Anti-Antifa Schaulaufen in Berlin-Karlshorst
Nach jeder nächtlichen neonazistischen Gewalttour gegen linke und alternative Strukturen in Berlin - vor allem Neukölln und Kreuzberg - stehen die Fragen im Raum. Wer sind die Täter? Und woher kennen sie ihre Ziele? Beide Antworten sind in Berliner Anti-Antifa-Strukturen zu suchen. Als solche bezeichnen sich Neonazi-Zusammenhänge, welche Antifaschist_innen und bürgerliche Gegner wie Lokalpolitiker und Journalisten ausspähen, diese Informationen dann zum Teil veröffentlichen und als Resultat ihrer Arbeit dann ihre Gegner terrorisieren.
Um zu verstehen wie die Neonazis an ihre Daten kommen, muss man nicht lange rätseln. Zum einen fallen Berliner Neonazis immer wieder bei Ausspähversuchen antifaschistische Veranstaltungen auf. So beispielsweise die bekannten Neonaziaktivisten Roland Scholz und Stephan Alex bei einer 8. Mai Feier im Treptower Park. Dazu kommt ein bisschen im Stressfaktor blättern und Spezialagent „Fire Fox“. Ergiebiger ist allerdings das Abgrasen von Namen und Adressen von Linken bei Gerichtsprozessen. Relativ dummdreist werden diese dann postwendend auf die Internetpräsenz des „Nationaler Widerstand“ Berlin gesetzt. Das Motto hier: „Linke haben Namen und Adressen“. Hierbei gerieren sich die autonom-nationalistischen Systemfeinde, um Björn Wild und Sebastian Schmidtke (nebenbei auch NPD/JN), dann als Chronisten linker Kriminalität. Soweit so simpel.
Der letzte Rest haut auf den Putz
Roland Scholz war am 13. November 2010 mit zwei weiteren Neonazis – David Gudra und Sebastian Dahl – in Lichtenberg unterwegs. Dort fand ein Rundgang zu ehemaligen jüdischem Leben statt. Die drei Neonazis bauten sich gegenüber den Teilnehmenden auf und Dahl fertigte Fotos von diesen an. In ähnlicher personeller Zusammensetzung war wenige Wochen zuvor auch ein zivilgesellschaftliches Fest in Hellersdorf ausgespäht worden. Auch wenn im Einzelfall der Fakt, dass für eine Aktion von Neonazis in Lichtenberg Aktivisten aus drei verschiedenen Bezirken zusammengeholt werden müssen eher für Belustigung sorgt, ist die berlinweite Vernetzung von Anti-Antifa-Strukturen aufmerksam zu verfolgen. Anschläge, wie der auf das M99 sind das Resultat einer solchen Entwicklung.
David Gudra ist seid 2004 in der Lichtenberger Neonaziszene unterwegs. 2005 fiel er zum ersten Mal dabei auf, als er mit weiteren Neonazis versuchte, die Teilnehmer einer Antifa-Kundgebung zu fotografieren. Seitdem zählte er zu einer Lichtenberger Clique, die für mehrere gewalttätige Angriffe gegen Linke und Migranten, aber eben auch für Ausspähaktionen gegen linke Strukturen verantwortlich war. David Gudra ist einer der Prozessbeobachter und Fotografen, die von Polizei und Justiz ungestört die Seite „nw-berlin“ mit Namen und Bildern füttert. Eine Liste linker Locations in verschiedenen Berliner Bezirken, nennt auch die angegriffenen Objekte in Kreuzberg und Neukölln. Noch ergiebiger, als jeden Provinzpunk zu outen, der mal mit der Polizei in Konflikt geriet, ist es natürlich selbst Ermittlungen zu provozieren. Ein Foto des jeweiligen politischen Gegners seiner Wahl mit zur Polizei nehmen ... fertig. Auf den Geschmack dürften die Neonazi-Datensammler hier erst durch die Berliner Polizei gekommen sein. Wurde Antifaschisten vorgeworfen Neonazis entgegen deren Willen im Bild abgebildet zu haben, nahm das Berliner LKA von sich aus Kontakt mit den abgebildeten Neonazis auf, gab ihnen die Namen der Beschuldigten und riet ihnen Anzeige zu erstatten.
Die Masche hat mittlerweile – spätestens seit dem „Matti-Fall“ - Methode. Auch der Neonazi Roland Scholz (oder auch mal Cornelia Berger und Manuela Tönhardt von der NPD Lichtenberg) beschuldigten willkürlich ihnen bekannte Antifaschist_innen einer Straftat. Auch wenn es hier zu Freisprüchen kommt, gelingt ihnen mittels der Polizei, diese dann zu terrorisieren. Mitunter fanden sich praktischerweise die Parole "nw-berlin.net" an den Tatorten. Offenbar sind es genau die Personen, die in der zurückliegenden Zeit angezeigt wurden, welche an ihren Meldeanschriften Morddrohungen und ähnliches feststellen konnten, wenn die Berliner Jungneonazis mal wieder von Neukölln nach Kreuzberg gezogen sind. Auch die Spur des Brandanschlags auf ein Wohnhaus in dem sich der Infoladen M99 befindet, führt zurück zu Roland Scholz und seinen Begleitern.
Eine Experte für versuchten Mord und Feuerlegen ist zurück ...
Der dritte im Bunde - Sebastian Dahl - war erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen worden, wo er eine langjährige Haftstrafe wegen versuchten Mordes mittels Brandanschlägen absaß. Er hatte 2001 zusammen mit anderen Molotov-Cocktails in Richtung der Bühne eines antirassistischen Festivals in Königs Wusterhausen (KW) geworfen, auf der mehrere Personen schliefen. Nach seiner Haft fand er nahtlos wieder Anschluss an die Berliner Neonaziszene. Eine Kanzlei, welche auch die Geschädigten seiner Gewalttaten vertrat, wurde bei der letzten Anschlagstour ebenfalls attackiert.
Auf Konspirativität und Zurückhaltung muss Sebastian Dahl mittlerweile nicht mehr achten und so machte er erst kürzlich mit einer Grußbotschaft für seine „Kameraden“ in Rußland (die nach Eigenangaben “Autos anzünden, Kraftwerke sprengen, Beamte ermorden und andere Verbrechen begehen” zu ihren Politikformen zählen) von sich reden. (Quelle: www.blog.schattenbericht.de/2010/11/berliner-neonazi-solidarisiert-sich-...)
Im Zuge eines gemeinsamen Betrinkens u.a. mit den Neonazikameraden Paul Stuart Barrington, dem Berlin-Lichtenberger Jan Puhlmann und Marcel Kindel (KW, geb. 1977) prahlte er 2001 über vollbrachte und geplante Anschläge, so dass er schließlich aufflog.
Sein politisches und persönliches Umfeld zog schnell die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich. Dahl und Barrington standen im Jahr 2001 im Verdacht, mittels einer Rohrbombe einen Anschlag auf einen ausländischen Imbiss verüben zu wollen. Ein Jahr später gerieten Puhlmann, Marcel Kindel und Sebastian Lemcke in den Kreis der Verdächtigen für einen verübten Anschlag auf einen jüdischen Friedhof in Berlin. Die Ermittlungen verliefen ergebnislos. Sebastian Dahl gehörte zu der in etliche Gewalttaten verstrickten Neonazigang „United Skins“ aus KW um bekannte Namen wie Ralf Luckow, Michael Manko und (V-Mann) Carsten Szczepanski. Im Jahr 2002 hat Dahl mit seinem Freund und dem jetzigen Betreiber der Nazikneipe „Zum Henker“, Paul Barrington, die Internetseite "SS88.de" gestaltet, wo er unter der Überschrift: „Die Kugel ist für Dich" einen Beamten des Berliner Staatsschutzes abgebildet hatte. Im Jahr 2003 schlug Dahl bei der Biermeile in Friedrichshain einem Vietnamesen eine Flasche auf den Kopf, verletzte ihn schwer und beleidigte ihn rassistisch.
Ob diese Mischung aus jüngeren Anti-Antifas und älteren hafterfahrenen Neonazis in näherer Zukunft zu weiteren Angriffen auf Personen und Räumlichkeiten führen wird ist, hängt einerseits von der antifaschistischen Gegenwehr ab, andererseits aber auch davon inwieweit sich die Polizei weiterhin zum Instrument der neonazistischen Feindaufklärung machen lassen wird.
Der Text wurde mit Fotos von weiteren Anti-Antifas aus Berlin und Umland ergänzt. Diese sind im Zusammenhang mit dem Ausspähen von Prozessen, als Fotografen, oder am Rande von linken Veranstaltungen auffällig geworden.
Erstveröffentlichung auf Indymedia am 24. November 2010
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