Verharmlosen und Wegschauen in Plötzensee

26. Juli 2014 | News Redaktion

Am ver­gan­genen Samstag ereig­nete sich im Freibad Plöt­zensee ein töd­li­cher Bade­un­fall, bei dem ein 35-jähriger Mann aus Kamerun ums Leben kam. In den Tagen nach dem Unglück erhoben Zeugen des Gesche­hens in meh­reren Ber­liner Tages­zei­tungen Vor­würfe, wonach der Bade­meister des angren­zenden Frei­bades Plöt­zensee nicht auf Hil­fe­rufe und direkte Hin­weise durch Zeugen rea­giert habe. Bei jenem Bade­meister han­delt es sich um einen alten Bekannten.

Warum half der Bade­meister nicht?

„Er hat weiter gemüt­lich Son­nen­schirme auf­ge­baut […] Seine Reak­tion hat mich total fertig gemacht. Ich hab gedacht, ich rede gegen eine Wand“, wird ein Zeuge in der BZ zitiert. Im selben Artikel kommt auch der Bade­meister selbst zu Wort: „Das Gegröle hab ich schon vorher gehört. Dann kam jemand und hat gesagt, dass da einer am Ertrinken ist. Aber da kann ich mich nicht drum küm­mern. Ich hab hier teil­weise über 1000 Gäste. Wie soll ich helfen, wenn da drüben einer ertrinkt? Außerdem kam kurz darauf jemand und meinte, der Mann wird reani­miert.“

Anstatt umge­hend Hilfe zu leisten, gab er an, zunächst zum Büro der Strand­wache gegangen zu sein, um es abzu­schließen. „Das hat höchs­tens 30 Sekunden gedauert“, lässt er sich im Tages­spiegel zitieren. Erst danach habe er sich in Rich­tung des Was­sers auf­ge­macht, bis ihm jemand zuge­rufen habe, dass bereits ver­sucht werde, den Ver­un­glückten zu reani­mieren. Die Erst­helfer, die den leb­losen Körper schließ­lich ohne Unter­stüt­zung des aus­ge­bil­deten Ret­tungs­schwim­mers gefunden und aus dem Wasser gezogen hatten, ver­suchten der­weil keine 200 Meter ent­fernt den ver­un­fallten Mann aus Kamerun wie­der­zu­be­leben, jedoch ohne Erfolg.

Staats­an­walt­schaft ermit­telt

Mitt­ler­weile ermit­telt in der Ange­le­gen­heit auch die Staats­an­walt­schaft wegen unter­las­sener Hil­fe­leis­tung. Ange­sichts der Tat­sache, dass bei dem tra­gi­schen Ereignis vom ver­gan­genen Wochen­ende aus­ge­rechnet ein Mensch mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund ums Leben kam, sollte im Zuge einer Klä­rung der Umstände nicht unbe­rück­sich­tigt bleiben, dass der betref­fende Bade­meister auf eine aktive Zeit in der Ber­liner Neo­na­zi­szene zurück­blickt. Mike Man­fred Zer­fowski, zustän­diger Schwim­m­eister und Betriebs­leiter im Freibad Plöt­zensee, ist für anti­fa­schis­ti­sche Zusam­men­hänge kein Unbe­kannter.

Neo­na­zikar­riere des Bade­meis­ters

Der heute 46-Jährige Mike Zer­fowski war in den Jahren 2009 bis 2010 aktiver Teil der aktio­nis­ti­schen Neonazi-Kameradschaft „Freie Natio­na­listen Berlin-Mitte“, die zu jener Zeit mit Schwer­punkt im Wed­ding und angren­zenden Bezirken durch ein Serie von Sach­be­schä­di­gungen, Pro­pa­gan­da­ak­tionen und Gewalt­taten auf sich auf­merksam machte.

Sein per­sön­li­ches Enga­ge­ment umfasste dabei neben dem mehr­fa­chen Ver­teilen ras­sis­ti­scher Flug­blätter u.a. im Orts­teil Moabit nach­weis­lich auch die Teil­nahme an min­des­tens zwei Auf­mär­schen der „Kame­rad­schaft Oder-Barnim“ und einer orga­ni­sierten Ein­schüch­te­rungs­ak­tion von einem Dut­zend Neo­nazis vor einem Wed­dinger Haus­pro­jekt, bei dem es zu direkten Bedro­hungen gegen­über Anwohner_innen kam. Auch in der NPD war Zer­fowski über meh­rere Jahre aktives Mit­glied. Er besuchte interne Schu­lungen und beklei­dete um das Jahr 2007 den Posten des 2. Orga­ni­sa­ti­ons­lei­ters der NPD Neu­kölln.

Auf­hören und kein Aus­stieg

Erst als Antifaschist_innen im Jahre 2010 iden­ti­fi­zie­rend über ihn und seine Kamerad_innen berich­teten, hörte Zer­fowski auf, öffent­lich durch neo­na­zis­ti­sches Enga­ge­ment in Erschei­nung zu treten – eine glaub­hafte Dis­tan­zie­rung und Offen­le­gung von Internas blieb jedoch aus. Anläss­lich einer Häu­fung ras­sis­ti­scher Vor­fälle im Freibad Plöt­zensee erschienen im Sommer 2013 meh­rere Zei­tungs­be­richte, wodurch es zur erneuten The­ma­ti­sie­rung von Zer­fow­skis Person durch anti­fa­schis­ti­sche Recher­che­zu­sam­men­hänge kam.

Ras­sismus im Freibad

Mitarbeiter_innen des Strand­bades hätten Beklei­dung der neo­na­zis­ti­schen Mor­de­marke Thor Steinar getragen und neo­na­zis­ti­sche Musik von ihren Handys abge­spielt. Zudem seien sie durch ras­sis­ti­sche Belei­di­gungen und kör­per­liche Über­griffe gegen­über der Crew eines auf dem Strand­bad­ge­lände geplanten mul­ti­kul­tu­rellen Fes­ti­vals auf­ge­fallen. Nach uns vor­lie­genden Infor­ma­tionen soll Mike Zer­fowski an den geschil­derten Vor­gängen maß­geb­lich betei­ligt gewesen sein.

Zuerst erklärte Strandbad-Pächter Erik Müller: „Im Freibad Plöt­zensee gibt es über­haupt keinen Platz für Ras­sismus!“ Er ver­suchte dies mit dem Ver­weis auf den „jüdi­schen Glauben“ und den „Migra­ti­ons­hin­ter­grund“ von fünf seiner sieben Ange­stellten zu unter­mauern. Über den frag­wür­digen Hin­ter­grund von Mike Zer­fowski, der es im Freibad mitt­ler­weile auf den Posten des Betriebs­lei­ters gebracht hatte, verlor er in jener ersten Stel­lung­nahme kein Wort.

Plötz­lich Aus­steiger

Erst nachdem Recher­chen Zer­fow­skis Enga­ge­ment in der Neo­na­zi­szene öffent­lich machten, trat Müller die Flucht nach vorne an und erklärte, Zer­fowski im April 2011 wohl­wis­sent­lich als „Aus­steiger“ in die Beleg­schaft auf­ge­nommen zu haben.

Diese Ver­sion wurde jedoch durch einen Archiv­bei­trag des Ber­liner Lokal­sen­ders TV-B vom 15. Juli 2010 (ab 1:18) in Frage gestellt. Er zeigte, dass Zer­fowski schon wesent­lich früher im Freibad tätig war, und zwar kaum drei Wochen nachdem er noch mit den Freien Natio­na­listen Berlin-Mitte auf neo­na­zis­ti­schen Auf­mär­schen unter­wegs gewesen und in Anti-Anitfa-Manier Gegendemonstrant_innen abfo­to­ga­fiert hatte. Diese beleg­bare Über­schnei­dung von Zer­fow­skis Enga­ge­ment in der rechten Szene und seiner Tätig­keit im Freibad Plötz­sensee sowie die selek­tiven Angaben des Päch­ters­ver­liehen seiner Aus­stiegs­ge­schichte wenig Glaub­wür­dig­keit. Im Dos­sier „Von Aus­stei­gern und Auf­hö­rern“ wird näher auf die Pro­bel­amtik und die Wider­sprüche von Zer­fow­skis angeb­li­chem Aus­stieg ein­ge­gangen.

[recherche&aktion]
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Erstveröffentlichung auf recherche & aktion am 25. Juli 2014

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