Schule ohne Courage

12. Mai 2014 | News Redaktion

Das Primo Levi-Gymnasium in Berlin-Weißensee ist nach dem ita­lie­ni­schen Holo­caust­über­le­benden und Par­ti­sanen Primo Levi benannt. Es trägt den Titel „Schule ohne Ras­sismus – Schule mit Cou­rage“. Im deut­li­chen Wider­spruch zu jener Namens­ge­bung steht die Tat­sache, dass einer der Autoren des neu­rechten Blattes „Blauen Nar­zisse“ hier nicht nur Schüler ist, son­dern die Funk­tion des stell­ver­tre­tenden Schul­spre­chers bekleidet. [1] Die Schüler– und Stu­den­ten­zei­tung „Blaue Nar­zisse“ zählt zu den bekann­testen Jugend-Publikationen der Neuen Rechten. Moritz Schel­len­berg schreibt seit 2010 für das Magazin und gilt als einer ihrer Nach­wuchs­au­toren. 2012 kürte ihn die neu­rechte Wochen­zei­tung „Junge Frei­heit“ zum Gewinner ihres Jung­au­to­ren­wett­be­werbs [2]. Zudem ist Schel­len­berg Mit­glied der völ­ki­schen „Ber­liner Bur­schen­schaft Arminia“ und war zeit­weise als Bei­sitzer im Vor­stand der Ber­liner „Schüler Union“ aktiv.

Die Neue Rechte – ein Netz­werk aus völ­ki­schen Bur­schen­schaften, rechten Ver­lagen und Publi­ka­tionen – setzt in Deutsch­land ver­mehrt auf die Beein­flus­sung von Jugend­li­chen und jungen Erwach­senen. Sie kennt dabei wenig Berüh­rungs­ängste ins mili­tante Neonazi-Spektrum, sieht aber die Mög­lich­keit, die Gesell­schaft nach rechts zu radi­ka­li­sieren, zur Zeit mehr im Aufbau einer ver­meint­lich geis­tigen Elite, völ­kisch und deutsch­na­tional. Dass Schel­len­berg in sol­chen Struk­turen ver­kehrt und dabei über aus­ge­zeich­nete Kon­takte in publi­zis­ti­sche Kreise ver­fügt, wo er offen ras­sis­ti­sche und völ­ki­sche Posi­tionen ver­tritt, muss nicht sofort ins Auge springen. Seine Texte sind jedoch alle­samt im Netz auf­findbar und unter seinem Klar­namen ver­öf­fent­licht. Vor diesem Hin­ter­grund widerum ist es völlig unver­ständ­lich, dass Schel­len­berg erst zum lang­jäh­rigen Klas­sen­spre­cher, und im Sep­tember 2013 zum stell­ver­tre­tenden Schul­spre­cher des Primo Levi-Gymnasiums gewählt werden konnte.

Im Fol­genden soll etwas näher auf Schel­len­bergs Ver­öf­fent­li­chungen und seine Mit­glied­schaften ein­ge­gangen werden. Was Schel­len­berg in seinen Arti­keln schreibt, steht dabei oft stell­ver­tre­tend für viele gän­gige Aus­sagen der Neuen Rechten. Des­halb wird sich dieser Text auch mit diesem Phä­nomen beschäf­tigen. Schließ­lich ist der Fall des Primo Levi-Gymansiums nur eines von vielen Bei­spielen dafür, wie es der Neuen Rechten gelingt, sich „uner­kannt“ in Uni­ver­si­täten, Schulen und anderen öffent­li­chen Lebens­be­rei­chen zu bewegen.

Autor der „Blauen Nar­zisse“

Schel­len­berg schreibt für die „Blauen Nar­zisse“ genau das, was sie aus­macht: Kon­ser­va­tive bis völkisch-rechte Kultur– und Gesell­schafts­kritik. In Form von Rezen­sionen und Berichten meldet Schel­len­berg sich in der „Blauen Nar­zisse“ zu Wort. Seine Artikel han­deln sowohl von rechten Bewe­gungen, als auch von schein­baren Belang­lo­sig­keiten wie Face­book, seinem Schul­auf­ent­halt in Eng­land oder seinen Ein­drü­cken von der Fan­meile in Berlin. Regel­mäßig bear­beitet er dabei in seinen Anek­doten die The­men­pa­lette neu­rechter Gesell­schafts­kritik, ange­fangen bei Begriffen wie Heimat, über Patrio­tismus, bishin zur Kom­men­tie­rung tat­säch­li­cher oder ver­meint­li­cher poli­ti­scher Ent­wick­lungen:

So scheint es Schel­len­berg zu stören, dass für viele Men­schen „Heimat […] heute nicht durch Geburt fest­ge­legt, son­dern […] durch eigene Ent­schei­dungen gewählt“ wird. Ein sol­cher Mensch sei in „Wirk­lich­keit […] kom­plett hei­matlos, weil er eine feste Iden­tität ablehnt.“ Schel­len­berg selbst defi­niert jenen Quell „fester Iden­tität“ für sich nicht im mul­ti­kul­tu­rellen Berlin, dem er kon­sta­tiert „Syn­onym für Sünde, Nihi­lismus und Chaos“ zu sein, son­dern in „Breslau“, der „Stadt meiner väter­li­chen Linie.“ Dass Schel­len­berg am Rand von Berlin auf­ge­wachsen ist und sein Lebens­mit­tel­punkt auch heute dort liegt, spielt keine Rolle, wich­tiger scheint ihm der Bezug auf die väter­liche Abstam­mung zu sein. [3]

Bestimmen wer Deut­scher ist — auf der Fan­meile

Auch in seinem Artikel „Patrioten auf der Ber­liner Fan­meile?“ macht Schel­len­berg seine Vor­stel­lung von Heimat stark, indem er fest­legt, wer dazu­ge­hört (in diesem Fall zu Deutsch­land) und wer nicht: “Schwarz-Rot-Goldener Tand aller Art erhebt sich empor und nur zwei liba­ne­si­sche, zwei paläs­ti­nen­si­sche und eine Flagge der liby­schen Rebellen stören das Bild.” schreibt Moritz Schel­len­berg in einer Refle­xion über die Ber­liner Fan­meile. Nicht nur die Prä­senz einiger nicht­deut­scher Natio­nal­fahnen in mitten tau­sender Deutsch­land­fahnen ist ihm eine Bemer­kung wert, auch auf die natio­nale Zuord­nung von „ein paar Türken”, die zusammen mit ihren „deut­schen Freun­dinnen” feiern, scheint er beson­deren Wert zu legen. Weiter beklagt er, dass es vor allem „konsumkrank[e] Ekstase“ sei, die die Men­schen in den natio­nalen Taumel ver­fallen und natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Parolen skan­dieren lasse; jedoch keine wahren Gedanken zu Status und Nation: „Es folgen Heil-Rufe und anti­se­mi­ti­sche Parolen. Diese bunte Gruppe Mit­fahrer spricht aus, was viele denken. […] Schlaf­lose Nächte bereitet der Alkohol, nicht Deutsch­land.“

Auf den so beschrie­benen „Party-Patriotismus“ kann Schel­len­berg ver­zichten, im Not­fall könne man sich auf diesen ja sowieso nicht ver­lassen: „Das Hurra des Fan­mei­len­be­su­chers ist nicht mehr der Schlachtruf mutig stür­mender Infan­terie, son­dern Orgasmus eines Genuß­süch­tigen“. Neben dem Fehlen sol­da­ti­scher Qua­li­täten moniert er noch, dass den Anwe­senden weder die Bedeu­tung ihrer „Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi“-Rufe geläufig sei, noch dass sie, „mitten im Lied begin­nend“, alle Stro­phen der deut­schen Natio­nal­hymne singen würden. Kurzum: er kri­ti­siert, dass die Fanmelidenbesucher_innen nicht wüssten, dass es sich beim „Zicke zacke“-Ausruf, um einen häufig ver­wen­deten Schlachtruf der Hit­ler­ju­gend und preu­ßi­scher Mili­ta­risten han­delt und dass sie nicht aus volle Kehle „heute gehört uns Deutsch­land, und morgen die ganze Welt“ grölen. Die deut­schen Bekennt­nisse geschehen dem­nach schlicht aus den fal­schen Gründen. Die wahre Erkenntnis, in Form des wahren Patrio­tismus, liegt einmal mehr bei der geis­tigen Elite und den Vor­kämp­fern der neuen Rechten, also Bei Schel­len­berg selbst und seines Glei­chen: „Deutsch­land bleibt da, wo um das Vater­land gerungen wird. Die wahren Patrioten sind noch immer in Schreib­stuben, Biblio­theken und an Red­ner­pulten zu suchen.“ [4]

Zuspruch für rechte Par­teien

In einem anderen Artikel äußert sich Schel­len­berg zur UK Inde­pen­dence Party (UKIP), die er als „Eng­lands neue Hoff­nung“ beti­telt. Die 1993 gegrün­dete neu­rechte Partei tritt, neben ihrem Haupt­ziel des Aus­tritts des Ver­einten König­reichs aus der EU, laut ihrem Wahl­pro­gramm für die Abschaf­fung „poli­ti­scher Kor­rekt­heit“ [5], „För­de­rung einer ein­heit­li­chen bri­ti­schen Kultur“ [6], bei gleich­zei­tiger Ableh­nung von „Mul­ti­kul­tu­ra­lismus“ [7] ein. Solche Posi­tio­nie­rungen bewogen in der Ver­gan­gen­heit immer wieder beken­nende Neo­nazis zur Mit­glied­schaft in der UKIP [8]. Ferner tritt die männ­liche Par­tei­füh­rung offen chau­vi­nis­tisch auf, und ver­sucht Frauen aus der Füh­rungs­riege fern­zu­halten. Par­tei­mit­glied God­fred Bloom (MdEP) bezieht zu dem Ver­ständnis der Frau­en­rolle klar Stel­lung: „kein Klein­un­ter­nehmer mit Selbst­ach­tung und einem Gehirn an der rich­tigen Stelle würde je eine Frau im gebär­fä­higen Alter beschäf­tigen.” [9] Zudem ist die Partei gegen gleich­ge­schlecht­liche Ehen und strebt einen Aus­tritt aus den Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­tionen und dem Genfer Flücht­lings­kon­ven­tionen als Mittel gegen „mas­sen­hafte unkon­trol­lierte Ein­wan­de­rung“ [10] an.

Schel­len­berg kom­men­tiert, dass sich die Partei bis­lang scheue, für „die Erhal­tung eth­ni­scher Kon­ti­nuität“ ein­zu­treten. „Statt­dessen prä­sen­tiert sie afri­ka­nisch– und asia­tisch­stäm­mige Kan­di­daten.” [11] Beim Begriff „eth­ni­scher Kon­ti­nuität“ han­delt es sich um eine Wort­schöp­fung der Neuen Rechten, die in ver­klau­su­lierter Form die Rein­hal­tung der eigenen „Rasse“ meint [12]. Für die Scheu der UKIP, sich offen­siver ras­sis­tisch zu posi­tio­nieren, lie­fert Schel­len­berg sogleich eine ent­lar­vende Erklä­rung: „Ange­sichts der gekippten Lage in den meisten eng­li­schen Groß­städten bleibt ihr [der UKIP] nichts anderes übrig. Ein­wan­derer sind eine mäch­tiger wer­dende Wäh­ler­gruppe und die Annahme, es gäbe über­haupt Rassen, würde den poli­ti­schen Tod bedeuten.“ [13]

Unter­stüt­zung der „Iden­ti­tären Bewe­gung“

Die „Blaue Nar­zisse“ doku­men­tiert nicht bloß rechte Strö­mungen oder bewirbt diese. Mit der ver­suchten Eta­blie­rung der soge­nannten „Iden­ti­tären Bewe­gung“ ist die „Blaue Nar­zisse“ seit 2012 am Aufbau einer sol­chen Strö­mung betei­ligt: Über ihren Mate­ri­al­ver­trieb können Mate­ria­lien der „Iden­ti­tären“ geor­dert werden und es bestehen per­so­nelle Über­schnei­dungen.

Wäh­rend die „Iden­ti­tären“ in Deutsch­land ein Dasein als Inter­net­phä­nomen fristen, ist die Bewe­gung in deren Her­kunfts­land Frank­reich eine reale Kraft. Hier orga­ni­sieren sie unter anderem Hilfe für Obdach­lose, natür­lich nur für Fran­zosen, oder besetzen Moscheen um Mus­lime öffent­lich zu demü­tigen und Medi­en­öf­fent­lich­keit zu gene­rieren. In der „Blauen Nar­zisse“ werden sie dafür als viel­ver­spre­chender Ver­such gehan­delt, die EU von rechts zu kri­ti­sieren, ohne dabei offen faschis­tisch auf­zu­treten. So ist es nur logisch, dass die „Iden­ti­tären“ auch in Schel­len­bergs Texten Erwäh­nung finden. Anfang Mai 2013 nahm er auch an ihrem bun­des­weiten Füh­rungs­treffen und an einer Aktion der „Bewe­gung“ in Berlin teil, wor­über er anschlie­ßend in der Blauen Nar­zisse berich­tete. [14] Wäh­rend des Flashmobs am Ber­liner Alex­an­der­platz trug er die Fahne der Iden­ti­tären. Sein Artikel wurde im Anschluss auf der Inter­net­seite der „Bewe­gung“ ver­öf­fent­licht.

In ihren Akti­ons­o­formen und ihrer Bild­prache gibt sich die Iden­ti­täre Bewe­gung modern, jugend­lich und darum bemüht, sich von neo­na­zis­ti­schen Posi­tionen abzu­grenzen. Ideo­lo­gisch sind sie aber ein­deutig dem neu­rechten Lager zuzu­ordnen. So schieb die Iden­ti­täre Bewe­gung Deutsch­land Ende 2012 auf ihrer Home­page: „Unsere Geschichte, unsere Heimat und unsere Kultur geben uns, was ihr uns genommen habt. Wir wollen nicht Bürger der Welt sein, denn wir sind mit unserer eigenen Heimat glück­li­cher. Wir wollen kein Ende der Geschichte, denn unsere Geschichte gibt uns keinen Grund sie zu beklagen.“ Neben ihrer neu­rechten Kul­tur­kritik pflegen sie einen Akti­vismus, der sich vor allem gegen eine ver­meint­liche Isla­mi­sie­rung Europas richtet. So trugen Akti­visten (es sind fast aus­schließ­lich junge Männer) bei ihren ersten Aktionen Schilder mit den Losungen „Zer­tanzt die Toleranz!„und „Mul­ti­kulti weg­bassen“ [15]. Sie wollen ein „Europa der Vater­länder“ und beklagen einen „anti­deut­schen Ras­sismus“.

Obgleich sich die Iden­ti­tären im Internet grö­ßerer Beliebt­heit erfreuen, ent­falten sie bis­lang bis auf der Straße kaum Außen­wir­kung. „In Berlin etwa besteht die Iden­ti­täre Bewe­gung trotz fast 250 Facebook-Freunden aus gerade mal drei Aktiven: einem Poli­zei­schüler, einem Abitu­ri­enten und Johannes S., einem Blaue-Narzisse-Autor.“ [16] Moritz Schel­len­berg und besagter Johannes Schüller kennen sich. Schüller gilt als einer der Haupt­kader der „Blauen Nari­zisse“. Bis vor kurzem lebte er noch in Berlin, wo er an der Freien Uni­ver­sität Geschichte, Ger­ma­nistik und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft stu­dierte. Im Juni 2013 zog er von Berlin-Prenzlauer Berg nach Dresden, um dort den Aufbau eines neu­rechten Schu­lungs­zen­trums, das „Zen­trum für Jugend, Iden­tität und Kultur“ zu orga­ni­sieren.

Ver­harm­lo­sung von Bur­schen­schaften

Wie gezeigt, wird die poli­ti­sche Hal­tung der rechten Schrei­ber­linge in der Blauen Nar­zisse oft subtil durch den Blick auf All­tags­phä­no­mene ver­mit­telt. Selten kommt sie derart unver­blümt zum Aus­druck, wie in Schel­len­bergs Bei­trag zum soge­nannten Bur­schentag in Eisen­nach. Es sind wohl die inner­rechten Unstim­mig­keiten um den soge­nannten „Ari­er­nach­weis“ und der sich hieran ent­zün­dende Flü­gel­streit der Deut­schen Bur­schen­schaft (DB), die Schel­len­berg deut­lich Stel­lung beziehen lassen.

So ver­harm­lost Schel­len­berg den Ras­sismus der Ver­bände in der Deut­schen Bur­schen­schaft, die sich dadurch aus­zeichnen, dass sie am „Ari­er­nach­weis“ als Auf­nah­me­kri­te­rium ihrer Bünde fest­halten, als „patrio­ti­sche Aus­rich­tung“. Auch führ den in Eise­nach zele­brierten Fackel­marsch zu Ehren der „für Deutsch­land“ in beiden Welt­kriegen gefal­lenen Bur­schen­schafter, sowie das Absingen sämt­li­cher Stro­phen des Deutsch­land­liedes, findet Schel­len­berg ein­deu­tige Worte:

„Den für Deutsch­land gefal­lenen Bur­schen­schaf­tern wurde in wür­diger Weise gedacht und abschlie­ßend das Lied der Deut­schen gesungen. Für die Pres­se­ver­treter, die unter­halb der Denk­mals war­teten, war das der gesuchte Paw­low­sche Kno­chen. Kaum ein Artikel über den Bur­schentag kommt ohne die geküns­telte Empö­rung über das ein­drucks­volle Bekenntnis zum Deutschtum aus.“ [17]

Die liberal-konservativen Bünde, die sich im Flü­gel­streit von Deut­scher Bur­schen­schaft samt „Ari­er­nach­weis“ dis­tan­zierten, bezich­tigt er hin­gegen des „opportunistische[n] Duckmäusertum[s]“, dem „keine Träne nach­ge­weint“ sei. Nach zahl­rei­chen Aus­tritten, lt. Schel­len­berg „Phase des Gesund­schrump­fens“, tri­um­phierte in Eise­nach letzt­lich der völkisch-rassistische Flügel. So heißt es in den Sta­tuten der Deut­schen Bur­schen­schaft heute: „Die deut­sche Volks­zu­ge­hö­rig­keit ist danach an ver­schie­dene Merk­male wie Abstam­mung, Sprache, Erzie­hung, Kultur und Bekenntnis geknüpft. Die Abstam­mung ist somit ein wesent­li­ches, aber nicht das allei­nige Merkmal zur Beur­tei­lung der Volks­zu­ge­hö­rig­keit.“ [18]

Am Rande seines Berichts schreibt Schel­len­berg auch über die Rede des ideo­lo­gi­schen Anti-Antifas Hans-Helmuth Knütter, „der in seinem kämp­fe­ri­schen Vor­trag die Auf­gaben der Bur­schen­schaft in einer Zeit starker Ableh­nung umriss.“ In der von Schel­len­berg gelobten Rede auf dem Bur­schentag wie­der­holt Knütter seine Auf­for­de­rung zur Geld­spende an jene, die seine anti-antifaschistische Pro­pa­ganda in die Tat umsetzen: „Eine ganz wich­tige Akti­vität ist es, Geld zu sam­meln, etwas, was auch ältere Leute tun können, denen poli­ti­sche Aktionen, Teil­nahme an Demons­tra­tionen, an Straßen– oder Saal­schlachten, nicht zuzu­muten sind.“ Den Aufruf an die alten Herren der Deut­schen Bur­schen­schaft, Nazisch­lä­ger­trupps wenigs­tens finan­ziell zu unter­stützen, hielt Knütter vor Jahren schon einmal bei der Gesell­schaft für freie Publi­zistik, wie es das Panorama-Magazin aus­drückte vor „NPD-Funktionären, gewalt­be­reiten Neo­nazis und Auschwitz-Leugnern“ [19].

Mit­glied der Ber­liner Bur­schen­schaft Arminia

Moritz Schel­len­berg schreibt nicht nur über das Bur­schen­chafts­wesen, er ist auch Mit­glied der Akti­vitas der „Ber­liner Bur­schen­schaft Arminia“. Als sich die Deut­sche Bur­schen­schaft im Jahre 2012 durch die Debatte um den soge­nannten „Ari­er­nach­weis“ zu spalten begann, gehörte die Arminia zu jenen Bur­schen­schaften, die sich deut­lich zugunsten der tra­di­tio­nellen Auf­nah­me­kri­te­rien und ihrer ras­sis­ti­schen Aus­rich­tung posi­tio­nierte. Doch nicht alle Mit­glieder wollten sich diesem völkisch-nationalen Dogma unter­werfen. So haben die „Alten Herren“ der Arminia im Sep­tember 2011 ihren Aus­tritt aus der Deut­schen Bur­schen­schaft beschlossen und sich von den Akti­vitas getrennt. Sie „können keinem Ver­band ange­hören, der sich in einer Iden­ti­täts­krise befindet und nicht in der Lage ist, „Rechte Gesin­nungen“ erfolg­reich zu bekämpfen“ [20]. Die in der Deut­schen Bur­schen­schaft ver­blie­benen Ver­bin­dungen nahmen darauf hin rasch die Opfer­rolle ein, wie sie auch in Schel­len­bergs Resumee zu Eise­nach bedient wird:

„Eine Bewe­gung, die Met­ter­nich, Hitler und Ulbricht über­lebte, wird nicht durch die­je­nigen, die jetzt Zwie­tracht und Lügen säen, fallen. Wer einmal als junger, gerade aktiv gewor­dener Fux vom Bur­schen­schafts­denkmal aus auf die Wart­burg und das schöne Land geblickt hat, der weiß, wofür er da steht. Dieses Gefühl ist der Quell, aus dem die Bur­schen­schaft, allen Feinden zum Trotz, auf­er­stehen wird.“

Dass er „Ari­er­nach­weis“ und „Deutschtum“ für erstre­bens­wert hält, daran lässt Schel­len­berg wenig Zweifel, bei seiner Zeich­nung völ­ki­scher Bur­schen­schaften als Opfer von „Zwie­tracht und Lügen“, geht er jedoch noch ein Stück weiter, denn wenn er ver­kündet, man habe bereits „Hitler über­lebt“ han­delt es sich um Geschichts­re­vi­sio­nismus in Rein­form.

Bur­schen­schaften als Opfer im NS?

Bur­schen­schaft­liche Blätter, Zen­tral­organ der Deut­schen Bur­schen­schaft, 1926:

„Was wir wollen ist die Herr­schaft des gebo­renen Füh­rers.“

„Was wir seit Jahren ersehnt und erstrebt und wofür wir im Geiste der Bur­schen­schaft von 1817 jahraus, jahrein an uns gear­beitet haben, ist Tat­sache geworden. […] Die Deut­sche Bur­schen­schaft ist lange Zeit wegen ihrer scharfen Beschlüsse in der Juden­frage ange­feindet worden […] Jetzt hat sie die Genug­tuung, daß es eine deut­sche Regie­rung gibt, die den Kampf gegen das Judentum auf der ganzen Linie auf­ge­nommen hat“ [21], mit diesen Worten bejublten die „Bur­schen­schaft­li­chen Blätter“ im März 1933 die Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­listen. Die „Bur­schen­schaft­li­chen Blätter“ fun­gierten schon damals als Sprach­rohr der Deut­schen Bur­schen­schaft, woran sich bis heute nichts geän­dert hat.

Der darin pos­tu­lierte anti­se­mi­ti­sche Jubel über die Macht­er­grei­fung der Natio­nal­so­zia­listen war nicht eben geküns­telt. Schon im Jahre 1921 stellte sich die Deut­sche Bur­schen­schaft „in der Juden­frage auf den Ras­se­stand­punkt“ und dul­dete ab da nur noch „ari­sche“ Stu­denten in ihren Reihen. Aus­serdem sollten die Mit­glieder so erzogen werden, dass „eine Heirat mit einem jüdi­schen oder far­bigen Weib aus­ge­schlossen ist […].“ [22] Die anti­se­mi­ti­sche Tra­di­tion der Ver­bände lässt sich noch weiter zuück­führen, näm­lich auf einen ihrer Grün­dungs­my­then: Schon 1817 hatten Bur­schen die Bücher und Schriften von anti­na­tio­nalen, undeut­schen und jüdi­schen Autoren ver­brannt, als sie in Eise­nach das Wart­burg­fest, den Vor­läufer der heu­tigen Bur­schen­tage, fei­erten. Auch der fran­zö­si­sche Code Civil, jenes Gesetz­buch, in dem die noch jungen Bür­ger­rechte fest­ge­schrieben waren, wurde von den Anhän­gern der anti-egalitären und anti­se­mi­ti­schen Bewe­gung den Flammen über­geben.

Wei­tere Über­schneid­gungen zum Pro­gramm der Natio­nal­so­zia­listen vor 1933 bil­dete auch der völ­ki­sche Revan­chismus der Deut­schen Bur­schen­schaft. Sie ver­trat 1922 die Ansicht, dass die „poli­ti­schen Grenzen des kom­menden Rei­ches […] die­selben sein [sollen] wie die natur­ge­ge­benen Grenzen des Volkes deut­schen Gebiets.“ Dabei ging es um die als Folge des Ersten Welt­krieges ver­lo­ren­ge­gan­genen Gebiete in Ost und West sowie um den Anschluss Öster­reichs. [23] Auch der Mili­ta­rismus, das „Bekenntnis zur Wehr­haf­tig­keit“, wel­ches die Bur­schen­schaften tra­di­tio­nell pflegten, führte schon vor der Macht­er­grei­fung zu einer großen Nähe zum NS: „Die Bur­schen­schaften, natio­nal­fa­schis­ti­sche Stu­den­ten­or­ga­ni­sa­tionen“, so schrieben die Bur­schen­schaft­li­chen Blätter 1929, hätten „die Ver­bin­dung zwi­schen den natio­nal­fa­schis­ti­schen Stu­denten einer­seits und der Reichs­wehr sowie den faschis­ti­schen Ver­bänden ande­rer­seits auf­recht­zu­er­halten und zu pflegen.“ [24]

His­to­riker bewerten daher die 1933 begon­nene, und 1935 voll­en­dete Gleich­schal­tung der Bur­schen­chaften auch als Über­tritt. Die hohe Inhalt­liche Über­schnei­dung beider Bewe­gungen habe die Bur­schen­schaften im neuen System der Natio­nal­so­zia­listen poli­tisch schlicht über­flüssig gemacht. [25] Dem­ent­spre­chend rei­bungslos ver­lief ihre Ein­glie­de­rung in den „Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Stu­den­ten­bund“. Umso per­fider ist es, wenn die damals beju­belte „Gleich­schal­tung“, die viel­mehr ein Über­tritt war, von heu­tigen Bur­schen­schaft­lern ange­führt wird, um sich auf die Seite der Opfer des Natio­nal­so­zia­lismus zu stellen, wie Schel­len­berg das in seinem Auf­satz für die „Blaue Nar­zisse“ tut.

Fazit

Stramm natio­na­lis­tisch, elitär und geschichts­re­vi­sio­nis­tisch ein­ge­stellt, sind die Bur­schen­schaften auch heute wieder Auf­fang­be­cken für völ­ki­sches, ras­sis­ti­sches und offen neo­na­zis­ti­sches Gedan­kengut. Seit einiger Zeit fangen Ver­bin­dungen ver­stäkt an, sich nicht bloß an Uni­ver­si­täten, son­dern auch an Gym­na­sien und anderen höheren Schulen zu enga­gieren. Schüler_innen sollen schon mög­lichst früh in Kon­takt mit diesen Gruppen kommen. Die „Blaue Nar­zisse“ ist ein Teil jener Stra­tegie, um Jugend­liche gezielter zu indok­tri­nieren.

Wer bei der Betrach­tung eines Fußball-Spiels als Erstes an stür­mende Infan­terie denkt, anstatt an ein gutes Match und regel­mäßig in rechten Ideologie-Schmieden wie dem Staats­po­li­ti­schen Salon ver­kehrt (Org: Institut für Staats­po­litik ver­kehrt, Leiter Götz Kubit­schek), bei dem läßt sich nur schwer vor­stellen, dass nie­mand seine Gesin­nung bemerkt. Die neu­rechte Wochen­zei­tung Junge Frei­heit zeich­nete ihn 2012 für seine Tätig­keit mit einem Nachwuchsautor_innen-Preis aus und er schreibt seit drei Jahren nach­weis­lich für die „Blaue Nar­zisse“, an deren Autor_innen-Seminaren er regel­mäßig teil­nimmt. Trotz Inter­net­zeit­alter und Google hat sich bisher nie­mand an der Primo-Levi-Schule bemü­ßigt sich zu infor­mieren und Moritz Schel­len­berg zur Rede zu stellen oder seinen Ver­weis zu for­dern. Von der Schü­ler­schaft jeden­falls hätte solch ein Vor­stoß kommen können.

Schenkt man Zei­tungs­be­richten der ver­gangen Jahre Glauben, dann wurde das Primo Levi-Gymnasium, in den 2000er Jahren von einer sozial enga­gierten Schüler_innenschaft geprägt, die vor allem im Rahmen von Bil­dungs­pro­testen starke Akti­vi­täten ent­fal­tete. Heute scheint es jedoch weder bei Schüler_innen, noch bei den Lehrer_innen dazu zu rei­chen, gegen Men­schen Posi­tion zu beziehen, die rechtes, ras­sis­ti­sches und geschichts­re­vi­sio­nis­ti­sches Gedan­kengut ver­breiten, selbst wenn sie im eigenen Klas­sen­raum sitzen. Von einer Schule, die den Namen Primo Levis trägt und sich mit dem Titel des Pro­jektes „Schule ohne Ras­sismus — Schule mit Cou­rage“ schmückt, sollte mehr zu erwarten sein.

Primo Levi-Gymnasium
Pis­to­ri­usstr. 133, 13086 Berlin (Haus A)
Woelck­pro­me­nade 38, 13086 Berlin (Haus B)
030 9290168–111 (Tel.)
030 9290168–110 (Fax.)
mail: gymnasium-weissensee@web.de

Föder­verein der Primo Levi-Schule
mail: kontakt@primolevi.de

„Schule ohne Ras­sismus — Schule mit Cou­rage“
Ahornstr. 5, 10787 Berlin
030 2145860 (Tel.)
mail: schule@aktioncourage.org

 

Exkurs: Hans-Helmuth Knütter

Der Arbeits­schwer­punkt des eme­ri­tierten Pro­fes­sors und Betrei­bers des Inter­net­por­tals „links-enttarnt“ liegt auf der The­matik „Links­ex­tre­mismus“ und seinem geschichts­re­vi­sio­nis­ti­schen Ver­hältnis zum deut­schen Faschismus. Schon in seiner Habi­li­ta­tion zog Knütter ein Fazit, indem er Jüd_innen eine Mit­schuld am Holo­caust gab. Dazu prägte Knütter maß­geb­lich den Begriff der „Faschis­mus­keule“ — im gleich­na­migen Buch plä­dierte er 1993 für einen „Schluss­strich“ unter den natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Teil der deut­schen Geschichte, der es der Gesell­schaft wieder erlauben sollte, einen posi­tiven Bezug zu „Volk“ und „Nation“ auf­zu­bauen. Anfang der neun­ziger Jahre war Knütter als Mentor eines stu­den­ti­schen „Ost-West-Arbeitskreises“ an der Uni Bonn tätig, der neo­na­zis­ti­sche Refe­renten wie den Auschwitz-Leugner David Irving einlud und Auf­tritte des Neonazi-Sängers Frank Ren­nicke orga­ni­sierte. Durch seine Mit­glied­schaften in der CDU, der Deut­schen Bur­schen­schaft und seine zahl­rei­chen Kon­takten zur Neo­na­zi­szene war Knütter lange Zeit ein wich­tiges Bin­de­glied zwi­schen kon­ser­va­tiven und neo­na­zis­ti­schen Rechten.

 

[1] „Die neuen Schul­spre­cher sind gewählt“, primolevi.de, 25. Sep­tember 2013
[2] „Junge Gewinner“, Junge Frei­heit, 30. November 2012
[3] Facebook-Mode: Nizza, meine Heimat, Blaue Nar­zisse, 17. Juli 2012
[4] „Patrioten auf der Ber­liner Fan­meile?“, Blaue Nar­zisse, 20. Juni 2012
[5] „poli­tical cor­rect­ness“ in: „Local elec­tions: What does UKIP stand for?“, bbc News, 3. Mai 2013
[6] „United Kingdom Inde­pen­dence Party / Poli­ti­sches Pro­gramm“, Wiki­pedia, letzter Aufruf 10. Mai. 2014
[7] „multiculturalism“in: „Local elec­tions: What does UKIP stand for?“, bbc News, 3. Mai 2013
[8] „Ukip can­di­date sus­pended over Nazi salute
“, The Tele­graph, 30. April 2013
[9] “UKIP man cham­pions a woman’s right to clean fri­dges”, Times Online, 20. Juli 2004
[10] „mass uncon­trolled immi­gra­tion“ „Local elec­tions: What does UKIP stand for?“, bbc News, 3. Mai 2013
[11] „Engalnds neue Hoff­nung“, Blaue Nar­zisse, 24. Juni 2013
[12] Zwi­schentag – Gip­fel­treffen in der Haupt­stadt – Rechte Eliten spinnen Netz­werk, RBB-Klartext, Oktober 2012, ab Min. 6:37
[13] „Engalnds neue Hoff­nung“, Blaue Nar­zisse, 24. Juni 2013
[14] „Iden­ti­täres Treffen in Berlin“, Blaue Nar­zisse, 8. Mai 2013
[15] „Die euro­päi­sche »iden­ti­täre Bewe­gung«“, Anti­fa­schis­ti­sches Info­blatt, 25. Februar 2013
[16] „Neu­este Rechte, Ber­liner Zei­tung, 11. November 2012
[17] „Opti­mismus in Eise­nach“, Blaue Nar­zisse, 3. Juni 2013
[18] Rechts­gut­achten, Rechts­aus­schuss der Deut­schen Bur­schen­schaft, 01/2011
[19] „Pres­se­er­klä­rung:
CDU-Mitglieder in rechts­ex­tre­mis­ti­schen Orga­ni­sa­tionen aktiv
“, Pan­orama, 6. Juni 2002
[20] „Aus­tritt der Arminia Berlin aus der Deut­schen Bur­schen­schaft“, linksunten.indymedia.org, 17. Dezember 2011
[21] Bur­schen­schaft­liche Blätter 6/1933, S. 130 u. S. 162; zitiert nach: Heike Ströle-Bühler: Stu­den­ti­scher Anti­se­mi­tismus in der Wei­marer Repu­blik. Eine Ana­lyse der Bur­schen­schaft­li­chen Blätter 1918 bis 1933. 1991, S. 112.
[22] „Unpo­li­tisch bis zum End­sieg — Stu­den­ti­sche Ver­bin­dungen als Aus­druck deut­scher Nor­ma­lität“, Eine Infor­ma­ti­ons­bro­schüre des All­ge­meinen Stu­die­ren­den­aus­schusses (AStA) der Uni Frank­furt und der auto­nomen antifa [f], November 2007, S.8
[23] ebd., S.7
[24] Heike Ströle-Bühler: Stu­den­ti­scher Anti­se­mi­tismus in der Wei­marer Repu­blik. Eine Ana­lyse der Bur­schen­schaft­li­chen Blätter 1918 bis 1933. 1991, S. 136.
[25] nach dem Bremer Sozi­al­wis­sen­schaftler Ger­hard Schäfer

Erstveröffentlichung auf Recherche & Aktion am 12. Mai 2014

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