Schule ohne Courage
Das Primo Levi-Gymnasium in Berlin-Weißensee ist nach dem italienischen Holocaustüberlebenden und Partisanen Primo Levi benannt. Es trägt den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Im deutlichen Widerspruch zu jener Namensgebung steht die Tatsache, dass einer der Autoren des neurechten Blattes „Blauen Narzisse“ hier nicht nur Schüler ist, sondern die Funktion des stellvertretenden Schulsprechers bekleidet. [1] Die Schüler– und Studentenzeitung „Blaue Narzisse“ zählt zu den bekanntesten Jugend-Publikationen der Neuen Rechten. Moritz Schellenberg schreibt seit 2010 für das Magazin und gilt als einer ihrer Nachwuchsautoren. 2012 kürte ihn die neurechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ zum Gewinner ihres Jungautorenwettbewerbs [2]. Zudem ist Schellenberg Mitglied der völkischen „Berliner Burschenschaft Arminia“ und war zeitweise als Beisitzer im Vorstand der Berliner „Schüler Union“ aktiv.
Die Neue Rechte – ein Netzwerk aus völkischen Burschenschaften, rechten Verlagen und Publikationen – setzt in Deutschland vermehrt auf die Beeinflussung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie kennt dabei wenig Berührungsängste ins militante Neonazi-Spektrum, sieht aber die Möglichkeit, die Gesellschaft nach rechts zu radikalisieren, zur Zeit mehr im Aufbau einer vermeintlich geistigen Elite, völkisch und deutschnational. Dass Schellenberg in solchen Strukturen verkehrt und dabei über ausgezeichnete Kontakte in publizistische Kreise verfügt, wo er offen rassistische und völkische Positionen vertritt, muss nicht sofort ins Auge springen. Seine Texte sind jedoch allesamt im Netz auffindbar und unter seinem Klarnamen veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund widerum ist es völlig unverständlich, dass Schellenberg erst zum langjährigen Klassensprecher, und im September 2013 zum stellvertretenden Schulsprecher des Primo Levi-Gymnasiums gewählt werden konnte.
Im Folgenden soll etwas näher auf Schellenbergs Veröffentlichungen und seine Mitgliedschaften eingegangen werden. Was Schellenberg in seinen Artikeln schreibt, steht dabei oft stellvertretend für viele gängige Aussagen der Neuen Rechten. Deshalb wird sich dieser Text auch mit diesem Phänomen beschäftigen. Schließlich ist der Fall des Primo Levi-Gymansiums nur eines von vielen Beispielen dafür, wie es der Neuen Rechten gelingt, sich „unerkannt“ in Universitäten, Schulen und anderen öffentlichen Lebensbereichen zu bewegen.
Autor der „Blauen Narzisse“
Schellenberg schreibt für die „Blauen Narzisse“ genau das, was sie ausmacht: Konservative bis völkisch-rechte Kultur– und Gesellschaftskritik. In Form von Rezensionen und Berichten meldet Schellenberg sich in der „Blauen Narzisse“ zu Wort. Seine Artikel handeln sowohl von rechten Bewegungen, als auch von scheinbaren Belanglosigkeiten wie Facebook, seinem Schulaufenthalt in England oder seinen Eindrücken von der Fanmeile in Berlin. Regelmäßig bearbeitet er dabei in seinen Anekdoten die Themenpalette neurechter Gesellschaftskritik, angefangen bei Begriffen wie Heimat, über Patriotismus, bishin zur Kommentierung tatsächlicher oder vermeintlicher politischer Entwicklungen:
So scheint es Schellenberg zu stören, dass für viele Menschen „Heimat […] heute nicht durch Geburt festgelegt, sondern […] durch eigene Entscheidungen gewählt“ wird. Ein solcher Mensch sei in „Wirklichkeit […] komplett heimatlos, weil er eine feste Identität ablehnt.“ Schellenberg selbst definiert jenen Quell „fester Identität“ für sich nicht im multikulturellen Berlin, dem er konstatiert „Synonym für Sünde, Nihilismus und Chaos“ zu sein, sondern in „Breslau“, der „Stadt meiner väterlichen Linie.“ Dass Schellenberg am Rand von Berlin aufgewachsen ist und sein Lebensmittelpunkt auch heute dort liegt, spielt keine Rolle, wichtiger scheint ihm der Bezug auf die väterliche Abstammung zu sein. [3]
Bestimmen wer Deutscher ist — auf der Fanmeile
Auch in seinem Artikel „Patrioten auf der Berliner Fanmeile?“ macht Schellenberg seine Vorstellung von Heimat stark, indem er festlegt, wer dazugehört (in diesem Fall zu Deutschland) und wer nicht: “Schwarz-Rot-Goldener Tand aller Art erhebt sich empor und nur zwei libanesische, zwei palästinensische und eine Flagge der libyschen Rebellen stören das Bild.” schreibt Moritz Schellenberg in einer Reflexion über die Berliner Fanmeile. Nicht nur die Präsenz einiger nichtdeutscher Nationalfahnen in mitten tausender Deutschlandfahnen ist ihm eine Bemerkung wert, auch auf die nationale Zuordnung von „ein paar Türken”, die zusammen mit ihren „deutschen Freundinnen” feiern, scheint er besonderen Wert zu legen. Weiter beklagt er, dass es vor allem „konsumkrank[e] Ekstase“ sei, die die Menschen in den nationalen Taumel verfallen und nationalsozialistische Parolen skandieren lasse; jedoch keine wahren Gedanken zu Status und Nation: „Es folgen Heil-Rufe und antisemitische Parolen. Diese bunte Gruppe Mitfahrer spricht aus, was viele denken. […] Schlaflose Nächte bereitet der Alkohol, nicht Deutschland.“
Auf den so beschriebenen „Party-Patriotismus“ kann Schellenberg verzichten, im Notfall könne man sich auf diesen ja sowieso nicht verlassen: „Das Hurra des Fanmeilenbesuchers ist nicht mehr der Schlachtruf mutig stürmender Infanterie, sondern Orgasmus eines Genußsüchtigen“. Neben dem Fehlen soldatischer Qualitäten moniert er noch, dass den Anwesenden weder die Bedeutung ihrer „Zicke zacke zicke zacke hoi hoi hoi“-Rufe geläufig sei, noch dass sie, „mitten im Lied beginnend“, alle Strophen der deutschen Nationalhymne singen würden. Kurzum: er kritisiert, dass die Fanmelidenbesucher_innen nicht wüssten, dass es sich beim „Zicke zacke“-Ausruf, um einen häufig verwendeten Schlachtruf der Hitlerjugend und preußischer Militaristen handelt und dass sie nicht aus volle Kehle „heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt“ grölen. Die deutschen Bekenntnisse geschehen demnach schlicht aus den falschen Gründen. Die wahre Erkenntnis, in Form des wahren Patriotismus, liegt einmal mehr bei der geistigen Elite und den Vorkämpfern der neuen Rechten, also Bei Schellenberg selbst und seines Gleichen: „Deutschland bleibt da, wo um das Vaterland gerungen wird. Die wahren Patrioten sind noch immer in Schreibstuben, Bibliotheken und an Rednerpulten zu suchen.“ [4]
Zuspruch für rechte Parteien
In einem anderen Artikel äußert sich Schellenberg zur UK Independence Party (UKIP), die er als „Englands neue Hoffnung“ betitelt. Die 1993 gegründete neurechte Partei tritt, neben ihrem Hauptziel des Austritts des Vereinten Königreichs aus der EU, laut ihrem Wahlprogramm für die Abschaffung „politischer Korrektheit“ [5], „Förderung einer einheitlichen britischen Kultur“ [6], bei gleichzeitiger Ablehnung von „Multikulturalismus“ [7] ein. Solche Positionierungen bewogen in der Vergangenheit immer wieder bekennende Neonazis zur Mitgliedschaft in der UKIP [8]. Ferner tritt die männliche Parteiführung offen chauvinistisch auf, und versucht Frauen aus der Führungsriege fernzuhalten. Parteimitglied Godfred Bloom (MdEP) bezieht zu dem Verständnis der Frauenrolle klar Stellung: „kein Kleinunternehmer mit Selbstachtung und einem Gehirn an der richtigen Stelle würde je eine Frau im gebärfähigen Alter beschäftigen.” [9] Zudem ist die Partei gegen gleichgeschlechtliche Ehen und strebt einen Austritt aus den Europäischen Menschenrechtskonventionen und dem Genfer Flüchtlingskonventionen als Mittel gegen „massenhafte unkontrollierte Einwanderung“ [10] an.
Schellenberg kommentiert, dass sich die Partei bislang scheue, für „die Erhaltung ethnischer Kontinuität“ einzutreten. „Stattdessen präsentiert sie afrikanisch– und asiatischstämmige Kandidaten.” [11] Beim Begriff „ethnischer Kontinuität“ handelt es sich um eine Wortschöpfung der Neuen Rechten, die in verklausulierter Form die Reinhaltung der eigenen „Rasse“ meint [12]. Für die Scheu der UKIP, sich offensiver rassistisch zu positionieren, liefert Schellenberg sogleich eine entlarvende Erklärung: „Angesichts der gekippten Lage in den meisten englischen Großstädten bleibt ihr [der UKIP] nichts anderes übrig. Einwanderer sind eine mächtiger werdende Wählergruppe und die Annahme, es gäbe überhaupt Rassen, würde den politischen Tod bedeuten.“ [13]
Unterstützung der „Identitären Bewegung“
Die „Blaue Narzisse“ dokumentiert nicht bloß rechte Strömungen oder bewirbt diese. Mit der versuchten Etablierung der sogenannten „Identitären Bewegung“ ist die „Blaue Narzisse“ seit 2012 am Aufbau einer solchen Strömung beteiligt: Über ihren Materialvertrieb können Materialien der „Identitären“ geordert werden und es bestehen personelle Überschneidungen.
Während die „Identitären“ in Deutschland ein Dasein als Internetphänomen fristen, ist die Bewegung in deren Herkunftsland Frankreich eine reale Kraft. Hier organisieren sie unter anderem Hilfe für Obdachlose, natürlich nur für Franzosen, oder besetzen Moscheen um Muslime öffentlich zu demütigen und Medienöffentlichkeit zu generieren. In der „Blauen Narzisse“ werden sie dafür als vielversprechender Versuch gehandelt, die EU von rechts zu kritisieren, ohne dabei offen faschistisch aufzutreten. So ist es nur logisch, dass die „Identitären“ auch in Schellenbergs Texten Erwähnung finden. Anfang Mai 2013 nahm er auch an ihrem bundesweiten Führungstreffen und an einer Aktion der „Bewegung“ in Berlin teil, worüber er anschließend in der Blauen Narzisse berichtete. [14] Während des Flashmobs am Berliner Alexanderplatz trug er die Fahne der Identitären. Sein Artikel wurde im Anschluss auf der Internetseite der „Bewegung“ veröffentlicht.
In ihren Aktionsoformen und ihrer Bildprache gibt sich die Identitäre Bewegung modern, jugendlich und darum bemüht, sich von neonazistischen Positionen abzugrenzen. Ideologisch sind sie aber eindeutig dem neurechten Lager zuzuordnen. So schieb die Identitäre Bewegung Deutschland Ende 2012 auf ihrer Homepage: „Unsere Geschichte, unsere Heimat und unsere Kultur geben uns, was ihr uns genommen habt. Wir wollen nicht Bürger der Welt sein, denn wir sind mit unserer eigenen Heimat glücklicher. Wir wollen kein Ende der Geschichte, denn unsere Geschichte gibt uns keinen Grund sie zu beklagen.“ Neben ihrer neurechten Kulturkritik pflegen sie einen Aktivismus, der sich vor allem gegen eine vermeintliche Islamisierung Europas richtet. So trugen Aktivisten (es sind fast ausschließlich junge Männer) bei ihren ersten Aktionen Schilder mit den Losungen „Zertanzt die Toleranz!„und „Multikulti wegbassen“ [15]. Sie wollen ein „Europa der Vaterländer“ und beklagen einen „antideutschen Rassismus“.
Obgleich sich die Identitären im Internet größerer Beliebtheit erfreuen, entfalten sie bislang bis auf der Straße kaum Außenwirkung. „In Berlin etwa besteht die Identitäre Bewegung trotz fast 250 Facebook-Freunden aus gerade mal drei Aktiven: einem Polizeischüler, einem Abiturienten und Johannes S., einem Blaue-Narzisse-Autor.“ [16] Moritz Schellenberg und besagter Johannes Schüller kennen sich. Schüller gilt als einer der Hauptkader der „Blauen Narizisse“. Bis vor kurzem lebte er noch in Berlin, wo er an der Freien Universität Geschichte, Germanistik und Literaturwissenschaft studierte. Im Juni 2013 zog er von Berlin-Prenzlauer Berg nach Dresden, um dort den Aufbau eines neurechten Schulungszentrums, das „Zentrum für Jugend, Identität und Kultur“ zu organisieren.
Verharmlosung von Burschenschaften
Wie gezeigt, wird die politische Haltung der rechten Schreiberlinge in der Blauen Narzisse oft subtil durch den Blick auf Alltagsphänomene vermittelt. Selten kommt sie derart unverblümt zum Ausdruck, wie in Schellenbergs Beitrag zum sogenannten Burschentag in Eisennach. Es sind wohl die innerrechten Unstimmigkeiten um den sogenannten „Ariernachweis“ und der sich hieran entzündende Flügelstreit der Deutschen Burschenschaft (DB), die Schellenberg deutlich Stellung beziehen lassen.
So verharmlost Schellenberg den Rassismus der Verbände in der Deutschen Burschenschaft, die sich dadurch auszeichnen, dass sie am „Ariernachweis“ als Aufnahmekriterium ihrer Bünde festhalten, als „patriotische Ausrichtung“. Auch führ den in Eisenach zelebrierten Fackelmarsch zu Ehren der „für Deutschland“ in beiden Weltkriegen gefallenen Burschenschafter, sowie das Absingen sämtlicher Strophen des Deutschlandliedes, findet Schellenberg eindeutige Worte:
„Den für Deutschland gefallenen Burschenschaftern wurde in würdiger Weise gedacht und abschließend das Lied der Deutschen gesungen. Für die Pressevertreter, die unterhalb der Denkmals warteten, war das der gesuchte Pawlowsche Knochen. Kaum ein Artikel über den Burschentag kommt ohne die gekünstelte Empörung über das eindrucksvolle Bekenntnis zum Deutschtum aus.“ [17]
Die liberal-konservativen Bünde, die sich im Flügelstreit von Deutscher Burschenschaft samt „Ariernachweis“ distanzierten, bezichtigt er hingegen des „opportunistische[n] Duckmäusertum[s]“, dem „keine Träne nachgeweint“ sei. Nach zahlreichen Austritten, lt. Schellenberg „Phase des Gesundschrumpfens“, triumphierte in Eisenach letztlich der völkisch-rassistische Flügel. So heißt es in den Statuten der Deutschen Burschenschaft heute: „Die deutsche Volkszugehörigkeit ist danach an verschiedene Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur und Bekenntnis geknüpft. Die Abstammung ist somit ein wesentliches, aber nicht das alleinige Merkmal zur Beurteilung der Volkszugehörigkeit.“ [18]
Am Rande seines Berichts schreibt Schellenberg auch über die Rede des ideologischen Anti-Antifas Hans-Helmuth Knütter, „der in seinem kämpferischen Vortrag die Aufgaben der Burschenschaft in einer Zeit starker Ablehnung umriss.“ In der von Schellenberg gelobten Rede auf dem Burschentag wiederholt Knütter seine Aufforderung zur Geldspende an jene, die seine anti-antifaschistische Propaganda in die Tat umsetzen: „Eine ganz wichtige Aktivität ist es, Geld zu sammeln, etwas, was auch ältere Leute tun können, denen politische Aktionen, Teilnahme an Demonstrationen, an Straßen– oder Saalschlachten, nicht zuzumuten sind.“ Den Aufruf an die alten Herren der Deutschen Burschenschaft, Nazischlägertrupps wenigstens finanziell zu unterstützen, hielt Knütter vor Jahren schon einmal bei der Gesellschaft für freie Publizistik, wie es das Panorama-Magazin ausdrückte vor „NPD-Funktionären, gewaltbereiten Neonazis und Auschwitz-Leugnern“ [19].
Mitglied der Berliner Burschenschaft Arminia
Moritz Schellenberg schreibt nicht nur über das Burschenchaftswesen, er ist auch Mitglied der Aktivitas der „Berliner Burschenschaft Arminia“. Als sich die Deutsche Burschenschaft im Jahre 2012 durch die Debatte um den sogenannten „Ariernachweis“ zu spalten begann, gehörte die Arminia zu jenen Burschenschaften, die sich deutlich zugunsten der traditionellen Aufnahmekriterien und ihrer rassistischen Ausrichtung positionierte. Doch nicht alle Mitglieder wollten sich diesem völkisch-nationalen Dogma unterwerfen. So haben die „Alten Herren“ der Arminia im September 2011 ihren Austritt aus der Deutschen Burschenschaft beschlossen und sich von den Aktivitas getrennt. Sie „können keinem Verband angehören, der sich in einer Identitätskrise befindet und nicht in der Lage ist, „Rechte Gesinnungen“ erfolgreich zu bekämpfen“ [20]. Die in der Deutschen Burschenschaft verbliebenen Verbindungen nahmen darauf hin rasch die Opferrolle ein, wie sie auch in Schellenbergs Resumee zu Eisenach bedient wird:
„Eine Bewegung, die Metternich, Hitler und Ulbricht überlebte, wird nicht durch diejenigen, die jetzt Zwietracht und Lügen säen, fallen. Wer einmal als junger, gerade aktiv gewordener Fux vom Burschenschaftsdenkmal aus auf die Wartburg und das schöne Land geblickt hat, der weiß, wofür er da steht. Dieses Gefühl ist der Quell, aus dem die Burschenschaft, allen Feinden zum Trotz, auferstehen wird.“
Dass er „Ariernachweis“ und „Deutschtum“ für erstrebenswert hält, daran lässt Schellenberg wenig Zweifel, bei seiner Zeichnung völkischer Burschenschaften als Opfer von „Zwietracht und Lügen“, geht er jedoch noch ein Stück weiter, denn wenn er verkündet, man habe bereits „Hitler überlebt“ handelt es sich um Geschichtsrevisionismus in Reinform.
Burschenschaften als Opfer im NS?
Burschenschaftliche Blätter, Zentralorgan der Deutschen Burschenschaft, 1926:
„Was wir wollen ist die Herrschaft des geborenen Führers.“
„Was wir seit Jahren ersehnt und erstrebt und wofür wir im Geiste der Burschenschaft von 1817 jahraus, jahrein an uns gearbeitet haben, ist Tatsache geworden. […] Die Deutsche Burschenschaft ist lange Zeit wegen ihrer scharfen Beschlüsse in der Judenfrage angefeindet worden […] Jetzt hat sie die Genugtuung, daß es eine deutsche Regierung gibt, die den Kampf gegen das Judentum auf der ganzen Linie aufgenommen hat“ [21], mit diesen Worten bejublten die „Burschenschaftlichen Blätter“ im März 1933 die Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die „Burschenschaftlichen Blätter“ fungierten schon damals als Sprachrohr der Deutschen Burschenschaft, woran sich bis heute nichts geändert hat.
Der darin postulierte antisemitische Jubel über die Machtergreifung der Nationalsozialisten war nicht eben gekünstelt. Schon im Jahre 1921 stellte sich die Deutsche Burschenschaft „in der Judenfrage auf den Rassestandpunkt“ und duldete ab da nur noch „arische“ Studenten in ihren Reihen. Ausserdem sollten die Mitglieder so erzogen werden, dass „eine Heirat mit einem jüdischen oder farbigen Weib ausgeschlossen ist […].“ [22] Die antisemitische Tradition der Verbände lässt sich noch weiter zuückführen, nämlich auf einen ihrer Gründungsmythen: Schon 1817 hatten Burschen die Bücher und Schriften von antinationalen, undeutschen und jüdischen Autoren verbrannt, als sie in Eisenach das Wartburgfest, den Vorläufer der heutigen Burschentage, feierten. Auch der französische Code Civil, jenes Gesetzbuch, in dem die noch jungen Bürgerrechte festgeschrieben waren, wurde von den Anhängern der anti-egalitären und antisemitischen Bewegung den Flammen übergeben.
Weitere Überschneidgungen zum Programm der Nationalsozialisten vor 1933 bildete auch der völkische Revanchismus der Deutschen Burschenschaft. Sie vertrat 1922 die Ansicht, dass die „politischen Grenzen des kommenden Reiches […] dieselben sein [sollen] wie die naturgegebenen Grenzen des Volkes deutschen Gebiets.“ Dabei ging es um die als Folge des Ersten Weltkrieges verlorengegangenen Gebiete in Ost und West sowie um den Anschluss Österreichs. [23] Auch der Militarismus, das „Bekenntnis zur Wehrhaftigkeit“, welches die Burschenschaften traditionell pflegten, führte schon vor der Machtergreifung zu einer großen Nähe zum NS: „Die Burschenschaften, nationalfaschistische Studentenorganisationen“, so schrieben die Burschenschaftlichen Blätter 1929, hätten „die Verbindung zwischen den nationalfaschistischen Studenten einerseits und der Reichswehr sowie den faschistischen Verbänden andererseits aufrechtzuerhalten und zu pflegen.“ [24]
Historiker bewerten daher die 1933 begonnene, und 1935 vollendete Gleichschaltung der Burschenchaften auch als Übertritt. Die hohe Inhaltliche Überschneidung beider Bewegungen habe die Burschenschaften im neuen System der Nationalsozialisten politisch schlicht überflüssig gemacht. [25] Dementsprechend reibungslos verlief ihre Eingliederung in den „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund“. Umso perfider ist es, wenn die damals bejubelte „Gleichschaltung“, die vielmehr ein Übertritt war, von heutigen Burschenschaftlern angeführt wird, um sich auf die Seite der Opfer des Nationalsozialismus zu stellen, wie Schellenberg das in seinem Aufsatz für die „Blaue Narzisse“ tut.
Fazit
Stramm nationalistisch, elitär und geschichtsrevisionistisch eingestellt, sind die Burschenschaften auch heute wieder Auffangbecken für völkisches, rassistisches und offen neonazistisches Gedankengut. Seit einiger Zeit fangen Verbindungen verstäkt an, sich nicht bloß an Universitäten, sondern auch an Gymnasien und anderen höheren Schulen zu engagieren. Schüler_innen sollen schon möglichst früh in Kontakt mit diesen Gruppen kommen. Die „Blaue Narzisse“ ist ein Teil jener Strategie, um Jugendliche gezielter zu indoktrinieren.
Wer bei der Betrachtung eines Fußball-Spiels als Erstes an stürmende Infanterie denkt, anstatt an ein gutes Match und regelmäßig in rechten Ideologie-Schmieden wie dem Staatspolitischen Salon verkehrt (Org: Institut für Staatspolitik verkehrt, Leiter Götz Kubitschek), bei dem läßt sich nur schwer vorstellen, dass niemand seine Gesinnung bemerkt. Die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit zeichnete ihn 2012 für seine Tätigkeit mit einem Nachwuchsautor_innen-Preis aus und er schreibt seit drei Jahren nachweislich für die „Blaue Narzisse“, an deren Autor_innen-Seminaren er regelmäßig teilnimmt. Trotz Internetzeitalter und Google hat sich bisher niemand an der Primo-Levi-Schule bemüßigt sich zu informieren und Moritz Schellenberg zur Rede zu stellen oder seinen Verweis zu fordern. Von der Schülerschaft jedenfalls hätte solch ein Vorstoß kommen können.
Schenkt man Zeitungsberichten der vergangen Jahre Glauben, dann wurde das Primo Levi-Gymnasium, in den 2000er Jahren von einer sozial engagierten Schüler_innenschaft geprägt, die vor allem im Rahmen von Bildungsprotesten starke Aktivitäten entfaltete. Heute scheint es jedoch weder bei Schüler_innen, noch bei den Lehrer_innen dazu zu reichen, gegen Menschen Position zu beziehen, die rechtes, rassistisches und geschichtsrevisionistisches Gedankengut verbreiten, selbst wenn sie im eigenen Klassenraum sitzen. Von einer Schule, die den Namen Primo Levis trägt und sich mit dem Titel des Projektes „Schule ohne Rassismus — Schule mit Courage“ schmückt, sollte mehr zu erwarten sein.
Primo Levi-Gymnasium
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030 9290168–110 (Fax.)
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Föderverein der Primo Levi-Schule
mail: kontakt@primolevi.de
„Schule ohne Rassismus — Schule mit Courage“
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030 2145860 (Tel.)
mail: schule@aktioncourage.org
Exkurs: Hans-Helmuth Knütter
Der Arbeitsschwerpunkt des emeritierten Professors und Betreibers des Internetportals „links-enttarnt“ liegt auf der Thematik „Linksextremismus“ und seinem geschichtsrevisionistischen Verhältnis zum deutschen Faschismus. Schon in seiner Habilitation zog Knütter ein Fazit, indem er Jüd_innen eine Mitschuld am Holocaust gab. Dazu prägte Knütter maßgeblich den Begriff der „Faschismuskeule“ — im gleichnamigen Buch plädierte er 1993 für einen „Schlussstrich“ unter den nationalsozialistischen Teil der deutschen Geschichte, der es der Gesellschaft wieder erlauben sollte, einen positiven Bezug zu „Volk“ und „Nation“ aufzubauen. Anfang der neunziger Jahre war Knütter als Mentor eines studentischen „Ost-West-Arbeitskreises“ an der Uni Bonn tätig, der neonazistische Referenten wie den Auschwitz-Leugner David Irving einlud und Auftritte des Neonazi-Sängers Frank Rennicke organisierte. Durch seine Mitgliedschaften in der CDU, der Deutschen Burschenschaft und seine zahlreichen Kontakten zur Neonaziszene war Knütter lange Zeit ein wichtiges Bindeglied zwischen konservativen und neonazistischen Rechten.
[1] „Die neuen Schulsprecher sind gewählt“, primolevi.de, 25. September 2013
[2] „Junge Gewinner“, Junge Freiheit, 30. November 2012
[3] Facebook-Mode: Nizza, meine Heimat, Blaue Narzisse, 17. Juli 2012
[4] „Patrioten auf der Berliner Fanmeile?“, Blaue Narzisse, 20. Juni 2012
[5] „political correctness“ in: „Local elections: What does UKIP stand for?“, bbc News, 3. Mai 2013
[6] „United Kingdom Independence Party / Politisches Programm“, Wikipedia, letzter Aufruf 10. Mai. 2014
[7] „multiculturalism“in: „Local elections: What does UKIP stand for?“, bbc News, 3. Mai 2013
[8] „Ukip candidate suspended over Nazi salute
“, The Telegraph, 30. April 2013
[9] “UKIP man champions a woman’s right to clean fridges”, Times Online, 20. Juli 2004
[10] „mass uncontrolled immigration“ „Local elections: What does UKIP stand for?“, bbc News, 3. Mai 2013
[11] „Engalnds neue Hoffnung“, Blaue Narzisse, 24. Juni 2013
[12] Zwischentag – Gipfeltreffen in der Hauptstadt – Rechte Eliten spinnen Netzwerk, RBB-Klartext, Oktober 2012, ab Min. 6:37
[13] „Engalnds neue Hoffnung“, Blaue Narzisse, 24. Juni 2013
[14] „Identitäres Treffen in Berlin“, Blaue Narzisse, 8. Mai 2013
[15] „Die europäische »identitäre Bewegung«“, Antifaschistisches Infoblatt, 25. Februar 2013
[16] „Neueste Rechte, Berliner Zeitung, 11. November 2012
[17] „Optimismus in Eisenach“, Blaue Narzisse, 3. Juni 2013
[18] Rechtsgutachten, Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft, 01/2011
[19] „Presseerklärung:
CDU-Mitglieder in rechtsextremistischen Organisationen aktiv“, Panorama, 6. Juni 2002
[20] „Austritt der Arminia Berlin aus der Deutschen Burschenschaft“, linksunten.indymedia.org, 17. Dezember 2011
[21] Burschenschaftliche Blätter 6/1933, S. 130 u. S. 162; zitiert nach: Heike Ströle-Bühler: Studentischer Antisemitismus in der Weimarer Republik. Eine Analyse der Burschenschaftlichen Blätter 1918 bis 1933. 1991, S. 112.
[22] „Unpolitisch bis zum Endsieg — Studentische Verbindungen als Ausdruck deutscher Normalität“, Eine Informationsbroschüre des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Uni Frankfurt und der autonomen antifa [f], November 2007, S.8
[23] ebd., S.7
[24] Heike Ströle-Bühler: Studentischer Antisemitismus in der Weimarer Republik. Eine Analyse der Burschenschaftlichen Blätter 1918 bis 1933. 1991, S. 136.
[25] nach dem Bremer Sozialwissenschaftler Gerhard Schäfer
Erstveröffentlichung auf Recherche & Aktion am 12. Mai 2014
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