alice-Salomon-Platz zum Trinken verabredet, von ihrer Gruppe gehen regelmäßig Übergriffe auf Personen aus, die nicht in ihr Weltbild passen. Die offensive Bewaffnung der Nazis lässt es nur eine Frage der Zeit erscheinen, bis es zu ernsthaften Verletzungen kommt. Die Polizei bleibt – wie immer – untätig.

Neben dem Alice-Salomon-Platz sammeln sich viele Rechte auch in dem Viwa-Imbiss am U-Bahnhof Cottbusser Platz. Schon seit den Neunzigern ist die kleine Kneipe, ausgestattet mit Spielautomaten, bekannter Treffpunkt von alkoholkranken und spielsüchtigen Alltagsrassist_innen und frustrierten Nazis. Doch gerade die räumliche Nähe zum Lager, das nur wenige hundert Meter auf der anderen Seite des U-Bahnhofes liegt, lässt es zu einem der zentralen Treffpunkte für Organisator_innen der Bürgerbewegung werden. Gerade Kai Schuster ist hier schon länger Gast, und kann erfolgreich seine Saufkumpanen an agitieren. Auch Tina Krüger und ihr Verlobter T. lassen sich einbinden, Tina Krüger stellt ihr Konto der Bürgerinitiative als Spendenkonto zur Verfügung, sie tauchen zusammen immer wieder auf Demonstrationen der Extremen Rechten im Bezirk, aber auch in Brandenburg auf. Eine der Tresenkräfte des Imbiss steht im Verdacht von Antifaschist_innen, die überall in Hellersdorf ausgekippten „Nein zum Heim“-Schnipsel für die Bürgerbewegung produziert zu haben.

Hinzu kommen weitere Nazis, deren Weltbild man an ihren Profilseiten ablesen kann, und die das auch offensiv auf die Straße tragen. Im Umfeld der Bürgerbewegung findet man z.B. Andreas Horst Artur K. oder Michaela N., die mit „Nein zum Heim“-Stickern, einer Scream-Maske und einem Spielzeuggewehr posiert. Sie ist auch bei den Aufmärschen der Bürgerbewegung zu Gast und steht exemplarisch für die Geisteshaltung und die daraus resultierende Gefahr, die sich aus der rassistischen Mobilisierung unter den Anwohner_innen im Bezirk entwickelt hat.

Rechtsterrorismus, das muss man so konstatieren, gehört inzwischen zur glorifizierten Lebenswirklichkeit der bezirklichen Naziszene, man posiert mit Waffen, Krüger bewegt sich mit NSU-Solidaritäts-Shirt durch die Stadt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis da eine_r mal ernst macht und zum Schuss ansetzt. Bis dahin äußert sich die latente Gefahr in den zahllosen gewalttätigen Übergriffen gegen Geflüchtete und den Anschlägen aus dem Umfeld der Bürgerbewegung.

Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf …

Die Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf war im Juni 2013 mit hohem Elan in die rassistische Mobilisierung eingestiegen. Unmittelbare Erfolgserlebnisse stützten die Organisationsstruktur, die sich bisher nicht erkennbar verändert hat. Bei der spontanen Demonstration am Pfingstsonntag 2014 tauchten in Folge der Kontinuität erneut Daniela Fröhlich als Rednerin, Marcel Rockel und Kai Schuster als Organisatoren auf – wie schon vor einem Jahr.[70] Alle drei wohnen in Hellersdorf, in relativer Umgebung zur Unterkunft. Die Bürgerbewegung hat also durchaus einen lokalen Kern, der aber auf intensive Mithilfe durch die Berliner Naziszene setzen kann – Daniela Fröhlich sorgt für die Vernetzungen in die Kameradschaften und den ehemaligen Frontbann-Mitgliedern, Marcel Rockel hat enge Kontakte zu den Lichtenberger NW-Nazis, der JN und der NPD und Kai Schuster ist in der lokalen NPD-Struktur verankert und stellt das Bindeglied zu den Anwohner_innen dar. So aufgestellt begleiten sie den Einzug der Geflüchteten im August 2013 aus dem Viwa-Imbiss heraus und greifen zusammen mit Patrick Krüger einige Antifaschist_innen aus der Kneipe heraus an. Sie werden dafür von der Polizei festgesetzt. Nach der breiten antirassistischen Mobilisierung schicken sie Anwohner_innen vor, um den Kiez auszuspähen, lokale NPDler fahren an der Mahnwache vor, sie selbst halten sich im Hintergrund. Es muss weiterhin eine Vernetzung zu anderen Protestbewegungen gegen Unterkünfte geben, denn der vorher für Anwohner_innen in Reinickendorf tätige Rechtsanwalt Jens-Georg Morgenstern (assoziiert mit der Kanzlei „Streifler & Kollegen“) – ein bekennender Rassist mit Ku-Klux-Klan-Bezügen auf seiner Facebook-Seite – will auch in Hellersdorf tätig werden, zieht sich nach medialer Skandalisierung zurück.[71] Auch André Otto, ein ehemaliger DVUler und wegen rassistischen Gewaltdelikten schon in den 90ern bekannt,[72] zieht sich nach einer kurzen Solidaritätserklärung bei der Bürgerinitiative in sein Themengebiet – die Tangente Ost[73] – zurück, wohl auch, um seine Kandidatur für die Bundestagswahl als parteiloser Bewerber nicht zu gefährden.[74]

Die Struktur der Bürgerinitiative spaltet sich im August 2013, André Kiebis gründet einen gemäßigten Ableger in Vereinsform, auf den später eingegangen wird. Dafür taucht Kai Schuster zusammen mit René U. in einer Sitzung der BVV Marzahn-Hellersdorf auf, schüchtert dort eine Verordnete ein. Die Facebook-Seite wird mehrmals gelöscht, mit ihr die Administrationsaccounts. Die Bürgerinitiative gründet digitale Ableger, berlinweite Seiten und einen eigenen Demo-Account, der eine Tag-X-Mobilisierung für den sogenannten „Tag der Meinungsfreiheit“ betreibt.[75] Aber keine ist so beliebt wie die Seite der Bürgerinitiative, die es jedes Mal auf 2000 bis 3000 Likes schafft, bevor sie abgeschaltet wird.

Auf ihr geht die Hetze, die Dekonstruktion Ost im letzten Jahr schon ausgiebig analysiert hatte[76], weiter. Bilder von Geflüchteten werden gepostet, wie sie vor Mülltonnen stehen, was aus nicht näher erklärten Gründen als verwerflich dargestellt wird – ausgiebig wird das Bild der „Ratten“, die den Müll durchwühlen, bemüht und erregt den Zorn der Anwohner_innen.[77] Gleichzeitig, inkonsequenter Weise, werden Bilder vom angeblichen Reichtum der Geflüchteten bemüht, es werden Smartphones, Plasma-Fernseher und andere hochwertige Technik in der Unterkunft gesichtet und abfotografiert. Kritische Stimmen, die insbesondere bei den Fernsehern darauf hinweisen, dass sie schon vor dem Bezug im Unterkunftsgebäude standen, gehen im Rauschen der rassistischen Kommentare unter, von denen die Mehrzahl im strafbaren und zumindest beleidigenden Bereich liegt. Immer wieder schlagen jedoch die Adminstrator_innen über die Stränge. Während sich die Front gegenüber den Asylbewerber_innen weitestgehend geschlossen zeigt, bekommen sie bei weitergehender Hetze gegenüber People Of Color das Unbehagen der Anwohner_innen zu spüren: als Asiat_innen wahrgenommene Menschen werden gegenüber den Anfeindungen in Schutz genommen, auf die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften als „stille“, „arbeitsame“ und „gut integrierte“ Menschen verwiesen. Während auch diese Zuschreibungen rassistischer Natur sind, so differenzieren sie jedoch die Community auf der Seite der Bürgerbewegung durch die positive Konnotierung aus. Die Bürgerinitiative selbst merkt, dass sie in Hellersdorf kaum noch einen Blumenstrauß gewinnen kann. Antirassistische Aktivist_innen machen ihnen die Straßenaktivität zunichte, der von ihnen prophezeite instante „Überfremdung“ bleibt aus. Sie merken aber, dass ihre digitale Hetze weitgehend straffrei bleibt und sie mit ihrem Account eine hohe Anzahl von Leuten erreichen. Außerdem können die Köpfe der Bürgerbewegung die Debatte auf der Seite merklich lenken. Kai Schuster schreibt lange Zeit unter seinem richtigen Namen auf der Seite, Daniela Fröhlich benutzt das Pseudonym „Helle Göre“ und verfasst damit einige Gastbeiträge und lange Kommentare. So wird das Themenspektrum im Spätsommer verbreitert: ab jetzt wird auch regelmäßig über die „Zustände“ am Oranienplatz berichtet, Menschen werden abfotografiert, angebliche Müllplätze und Verwahrlosung sollen gezeigt werden. Man bekommt den Eindruck, dass die Bürgerbewegung außerdem zum neuen Spielball der Anti-Antifas von NW Berlin wird, regelmäßig wird dort über angebliche Antifaschist_innen, Journalist_innen und Lokalpolitiker_innen detailliert berichtet und so eine digitale Feindesliste erstellt, zusammen mit Fotos, Personendaten und Anschriften, die durch die Nazis in den kommenden Monaten auch aktiv für Terror gegen Lokalpolitiker[78] genutzt werden. Facebook bescheinigt in aller Regelmäßigkeit unbedenkliche Inhalte und weist Löschaufforderungen zurück, die Berliner Polizei gibt sich unwissend und bleibt – konstant – untätig.

Zunehmend unbefriedigt sind die lokalen Nazis aber mit der Übersetzung ihrer Agitation auf die Straße. Es ist nur wenig vom rassistischen Protest zu spüren, ein großes Bündnis trug am 3. Oktober 2013 die antirassistische Solidarität mit 1500 Menschen quer durch Hellersdorf. Sie haben für eine immer kleiner werdende Gruppe von Fans einen geschlossenen Narrativ[79] des Rassismus konstruiert, der in der digitalen Community funktioniert, und sich im Leben einiger Hellersdorfer_innen festsetzt. Aber nach außen wahrnehmbar bleibt vorerst nur die Solidarität, die öffentliche Würdigung solidarischer Aktivität. Die Initiative Hellersdorf Hilft hat bisher drei Preise für ihr gesellschaftliches Engagement gewonnen[80], der Bundespräsident forderte Schüler_innen zum Protest auf[81] und selbst der Chef des Berliner Verfassungsschutzes äußerte sich anerkennend über solidarische Aktivist_innen[82], die sich den Nazis entgegenstellten und den Rassismus der Anwohner_innen aufarbeiten würden. An der in Hellersdorf ansässigen Alice-Salomon-Hochschule brachten sich zudem mehrere Gruppen und Einzelpersonen ein, allen voran medienwirksam die Rektorin Theda Borde, die für eine starke Vernetzung der Hochschule mit den Bewohner_innen der Unterkunft sorgte.[83] Daneben fanden sich auch Studierende in der Gruppe grenzen_weg[84] zusammen, die sich intensiv in die antirassistische Arbeit in Hellersdorf einbrachten. Mit der Debatte um Nazistrukturen beschäftigt sich der Arbeitskreis Rechte Gewalt.[85] Nicht zuletzt brachten sich auch das Antira/Antifa-Referat des AStA der ASH[86] in die Debatte vor Ort mit ein. Diese erstarkten Hochschulstrukturen sorgten auch für eine deutlich spürbare Sensibilisierung der Studierenden der ASH, die nicht nur „für die Uni“ nach Hellersdorf fahren wollten, sondern auch über den gesamten Zeitraum maßgeblich die antirassistischen Aktionen unterstützten und mittrugen.

Erheblichen Druck verursacht für die Bürgerinitiative auch die permanente Offenlegung ihrer Strukturen. In einem verzweifelten Versuch, die Diskurshoheit über die Thematik zurückzugewinnen, wird unter dem Label der Bürgerinitiative im späten Oktober zum sogenannten „Tag der Meinungsfreiheit“ mobilisiert, der neben der bundesweiten NPD-Demonstration am 1. Mai die zentrale Veranstaltung der Berliner Naziszene im Jahr 2013 wird. Knapp 180 Teilnehmer_innen werden registriert, auf Parteifahnen wird verzichtet, dennoch ist die Parteigarde von NPD (Sebastian Schmidtke, Maria Fank, Josef Graf, Frank Maar, Lars N., Dennis P., Manuel A., Andreas K. und Romano S.) und „Die Rechte“ (Uwe Dreisch, Patrick Krüger, Klaus Mann, Sybille Mann, Gesine Schrader, Ronny Schrader, Sven Neubauer, Anja N., Nicole H. und Dennis K.) anwesend, dazu weitere Nazikader (Michael Fischer, Patrick Killat, Christian B., Tim W., Michael G., Marco Z., Sinead G., Mike T. und Benjamin W.). Aber auch viele Anwohner_innen finden den Weg zur Demonstration (Ines Teßmer, die Anmelderin; aber auch Tina Krüger und ihr Verlobter T., Gabriela E., Franziska G., Yvonne F., Susan W., Nadine R., Anna-Lena G., Michael W., Michaela N., Nicole R. und Maria E.), tatsächlich zeigt sich hier der knallharte rassistische Kern des Hellersdorfer Kiezes. Organisiert wie immer von Daniela Fröhlich, Kai Schuster und Marcel Rockel. Die ursprüngliche Demonstration soll in 300 Meter Entfernung an der Unterkunft vorbeiführen und am Alice-Salomon-Platz enden. Doch über tausend Antifaschist_innen machen den Nazis ein Strich durch die Rechnung: sie besetzen an zwei zentralen Punkten die Aufmarschstrecke der Demonstration mit Sitzblockaden. Die Polizei scheint sich darauf eingestellt zu haben, schon in den frühen Morgenstunden sind genau diese Punkte hermetisch abgesperrt und nicht ohne größeren Aufwand zu beseitigen, welche von der antifaschistischen Mobilisierung als Blockadepunkte veröffentlicht werden, es ist auch für die Nazis ersichtlich, dass sie nur wenige hundert Meter um den Block laufen dürfen. Bedröppelt und von allen gehasst werden sie mit lauten „Nazis raus“-Rufen aus dem Kiez getrieben.[87]

Dahinter steht eine Strategie der Polizei, die sich auch bei weiteren Großveranstaltungen der rechten Szene mit Blockadeaufrufen bewährt hat: von Anfang an will man genau bestimmen wie weit die Nazis kommen, man gibt den Nazis einige hundert Meter, um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, man hätte aktiv den Aufmarsch verhindert. Die Berechnung ist: wenn man den Nazis etwas Raum gibt und den Blockierenden das Erfolgserlebnis der Blockade gibt, sind am Ende alle einigermaßen zufrieden und es bleibt friedlich. Eine konsequente Fortführung der polizeilichen Strategie der „Deeskalation“ und der „Ausgestreckten Faust“.[88]Mit situativer Anpassung fand dieses Konzept 2010 im Prenzlauer Berg Anwendung, 2011 in Kreuzberg und 2014 in Mitte und Kreuzberg. Die antifaschistische Szene feierte diese Ereignisse als Erfolg, nach kritischer Betrachtung bleibt jedoch die Einschätzung, dass man nur Teil des erfolgreichen Ausgleichsprinzips der Polizei ist. Allerdings: dort wo Proteste nicht in einem expliziten Massenblockade-Konzept eingebettet sind, läuft es schlimmer: hier können die Nazis in aller Regelmäßigkeit weite Strecken marschieren. Die Berliner Polizei hat in den letzten Jahren klargemacht: nur nach unseren Regeln werden Nazis blockiert; wer nicht mitspielt, wird weggeprügelt.

Sichtbar wird das im weiteren Verlauf des „Tag der Meinungsfreiheit“. Unzufrieden mit dem Demonstrationsverlauf und im Gefühl von der Polizeileitung betrogen worden zu sein, meldet NPDler Sebastian Schmidtke einen spontanen Aufmarsch an, wie er es in der Vergangenheit schon öfter gemacht hat, meistens, um vom eigentlichen Aufmarschort nach Lichtenberg oder Schöneweide zu fahren und dort ungestört zu demonstrieren. In Hellersdorf liegt die Sache anders: Schmidtke entscheidet sich, vom Endpunkt der Demonstration aus auf der anderen Seite der U-Bahn-Linie 5 weiter zu demonstrieren.[89] Durch menschenleeres Gebiet, aber immerhin. Inzwischen sind die meisten Pressevertreter_innen weg, keine Fernsehkameras mehr dabei. Die Berliner Polizei entscheidet sich, die Eilanmeldung zu genehmigen. Viele Blockierer_innen schaffen es auf die andere Seite der U-Bahn-Schienen und werden dort rabiat durch die Polizei zur Seite geprügelt, Sitzblockaden mit Schmerzgriffen aufgelöst. Schon bei den vorherigen Blockaden brach ein Aktivist ohnmächtig zusammen, nachdem er durch die Polizist_innen gewürgt und ihm der Kehlkopf eingedrückt wurde.[90] Es kommt immer wieder zum direkten Kontakt mit den Nazis, sie werden nur wenige Meter an kleineren Sitzblockaden vorbeigeführt. Hier zeigt die Polizei, dass sie mit spontanen Aktionen der Nazis nicht umgehen kann, gerüchteweise hat der Einsatzleiter gewechselt, statt dem erfahrenen Innenstädter ist ein Vertreter der Direktion 6 zuständig, die unter einigen Beobachter_innen als „Dorfpolizei“ gehandelt wird. Die Direktion also, die es in den folgenden Monaten noch öfter vermasseln wird und eine geradezu unanständige Sympathie gegenüber den Nazis an den Tag zu legen scheint. Der Tag endet mit Polizeigewalt und mit grölenden, marschierenden Nazis. Der Blockadeerfolg vor der Unterkunft schmeckt bitter, wenn man sich den Verlauf vor Augen ruft.

Aber auch die Nazis sind unzufrieden, sie bemängeln die offensichtlich geplante Routenverkürzung durch die Polizei und die Berichterstattung, die sich auf den Blockadeerfolg konzentrierte. Und nur wenige Tage später verlieren sie erneut ihre Facebook-Seiten und wichtige Organisationsaccounts. Zu diesem Zeitpunkt liegt die Bürgerinitiative am Boden, ihr Rückhalt unter den Anwohner_innen schwindet mehr und mehr, insbesondere da offene nationalsozialistische Bezugspunkte propagiert werden.[91]

… digitiert zu Bürgerbewegung Hellersdorf!

Nach der Löschung ist einige Tage Ruhe, bevor eine neue Seite auf der Bildfläche erscheint. Sich von der bisherigen Namensgebung etwas entfernend, um nicht in das Löschraster von Facebook zu fallen und sich gegenüber der namensgleichen Abspaltung von André Kiebis zu distanzieren, wählt man nun den Begriff der „Bürgerbewegung Hellersdorf“. Klar ist: es stehen die gleichen Strukturen hinter der Seite, sie nutzt die gleichen technischen Mittel und Veröffentlichungsweisen wie die Vorgängerseiten. Auch der Legitimationsversuch über den Bürger_innen-Bezug ist vergleichbar mit der Namensgebung von der „Bürgerbewegung Pro Deutschland“. Beide Organisationen wollen Vertretungslegitimationen über das Bild der „Bürger“ suggerieren, deren sozialer Status sich aus Staatsangehörigkeit, Haushaltsgrundlage (vgl. auch das Bild des Steuerzahlers) und das vermeintliche Bekenntnis zur republikanischen Demokratie ergibt.[92]

Im beginnenden Winter wird der Konzeptwechsel der „Bürgerbewegung“ deutlich: Kleinstaktionen sollen den Protest aufrechterhalten. In nächtlichen, konspirativ vorbereiteten Aktionen werden Steine durch die Scheiben der Unterkunft geschmissen, die Türen mit rassistischen Aufklebern verklebt, die Rückflug-Ticket-Aktion[93] der NPD kopiert und die Geschäftsstelle der Grünen in Bezug auf den „Trümmerfrauen“-Diskurs[94] mit einem Transparent verunstaltet. Immer mit gestellten Beweisbildern, einige orientieren sich mit weißen Masken an den Aktionen der neonazistischen Vereinigung „Spreelichter“ aus Südbrandenburg.[95] Man feiert „germanische“ Rituale mit Fackeln und Masken am gleichen Ort, an dem sich Patrick Krüger mit Freund_innen und vier Kindern einige Tage zuvor auf einem Familienausflug an die Wuhle fotografieren lässt. In dieser Phase rückt die Bürgerbewegung eng zusammen, mit den kleinen Aktionen formt sich eine fest verwachsene Gruppe aus agitierten Anwohner_innen und Nazis mit Organisationserfahrung. Aus der plakativen Plattform, die durch verschiedene Strukturen zur rassistischen Mobilisierung genutzt wurde, ist eine feste politische Struktur geworden, die in der Folge mit Aktionen und durch Raumnahme auf der Straße versucht, den Diskurs zu beeinflussen.

Auch Anschläge werden verübt, die Täter_innen sind bisher nicht ermittelt, hatten aber mindestens informelle Kontakte zur Bürgerbewegung. Aufsehenerregend ist dabei die Silvester-Nacht: mit selbstgebastelten Sprengsätzen aus zusammengeklebten Böllern wird die Unterkunft der Geflüchteten angegriffen. Gezielt wird der Sprengsatz an der Eingangstür angebracht und sprengt ein Loch hinein.[96] Die Facebook-Seite der Bürgerbewegung berichtet als erstes über den Vorfall mit exklusivem Bildmaterial, was einem Bekennerschreiben (die bei militanten Nazis in der Regel nicht üblich sind) sehr nahe kommt. Weitere Anschläge auf linke Einrichtungen[97] und erneut auf die Unterkunft[98] finden im selben Zeitraum statt, nur mit Glück kann der Ausbruch der Flammen in der Unterkunft verhindert werden. Die Polizei stellt aber schon am nächsten Tag die Ermittlungen ein. Eine Anerkennung als militanter Straßenterror von Rechts bleibt aus, in der Innenverwaltung gibt man sich rat- und ahnungslos.

Erst als am Mahlsdorfer Wahlkreisbüro von Mario Czaja, des für Asylfragen zuständigen CDU-Senators, ein „Nein zum Heim“-Transparent angebracht wird, weckt das kurzzeitig die Aufmerksamkeit der Landespolitik.[99] Auch hier ist eine exklusive Berichterstattung der Bürgerbewegung als indirektes Bekenner_innen-Schreiben zu lesen. In den folgenden Wochen setzen sich die Angriffe fort, betroffen ist auch das Café Freiraum an der Alice-Salomon-Hochschule.[100] Im März dann der bisherige Höhepunkt der militanten Aktivitäten: nachdem 20 Rassist_innen zwei Geflüchtete durch den Kiez hetzen und versuchen die Unterkunft zu stürmen, wird in der darauffolgenden Nacht ein Auto einer solidarischen Aktivistin angezündet und brennt vor der Evangelischen Gemeinde aus.[101]Nazis hatten das Auto vorher fotografiert und sich ihr Kennzeichen notiert.[102] Ein vermeintlicher Antifaschist wird von Franziska G. und einem Begleiter vor dem Hellersdorfer Lager mit einem Teppichmesser bedroht.[103] Nur wenig später taucht ein angebliches Bild des Betroffenen aus dem Anti-Antifa-Bestand von NW Berlin auf, wird aber wenige Minuten später wieder gelöscht, bleibt aber weiterhin – wohl für den internen Gebrauch der Bürgerbewegung – auf Facebook abrufbar. Ermittlungserfolge der Polizei in Sachen Brandstiftung und Hetzjagd sind bis heute nicht festzustellen. Erneut berichtete die Bürgerbewegung als eine der ersten Plattformen über die Vorfälle.

In dem Jahresviertel hat die konspirative Gruppe, die sich unter dem Label der Bürgerbewegung zusammengefunden hat, eine für Berliner Verhältnisse extreme Aktivität an den Tag gelegt: unerwähnt sind hier die unzähligen Graffitis, Aufkleberfunde, Übergriffe und Angriffe, die in den ersten 12 Wochen des Jahres stattfanden.[104]

Gleichzeitig geht die digitale Hetze weiter, auch wenn aufgrund der Entwicklungen und struktureller Bedingungen die Interaktionen dort nachlassen. In aller Beständigkeit wurde vom angeblichen Anwohner_innenwiderstand berichtet und hat mit den militanten Aktionen das eh schon reduzierte Umfeld der Anwohner_innen weiter ausdifferenziert. Ein Großteil der Stammschreiber_innen auf der Facebook-Seite kommt nachweislich nicht aus Hellersdorf, sondern bewegt sich in einer eigenen Facebookszene, die aus rechten, verschwörungstheoretischen und Querfront-Seiten und die immer gleichen Kommentator_innen besteht. Die Bürgerbewegung benutzt dafür einen expliziten Begriff der Naziszene aus der Mitte der 90er Jahre: „Schreiberlinge“ bezeichnet solche „Nationale“ die zu der Zeit nur in den BBS-Boards sich austauschen, aber selten auf Demonstrationen auftauchen.[105]Gleichzeitig wird der berlinweite Kurs, der schon bei der Bürgerinitiative angefangen wurde, fortgeführt: gerade der Oranienplatz bleibt bis zur Räumung zentrales Thema, auch als René U. gegen die am Kaufhaus „Alexa“ in Berlin-Mitte hungerstreikenden Refugees agiert, wird das über die Facebook-Seite veröffentlicht. Allerdings haben die Adminstrator_innen Probleme damit, die Seite effektiv zu führen: seit Jahresanfang hat Facebook die Reichweite der Fanpages drastisch eingeschränkt, Postings werden nur noch einem Bruchteil der verknüpften Accounts angezeigt, für höhere Reichweite soll bezahlt werden.[106] Den Adminstrator_innen muss der Eindruck von Bedeutungslosigkeit entstehen. Auch die geringe Interaktion bereitet ihnen Problemen, als im Februar die Sammlung von Unterschriften für Schmidtkes Petition über die Seite beworben wird, gibt es darauf kaum Reaktionen. Auch die Gewinnspiele, die veranstaltet werden, erfahren geringe Beteiligung – die Gewinne werden nie ausgelost oder aber an das eigene Team vergeben.

Mehr als nur „Nein zum Heim“

Aber die Kameraden aus den angrenzenden Bezirken und Landkreisen kommen ihnen zur Hilfe: Patrick Killat aus Hohenschönhausen, der unter dem Pseudonym „Villain051“[107] auftritt und „R.A.W.“[108] („Recht auf Wahrheit“) aus Barnim gründen ein musikalisches Projekt, das sie „A3stus“[109]nennen. Sie machen balladenhaften Rechtsrock mit Rap-Parts, was ungefähr so grausam klingt, wie es sich in der Beschreibung schon anhört. Provokant filmen sie sich zusammen mit u.a. Marcel Zech (NPD Barnim-Uckermark) im Februar vor dem für Umbauten geschlossenen Teil der Hellersdorfer Unterkunft, sie stehen dort mit Deutschlandfahnen, werden dabei beobachtet, die Polizei schreitet ein. Das nährt nur ihren Heldenkult, kurz darauf veröffentlichen sie das Video mit dem Song „Für unsere Kinder“, in dem sie den „Neuen Deutschen Widerstand“ propagieren und mit offen antisemitischer Agitation arbeiten.[110] Das Video ist ein voller Erfolg und lässt die Likes der Bürgerbewegung, die auch in Zukunft als exklusive Veröffentlichungsplattform von „A3stus“-Videos dient, nach oben schnellen. Das alte Blood-&-Honour-Prinzip, mit dem Patrick Krüger und Daniela Fröhlich eng vertraut sind, die Verknüpfung zwischen Musik und Politik als bindender Narrativ wirkt hervorragend. Später werden Videos veröffentlicht, in dem die Musiker vor dem Holocaust-Denkmal posieren oder eine Aktionsform der Bürgerbewegung – schwarze Holzkreuze als „Gedenken“ an angebliche „Deutsche Opfer“ aufzustellen – kopieren. Für die Bürgerbewegung werden konspirative Konzerte gegeben, angeblich in Hellersdorf. Das Konzept ist für die Bürgerbewegung allerdings keine ganz neue Erfindung: schon vorher hatte man sich eng an die rechte Musikerin „DeeEx“[111] gehalten, die Zusammenarbeit wurde aber nach einer gemeinsamen „Weihnachtsfeier“ mit der Bürgerbewegung begründungslos eingestellt.

Einige Nazis der Bürgerbewegung entwickeln auch eine hohe Reisetätigkeit, neben dem sporadischen Besuch von berlinweiten Veranstaltungen. Bei den zentralen Aufmärschen in vor allem der ehemaligen Zone sind die Hellersdorfer_innen, vor allem Kai Schuster, vereinzelt auch Franziska G., Tina Krüger und Marco Z., dabei: Bestensee, Oderberg, Zepernick , Dresden, Cottbus, Magdeburg, Wittenberge. Themen der Demonstrationen sind dabei nicht nur Asylbewerber_innen, sondern auch die alliierten Bombenangriffe auf deutsche Täter_innenstädte im 2. Weltkrieg oder die vermeintliche „Entvolkung“ ländlicher Regionen. Die Bürgerbewegung ist zu dem Zeitpunkt kein monothematischer Interessenzusammenschluss von Nazis und Anwohner_innen, sondern kontextualisiert sich auch über diese Aktivität mit einem festen neonazistischen Weltbild.

Die Bürgerbewegung wiederum greift weitere aktuelle Kampagnen der Berliner Nazi-Szene auf. Ihr Fokus entwickelt sich weg vom „Nein zum Heim“ hin zu einer Thematisierung von „Deutschen Opfern“, die von „Zuwanderern“ umgebracht worden, ganz im Sinne der „Ausländer Raus“-Mobilisierung des NW Berlin.[112] Ihre Kampagne heißt nun „Wehret den Anfängen“ in Ermangelung einer irgendwie umdeutbaren oder skandalisierbaren Konfliktlage in Hellersdorf. Zudem sind sie auf den seit einigen Wochen stattfindenden Montagsdemonstrationen zu finden, insbesondere René U. wird dort immer wieder gesichtet, auch Sebastian Schmidtke taucht dort auf. Dort soll angeblich für Frieden demonstriert werden, die Demonstration ist getragen von Querfrontler_innen, neurechten Verschwörungstheoretikern und esoterischen Faschist_innen.[113] Hier betreibt die Bürgerbewegung Anti-Antifa-Arbeit, Bilder von Gegendemonstrant_innen und vermeintlichen Antifaschist_innen landen auf ihrer Facebook-Seite und werden von dort im Netzwerk der Montagsdemo-Seiten verteilt. Auch die Auflösung des scheinbaren Widerspruchs zwischen sachthemenorientierter „Bürgerinitiative“ und nationalsozialistischer Politgruppe wird immer weiter vorangetrieben. Neben der offenen Wahlempfehlung für die NPD wird auch jeder andere vorher künstlich hochgehaltene Abstand zur rechten Szene aufgegeben. Einige Veröffentlichungen der Bürgerbewegung haben dabei einen ganz besonders tumben Charakter: so wird ein Teil einer, meist strafbaren, Parole vorgegeben und soll dann mit den Einfällen der Kommentator_innen ergänzt werden. Einige reagieren mit Ironie, aber viele verfestigen ihre neonazistische Selbstbestätigung und ergänzen die Straßenparolen der Extremen Rechten in ihren Kommentaren (und werden durch entsprechende Likes dafür belohnt). Ein weiterer identitätsbildender Schritt, es wird ein Prototyp des digitalen Mitläufers geschaffen.

Inzwischen findet die organisatorische Ebene der Bürgerbewegung auch in abgeschotteten Netzwerken statt, deren Mitglieder nur über persönliche Kontakte in eine geschlossene Whats-App-Gruppe gelangen. Diese Neuorganisierung hatte die Bürgerbewegung vor einigen Wochen bekannt gegeben und trägt den bisherigen Störungen ihrer Aktivitäten durch antirassistische Aktivist_innen entsprechend Rechnung. Nicht nur der innere Zirkel wird konspirativ geführt, sondern auch das Umfeld muss in die Konspirativität ausweichen, um antifaschistische Aufklärungsarbeit und behördlichen Repressionsdruck zu umgehen. Diese konspirative Organisierung führte dann zur eingangs erwähnten, jüngsten Demonstration und ist die einzige Perspektive, die der Bürgerbewegung noch offen stand – die in ihrer Binnenlogik aber hervorragend funktionierte.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bürgerbewegung durch konspirative Organisierung zu einer eigenständigen Organisationsstruktur mit engen Verknüpfungen in die Berliner Naziszene gewachsen ist. Ihr Umfeld ist bereit, militant und gewalttätig vorzugehen, gleichzeitig wird auf eine öffentliche Wahrnehmung als politischer Ansprechpartner großen Wert gelegt. Die thematische Verbreiterung zeigt deutlich, dass die Gruppe auch langfristig eine Perspektive entwickeln will, bestimmende Struktur der Extremen Rechten in Marzahn-Hellersdorf zu werden.

Eine Bürgerinnenbewegung?

Eine der interessantesten Feststellungen in den letzten Monaten ist die hohe Anzahl der aktiven Frauen*[114] im inneren Kreis der Bürgerbewegung. Daniela Fröhlich hat in ihrer politischen „Karriere“ als ehemalige Führerin der „Kameradschaft Mahlsdorf“[115] schon immer eine bestimmende Position innegehabt und zentrale Aufgaben z.B. der Anti-Antifa-Arbeit übernommen. Sie weist einen hohen Vernetzungsgrad auch auf nationaler Ebene auf.[116] In der Bürgerbewegung hat sie ähnlich eine exponierte Position: sie tritt als offizielle Vertreterin der Bürgerinitiative während einer Kundgebung in Oderberg auf, sie hält Reden und fungiert als rechtliche Versammlungsleiterin auf Veranstaltungen. Diese organisatorische Führungsposition scheint ihr auch niemand streitig machen zu wollen. Hinzu kommt ihre Aktivität auf der Facebook-Seite: unter dem Pseudonym „Helle Göre“ schreibt sie lange Beiträge, die immer wieder offen Bezug zum Nationalsozialismus oder der antidemokratischen Bewegung der Weimarer Republik nehmen. Gleichzeitig zeigt sie auch hohes Interesse an den verschiedenen Institutionen, die rechte Politik gerade gestalten. Ihre Bewegungskritik an der Extremen Rechten bringt sie auf der Seite oft zum Ausdruck, macht sich viele Gedanken um das Verhältnis von NPD und AfD, honoriert das gesellschaftsfähige Auftreten letzterer, kritisiert aber die Verwässerung rechter Positionen. Insgesamt zeigt sich eine deutliche Vorbildung durch die „Neue Rechte“, zugleich aber eine hohe Affinität zur Bewegungsrechten.[117] Es liegt nahe, dass Daniela Fröhlich in der Bürgerbewegung nicht nur eine organisatorische, sondern auch eine (mit-)bestimmende ideologische Führungsfunktion einnimmt.

Weitere Aktivistinnen, darunter Franziska G., aus dem Kiez spielen in der Bürgerbewegung eine tiefgreifende Rolle und nehmen unterschiedlichste Aufgaben war, so tauchen sie als Fotografinnen auf, als Späherinnen in der Nähe der Unterkunft und auch als aktive Akteurin in der Bedrohung von als links oder migrantisch wahrgenommenen Menschen. Sie stehen in enger Verknüpfung mit Marcel Rockel und Kai Schuster. Auch als Rednerinnen treten einige Frauen* im Umfeld der Bürgerbewegung auf, nicht nur Daniela Fröhlich darf ans Mikrophon, sondern auch „besorgte Mütter“ und andere Anwohnerinnen, die eng mit der Bürgerbewegung verwoben sind. So können sie den Diskurs nicht nur mitbestimmen, sondern auch schwerpunktmäßig setzen – ein für die rechte Szene bemerkenswerter Umstand. Hinzu kommt, dass die Fronttransparente auf Demonstrationen nicht ausschließlich durch Männer getragen werden, sondern oft einen ausgeglichenen Anteil der wahrgenommenen Geschlechter haben. Neben Daniela Fröhlich tritt auch Ines Teßmer als rechtlich Verantwortliche für eine Demonstration der Bürgerbewegung auf.

Diese weitgehende organisatorische Dominanz der beteiligten Frauen* führt immer wieder zu einer strukturellen Unterschätzung der Organisationsstruktur von Politik, Polizei und teilweise auch zivilgesellschaftlichen Akteur_innen. So werden Nazistrukturen ausschließlich als Männerbünde wahrgenommen, mit dem Umkehrschluss, dass dort, wo kein reiner Männerbund besteht, auch keine neonazistische Struktur ist. Hinzukommt, dass es Frauen* tendenziell nicht zugetraut wird, sich in der männerlastigen Szene durchzusetzen, sie werden als Beziehungspartnerinnen abgestempelt und auf ihre familiäre oder sexuelle Funktion für Nazikader reduziert, was sehr offensichtlich an der medialen Rolle von Beate Zschäpe wurde, die von Beginn an auf ihre Rolle als Geliebte von Bönhardt und Mundlos aufgefasst wurde und deren Kleidung eine der wichtigsten Themen bei Prozessbeginn des NSU-Prozesses war.[118] Gleichzeitig versucht die Anklage im Prozess nachzuweisen, dass Zschäpe eine gleichberechtigte Partnerin im sogenannten „Terrortrio“ ist.[119] Beate Zschäpe wird auch als positive Identifikationsfigur für Nationalsozialistinnen rezipiert, so sagte Maria Fank in einer Art „Nationalen Kochsendung“: „Ich treib mich überall mal rum, das ist wie so mit dem Zschäpe-Mobil.“[120]

Ein Erklärungsmodell für die Untätigkeit der Polizei, insbesondere der für Marzahn-Hellersdorf zuständigen Direktion 6 – in gesellschaftlichen Diskursen weder auf der Höhe der Zeit noch intellektuell diesen Anforderungen gewachsen – ist ein strukturell sexistisches Ermittlungsmodell. Man traut den Frauen* ein militantes Vorgehen tendenziell nicht zu, ermittelt wahrscheinlich nur gegen die Männer*. „Dabei nehmen Frauen in der rechten Szene längst alle möglichen Rollen ein. Es gebe Vordenkerinnen wie Mitläuferinnen, Gewalttätige wie sozial Engagierte, Fanatikerinnen, siebenfache Mütter oder promovierte Karrierefrauen.“[121] Auch die Bürgerbewegung als Struktur wird so durch Politik und Ermittlungsbehörden nicht als tendenziell militanter Verbund wahrgenommen, da Frauen* ein friedfertiges Image transportieren und sie als mäßigender und entmilitarisierender Faktor gegenüber Männern* wahrgenommen werden.[122]

Und so ist die Akzeptanz der Berliner Naziszene gegenüber der Bürgerbewegungsstruktur hoch, auch, weil ihnen mit Maria Fank seit Jahren die Beziehungspartnerin von Sebastian Schmidtke als konzeptuell-politische Gleichberechtigung präsentiert wurde. Fank nimmt nicht nur zentrale öffentliche Aufgaben als Rednerin und Interviewpartnerin wahr und setzt damit die Diskurs-Schwerpunkte, sie kann es sich auch erlauben, aus ihrer Trennung von Sebastian Schmidkte ein Politikum zu machen – er vertritt Positionen, die sie als zu weich erachtet.[123] Ein Beweis für ihren (politischen) Rückhalt in der Szene, aber auch für eine sich verändernde Geschlechterhierarchie in der Berliner Naziszene. In Hellersdorf wiederum macht Daniela Fröhlich als Kader der Bürgerbewegung alles nach klassischer neonazistischer Vorstellung[124] richtig, sie ist völkisch organisiert, weiß sehr wohl um ihre Pflichten als Frau und zieht mindestens zwei Kinder auf.

Nicht zuletzt können Frauen* aus Sicht der Nazis einige Themen plausibler vertreten: die Sorge um ihre Kinder, die Belästigung durch Übergriffe angeblicher „wilder“ Migrant_innen, die Fürsorge gegenüber den sozialen Problemfällen des „eigenen Volks“. Darin ordnete sich auch das Thema der spontanen Demonstration am Pfingstsonntag ein, der sexuelle Übergriff auf eine Frau. Die Nazis hoben hervor, dass es ein „migrantischer“ Täter gewesen sei, während die Betroffene „deutsch“ gewesen wäre und erklärten das zu einem strukturellen Problem. Gleichzeitig steht seit Monaten auf der Seite der Bürgerbewegung eine Vergewaltigungsdrohung gegen eine vermeintliche antirassistische Aktivistin, unwidersprochen und als anscheinend legitimer Teil der politischen Auseinandersetzung. Daran wird klar erkennbar, dass den Nazis nicht der feministische Zugang, der die Betroffene und die Grenzüberschreitung in den Mittelpunkt stellt, thematisch naheliegt, sondern es ein täterzentriertes Bild einer Grenzüberschreitung gibt, die Motivation und vermeintliche Nationalität des Täters thematisiert. Es wird letztendlich zwischen „guten“ und „schlechten“ Tätern entschieden und damit gleichzeitig eine Legitimationsbasis für gerechtfertigte und ungerechtfertigte Grenzüberschreitungen geschaffen. Die strukturellen Probleme, die in der Binnenlogik der Nazis ergeben, setzen ein rassistisches Geschlechterbild voraus, also eines, dass ihnen aufgrund ihrer angenommenen genetischen oder kulturellen Herkunft bestimmte sexualisierte Eigenschaften zuschreibt. Die Argumentation der Nazis, dass die zugeschriebene Herkunft eines Täters das zentrale strukturelle Problem von Übergriffen sei, wird spätestens dann als rassistische Hetze enttarnt, wenn in der Beschäftigung mit der Thematik offensichtlich wird, dass sich der überwiegende Teil von Grenzüberschreitungen im direkten Umfeld, z.B. der Familie, abspielt.[125]

BIMH e.V. und der IGA-2017-Protest – Naturschutz ist Heimatschutz?

Während nach dem Diskurs über die rassistische Mobilisierung sich auf Seiten der organisierten Nationalsozialist_innen die Zielrichtung in die integrative „Wehret den Anfängen“-Kampagne als thematische Verbeiterung gewandelt hat, entwickelte sich parallel im Bezirk Marzahn-Hellersdorf ein Aufregerthema, dem sich eine andere Fraktion der Rassist_innen zuwandte: die Internationale Garten-Ausstellung wird 2017 im Bezirk stattfinden und ein Teil des Wuhletal-Gebietes wird dafür deutlichen Veränderungen und Umbauarbeiten unterliegen. Unterschiedliche Initiativen organisieren Protest gegen das Großvorhaben, darunter auch ein alter Bekannter: André Kiebis und seine „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Marzahn-Hellersdorf e.V.“ – kurz BIMH e.V.

Nachdem Kiebis im vergangenen Sommer offensiv als führendes Mitglied der Bürgerinitiative benannt wurde[126] und unter erheblichem gesellschaftlichen Druck stand, tauchte er nach dem Einzug der Geflüchteten mehrere Tage ab. In der Zwischenzeit hatte er antifaschistische Interventionen zu spüren bekommen, die Polizei durchsuchte im August seine Wohnung und er verlor seinen Job als Informatiker beim lokalen Jobcenter.[127] Als er Ende August 2013 wieder an die Öffentlichkeit trat, präsentierte er eine Abspaltung zur originalen Bürgerinitiative, den BIMH e.V. – damit wollte er sich von den konspirativen Nazistrukturen distanzieren, ohne rassistische politische Tätigkeit aufgeben zu müssen. Aber auch diese Umformung in ein legalistisches Projekt wurde schnell thematisiert: zu offensichtlich waren bekennende Nazis wie Michael Engel[128] im Vorstandsteam seines Vereins verankert, zudem gab es keinen klaren Bruch mit seiner Vergangenheit und keine Aufklärung über die hinter der Bürgerinitiative stehenden Strukturen.[129] Und es wurde auch deutlich: der Verein wollte weiterhin die Ausgestaltung der Unterkunft auf die Tagesordnung setzen, die im Mai 2014 erfolgte Aufstockung von 200 auf 400 Bewohner_innen verhindern. Und so blieb der Verein und André Kiebis als persona non grata aus dem bezirkspolitischen Geschehen ausgeschlossen. Fassungslos stand er in der BVV, in der seine Fragen[130] – wie auch bei den NPDlern üblich – möglichst kurz, kühl und nur im engsten Rahmen beantwortet wurde, unter Tränen da und fragte: „Warum hasst ihr mich eigentlich?“ – Das dürfte ihm einen Einblick in das vom ihm durch die Organisation der Hetze verursachte Leid gegeben haben, das sich noch heute durch Ausgrenzung und Hetzjagden auf Geflüchtete im Bezirk massiv deutlich macht.

Der BIMH e.V. bestand anfangs aus 17 Personen[131], die sich aber schon nach zwei Monaten erneut spalteten. Der Streit, der bis in den Vorstand reichte, führte dazu, dass einige Vereinsmitglieder (darunter Isabell Fraundörfer und Sascha N.) sich wieder den Nazis der Bürgerbewegung zuwandten, weil Kiebis anscheinend nicht gewillt war, sich weiter mit der Thematik der Unterkunft zu beschäftigen. Er fing an, intensiver sich mit der IGA auseinandersetzen, in der er die gleichen Punkte wie bei der Einrichtung der Unterkunft monieren konnte, während das Thema unverdächtig und z.T. von links besetzt blieb: fehlende Bürgerbeteiligung, „Wir-gegen-die-da-oben“-Protest und angebliche Steuerverschwendung. Trotzdem stellte er fest, dass er keinen Fuß in die Tür bekam. Diejenigen, die überhaupt mit ihm sprachen, hatten aufgrund eigener Involviertheit kein Interesse an der IGA-Thematik und dem Protest. Parallel dazu begann er um den Jahreswechsel herum, die Geschehnisse des Sommers aus seiner Sicht aufzuarbeiten und nannte den Blog passenderweise „Die Abrechnung“. Hier stellte er zwar keine Informationen über die Nazis zur Verfügung, aber meinte, verschiedene Bezirkspolitiker mit Hetztiraden und Anschuldigungen zu überziehen. In dieser Zeit hat er weiterhin Kontakt zur Bürgerbewegung, Kai Schuster und Franziska G. kommentieren freundschaftlich auf seiner Seite, er gründet ein digitales „Netzwerk Marzahn-Hellersdorf“, in der mit Kai Schuster und dem Tarn-Account „Helle Göre“ zwei Kader der Bürgerbewegung vertreten waren.[132]Er versuchte auch gegen die Benennung als Rassist gerichtlich vorzugehen – einen Prozess, den er haushoch verlor.[133] In der Folge stoppte er auch seine Abrechnungs-Aktivitäten und zog sich weitestgehend aus dem öffentlichen digitalen Leben zurück. Er taucht sporadisch in der BVV auf und knüpfte in der IGA-Sache einige Kontakte, lässt aber z.Z. keine Aktivitäten in Sachen Unterkunft oder Asylfragen erkennen. Zusammen mit Marcel K. und Vivien M. bearbeitet er die Thematik. Solange er noch kann, spaziert er mit seinem Hund Max über den Kienberg, oft einsam und alleine.

Eine kurze Betrachtung zu den IGA-Protesten sei aber noch erlaubt: oft reproduzieren sie bestimmte Vorstellung einer „Heimat“, hier Hellersdorf, die in ihrem Charakter erhalten werden müsste. Diese problematische Herkunftsvorstellung von unabänderlichen Eigenschaften, die einem Gebiet zugeschrieben werden führen in der Folge oft auch zu einer Zuschreibung von Herkunftsmerkmalen der in ihr lebenden Menschen. Hinzukommt, dass die Argumentationsführung des BIMH e.V., aber auch anderer Akteure, sich als typisiert-rechte Kritik der Moderne und Hinwendung zum völkischen Naturverständnis gibt[134]: es werden „futuristische Konstruktion[en]“ bemängelt, die einer „unberührte[n] Natur“ entgegenstehen würden.[135]So ist Naturschutz dann auch manchmal Heimatschutz. Auch deswegen schien es wohl den Nazis der Bürgerbewegung statthaft, ebenfalls in einige, wenigen Beiträgen zur Thematik auf den Protestzug mit aufzuspringen. Es ist freilich nicht die einzige Argumentationslinie, und so finden sich auch bei der BIMH linke Argumentationen wie der systematische Ausschluss vermögenloser Menschen von „Lebensqualität“, die Grünflächen darstellen.

Welche absurde Blüten die Thematik trägt, merkt man an der Einrichtung der Facebook-Seite „Wilde Werwölfe Wuhletal“, als Profilbild eine Wolfsangel trägt. Die Wolfsangel ist eine beliebte, mythologisch aufgeladene germanische Rune, deren Verwendung in der Bundesrepublik wegen ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit nach §86a StGB verboten ist. Hinzu kommt, dass sogenannte „Werwölfe“ als paramilitärische Untergrund- und Widerstandsgruppe der Nationalsozialisten am Ende des Zweiten Weltkrieges versuchten, gegen die alliierten Befreier vorzugehen.[136] Auch ihr Erkennungszeichen war die Wolfsangel. Unter den drei Profilverknüpfungen befindet sich der Imker Paul Bieber, der unter seinem Facebook-Pseudonym „Paul Superdrohne“ die Beiträge der Seite teilt und außerdem rassistische Kommentare auf der Seite der Bürgerbewegung hinterlässt. Er ist in der Vergangenheit als Schnittstelle zwischen dem BIMH e.V., der Bürgerbewegung und dem IGA-Protest aufgefallen und hat ein gefestigtes rassistisches und nationalsozialistisches Weltbild. Seine Imkertätigkeit kann er pikanterweise auf dem Dach des Rathauses Marzahn-Hellersdorf führen[137], die Bezirksverwaltung hat trotz Hinweisen auf seinen Hintergrund anscheinend kein Problem, die Tätigkeiten eines überzeugten NS-Fanatikers zu unterstützen.

Facebook und digitale Meinungsfreiheit

Der antirassistische Protest gegen die Bürgerbewegung und ihre Nutzer_innen und das auf ihrer Seite stattfindende andauernde Online-Pogrom aus rassistischer Hetze fand zu einem beträchtlichen Teil ebenfalls im digitalen Raum statt. Tausende Menschen aus der ganzen Bundesrepublik zeigten ihre Solidarität, in dem sie mit Meldungen rassistischer Beiträge und Kommentare an Facebook versuchten, die Seite vom Netz zu nehmen und ihre Nutzer_innen zu sperren und bei der Polizei anzuzeigen. Das funktionierte mal mehr, mal weniger gut, es führte dazu, dass die Administrator_innen oft über Stunden kein Zugriff auf die Seite hatten und im Endeffekt mehrere Versionen der Bürgerinitiative gelöscht wurden. In den allermeisten Fällen wurde aber durch die manuelle Moderation von Facebook nicht regulierend eingegriffen, was für viele zu ungläubigen Entsetzen führte, das in Frustration mündete. Ganz klar als strafbar einzustufende Kommentare blieben über Monate online.

Anders als eine staatliche Behörde ist Facebook als Unternehmen in Deutschland nicht zur Meinungsfreiheit und Neutralität verpflichtet. Ein Problem scheint die unterschiedliche Verfassungsrechtskultur zu sein, die sich in den USA anders darstellt: dort sind Schadensersatzsummen wegen Verstößen gegen die Verfassung und ihre Zusätze grundsätzlich auch von privaten Unternehmen einklagbar.[138] Zudem hat die USA eine viel umfangreichere Vorstellung von Meinungsfreiheit und das Prinzip der praktischen Konkordanz von Verfassungsrechten ist dort weitgehend unbekannt.

Das nimmt Facebook aber nicht aus der Verantwortung. Das Unternehmen hat deutsche Mitarbeiter_innen in der Moderation sitzen, die durchaus mit der deutschen Spezifik und der Sensibilität, die es gegenüber nationalsozialistischen und rassistischen Agitationen geben muss, umzugehen wissen. Facebook hat aber auch ein anderes Problem: sein ökonomischer Grundstein ist die Nutzer_innen-Zahl und die Frage, wie viel Zeit diese auf der Plattform verbringen. Das bringt Einblendungen von Werbung und damit Geld. Jeder Klick mehr zeigt mehr Werbung an. Jeder neue Kommentar, der gelesen werden muss, bedeutet, dass die Seite auch neue Werbung laden kann, die sie den Nutzer_innen anzeigen kann. Das bedeutet aber auch in der Konsequenz: jede Thematik, die viele Menschen gegeneinander aufbringt, ist eine Goldgrube für Facebook. Denn je mehr Zeit die verschiedenen Lager auf Facebook damit verbringen, argumentativ zu kommentieren, sich Profile anzuschauen, zu moderieren oder Diskussionen zu verfolgen, desto mehr verdient Facebook an der Sache. Empörung, das ist big money!

Darum hat Facebook gar kein Interesse daran, rassistische Debatten abzuschalten. Das unterscheidet sie von reinen Webhosting-Plattformen, die nur ihren Webspace verkaufen wollen und deren Kosten-Nutzen-Rechnung viel einfacher ist und wo es demnach leichter ist, Seiten aus dem Netz zu kriegen. Es liegt in Facebooks ureigenem Interesse, dass diese Debatten auf ihrer Plattform geführt werden. Wenn die Debatten außerhalb des Internets geführt werden, verdient Facebook kein Geld. Wenn die Debatten im Internet, aber nicht auf Facebook geführt werden, verdient Facebook kein Geld und was noch viel schlimmer für das Unternehmen ist: die Konkurrenz wird gestärkt.
Deswegen wird es Zeit, den Protest gegen Facebook dort zu führen, wo sie ihn nicht kontrollieren und auch nicht von ihm profitieren können: auf der Straße und in eigenen, digitalen Netzwerken unter profit-unabhängiger, kollektiver Verwaltung und mit offenem Quellcode. Dem Unternehmen müssen die Grenzen aufgezeigt werden – dort wo mit dem Leid von Geflüchteten Geld verdient wird, indem bereitwillig die Plattform für den rassistischen Diskurs und die rassistische Vernetzung zur Verfügung gestellt wird (die ihre Übersetzung zwangsläufig in das Leben der Geflüchtete findet, wie die zahllosen Anschläge bundesweit zeigen[139]), dort muss Widerstand erfolgen und eine antirassistische und antifaschistische Intervention erfolgen. Und es muss offensiv darüber nachgedacht werden, wie Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter & Co. der Profitlogik entzogen und vergesellschaftet werden können.

Unfähigkeit gegen Rechts – Lokalpolitik, Bezirk und Land: Hand in Hand!

Die Interventionsversuche der Offizial-Akteur_innen nach dem Bezug der Unterkunft und den rassistischen Ausschreitungen waren weitestgehend zum Scheitern verurteilt, auch, weil es an einer vernünftigen Analyse und handlungsfähigen Perspektive fehlte. Die Reaktion nach den Erfahrungen des „Braunen Dienstags“ waren rein auf die Information der Anwohner_innen gerichtet: es sollte zielgerichteter und gesteuert über die aktuellen Entwicklungen informiert werden. Sowohl die Bezirksverwaltung als auch die Koordinierungsstelle POLIS haben bis heute eine verfestigte Struktur der Extremen Rechten nicht erkannt, obwohl die notwendigen Informationen dazu seit Beginn vorliegen. Gleichzeitig hat man sich nur langsam zu dem Bekenntnis der rassistischen Grundhaltung vieler Anwohner_innen durchringen können, lange Zeit wird der gesellschaftliche Rassismus in seiner Hellersdorfer Ausprägung nicht anerkannt oder zumindest verharmlost.

Entscheidend dafür war auch, dass die Senatsverwaltung weder im Bereich Soziales noch im Bereich Inneres eine Vorstellung davon entwickelte, was in Hellersdorf eigentlich vor sich ging. Auf parlamentarische Nachfragen gab man sich in den letzten 12 Monaten weitestgehend ahnungslos oder verwies auf „laufende Ermittlungen“, die aber bisher nicht in Prozesse mündeten. Trotz der bundesweiten Aufmerksamkeit gab es keine Bestrebungen der parlamentarischen Regulierung, Überlegungen zur generellen Einrichtung von „Bannmeilen“ um Unterkünfte für Asylbewerber_innen wurden wieder verworfen.[140] Auch die Haushaltsverhandlungen ließen sich durch die rassistische Mobilisierung nicht weiter beeindrucken, die zivilgesellschaftlichen Programme in dem Bereich wurden nicht im expliziten Hinblick auf Hellersdorf diskutiert, ein finanzieller Ausbau der zur Verfügung gestellten Mittel fand nicht statt.[141]

In der BVV Marzahn-Hellersdorf wurde nur zögerlich über Themen, die die Unterkunft und die rassistische Mobilisierung betrafen, gesprochen. Einerseits wollte man den NPDlern in der BVV weder Möglichkeit zur Hetze geben (diese zeigten auch wenig Engagement der eigenen Positionierung), noch mit Informationen versorgen. Andererseits ist der parteiübergreifende Konsens, der in einer gemeinsamen Stellungnahme mündete[142], zur unbedingten Solidarität gegenüber den Geflüchteten und der Notwendigkeit der Einrichtung der Unterkunft ein sehr brüchiger gewesen. Auf der Seite der SPD Marzahn-Hellersdorf tauchte noch im August 2013 eine Stellungnahme des Landespolitikers Sven Kohlmeier auf, explizit von der lokalen SPD unterstützt, der diesen Konsens attackierte: man müsse über die Reduzierung der Belegung nachdenken und die restlichen Gebäude der Unterkunft für soziale Projekte öffnen.[143] Damit lag er genau auf der Linie der Rechtspopulist_innen und der rassistischen Anwohner_innen, die einerseits die Aufstockung der Belegung verhindern wollten und andererseits die Einrichtung von mehr sozialer Infrastruktur „für Deutsche“ forderten. Nur mit Mühe und Not konnte die Lokalpolitik den Eklat verhindern und zu einer gemeinsamen Linie zurückfinden, die weitestgehend von Schweigen geprägt ist – der kleinste gemeinsame Nenner, so wie es scheint. Immer wieder kam es zu Stellungnahmen der Bezirksverbände einiger Parteien, wenn es wieder Anschläge oder Übergriffe gab, ihre Übersetzung in Anträge oder Handlungsaufforderungen gegenüber dem Bezirksamt fand diese Empörung jedoch nicht. Bis heute ist in der BVV wenig Initiative zu einem effektiven Umgang mit der Situation zu spüren.

Auf Ebene der Bezirksverwaltung ist die Untätigkeit ähnlich ausgestaltet. Stefan Komoß, der schon am „Braunen Dienstag“ in widerlicher Extremismustheorie eine Schuld bei „links und rechts“ suchte, die die Anwohner_innen aufhetzen würde, während deren „Sorgen und Nöte“ ja verständlich wären (und nicht etwa Ausdruck eines zutiefst rassistischen Weltbilds), musste aus schwerwiegenden gesundheitlichen Gründen sich über Monate zurückziehen.[144] In der intensiven Phase des Diskurses um die Unterkunft lenkte die Sozialstadträtin Dagmar Pohle den Bezirk. Sie wurde schon früh zentrales Feindbild der Bürgerinitiative, André Kiebis – zu dem Zeitpunkt noch mit den Nazis in einem Boot –bedrängte sie in einer Fragestunde und zeichnete heimlich das Gespräch auf.[145] Pohle zeigte sich in den darauffolgenden Wochen deutlich bedachter als Stefan Komoß, was die Beurteilung der antirassistischen Gegenmobilisierung betraf, zeigte aber nach dem Einzug der Geflüchteten wenig Sensibilität, als es um die antirassistische Mahnwache ging: erst in Verhandlungen zeigte sie sich kompromissbereit, was eine verwaltungsrechtliche Akzeptanz der Mahnwache anging. Stellvertretend für die Bezirksverwaltung formulierte sie die zentrale Problematik: nicht etwa die Belastung der Geflüchteten war ihr Problem, sondern die Störung der Anwohner_innen. Die Anwohner_innen, die einige Tage zuvor mit Hitlergrüßen vor der Unterkunft standen, hasserfüllte Parolen brüllten und vorher bereitwillig jede rassistische Aktion mittrugen. Das Mitleid der Antirassist_innen hielt sich – verständlicherweise – in Grenzen. In den Verhandlungen wurde aber ein zentraler Erfolg der antirassistischen Mobilisierung abgerungen: in der direkten Umgebung zur Unterkunft sollte ein Schutzraum für Geflüchtete entstehen, in dem sie eigenverantwortlich eine Perspektive über das Lagerleben und die feindliche Atmosphäre der Anwohner_innen hinaus entwickeln konnten. Dieses Projekt trug die Bezirksverwaltung bisher erfreulicherweise mit und ermöglicht damit den Versuch einer neuen, bisher wohl einzigartigen antirassistischen Praxis im deutschen Lagersystem.

Als eine der wenigen Bezirksvertreter_innen fand Dagmar Pohle in der Retrospektive auch Worte des Dankes an antifaschistische Aktivist_innen, und differenzierte deutlich zwischen der intervenierenden und solidarischen Wirkung der Aktivist_innen auf dem „Braunen Dienstag“ und dem menschenfeindlichen Charakter der Rassist_innen und organisierten Nazis – anders als Komoß. Auch die Frage nach den Anwohner_innen sieht sie inzwischen differenzierter und erkennt die rassistischen Motivationen des Protestes; über die Aktivitäten des Projektes POLIS befragt, äußert sie sich hingegen nur sehr verhalten.[146] Das Credo der Bezirksverwaltung blieb aber im Sommer 2013 vorerst: es gehe um Ruhe und Frieden, auch für die Geflüchteten, aber hauptsächlich für die angeblich unschuldigen Anwohner_innen, die unter der Situation der vielen Demonstrationen und der vielen „fremden“ Menschen im Bezirk leiden würden. Immer wieder setzte sich das von Komoß beschworene Bild der zugereisten „Links- und Rechtsextremisten“ fort. Damit wurde einerseits die politische Legitimation abgesprochen, da beide Gruppen gleichberechtigt in den Bereich der undemokratischen Randzone der Gesellschaft verfrachtet wurden, ohne die rassistische Grundeinstellung aus der Mitte der Anwohner_innen noch die elementaren Unterschiede eine linken Menschenbildes im Gegensatz zum menschenfeindlichen Rassismus der organisierten Rechten als auch eben dieser Anwohner_innen zu reflektieren. Gleichzeitig wurde eine ausgrenzende, identitäre Perspektive damit eröffnet: die Beschwörung des Hellersdorfer „Wir“ im Gegensatz zu „Zugereisten“ wurde durch die Bürgerinitiative genauso bedient wie durch die Bezirksverwaltung, ausgehend davon, dass nur diejenigen sich politisch einbringen dürften, die im entsprechenden Bezirk wohnen würden, als sei Rassismus kein gesamtgesellschaftliches Problem. Und so wurde auch durch die Bürgerbewegung im Folgenden immer wieder betont, dass die Anwohner_innen gegen die „zugereisten Linken“ aus Kreuzberg stehen würden, der Bezirk erweiterte diese Perspektive nur auf das extremismustheoretische „Links und Rechts“ gegen Anwohner_innen, die nur ihre Ruhe haben wollen.

Als Stefan Komoß wieder ins Amt zurückkehrt, fällt ihm ein Zugang zur Situation schwer. Immer wieder betont er, dass Aufmerksamkeit für das Thema nur Aufmerksamkeit für die Rechten wäre. Er möchte das Thema unter den Tisch kehren, Stellungnahmen zu den Anschlägen kommen nur halbherzig und ohne konkrete Folgen. Für Stefan Komoß gibt es bis heute kein Problem mit Nazistrukturen im Bezirk, das Image ist schlecht genug, jede Verantwortungsübernahme würde bedeuten, zuzugeben, dass der Bezirk weder als Wirtschafts- noch als Lebensmittelpunkt attraktiv ist, wenn man nicht den Vorstellungen der rassistischen Mehrheit entspricht. Marzahn-Hellersdorf sei das Tor zur Welt, das möchte man vermitteln. Das es in der aktuellen Situation eher ein Nadelöhr bleibt, wird weggelobt. Auch Stadtrat Christian Gräff (CDU) hat mit diesem Spannungsfeld zu kämpfen. Zeitgleich zur rassistischen Mobilisierung 2013 wurde eine lange geplante Imagekampagne gelauncht, deren Wirkung durch die negative Presse über den Asyldiskurs weitgehend im Nirvana verschwand.[147] Marzahn-Hellersdorf blieb der Braune Bezirk, aller Öffentlichkeitsarbeit zum Trotz. Auch die Kampagne von Kulturstadträtin Juliane Witt, die sich um Marzahn als neuen kulturellen Hotspot bemüht und dafür die Infrastruktur der „Alten Börse“ unterstützt[148], wird davon torpediert. Alle bezirklichen Akteur_innen sind übervorsichtig und tappen dabei von einem Fettnäpfchen ins nächste, so entbrennt ein kurzer, aber intensiver Diskurs über Kunstfreiheit und muslimische Religionsvorstellungen.[149] Nur langsam erholt man sich auf bezirklicher Ebene von den Schäden, die durch das Missmanagement des rassistischen Diskurses entstanden sind, immer wieder kommt es zu Rückschlägen.

Zu diesem Missmanagement gehört auch der weitgehende Ausschluss von unbequemen Strukturen: aus einem „Runden Tisch“ werden nach und nach die zivilgesellschaftlichen Initiativen ausgeschlossen, es verbleiben nur noch Verwaltung, Polizei, Hochschule und Wohnungsbaugesellschaften in dem ehemaligen „Runden Tisch“, aus dieser Koordinierung entstehen kaum noch relevante Projekte. Man einigt sich förmlich aufs Nichtstun, möchte sich aber auch keiner Kritik daran aussetzen. Nach Außen wird die Vernetzung an sich als Erfolg gefeiert, Maßnahmen kann man nicht präsentieren. Unter der Führung der bezirklichen Koordinierungsstelle gegen Rechts „POLIS“, getragen durch SPI / Ostkreuz[150], wird versucht, die Hilfsangebote vieler solidarischer Anwohner_innen zu bündeln. Der Versuch schlägt fehl: die Angebote werden nie wahrgenommen, POLIS sitzt auf einem Haufen Kontaktdaten, ohne daraus ein wirkliches Hilfskonzept zu entwickeln. Gleichzeitig suggeriert das Angebot aber: „wendet euch an uns, macht nichts alleine, wir kümmern uns drum“. Und so wird viele solidarische Struktur durch die Unfähigkeit der Koordinierungsstelle begraben. Nach gut einem Jahr hat POLIS nur wenige Arbeitsergebnisse vorzuweisen: man begleitet die aus den Erfahrungen des „Brauen Dienstags“ entstandenen, geschlossenen Anwohner_innen-Infoveranstaltungen und berichtet darüber. Man stellt im Bezirk ein akademisches Konzept gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit vor, das weitgehend zahnlos bleibt und darüber hinaus nicht einmal eine spürbare Umsetzung findet. Schon im Vorfeld rumort es im Bezirk, dass auch der geplante Jahresbericht zur „Demokratieentwicklung“ in Marzahn-Hellersdorf, der durch POLIS jährlich herausgegeben wird, nur unzureichend sei und nur ein Bruchteil der Vorkommnisse der jeweils unabhängigen Chroniken von WuT oder der Registerstelle der Hochschule umfasst. Auch durch Dekonstruktion Ost wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Koordinierungsstelle kompetenten Strukturen zu übergeben sei und die Mittel besser verwendet werden könnten, als durch das überakademisierte Wirken von Dr. Bryant.[151]Die Kritik besteht nicht an einer akademischen Perspektive, vielmehr ist eine tiefgreifende Analyse durchaus als unbedingte Voraussetzung für das Vorgehen zu sehen. Nur eine praktische Übersetzung der, zudem noch unzulänglichen, Analyse verbleibt niedrigschwellig. POLIS veröffentlich schon bald nach dem Braunen Dienstag ein 16-seitiges Fact-Sheet, um die Fragen der Anwohner_innen zu beantworten und um der rassistischen Hetze Fakten entgegenzusetzen.[152] Während antirassistische Aktivist_innen jedoch einen eigenen, kurzen Falt-Flyer „Fakten gegen Vorurteile“[153] massiv im Kiez um die Unterkunft verteilen und damit viele Anwohner_innen erreichen, verbleibt die POLIS-Publikation im Amtsgebrauch und wird nur über Ämter und die Informationsveranstaltungen sowie auf den verwirrend strukturierten Internetseiten des Bezirks und von SPI verteilt. Man muss schon proaktiv danach suchen, um die Publikation zu finden – ein Zugehen auf die Anwohner_innen findet nicht statt. Und schaut man sich dann das Papier genauer an, ist man einigermaßen entsetzt über den Tenor der Fragenbeantwortung: so wird nur an einer Stelle die Bürgerinitiative erwähnt, ohne einerseits ihren Kontext als neonazistische Plattform klarzustellen und andererseits sich klar von ihr zu distanzieren und auf die Gefahren der rassistischen Hetze hinzuweisen.[154] Im Gegensatz dafür wird viel Text darauf verwendet, die antirassistischen Aktivist_innen zu diskreditieren und zu betonen, dass die Bezirksverwaltung alles in der Macht stehende tun würde, um sich gegen die – richtige – Analyse über die rassistischen Vorurteile der Anwohner_innen, die durch Medien und Antirassist_innen vorgebracht wird, zu wehren. POLIS geriert sich zu diesem Zeitpunkt als argumentativer Handlanger der Nazis und wird zu einer Art „bezirklichen Koordinierungsstelle gegen Links“. Auf diese Position fallen sie auch im Rückblick zurück.[155]

Im Februar 2014 präsentiert POLIS das von ihnen erarbeitet „Demokratiekonzept“ für den Bezirk.[156] Es verbleibt in der Unbestimmtheit: man möchte mehr Vernetzung schaffen (Sport, Jugendträger, Schule), Ansprechpartner in der Wirtschaft ermitteln und – noch mehr Theoriearbeit leisten. Hinzukommt, dass man erneut den „Sorgen und Nöten“ der Anwohner_innen Raum geben will, in dem man als Reaktion auf die Entwicklungen des Sommers 2013 ein Beschwerdemanagement einrichten möchte. Man fühlt sich auch hier in die 90er versetzt: Runde Tische, akzeptierende Jugendarbeit, Sport – das hat schon damals eher schlecht als recht funktioniert.[157] Es fehlt an eine wichtige Erkenntnis: der offen zu Tage tretende Rassismus ist Teil der Hellersdorfer Lebenswirklichkeit. Und er betrifft nicht nur Jugendliche, sondern wird – auch auf die Straße – maßgeblich von Erwachsenen getragen. Dementsprechend ist dieser Umstand auch konzeptuell nicht berücksichtigt, gefährdet aber die Wirkung der anderen Arbeitsfelder. Jugendliche, die in der Schule über Rassismus belehrt werden, aber in ihren Familien die „Ausländerjagd“ als Freizeitgestaltung vorgelebt bekommen, werden durch das Raster der Demokratieentwicklung weitestgehend durchfallen, gerade, wenn der vorherrschende Narrativ ein antistaatlicher und demokratieferner ist, in den Familien die Vorstellung vorherrscht, dass Behörden (wie Schulen) und der Politik eh nicht zu trauen sei. Die Umsetzung des Demokratiekonzeptes von POLIS bestand wahrnehmbar bisher aus einem Fußballtunier.[158] Im Mai 2014 veröffentlicht SPI als Träger für POLIS auch eine zusammenfassende Betrachtung der bezirklichen Arbeit, die einen deutlichen Schwerpunkt auf Hellersdorf legt. Darin wird deutlich, dass sie durchaus eine qualitativ nachvollziehbare Strukturanalyse des Bezirkes und seiner Bewohner_innen haben[159], diese aber auf eine reine Anschlussfähigkeit für rassistische Weltbilder reduzieren und keine eigenen Erkenntnisse über die alte und neue organisierte Rechte im Bezirk treffen können.
Einerseits wird klar, dass die Analyse von POLIS zu kurz fasst, sie nämlich durchgehend organisierte Nazistrukturen verkennt, andererseits dass die Aufgabenstellung[160] der Koordinierungsstelle, die auch konkrete Maßnahmen gegen menschenfeindliche Strukturen beinhaltet, nicht erfüllt wird. Vielmehr grenzt sich POLIS massiv von antirassistischen und antifaschistischen Strukturen im Bezirk ab und verstärkt die Hetze gegen diese Aktivist_innen. In ihrer Analyse plädieren sie immer wieder für sachliche Erwägungen und entziehen sich den grundsätzlichen erforderlichen politischen Positionierungen, die in der Thematik unumgänglich sind. Es bleibt festzuhalten, dass für das Projekt POLIS ein qualitativer Ersatz gefunden werden muss, die_der sich den Problemen des Bezirks konkret annimmt.

Profite mit Lagerhaltung –PeWoBe in Hellersdorf

Die Betreiber_innen-Firma der Hellersdorfer Unterkunft ist der berüchtigte Träger PeWoBe. Mit Helmut Penz an der Spitze ist er vor allem dafür bekannt, Dumping-Angebote im sozialen Bereich auf Kosten der Bewohner_innen für das LAGeSo[161] zu erstellen.[162]PeWoBe steht wie keine andere Firma in Berlin für die Bezeichnung „Lager“, die viele Geflüchtete für ihre Unterkünfte anführen: die Mindeststandards der Unterbringungen, die für die Gebäude vom LAGeSo festgelegt werden, werden durch die PeWoBe immer wieder deutlich unterschritten, man wolle selbst festlegen, was Standards wären und dazu kommt, dass Hilfsorganisationen systematisch aus den durch die PeWoBe betriebenen Lager gedrängt werden, die sozialen Verbindungen der Geflüchteten nach außen werden wie in einem Gefängnis durch zur Firmengruppe gehörende Sicherheitsfirmen reguliert und z.T. gekappt.[163]PeWoBe kann ihr Lagerssystem ohne Probleme aufbauen, denn die Prüfpflichten des LAGeSo werden vorerst gar nicht, seit einiger Zeit nur zögerlich umgesetzt und es werden teilweise durch das Landesamt keine Verträge geschlossen.[164]

Durch die mediale Aufmerksamkeit gibt sich die PeWoBe in Hellersdorf in den ersten Wochen des Unterkunftbetriebes als vorbildlicher Partner. Die Ausbauten sollen einer menschenwürdigen Unterkunft mehr als angemessen sein, es solle vielfältige Freizeit- und Bildungsangebote geben, man setzt sich sogar mit antirassistischen Aktivist_innen an einen Tisch und – wie sich später herausstellt – lügt zusammen mit einem Vertreter des LAGeSo diesen etwas vor. Man wolle den Aktivist_innen helfen, sei selbst an einer solidarischen Atmosphäre in der Umgebung interessiert. Das LAGeSoverspricht die anteilige Kostenübernahme für den von Antirassist_innen geplanten externen Treffpunkt der Geflüchteten, Helmut Penz sichert zu, dass die PeWoBe keine Zugangsbeschränkungen für Hilfsorganisationen und solidarische Aktivist_innen umsetzen wird. Mit Martina Wohlrabe sei eine Leiterin der Unterkunft gefunden worden, die schon lange im Bezirk aktiv sei und auf einen hohen Erfahrungsschatz in der sozialen Arbeit zurückgreifen kann. Außerdem sei sie den Aktivist_innen durch ihre Teilnahme an den Treffen des Solidaritätsnetzwerkes bekannt (obwohl sie dort schon freundlich, aber bestimmt für die Übernahme der absehbar repressiven Funktion kritisiert wurde und auf den entstehenden Interessenkonflikt zwischen Lagerbetreiber_innen und antirassistischen Aktivist_innen hingewiesen wurde).

In der Folge wurde der Alice-Salomon-Hochschule ein Raum für den Hochschulbetrieb in der Unterkunft zur Verfügung gestellt[165]und der Initiative „Hellersdorf Hilft“ ein Lagerraum für Spenden. Aber insbesondere die Leitung erweist sich schnell als unzuverlässig und eigensinnig: Martina Wohlrabe trifft sich mit dem bekannten Rassisten und ehemaligen Kopf der Bürgerinitiative André Kiebis – und das in der Unterkunft, dem direkten Lebensumfeld der Leute, gegen die Kiebis einige Wochen zuvor massiv hetzte. Mit dabei ist Carl Chung als Vertreter von SPI / Ostkreuz und mitverantwortlich für POLIS*. Der Vorfall ist ein Skandal und wird von Antifaschist_innen öffentlich thematisiert.[166] Gleichzeitig steht sie unter erheblichem Druck der Bürgerinitiative, Gerüchte über ihr Privatleben werden gestreut. In der Folge zieht sie sich immer mehr zurück und kommuniziert nur noch dort, wo sie unbedingt muss. An einer Vernetzung oder Unterstützung mit Hilfsorganisationen und Antirassist_innen hat sie kein Interesse mehr, agiert zunehmend machtpolitisch, manipulativ und dominant gegenüber Geflüchteten, Mitarbeiter_innen und Besucher_innen. Nach dem Jahreswechsel verliert „Hellersdorf Hilft“ den Lagerraum, Martina Wohlrabe richtet einen eigenen Raum ein, über den nur die Unterkunftsleitung verfügt. In Zuge dessen wird der Hilfsorganisation auch abgesprochen, eine Aufenthaltsberechtigung für die Unterkunft zu haben, nur noch über spontane Veranstaltungen wie Workshops oder Besucher_innen-Rechte haben die Aktivist_innen überhaupt noch Zugang zum Gebäude oder zum Hof. Schon vorher wurde durch die Geschäftsleitung von PeWoBe anderen Hilfsorganisationen der Zugang zu Unterkünften berlinweit verboten, kritische Initiativen wurden mit Hausverbot belegt. Auch in Hellersdorf findet das statt, man spielt die Initiativen gegeneinander aus, sucht sich die bequemste aus und lehnt den Zugang für alle anderen mit der Begründung ab, dass ihr Aufgabengebiet schon durch andere Menschen bearbeitet werde. Inzwischen knirscht es auch in der Beziehung zwischen dem einstigen Vorzeigeprojekt der Alice-Salomon-Hochschule und den Betreiber_innen, es wird vermutet, dass der Zugang für die Studierenden ab dem Wintersemester 2014/2015 versperrt bleibt.

Hinter diesem Verhalten stehen zwei zentrale Punkte. Zuerst gibt es kein Interesse des LAGeSos an einer menschenwürdigen Unterbringung der Geflüchteten oder irgendeine Solidarität für ihre Lage. Vielmehr soll den Geflüchteten das Leben so unangenehm wie möglich gemacht werden, damit eine Rückkehr der Geflüchteten in ihre Herkunftsländer ihnen selbst als geeignetes Mittel zur Auflösung ihrer Situation erscheint. Wer im Krieg besser lebt, als in den verdreckten, engen Unterkünften der neuen Wahlheimat, der kehrt in den Krieg zurück, so das widerliche Kalkül der Behörden. Oder wehrt sich zumindest nicht gegen die Abschiebung. Primärziel deutscher Asylpolitik ist die sogenannte „Rückführung“.[167] Das Interesse von Menschen an einem guten Leben ist nur mäßig interessant. Zumal ordnet sich diese Politik auch in den landesweiten Kampf des Senats gegen die Selbstorganisation von Geflüchteten ein. So ist es auch zu verstehen, als die von dem LAGeSo im Sommer 2013 zugesagten und vor wenigen Wochen abgefragten Mittel für den zu eröffnenden externen Treffpunkt für Geflüchtete entgegen dieser Zusagen verweigert wurden. Diese Zusage wurde von dem zuständigen Verantwortlichen als dreiste Lüge zur Beruhigung der Situation gebraucht. Aktivist_innen sind davon allerdings nur mäßig überrascht gewesen.

Hinzu kommt, dass PeWoBe und andere privaten Betreiber nicht nur Lager, sondern ganze Lagersysteme betreiben. Sie profitieren von einem hohen Durchlauf der Belegung, da neben den Tagessätzen den Betreiber_innen auch pauschale Mittel anhand der Aufnahmezahlen zur Verfügung gestellt werden. Ein sicheres Mittel, diesen Durchlauf zu garantieren, sind die Abschiebungen ihrer Bewohner_innen. Umso weniger Interesse hat die Betreiber_innen-Firma daran, dass Geflüchtete ihre Rechte kennen, sich juristisch zu Wehr setzen (und damit ggf. auch der Firma selbst höhere Kosten verursachen) und ganz allgemein durch Bildung und Vernetzung ihre Aufenthaltschancen verbessern. Auch an einer Konfliktlage hat PeWoBe ein großes Interesse: in ihrer Systematik bietet der Firmenverbund auch Sicherheitsdienstleistungen an, der von sozialen Konflikten zwischen den Bewohner_innen genauso profitiert wie durch externe Bedrohungen, dient beides doch als Argumentation gegenüber dem Senat, dass die Aufträge und die finanziellen Auftragsvolumina erweitert werden müssen. Es versteht sich von selbst, dass alles, was den Profit beschneiden würde, zudem ignoriert wird: wichtige Reparaturen, Hygiene, gut ausgebildetes Personal – all das landet auf der Kürzungsliste.[168] In der Hellersdorfer Unterkunft gab es über Wochen hinweg nur wenige Stunden am Tag warmes Wasser. Erst nach kritischer Nachfrage von Abgeordneten und der Presse wurde das Warmwasser wenige Stunden vor einer Begehung wieder angestellt.

In Hellersdorf muss sich – wie überall in Berlin – schnell etwas ändern. Die Verträge mit den privaten Betreiber_innen müssen aufgelöst werden, wenige Lager können höchstens als Übergangslösung benutzt werden, es muss durch die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften eine dezentrale Unterbringung für Geflüchtete erfolgen. Das erfordert aber eine vernünftige Mietenpolitik dieses Senates und die Rekommunalisierung von Wohnraum. Mit der Frage sind viele aktuelle Probleme der Stadt verknüpft, deswegen kann die Lösung nur aus einem grundlegenden und umfangreichen Politikwechsel bestehen – oder eben gleich aus der Dekonstruktion der bürgerlichen Gesellschaft, das käme uns doch allen sehr entgegen.

Antirassistische Politik und ihre Grenzen

Antirassistische Politik hatte im vergangenen Jahr vielfältige Facetten. Tausende Aktivist_innen beteiligten sich an den Gegendemonstrationen, zeigten insbesondere den organisierten Nazis, dass ihre Hetze nicht unwidersprochen bleibt und auch mit konkreten Konsequenzen verbunden ist. Trotz den Spaltungsversuchen durch Boulevardmedien, herausgeschlagene Augen und halbtote Polizisten herbeifantasierten[169], kamen bürgerliche und linksradikale Aktivist_innen wieder und wieder zusammen, um gemeinsam auf vielfältige Art und Weise sich den Nazis in den Weg zu stellen. Als zentrale Informationsstruktur diente das „Antirassistische Infoportal Hellersdorf“[170], das über Live-Ticker und aufgearbeitete Presseartikel den Informationsfluss im Bezirk und in der Innenstadt hochhielt und so auch in kurzfristig entstehenden Bedrohungssituation reagieren konnte. Nicht immer lief das reibungslos: eine Warnung, dass sich 150 Nazis aus Lichtenberg auf den Weg zur Mahnwache machen würden, stellte sich als Ente heraus. Die Informationspolitik wurde z.T. als „reißerisch“ kritisiert und der jeweiligen Situation nicht angemessen. Nichtsdestotrotz: mit über 9000 vernetzten Menschen erwies sich das Infoportal als eine zentrale Informationsinstanz.

So wurde auch die antirassistische Mahnwache, die über drei Wochen vor der Unterkunft der Geflüchteten stand und sowohl Geflüchteten, als auch Medien und Anwohner_innen als zentraler Informationspunkt, Diskussionsebene und Vernetzungspunkt diente, ein permanentes Zeichen der Solidarität und hat antirassistische Politik für Anwohner_innen sehr wahrnehmbar gemacht. Viele, die sich hilflos aufgrund der Diskurshegemonie der Rassist_innen im persönlichen Umfeld und auf den Informationsveranstaltungen des Bezirkes fühlten und entsprechend eingeschüchtert waren, fanden an der Mahnwache den Ort, um aus der Vereinzelung ihrer solidarischen Meinung auszubrechen und sich über die Formen der Solidarität mit den Aktivist_innen an der Mahnwache auszutauschen. Perspektiven des niedrigschwelligen antirassistischen Handelns konnten so eröffnet, Spenden an die betreuende Organisation weitergeleitetet und Informationsmaterial verbreitet werden. So wurden sie individuell gestärkt und traten in der Folgezeit unter den Anwohner_innen selbstsicherer auf. Auch rassistische Vorurteile konnten mit Informationsmaterial und persönlichen Gesprächen individuell verändert werden. So wurden nach hunderten Besucher_innen an der Mahnwache eine Stimmungsänderung im Kiez deutlich: aus dem offensiv vertretenen rassistischen Konsens wurde eine angegriffene schweigende Hegemonie von rassistischen Denkstrukturen, die innerhalb ihres persönlichen Umfeldes auf Widerspruch und Diskurs traf und sich damit nicht in ihrer menschenfeindlichen Konsequenz ungehindert entfalten konnte. Spürbar führte das zu einer deutlichen Reduzierung der aktiven Anwohner_innen auf der Facebook-Seite der Bürgerbewegung, man hatte also die Nazis und den Volksmob erfolgreich auseinanderdifferenziert. Hinzu kamen direkte Reaktionen, wie zwei Anwohner_innen, die von der Mahnwache vor eine Kamera des RBBs liefen, und dort angaben, dass sie eigentlich „gegen das Heim“ waren, aber ihnen durch Aktivist_innen „der Kopf gewaschen wurde“ und sie deshalb das jetzt in Ordnung finden würden. Nichtsdestotrotz muss vermerkt werden: einige Aktivist_innen waren durch den puren Rassismus und die menschenfeindliche Einstellung einiger Anwohner_innen als auch Übergriffen auf die Mahnwache, u.a. durch den Rechtsrocker „Marci“ (Marci & Kapelle / Tätervolk / Totalverlust) und weitere Personen aus dem Umfeld der neonazistischen Rockervereinigung „Vandalen“,[171] so verstört und schockiert, dass sie ihre Arbeit an der Mahnwache abbrachen, tief in sich gingen und reflektierten, ob sie diese sehr nahegehende Arbeit weiter leisten konnten und wollten.[172] Nicht zuletzt war die Mahnwache auch eine Art Briefkasten: nicht nur Anwohner_innen schickten ihre Solidaritätserklärungen oder aber (offiziell durch einen Postboten an die Anschrift „Mahnwache in der Carola-Neher-Straße“ zugestellt) Räumungsaufforderung mit 7-seitigerBegründung, auch Berichte von Spontandemonstrationen in Bremen, München und Frankfurt / Main erreichten den Punkt, dazu große Banneraktionen bei den Spielen von St. Pauli und Babelsberg.[173]

Eine weitere Initiative, die sich vor allem um konkrete Hilfsangebote für Geflüchtete gekümmert hat, ist „Hellersdorf Hilft“[174], die in Folge ihrer symbolischen und bildmächtigen Hilfsaktionen (wie einer Menschenkette zum Lager, die Sachspenden weiterreichte) auch durch die bürgerliche Gesellschaft entsprechend gewürdigt wurde und somit nachhaltige Strukturen für die Arbeit mit den Geflüchteten aufbauen konnte. Zusammen mit vielen weitere Akteur_innen organsierten sich auch Hellersdorf Hilft und Dekonstruktion Ost im Solidaritätsnetzwerk Marzahn-Hellersdorf, dessen Strukturen bis heute den Austausch über antirassistische und antifaschistische Arbeit erlauben und nach der spontanen Demonstration der Bürgerbewegungs-Nazis die lokale Gruppen und solidarische Unterstützer_innen aus der Innenstadt wieder zusammenkommen ließ.[175]

Um nicht nur auf die Rassist_innen reagieren zu müssen, planten verschiedene Initiativen und Gruppen eine breit getragene Demonstration am „Tag der Einheit“, also am 3. Oktober 2013, durch Hellersdorf. Im Zwiespalt zwischen Wut auf den Hellersdorfer Rassismus und ein positives Signal für Geflüchtete entschied man sich für letzteres. An diesem Tag kam eine bunte Willkommensdemonstration zusammen, deren Motto „Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft“ auch ein Bekenntnis gegen die wirtschaftliche und politische Dominanz des wiedervereinigten Deutschland bedeutete: „Wenn sich am 3. Oktober Deutschland für gelungenes Krisenmanagement, Integration und Wirtschaftswachstum feiert, wollen wir dieser Selbstvergewisserung etwas entgegen setzen. […] An Stelle von gegenseitiger Konkurrenz, wollen wir eine Kultur der Solidarität, statt einem Klima der Ausgrenzung eine Willkommenskultur setzen.“[176] Unter den 1500 Demonstrierenden fanden sich viele unterschiedliche Interessengruppen. Mit dem gemeinsamen antirassistischen Konsens wurde ein weithin sichtbares und starkes Zeichen gesetzt, nicht nur im Plattenbau-Kiez um das Hellersdorfer Lager, sondern auch in der angrenzenden Einfamilienhaussiedlung – so sollte das Bild von tumben „Unterschichts-Nazi“ aufgebrochen werden und darauf hingewiesen werden, dass Rassismus zwar unterschiedliche Ausdrucksformen hat, aber auch in Hellersdorf ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Während sich entgegen der Aufforderung der Nazis nur wenige Rassist_innen an die Demonstration heranwagten (so Kai Schuster, Susan W., Marco Z. und Ramona S.), sondern eher aus den Fenstern pöbelten, so zeigte sich dafür die Polizei bemüht, den antirassistischen Protest zu diskreditieren und verzögerte den Ablauf konstant durch willkürliche und überzogene Fest- und Ingewahrsamnahmen, nur um am Demonstrationsende dann in die Demonstration hineinzustürmen, hineinzufahren (!) und wild um sich zu prügeln.[177] Gerade viele neue, bürgerliche Initiativen verließen den Tag deutlich polizeikritisch, geschockt durch den unbegründeten Gewaltausbruch.

Nachdem die Stimmung im Kiez umgeschlagen ist, nicht zuletzt dank der Demonstration, und der Bundestagswahlkampf vorüber war, ließ auch das öffentliche Interesse an der Thematik „Hellersdorf“ deutlich nach. Zwar waren die Front der rassistischen Anwohner_innen aufgebrochen, aber zu hoffen, dass sich rassistische Einstellungen spontan verändern würden, wäre fehlgeleitet gewesen – in diesem Bewusstsein arbeiten auch die lokalen Initiativen weiter. Die intensive antifaschistische Arbeit wurde fortgeführt und eine nachhaltige Vernetzung gesucht, gleichzeitig aber auch die lokale Solidaritätsarbeit fortgeführt. Verbindendes Element durch bezirklichen Gruppen war vor allem die Vorbereitungsarbeit zu einem Treffpunkt für Geflüchtete und Anwohner_innen in der unmittelbaren Umgebung der Unterkunft. Dort sollen Geflüchtete, die daran Interesse haben, selbstbestimmt und ohne Druck der kontrollsüchtigen Lagerleitung ein Teil ihres Alltages verbringen und Hilfsstrukturen nutzen können. Anwohner_innen, die Interesse an konkreter Hilfe haben, können dort den vorhandenen Raum nutzen und mit Geflüchteten in Kontakt treffen. Nicht zuletzt sollen auch Möglichkeiten des Empowerments über den Zugang zu Wissensstrukturen für die Geflüchteten bereitstehen.

Immer wieder stieß die antirassistische Arbeit auch an ihre Grenzen, gerade in den vergangenen Monaten. Wie zuvor erwähnt, befindet sich die Berliner Linksradikale seit geraumer Zeit in einer fatalen Lethargie, die durch die Ereignisse des letzten Jahres nur kurz aufgebrochen wurde und sich nun wieder in nur sehr kleinen und lokalen Widerstandszeichen gegen die Rassist_innen äußert. Die große Welle der Solidarität für Hellersdorf (und Geflüchtete allgemein) ist vorbei. Nicht unerheblich dafür auch: staatliche Repression. Hunderte Ermittlungsverfahren wurden wegen der Proteste gegen die rassistische Mobilisierung gegen linke Aktivist_innen eingeleitet, über hundert Personen sind festgenommen worden, ein Aktivist kam in Untersuchungshaft.[178] Die Antirepressionsarbeit stellte ein Grundpfeiler des Diskurses da, viele Aktivist_innen sorgten dafür, dass niemand mit rechtlichen Problemen alleine umgehen musste. Mit aller Macht versuchten staatliche Stellen, die Deutungshoheit über legitimen Widerstand gegen Rassismus wieder an sich zu reißen, nachdem ihr dieser zeitweilig entglitten war und sie nur mit Mühe die Nazis schützen konnten. Das ausbleibende Rostock-Lichtenhagen hat aber auch die Skandalisierung der rassistischen Mobilisierung abgeschwächt, obwohl Nazis inzwischen direkt vor der Unterkunft aufmarschieren. Staat und auch einige Antifaschist_innen wiegeln gemeinsam ab: es sei ja nichts passiert.

An ihre Grenzen stoßen antirassistische Aktivist_innen auch insoweit, dass konkrete Arbeit mit den Geflüchteten selten struktureller Art ist, also eine große Anzahl der Angesprochenen einbinden kann, sondern auf das Interesse der Geflüchteten angewiesen ist, sich helfen zu lassen, dazu noch konkret von Personen, die keine staatliche Legitimation dafür haben. Dementsprechend schwierig gestaltet sich auch Dokumentations- und Aufklärungsarbeit in Bezug auf Übergriffe und behördlichem Druck. Ein Patentrezept zur Lösung dieses Spannungsverhältnis gibt es nicht, immer wieder muss geschaut werden, was in der jeweiligen Situation für Resonanz erfolgt.

Ein weiteres Spannungsverhältnis ergibt sich aus den politischen Forderungen und der individuellen Hilfe. Wenn ein Missstand in einem Lager festgestellt wird, gibt es für Aktivist_innen zwei Möglichkeiten damit umzugehen: auf die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben einzuwirken, und den Staat dazu zu bringen, staatliche Aufgaben wahrzunehmen. Oder aber ein alternatives Angebot zu schaffen, in dem das konkrete Problem gelöst wird. Während der erste Weg oft dazu führt, dass der Umstand zwar skandalisiert wird, aber keine staatlichen Maßnahmen erfolgen und die Geflüchteten mit dem Missstand leben müssen, sorgt der zweite Weg dafür, dass die Betreiber_innen und die Behörden darauf verweisen, dass das Problem ja durch ein zivilgesellschaftliches Angebot gelöst wurde, sie also ihre gesetzlichen Pflichten nicht mehr erfüllen zu brauchen. Das führt oft dazu, dass Aktivist_innen originäre staatliche Aufgaben übernehmen (wie es z.B. die Kontrollen der Unterkünfte auch wären, die aber vor allem durch den Flüchtlingsrat Berlin und Landespolitiker_innen der Opposition durchgeführt werden). Das setzt sich auch in der Spendenthematik fort: oft werden Geflüchtete auf die eingegangenen Sachspenden verwiesen und Anträge auf Kostenübernahme zurückgewiesen oder die dafür zur Verfügung stehenden Gelder durch die Betreiber_innen als Profit einbehalten. Anstatt den Auftrag des Gesetzgebers also mit den dafür zur Verfügung stehenden Mitteln umzusetzen, müssen die Bürger_innen doppelt ran: einerseits wird der durch ihre Steuern finanzierte Haushalt über die sie repräsentierenden Parlamentarier_innen für die Verwaltung verpflichtend beschlossen, andererseits kommt ihr Geld und ihre repräsentierte Entscheidung nie an und die fehlenden Güter müssen durch Spenden ersetzt werden. Den Staat freut es aber: eine weitere massive Einsparungsmöglichkeit im sozialen Bereich stützt die Wettbewerbsfähigkeit des Staates im kapitalistischen System. Diese Problematiken der kapitalistisch-bürgerlichen systemintegrativen Vereinnahmungdes kritisch-praktischen Engagements zu reflektieren, bleibt eine zentrale Aufgabe einer antirassistischen Bewegung.

Einzugehen ist auch auf das schwierige Verhältnis zur Lagerkritik im vergangenen Jahr. Sich im konkreten Fall von Hellersdorf gegen Lager zu positionieren, war eine verdammt schwierige Angelegenheit. Zu hoch war die Gefahr, in den Vorwurf der Querfront mit den Nazis zu kommen, die bewusst auch argumentativ antirassistische Argumente aufgenommen haben, solange sie sich nur gegen Lager aussprachen. Alles, was „Nein zum Heim“[179] bedeutete, war ihnen recht, die tatsächliche Verhinderung des Bezugs stand im Vordergrund. Und zwischen „Nein zum Heim“ und „Nein zum Lager“ als Parolen bestand nur ein plakativer Katzensprung, obwohl die dahinterstehenden Menschenbilder grundverschieden sind und „Nein zum Heim“ die Unterbringung als fremd empfundener Asylbewerber_innen ablehnt, während „Nein zum Lager“ den Asylbewerber_innen die Freiheit geben möchte, ihren Wohnort frei zu wählen. Auch wenn ihr Wohnort dann in Hellersdorf liegen soll, for what its worth. Hinter dem bezirklichen Konsens, die Unterbringung der Geflüchteten aber als aktuelle und existenzielle Notwendigkeit zu kommunizieren und sich keiner Angriffsfläche von Rechts auszusetzen, gruppierten sich auch die Bündnisgruppen des Solidaritätsnetzwerkes ein, die eine Beschäftigung mit der Thematik aufgrund der rassistischen Mobilisierung in den Hintergrund rückten, obwohl sie natürlich immer vorhanden war. Erfreulicherweise ergibt sich aber aktuell eine zunehmende Thematisierung der Verhältnisse auch im Bezirk.

Intensiv wurde durch Dekonstruktion Ost versucht, die Erfahrungen aus Hellersdorf in bundesweiten Podien aufzuarbeiten, die Interventionspraxis zu beleuchten und sich einerseits Input anderer Aktivist_innen zu holen und bei Bedarf auch Input zu geben. Die antirassistischen Proteste in Schneeberg und in Rostock wurden durch Dekonstruktion Ost vor Ort begleitet. Diese Vernetzung vor allem in den ländlichen Strukturen ist bis heute prägend und hat die privilegierte Stellung der urbanen Lage Hellersdorfs mit kurzfristiger Anbindung an alternativ-geprägte Stadtbezirke deutlich gemacht. Diese Vernetzungen auf abgestuften regionalen Ebenen sollten sich fortsetzen. Das Willkommensnetzwerk in Berlin ist dafür begrüßenswerte Struktur, auf der Bundesebene sieht es zurzeit leider wieder etwas ruhiger aus, obwohl gerade die ländlichen Ebenen intensiven Support gut gebrauchen könnten.

Naziterror beenden – Geflüchtete schützen!

Oberste Priorität hat nach wie vor, die Geflüchteten vor rassistischen Attacken und Übergriffen zu schützen. Die Anschläge der vergangenen Monate haben gezeigt, dass sich das Problem weg von einem befürchteten Pogrom hin zu einer konspirativen und militanten Nazistruktur verschoben hat, die auf ein willfähriges Umfeld aus Rassist_innen aufbauen kann. Die Erfahrungen aus der Mordserie des NSU zeigen, dass ihre Taten aus einem gesellschaftlichen Umfeld heraus entstanden sind und nicht als das Ergebnis eines isolierten „Terrortrio“ verharmlost werden dürfen. Dieses gesellschaftliche Umfeld findet sich in Marzahn-Hellersdorf wieder, hier wird weggeschaut, wenn mal wieder Asylbewerber_innen durch die Straßen gejagt werden oder sich Täter_innen mit Sprengsätzen der Unterkunft zu schaffen machen. Hinzukommt, dass der NSU-Bezug nicht weit hergeholt ist. Gerade umtriebige Nazis wie Patrick Krüger oder Daniela Fröhlich sind aus der gleichen Generation und der gleichen Naziszene und haben z.T. enge Kontakte zum NSU-Umfeld gepflegt und pflegen sie wahrscheinlich heute noch, ob nun als staatliche Spitzel (was eine Erklärung für die ausbleibende Repression wäre) oder als überzeugte Nationalsozialist_innen.[180]

Hier muss entgegengewirkt werden. In den vergangenen Monaten haben die Nazis und Rassist_innen gemerkt, dass ihre Aktivitäten auf sie zurückschlagen, mehrere Recherchepublikationen von Antifaschist_innen haben ihnen Namen, Gesichter und Adressen gegeben[181]; das führte zu gesellschaftlichem Druck, Arbeitgeber warfen sie raus und ihre Nachbar_innenschaft zeigte ihnen auch ab und an, dass sie nicht erwünscht sind. Auf diese Arbeit ist aufzubauen, antifaschistische Politik ist auch zukünftig offensiv auf die Straße zu tragen und muss ein gestaltender Teil bezirklicher Politik werden.

Aber organisierte und militante Nazis sind nicht die einzige Gefahr. Viele Übergriffe finden spontan aus Gruppen heraus statt, in denen der rassistische Narrativ in puren Hass übergeht. Gerade in Anbetracht des Beginns der Weltmeisterschaft wird Nationalismus wieder hoch im Kurs stehen und alles, was als „nicht-deutsch“ empfunden wird, als Feind betrachtete werden. Vom Partypatriotismus ist es in der Regel nur ein kurzer Weg zum nationalistischen Übergriffsmotiv.[182] Aus „Deutschland, ‘schland“ wird in den nächsten Wochen in Hellersdorf erwartungsgemäß schnell ein „Deutschland den Deutschen“ werden. Antifaschist_innen müssen das zwingend auf dem Schirm haben.
Die antifaschistische Gedenkpolitik an Betroffene und Ermordete muss abseits von ritueller Selbstvergewisserung erneuert werden und dabei die Betroffenen und ihre Familien und Communities mit einbeziehen. Gleichzeitig müssen sich alle Akteur_innen Gedanken machen, wie antifaschistische Jugendpolitik im Bezirk aussehen kann und wie man „Antifa“ und „AntiRa“ wieder als Identitätsmerkmal und grundlegendes Selbstverständnis für kritische Jugendliche anbieten kann. Hier besteht großer Nachholbedarf und die Notwendigkeit eine Übertragung antifaschistischer Jugendpolitik in das 21. Jahrhundert zu leisten.

Geflüchtete zu schützen bedeutet aber auch, nicht nur eigene Strukturen aufzubauen, sondern auch dafür zu sorgen, dass Geflüchtete ihre eigenen Strukturen und noch viel wichtiger: ihr eigenes Leben aufbauen können. Das heißt ganz konkret, sich mit der Forderung nach Abschaffung des Lagerssystems zu solidarisieren und ihnen freie Wohnortwahl zu geben; das heißt, die Residenzpflicht offensiv zu krisitieren; und das heißt zuvorderst, das Abschiebesystem zu bekämpfen und abzuschaffen!

Es braucht eine Konzeption, wie man in Zeiten des Rechtsrucks diese Forderungen gegen den gesellschaftlichen Trend positionieren kann. Nicht unerheblich gehört dazu der antifaschistische Umgang mit den Rechtspopulist_innen der AfD, in Hellersdorf wie auch bundesweit. Es darf dabei nicht denjenigen antiemanzipatorischen Dogma-Linken das Feld überlassen werden, die mit Rassist_innen und dem zu Arbeiter_innen umgedeuteten[183] Volksmob[184] paktieren wollen. Die Gegenstrategien müssen in intensiver Vernetzung der ins Hintertreffen geratenen Linken implementiert werden und es muss abseits von Kampagnen- und Feuerwehrpolitik einen ernstzunehmenden links-pluralistischen Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft und zum krisenhaften Kapitalismus geben. Denn: Deutschland ist keine Alternative!

Quellennachweise

[1] AntiRa Portal v. 9.6.2014: „Nazidemonstration vor Asylunterkunft in Hellersdorf (2014)“
[2] Neues Deutschland: „Naziaufzug mit parlamentarischem Nachspiel“ v. 11.6.2014
[3] Abgeordnetenhauses Berlin v. 11.6.2014: Inhaltsprotokoll VerfSch 17/28
[4] Abgeordnetenhaus von Berlinv. 22.1.2014: Inhaltsprotokoll VerfSch 17/24
[5] Lager wird in diesem Text als Bezugnahme auf die Selbstbezeichnung der deutschen Asylunterkünfte durch Geflüchtete verwendet. Es sei darauf hingewiesen, dass das Wort „Lager“ in Deutschland auch in Hinblick auf die Vernichtungslager des Nationalsozialismus gelesen werden kann und sich deswegen hier von einer Gleichsetzung von KZs und Asylunterkünften distanziert wird. Die Singularität des KZ-Systems bleibt unangetastet und die Bezeichnung von Unterkünften soll in keiner Weise als Referenz darauf verstanden sein. Ähnlich verhalte es ich mit dem Wort „Deportation“, dass in Deutschland eine eigenen Bezugnahme hat, aber durch Geflüchtete und Supporter_innen in anderer Kontextualisierung gebraucht wird. Eine reine Verwendung des behördlichen „Unterkunft“-Begriffes wäre zudem eine Relativierung der Machtstrukturen, die für die Geflüchteten mit den Lagern verbunden sind. Dieses begriffliche Spannungsfeld aufzulösen sei als Aufgabe für kommende Texte vermerkt.
[6] vgl. Solinetzwerk Berlin / refugees welcome v. 16.12.2013: „Geflüchtete willkommen – Protestcamp bleibt: Offener Brief des Solidaritätsnetzwerk Berlin“
[7] Neues Deutschland vom 11.6.2014: „80 Prozent der Oranienplatz-Flüchtlinge droht Abschiebung“
[8] Refugee Strike vom 3.3.2014: „Camp der Geflüchteten weiterhin im Visier von Neonazis“
[9] vgl. auch die Konflikte um die Finanzen, ari v. 24.2.2014: „Veruntreuungsvorwürfe gegen die Antirassistische Initiative Berlin e.V.“
[10] Flüchtlingsrat Berlin v. 19.3.2014: „Schein-Einigung für den Oranienplatz soll Räumung ermöglichen“
[11] vice v. 8.4.2014: „Hämmer, Brecheisen und Messer – Die Räumung des Berliner Refugee-Camps“
[12] Tagesspiegel v. 25.11.2013: „31 Polizisten bei Krawallen am Oranienplatz verletzt“
[13] ARAB v. 8.4.2014: „Mehrere Tausend Menschen protestieren gegen Räumung des O-Platzes“
[14] bsph. arbeitermacht v. April 2014: „Teile und Herrsche?“
[15] Landeswahlleiterin für Berlin: „Europawahl in Berlin am 25. Mai 2014 – Ergebnisse im Überblick“
[16] taz v. 9.6.2014: „Stöß gewinnt“
[17] RBB v. 20.5.2014: „Polizei bringt Flüchtlinge zurück nach Sachsen Anhalt“
[18] jungleworld v. 22.5.2014: “’Wir müssen mit einer Stimme sprechen’”
[19] OpenPetition v. 16.10.2013: „Macht die Turnhalle für die Flüchtlinge an der St Paulikirche auf“
[20] HH Mittendrin v. 16.6.2014: „Prominente Unterstützung für Lampedusa-Flüchtlinge“
[21] vgl. antifas aus berlin v. 24.4.2014: „Nazis in Kreuzberg? No way!“
[22] In diesem Kontext ist auch der konzeptionelle Umgang mit dem parallel zur Silvio-Meier-Demo Naziaufmarsch zu werten. Nur wenige Antifaschist_innen begaben sich am 23. November 2013 nach Schöneweide, um dort aktiv gegen die Nazis vorzugehen, die Mehrzahl zog es vor, das antifaschistische Gedenken an Silvio symbolisch-ritualhaft statt praxisnah zu halten.
[23] urbanresistance v. 15.5.2014: „Stärken und schwächen autonomer Politik“
[24] Über die Assimilierung von sozialen Bewegungen als reproduktiver Teil der bürgerlichen Gesellschaft vgl. Herbert Marcuse: „Repressive Toleranz“ in: Wolff, Moore, Marcuse, „Kritik der reinen Toleranz“, Frankfurt 1965.
[25] http://kriseundrassismus.noblogs.org/
[26] Antifa v. 30.4.2014: „Köpenicker Rassisten: Von geistigen zu aktiven Brandstiftern“
[27] vgl. Indymedia v. 5.4.2014: „Nazis und Rassisten in Berlin Adlershof“
[28] Blick Nach Rechts v. 9.4.2014: „NPD-Hetze mit ‚Bürgern‘“
[29] Erschreckende Ausnahme von dieser Regel war der Aufmarsch der Partei „Die Rechte“ im September 2013, mitten durch Lichtenberg, vgl. taz v. 22.9.2014: „Rechte Szene zersplittert“
[30] Spiegel Online v. 3.12.2013: „Zweiter Verbotsversuch in Karlsruhe: Jetzt muss die NPD zittern“
[31] Tagesschau / NDR v. 1.6.2014: „NPD muss alle Berliner Mitarbeiter entlassen“
[32] Störungsmelder v. 19.5.2014: „Gericht erklärt Schmidtke zu einem der Köpfe von NW-Berlin“
[33] Störungsmelder v. 21.2.2014: „Schlechte Stimmung in Berliner Nazi-Hochburg“
[34] Diese Umstände machen diese neuen „Aktivist_innen“ gleichzeitig intensiver als üblich eingebunden in soziale Netzwerke und Lohnarbeitsverhältnisse, die neonazistische Einstellungen u.U. ablehnen und bei Bekanntwerden darauf negativ reagieren.
[35] Landeswahlleiterin für Berlin: „Bundestagswahl in Berlin am 22. September 2013 – Ergebnisse im Überblick“
[36] jungleworld v. 23.8.2012: „Der rassistische Konsens“
[37] Diese Bezeichnung hat sich in der Debatte für die Informationsveranstaltung in Hellersdorf am 9. Juli 2013 durchgesetzt, vgl. für mehr Informationen auch AMH v. 10.7.2013: „Hetze gegen Flüchtlinge in Hellersdorf“
[38] vgl. z.B. jungleworld v. 14.11.2013: “Das nicht die Neunziger, Baby!”
[39] analyse&kritik v. 14.8.2013: „Nur Mob, noch keine Elite“
[40] taz v. 3.1.2014: „Bölleranschläge in Hellersdorf“
[41] Süddeutsche Zeitung v. 8.5.2014: „Schärfere Regeln für Asylbewerber“
[42] vgl. zur Stigmatisierung der Arbeiter_innenschaft über das Bild des „Ronny“ auch AIB 102 v. 17.4.2014: „Dumme Hellersdorfer Nazi-Prolls“
[43] vgl. Berliner Zeitung v. 12.7.2013: „‘Wenn das Heim steht, ziehe ich wieder weg‘“
[44] vgl. Claasen in telepolis v. 20.8.2013: „Willkommensgruß für Flüchtlinge und Polizeischutz“
[45] Recherchekombinat Oprema v. 16.3.2014: „Die Bürgerbewegung Hellersdorf“
[46] vgl. Berliner Zeitung v. 24.8.2013: „Großeinsatz bei NPD-Demo“
[47] Neues Deutschland v. 22.8.2013: „Zuhause in Hellersdorf“
[48] vgl. auch Abschnitt zu Marzahn-Hellersdorf in der Fight Back #5 v. April 2013, S. 67.
[49] vdk Berlin v. 6.9.2013: „Demokraten in der Marzahn-Hellersdorfer BVV solidarisieren sich mit Flüchtlingen“
[50] Landeswahlleiterin für Berlin: „Bundestagswahl in Berlin am 22. September 2013 – Ergebnisse im nach Bezirken“
[51] Wahllokal 313.
[52] Landeswahlleiterin für Berlin: „Europawahl in Berlin am 25. Mai 2014 – Ergebnisse nach Bezirken“
[53] vgl. die Einschätzung des vdk Berlin v. 26.5.2014: „Rechtsextremer Hetzer ersetzt rechtsextremen Hetzer“
[54] Neues Deutschland v. 1.10.2013: „Rechtsextreme bleiben gerne untätig“
[55] Berliner Zeitung v. 4.7.2013: „Anonyme Hetze gegen Asylbewerber“
[56] vdk Berlin v. 3.6.2014: „NPD sammelt Informationen für ihre Kampagne gegen Geflüchtete“
[57] Tagesspiegel v. 9.9.2013: „NPD löscht Internet-Aufruf für eine Bürgerwehr“
[58] taz v. 6.2.2014: „Der Hetzerei müde“, S.22.
[59] Abgeordnetenhaus von Berlin v. 30.12.2013: „Kleine Anfrage: Die Partei „Die Rechte“ in Berlin – Drucksache 17 /12765“
[60] vgl. auch AIB v. 15.6.2006: „Der Streit ums Erbe – Die Nachfolgestrukturen von Blood &Honour“
[61] SpiegelTV v. 2003: „Braune Seilschaft – Schmutzige Geschäfte von Combat 18“
[62] Recherchekombinat Oprema v. 16.3.2014: „Die Bürgerbewegung Hellersdorf“
[63] PNN v. 17.11.2013: „Applaus für Vulgärausfälle der Neonazis“
[64] Störungsmelder v. 11.6.2014: „Dortmunds rechtsextreme Schläger“
[65] Berliner Zeitung v. 25.2.1995: „Nazi-Szene an zentralem Punkt getroffen“
[66] taz v. 22.9.2014: „Rechte Szene zersplittert“
[67] BNR v. 14.2.2014: „Rechte Provokation am Brandenburger Tor“
[68] vgl. auch Abschnitt zu Marzahn-Hellersdorf in der Fight Back #5 v. April 2013, S. 67.
[69] Tagesspiegel v. 22.9.2013: „Mutmaßlich Rechte ziehen randalierend durch den Kiez“
[70] Am 9. August 2013 wurde durch André Kiebis eine spontane Demonstration ebenfalls per Fax angemeldet. Anwesend auf dieser Demonstration die drei oben genannten, wobei Daniela Fröhlich als Rednerin auftrat.
[71] vgl. Störungsmelder v. 10.8.2013: „Hitlergrüße und rechte Parolen in Hellersdorf nach Aufmarsch gegen Asylunterkunft“
[72] Berliner Zeitung v. 20.8.1998: „DVU-Ortsvorsitzender André Otto von der Polizei festgenommen“
[73] vgl. „Bürgerinitiative Biesdorf 2.0“
[74] vgl. „André Otto – Für euch in den Bundestag“ – [Achtung: Nazi-Link]
[75] Abgeordnetenhaus von Berlin v. 25. März 2014: „Kleine Anfrage: Rechtsextreme Angriffe und Anschläge auf Flüchtlinge und Flüchtlingseinrichtungen – Drucksache 17/13213“
[76] Dekonstruktion Ost v. 15.8.2013: „Deconstruct Now! Abrissbirne für Hellersdorf“
[77] Dabei hat der Vergleich zwischen Menschen und Ratten besondere Tradition in der deutschen Historie. Neben Vergleichen von Juden und PoCs in den Reden hochrangiger NS-Funktionäre mit der Tierwelt, thematisiert der NS-Propaganda-Film „Der Ewige Jude“ ganz konkret dieses Bild und setzt auch in der Bildsprache Juden mit Ratten gleich; vgl. Friedmann: „Juden-Ratten“ in: Frauen und Film, Nr. 47 (1989), S. 24-35.
[78] taz v. 7.2.2014: „‘Profil‘ ins Netz gestellt“
[79] Narrativ meint die sprachliche Vermittlung einer vermeintlichen (hier: politischen, sozialen) Erkenntnis.
[80] vgl. exemplarisch Jüdische Allgemeine v. 18.10.2013: „Zivilcourage-Preis für ‚Hellersdorf Hilft‘“
[81] RBB v. 29.8.2013: „‘Den Spinnern die Grenzen aufzeigen‘“
[82] taz v. 15.9.2013: „‘Keine in der Wand versteckte Wanze´“
[83] vgl. 1LIVE v. 4.2.2014: „Das Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf“
[84] grenzen_weg
[85] AK Rechte Gewalt an der ASH
[86] AStA ASH
[87] Neues Deutschland v. 26.10.2013: „Protest gegen rechten Aufmarsch in Berlin-Hellersdorf“
[88] vgl. Inforadio v. 28.4.2010: „Mai Randale: Berliner CDU für ‚ausgestreckte Faust‘“
[89] Berliner Zeitung v. 26.10.2013: „NPD-Demo unter Polizeischutz“
[90] Soulcitysurfer v. 26.10.2013 ab Timestamp 4:00: „Protest gegen die Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“
[91] Neues Deutschland v. 9.11.2013: „Unterm bürgerlichen Tarnmantel“
[92] vgl. Häusler v. 30.7.2011: „Rechtspopulismus als Bürgerbewegung?“
[93] vgl. stern v. 17.9.2013: „NPD schockt mit ‚Rückflugtickets‘“
[94] taz v. 8.12.2013: „Trümmer in Marzahn-Hellersdorf“
[95] vgl. Störungsmelder v. 19.6.2012: „Das Ende der Nazi-Masken-Show“
[96] taz v. 1.1.2014: „Flüchtlingsheim mit Böllern attackiert“
[97] taz v. 3.1.2014: „Bölleranschläge in Hellersdorf“
[98] Tagesspiegel v. 28.1.2014: „Böller auf Aslyunterkunft geworfen“
[99] Fraktionen CDU / SPD v. 21.3.2014: „Besprechung gem. § 21 Abs. 3 GO AGH“
[100] AStA ASH v. 17.4.2014: „Angriff auf selbstverwaltetes Studierendencafé“
[101] Berliner Zeitung v. 18.3.2014: „Ausländerhasser zünden Auto in Hellersdorf an“
[102] evangelisch aktuell v. 7.10.2013: „Solidarität statt Ausländerhass: Hellersdorf hilft“
[103] Chronik WuT v. 19.3.2014: „Angriff auf vermeintlichen Linken in der Maxie-Wander-Straße“
[104] vgl. Chronik Marzahn-Hellersdorf WuT
[105] vgl. zur Verwendung „Schreiberlinge“ im Gegensatz zur „kämpfenden Gruppe“ auch ein Posting von 1996 im Thule Netz in Aust / Laabs: „Heimatschutz“, S. 173 f.
[106] allfacebook v. 6.12.2013: “Was die aktuellen Änderungen am Newsfeed für Unternehmen bedeuten: Weniger Reichweite.”
[107] vgl. NSHIPHOP v. 26.12.2013: „Villain051“
[108] Laut NSHIPHOP der Bruder von Patrick Killat.
[109] zu dt. mit mehreren Bedeutungen: Hitze, Glut, aber auch Flut, Wogen, Leidenschaft, Unruhe und Besorgnis.
[110] Störungsmelder v. 24.1.2013: “Nazirap vor Flüchtlingsunterkunft”
[111] vgl. NSHIPHOP v. 1.10.2012: „DeeEx / De3X“
[112] Antifa Recherche Broschüre Berlin v. Mai 2012: „Motiv Rechts 3 – Das Neonazi-Netzwerk NW Berlin“, S. 22.
[113] taz v. 22.4.2014: „Revisionistische Friedensengel“
[114] Wir benutzen „*“ als Bezeichnung für ein von außen gelesenes Geschlecht, das nicht zwangsläufig das Geschlechtsempfinden der bezeichneten Menschen abbildet. Während es in anderen Zusammenhängen der Extremen Rechten, auch der neonazistischen Ideologie inhärent, kaum zu einer Differenz zwischen gelesenem und empfundenem Geschlecht kommt, weist die Bürgerbewegung Hellersdorf und ihr Umfeld ein komplexeres, z.T. queeres Geschlechterverständnis auf, weswegen wir an diesem Punkt die *-Erweiterung fortführen.
[115] Fight Back #1 v. Dezember 2001, S. 14.
[116] So tauchte sie mit ihrer Mutter Gabriele F. 2004 auf dem Artgemeinschaftstreffen des Nazikaders Jürgen Rieger auf, anwesend dort auch der als NSU-Unterstützer angeklagte André Eminger, vgl. AIB v. 7.10.2013: „Eine deutsche Wutbürgerinitiative und ihr Tanz mit den Neonazis“
[117] vgl. zu dieser Entwicklung auch die Beiträge in: Kellershohn / Dietzsch / Wamper, „Rechte Diskurspiraterien“, unrast 2010.
[118] BILD v. 25.7.2013: „Wo hat die Zschäpe ihre Klamotten her?“
[119] FAZ v. 14.5.2013: „‘Beate Zschäpe war Mitglied eines Tötungskommandos‘“
[120] YouTube: Balaclava Küche #2 v. 9.4.2014. [Achtung: neonazistische Quelle]
[121] RP Online v. 5.5.2014: „Nur die ‚Freundin von‘? – Wie Neonazi-Frauen ihr Image nutzen“
[122] vgl. Lang: „Frauen im Rechtsextremismus“ S. 127 ff., in: Claus, Lehnert, Müller: „‘Was ein rechter Mann ist …‘“, dietz Verlag, 2010.
[123] Süddeutsche Zeitung v. 26.3.2014: „Berliner Mauer“, S. 3.
[124] Landeskoordinierungsstelle Jugendstiftung Baden-Württemberg: „Gender und Rechtsextremismus“, S. 14.
[125] vgl. Gruppe Antisexistische Praxis, „Was tun wenn’s brännt? – Zum Umgang mit sexueller Gewalt“ in: „AS.ISMV2 – Reader des Antisexismus-Bündnisses Berlin“, S. 26 ff.
[126] Anwohner*innen v. 1.8.2013: „Hellersdorf – Rassisten und Nazis geoutet“
[127] „Es dauert, bis er erzählt, dass er seinen Job als Informatiker im Arbeitsamt verloren hat.“ In Tagesspiegel v. 1.3.2014: „Die Heimsuchung“, S. 20.
[128] Antirassistisches Infoportal Hellersdorf v. 3.9.2013: „Michael Engel – der Quotennazi im BMH-Vorstand“
[129] Die Befürchtung entstand, dass ein Tarnverein ähnlich dem „Sozial Engagiert e.V.“ gegründet wurde. Dieser Verein hatte der Lichtenberger Naziszene jahrelang einen Treffpunkt geboten, von dem immer wieder Straftaten ausgingen. Erst nach hohem öffentlichen Druck, auch durch lokale Antifaschist_innen, mussten die Nazis von NW Berlin die Räumlichkeiten im Mai 2014 schlussendlich aufgeben, vgl. Neues Deutschland v. 31.5.2014: „Abschied macht Freude“
[130] vgl. eine Vielzahl der Bürgeranfragen in der BVV Marzahn-Hellersdorf, in der der Fragesteller jeweils vermerkt ist.
[131] Tagesspiegel v. 1.3.2014: „Die Heimsuchung“, S. 20.
[132] Netzwerk Marzahn-Hellersdorf
[133] LG Berlin v. 5.12.2013 – Az. 27 O 668/13.
[134] vgl. Klose v. 2002: „Naturschutz und Nationalsozialismus“
[135] Lesenswert in diesem Zusammenhang auch spektrallinie v. 3.12.2012: „Naturschutz? Nein, Danke!“
[136] Süddeutsche Zeitung v. 5.4.2011: „Der Mythos der Werwölfe“
[137] IGA Projektblog v. 22.11.2013: „Paul Bieber – Stadtimker in Hellersdorf“
[138] Hinzu kommt die „Constitutionalization“ des Zivilrechts, vgl. insbesondere Lemley, „The Constitutionalization of Technology Law“ in: Berkeley Technology Law Journal – Vol 15:529 (2000), p. 5.
[139] Deutscher Bundestag v. 30.5.2014: „Kleine Anfrage: Proteste gegen und Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte“
[140] Die Welt v. 21.8.2013: „Bannmeile soll Asylbewerber in Berlin schützen“
[141] Abgeordnetenhaus von Berlin v. 2013: „Haushaltsplan von Berlin für die Haushaltsjahre 2014/2015 – Band 6 Einzelplan 09 – Arbeit, Integration und Frauen“
[142] Resolution der BVV v. 30.8.2013: „Marzahn-Hellersdorf hilft Menschen in Not“
[143] SPD Marzahn-Hellersdorf v. 23.8.2014: „Flüchtlingsunterkunft Hellersdorf Dialog und Solidarität durch Begegnungsstätte anstelle von zweitem Unterkunftsgebäude“
[144] Berliner Zeitung v. 7.11.2013: „Stefan Komoß ist wieder im Amt“
[145] Recherchekombinat Oprema via Antirassistisches Infoportal Hellersdorf v. 15.9.2013: „Dossier: Bürgerinitiative für ein lebenswertes Marzahn-Hellersdorf“
[146] Interview mit Dagmar Pohle, in: MBT Ostkreuz, „Community Communication“, April 2014, S. 49 ff.
[147] Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf v. 7.8.2013: „Auftakt und Vorstellung der neuen Imagekampagne“
[148] LichtenbergMarzahnPlus v. 10.5.2014: „Mehr als ein Geheimtipp“
[149] Tagesspiegel v. 13.11.2013: „Debatte um Akt-Bilder geht weiter“
[150] vgl. Stiftung SPI – Teilprojekt POLIS*
[151] vgl. Dekonstruktion Ost v. 15.8.2013: „Wohlrabe oder doch eher Übelkrähe? Die Unterkunftsleitung und die Rassist_innen!“
[152] POLIS* v. 3.12.2013: „Wohnheim für Asylsuchende in der Carola-Neher-Straße – Häufig gestellte Fragen“, 4. Fassung
[153] VOSIFA v. 2013: „Asylsuchende? Aber doch nicht bei uns! – Fakten gegen Vorurteile“
[154] Hinzu kommt, dass man auch in der Nachbetrachtung nicht auf antifaschistische Recherchen verweisen möchte, sondern auf eine Information des Verfassungsschutzes verweist. Diese Information beinhaltet aber keine qualitative Analyse, sondern bestätigt nur die „Beeinflussung der Bürgerinitiative von Rechtsextremen“. Ein Verfassungsschutzbericht, der eventuelle Informationen über die Entwicklung in Hellersdorf beinhaltet, wird erst am 01. Juli 2014 durch den Senat beschlossen und dann der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. (Bezugnahme auf: Chung / Bryant, „Vom ‚Nein zum Heim!‘ zu ‚Hellersdorf hilft!‘“, S. 42 in: MBT Ostkreuz, „Community Communication“, April 2014, S. 36 ff.)
[155] vgl. die Beurteilung der antirassistischen Mahnwache auf S. 40, Chung / Bryant, „Vom ‚Nein zum Heim!‘ zu ‚Hellersdorf hilft!‘“ in: MBT Ostkreuz, „Community Communication“, April 2014, S. 36 ff.
[156] POLIS v. 9.4.2014: „Bezirkliches Aktionsprogramm zur Demokratieentwicklung am Ort der Vielfalt Marzahn-Hellersdorf“
[157] vgl. Hammerbacher, „Handlungsstrategien gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit bei Jugendlichen in Berlin und Brandenburg“, Magisterarbeit HU Berlin 2001, S. 50 ff.
[158] Berliner Woche v. 4.6.2014: „Turnier mit Flüchtlingen“
[159] Chung, „Von Hellersdorf nach Heinersdorf“, in: : MBT Ostkreuz, „Community Communication“, April 2014, S. 26 ff.
[160] vgl. MBT Ostkreuz / Polis: „Handlungsfelder“ und „Angebote“
[161] Landesamt für Gesundheit und Soziales.
[162] Bündnis gegen Lager Berlin/Brandenburg v. 17.11.2013: „Hintergründe zu den privaten Betreibern Gierso und PeWoBe“
[163] Flüchtlingsrat Berlin v. 5.11.13: „Heimbetreiber PeWoBe verbietet Deutschkurs in Notunterkunft für Asylsuchende“
[164] MBR-Berlin v. 2014: „Berliner Zustände“, S. 12.
[165] Ein zweischneidiges Schwert, wird einerseits zwar der Kontakt zu weitestgehend solidarischen Studierenden ermöglicht und institutionalisiert, andererseits jedoch eine öffentliche Funktion in eine private und im kleinsten Rahmen auch intime Wohnumgebung hineingelegt.
[166] Dekonstruktion Ost v. 15.8.2013: „Wohlrabe oder doch eher Übelkrähe? Die Unterkunftsleitung und die Rassist_innen!“
[167] vgl. zum Begriff auch die Richtlinie 2008/115/ EG des Europäischen Parlamentes v. 24.12.2008. Passenderweise wird diese Bezeichnung durch Nazis aufgenommen, so trägt Uwe Dreisch in Hellersdorf des Öfteren ein Shirt, dass ihn als „Rückführungsbeauftragten“ ausweist.
[169] BILD v. 23.8.2013: „An Auge verletzter Polizist: Linksextremist geschnappt“
[170] heute: Antirassistisches Infoportal Berlin-Brandenburg.
[171] Chronik WuT v. 22.8.2013: „Rocker bedrohen Mahnwache und greifen Flüchtlingsunterkunft an“
[172] Hier zeigte sich auch ein großes Differenzierungsmerkmal zwischen antirassistischer und antifaschistischer Arbeit. Während antifaschistische Arbeit im urbanen Raum meist weitgehend abstrakt stattfindet und es nur selten zu Berührungspunkten mit Nazis kommt, geschweige denn Gesprächen, findet antirassistische Arbeit weitestgehend einerseits im Kampf gegen die strukturellen Rassismen der Mehrheitsgesellschaft statt, die in der direkten Konfrontation geleistet werden muss, wenn man nicht als rein akademisch agierend außerhalb eines gesellschaftlichen Wirkungsgrades bleiben möchte. Dazu kommt die konkrete Arbeit mit den Geflüchteten, die Aktivist_innen mitfühlen lassen, wenn sie von Übergriffen oder Behördenrepressionen betroffen sind. Nicht zuletzt, wenn man über Monate versucht hat, einzelne Geflüchtete zu unterstützen und diese dann abgeschoben werden, ist man auch als Aktivist_in mit starker emotionaler Belastung konfrontiert.
[173] Antirassistisches Infoportal Hellersdorf v. August 2013: „Solidarität“
[174] Hellersdorf Hilft
[175] taz v. 10.6.2014: „Hellersdorf wieder Hetzersdorf“
[176] Antirassistisches Infoportal Hellersdorf v. 25.9.2013: “Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft – Gegen Rassismus”
[177] Antirassistisches Infoportal Hellersdorf v. 3.10.2013: “Pressemitteilung zur Demonstration”
[178] ARAB v. 20.1.2014: „Free Adel!“
[179] „Die Parole ‚Nein zum Heim‘, die in Hellersdorf von den Rechten gerufen worden, war lange eine antirassistische Parole. Das sollte auch nach Hellersdorf nicht vergessen werden.“ In: telepolis v. 14.7.2013: „Hetztour gegen Flüchtlinge in Berlin“
[180] Die Regel ist sogar die Kombination, vgl. z.B. die Causa Tino Brandt.
[181] vgl. Recherchekombinat Oprema v. 16.3.2014: „Die Bürgerbewegung Hellersdorf“
[182] Süddeutsche Zeitung v. 15.6.2012: „Fußballtaumel und Fremdenfeindlichkeit“
[183] „Tatsächlich gibt es keinerlei Anzeichen für verbreiteten Rassismus in Hellersdorf. Als die Partei für Soziale Gleichheit dort Unterschriften für ihre Zulassung zur Bundestagswahl sammelte, erhielt sie mehr Unterstützung als irgendwo sonst.“, WSWS v. 22.8.2013: „Wie Die Linke der NPD eine Plattform gibt“
[184] „Dies teilte die Lokalpolitik in gewohnt arroganter Art und Weise den Anwohnern erst kurz vor knapp mit und stellte die Menschen, die direkt von den Auswirkungen der Entwicklung im Viertel betroffen sind, somit vor vollendete Tatsachen. […] Diese Konflikte werden von der BRD, dem deutschen Imperialismus und seinen Exekutivorganen, Handlangern, Faschisten und Marionetten geschürt – um uns zu spalten und die berechtigte Wut und den Hass in eine Richtung zu lenken, die Ihnen nichts anhaben kann!“ SoL v. 10.8.2013: „Flugblattaktion zur Flüchtlingsunterkunft in Hellersdorf“

Erstveröffentlichung auf Dekonstruktion Ost am 9. August 2014