Nazi-Attacken in Berlin

25. August 2012 | Nazis auf die Pelle rücken

Nazis in Süd-Ost Berlin fühlen sich offenbar in der Defensive und reagieren auf kontinuierlicher werdende antifaschistische Präsenz in ihrer vermeintlichen rechten „Homezone“ mit Angriffen auf Einrichtungen und Wohnungen von Engagierten.

Ein aktueller Stand

Das der süd-östliche Berliner Ortsteil Schöneweide in Treptow-Köpenick von Nazis als Rückzugsraum wahrgenommen wird, ist keine Neuigkeit. Auch nicht, das die Nazis nicht zufällig gerade hier mit der Kneipe „Zum Henker“ und dem Laden „Hexogen“ über zwei zentrale Eckpfeiler der regionalen Szenestrukturen verfügen. Ende letzten Jahres veröffentlichten Antifaschist_innen zudem Erkenntnisse, dass die rechte Szene nicht nur versucht, ihre Strukturen auszubauen, sondern auch die Nähe zum rechtslastigen örtlichen Chapter des „Gremium MC“ sucht.

Dagegen versuchen Antifaschist_innen nicht erst seit diesem Jahr mit kontinuierlicher Arbeit vor Ort vorzugehen, verstärkten ihre Aktivitäten dahingehend jedoch. So fanden mehrere Kundgebungen und Demonstrationen statt, wurden Konzerte, Festivals und ein Skate-Jam veranstaltet, wird Druck auf den Vermieter des „Henkers“ gemacht und finden regelmäßige Informationsveranstaltungen und antifaschistische Abkratzspaziergänge gegen rechte Propaganda statt. Ein Ende ist dahingehend nicht in Sicht.

Staat und Justiz: Der Feind steht Links

Dass sich dabei nicht auf Staat und Justiz verlassen werden kann, ist auch keine neue Entwicklung, aber beweisen fragwürdige Urteile der jüngsten Zeit mal wieder: Das Berliner Landgericht entschied, dass Schmidtkes Laden „Hexogen“ kein Konfliktpotential habe, weil lediglich „paramilitärische Ausrüstungsgegenstände“ angeboten werden, und somit bleiben darf.
Ein Verfahren gegen Frontbann-24 Chef Uwe Dreisch und seinen „Liedermacher“-Sohn Gordon Bodo Dreisch (nennt sicht selbst „Midgards Stimme“) endete mit geringen Bewährungsstrafen, dank eines Deals mit dem Gericht.
Und eine Verfahren gegen den ehemaligen „Hexogen“-Mitarbeiter und Gremium-Nachwuchsrocker David Eichner, „Freie Nationalisten Mitte“-Nazi Christian Schmidt und weiteren endete in Freisprüchen, weil die Bullen bei ihren Aussagen der Phantasie freien Lauf ließen. Die Gruppe der Nazis wollte am 27. Juni 2011 unweit des „Henkers“ Zivibullen angreifen, weil sie diese für Linke hielten.

Zudem zeigt das Verhalten der Polizei bei den Veranstaltungen vor Ort, dass der Feind offenbar Links steht. Während Nazis vermummt Antifa-Demos aus ihren Objekten provozieren und abfilmen, die Polizei aber lediglich Antifaschist_innen unter fadenscheinigen Begründungen festnimmt, ist schon länger traurige Realität in Berlin.
Dass trotz massiver Polizeipräsenz größere Gruppen von Nazis bis zum Uffmucken-Festival gelangen konnten, die Bullen aber erst einschreiten, als Antifas den Selbstschutz organisierten, aber dann nur nach „vermummten Linken“ suchten, spricht für sich.
Aber auch bei bürgerlichen Veranstaltungen wie dem „Fest für Demokratie“ am S-Bahnhof wird nicht gegen rechte Störer vorgegangen: Standbetreuer_innen werden unter anderem von David Eichner angepöbelt und Teilnehmer_innen angespuckt und bedroht, doch als die Beamten sich dann zu der Situation bequemten, wollten sie stattdessen ersteinmal einem Journalisten das Fotografieren verbieten – während die Nazis ungestört weiter über das Fest flanieren können.

Anschläge auf Engagierte

Allerdings kann die rechte Szene auch nicht zufrieden sein, denn alle ihre Gegenaktionen sind entweder gescheitert oder fanden trotz vollmundiger Ankündigungen garnicht erst statt. Nachdem die örtliche rechte Szene offenbar eingesehen hat, nicht adäquat auf die antifaschistische Präsenz reagieren zu können, scheint sich nun eine neue Vorgehensweise durchzusetzen. Anstatt zu versuchen, auf die Veranstaltungen selber Einfluss zu nehmen oder zu stören, werden nunmehr örtliche Einrichtungen und Wohnorte von engagierten Nazigegnern angegangen.
So wurde Anfang des Monats ein Fenster und der Briefkasten vom Juso-Landesvize in Johannisthal beschädigt. Gestern Nacht traf es dann den BVV-Politiker und Sprecher des örtlichen „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ Hans Erxleben: Auch sein Briefkasten wurde gesprengt und ein Stein gegen das Wohnzimmerfenster geschmissen.
Zudem wurde der Juso-Treffpunkt „Ansprechbar“ in Oberschöneweide in dieser Woche gleich zweimal angegriffen, und jeweils Scheiben beschädigt. Außerdem besprühte ein Vermummter Nazi einen Passanten in Johannisthal, der NPD-Plakate entfernte. Als vergangenen Montag Treptower Jusos in Schöneweide Flugblätter verteilen wollten, tauchten vier Nazis am Treffpunkt auf und bedrohten die Gruppe. Auch das HdJK wurde angegriffen, dabei stellte sich aber einer der Täter, Alf Börm, so dämlich an, dass er seine komplette Brieftasche am Tatort verlor.

Die Spur führt zu Julian Beyer

Das spezifische Vorgehen bei den Anschlägen auf die Privatwohnungen engt den Täterkreis ziemlich ein. Bekannt ist es aus dem NPD-Wahlkampf letzten Jahres. Als eine Frau NPD-Verteilern untersagte, Propaganda in ihren Briefkasten zu stecken, wird sie angepöbelt und bedroht. Mitte November 2011 wurden ihr dann die Scheiben eingeworfen und der Briefkasten gesprengt. Damals war in Neukölln Julian Beyer (19.4.1990) für die NPD im Wahlkampf aktiv. Er kandidierte sogar auf der Bezirksliste. Dabei kam es noch zu anderen Zwischenfällen, bei der Beyer gewalttätig auffiel und Menschen mit Messern bedrohte. Schon zu Wahlkampfzeiten war Julian Beyer in Johannisthal (Sterndamm 232) gemeldet, kandidierte aber noch in seinem früheren Heimatbezirk. Nach der Wahl ist Johannisthal für ihn zum Tätigkeitsschwerpunkt geworden, wie an Schmierereien und Aufklebern unschwer festzustellen ist.
Und mit ihm zog die Aktionsform um.

Am 29. Mai 2012 attackierte er in der Springbornstraße junge Linke, die rassistische NPD-Plakate und –Aufkleber entfernten, die hundertfach von Neonazis im Neubaugebiet rund um die Springbornstraße verklebt wurden. Als in Reaktion auf den Angriff ein Kiezspaziergang stattfand, um die Propaganda zu entfernen und Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen, versuchte Beyer noch mit weiteren Neonazis die Engagierten anzugreifen, floh allerdings in die Arme der Polizei, als er merkte, dass die Gruppe bereit war, sich zu wehren.
Als Anfang August ein weiter antifaschistischer Kiezspaziergang angesetzt wurde, folgte die Tat auf den Juso-Vize nach dem bekannten Muster - Briefkasten gesprengt und Fenster eingeworfen. Auch Erxleben beteiligte sich an den Kiezspaziergängen und gab Pressestatements als Vertreter des „Bündnis für Demokratie und Toleranz“. Offenbar deswegen wurde ihm nun der Briefkasten gesprengt und ein Fenster eingeworfen

Kein unbeschriebenes Blatt

Beyer ist kein unbeschriebenes Blatt, sondern seit längerem gewalttätiger Neonazi. Zusammen mit Sebastian Thom attackierten die beiden, mit Messern und Pfefferspray bewaffnet, im Wahlkampf letztes Jahr Antifaschist_innen. Der verurteilte Brandstifter stiftete 2008 Kameraden zu Molotow-Cocktail Angriffen auf Wohnhäuser von Menschen mit Migrationshintergrund an. Ebenfalls 2008 griff Beyer am Rande einer NPD-Veranstaltung einen Journalisten an. Schon 2006 war er Teil einer Gruppe von Nazis, die einen brutalen Angriff auf einen Jugendlichen aufgrund seiner Hautfarbe verübten.

Jetzt erst Recht – Keinen Fussbreit den Faschisten

In Reaktion auf die zunehmenden Angriffe findet am kommenden Montag eine Kundgebung aus Solidarität mit den Betroffenen am S-Bahnhof Schöneweide statt. In einem Aufruf heißt es „Nach einem erneuten neonazistischen Anschlag und Einschüchterungsversuche rufen Zivilgesellschaft, Parteien und antifaschistische Gruppen zu einer Solidaritätskundgebung am Montag, den 27. August um 17.30 Uhr am S-Bahnhof Berlin-Schöneweide auf.“

Zudem ist seit einiger Zeit eine antifaschistische Fahrradtour geplant, unter dem Motto „Uffsatteln gegen Nazis! Fahrradtour gegen Nazistrukturen und Rassismus in Schöneweide und Köpenick!“ Im Aufruf heißt es, „Die Brückenstraße zwischen S-Bahnhof und Treskowbrücke ist zum Synonym für das Streben der Naziszene nach Vorherrschaft auf der Straße und in den Kiezen geworden“, allerdings sind die beiden Orte nicht die einzigen Einrichtungen von Nazis im Bezirk. Wohl bekannteste Neonaziimmobilie im Bezirk ist die Bundeszentrale der NPD in der Seelenbinder Straße. „Doch nicht nur die organisierte und offen auftretende Neonaziszene ist ein Problem. Auch „ganz normale“ Geschäfte und Kneipen sympathisieren mit den Neonazis oder können gar als rechtsoffen eingestuft werden“, heißt es in dem Aufruf. Aus diesem Grund sollen die rechten Läden und Treffpunkte mit einer Fahrradtour abgefahren werden und vor Ort Protest artikuliert bekommen.
Teffpunkt ist auch hier am S-Bhf. Berlin-Schöneweide/ Cajamarcaplatz, am Samstag, 8. September 2012 um 15 Uhr

Initiativen aktiv in Schöneiwede:

Uffmucken Schöneweide - http://www.uffmucken-schoeneweide.de/
Turn Left - Smash Right! - /auf-die-pelle-ruecken/
Bündnis für Demokratie und Toleranz - http://www.demokratie-tk.de/

Erstveröffentlichung auf Indymedia am 23. August 2012