Köpenicker Rassisten: Von geistigen zu aktiven Brandstiftern
Unabhängig von organisierten Neonazis und den von ihnen gesteuerten, vermeintlichen "Bürgerinitiativen", die sich unter dem Motto "Nein zum Heim" überall gründen, fanden sich Ende letzten Jahres - zunächst nur virtuell - Köpenicker Rassist*innen in einer Facebook-Gruppe zusammen, um gegen eine dort neueröffnete Asylunterkunft im Allendeviertel aktiv zu werden. Außer vereinzelten kleineren Aktionen und Straftaten waren mangels organisatorischen Fähigkeiten im realen Leben bislang kaum Aktivitäten durch die Gruppe zu verzeichnen. Stattdessen beschränkten sich die Akteure auf Gewaltphantasien und rassistische Hetze auf ihrer Facebook-Seite. Doch mittlerweile will der Zusammenschluss verstärkt in die Öffentlichkeit treten und am kommenden Sonntag, 4. Mai, eine Demonstration vor der Unterkunft durchführen. In der Nacht zum 30. April kam es schließlich sogar zu einem Brandanschlag auf die von über 200 Menschen bewohnte Unterkunft. Grund genug, einen genaueren Blick auf die Akteure zu werfen, die auch ohne neonazistische Organisierung inhaltlich der militanten Rechten in nichts nachstehen und offensichtlich von geistigen Brandstiftern zu aktiven werden.
Anwohner*innen und alte Bekannte
Organisatorischer Kopf und Initiator der Gruppe ist Jens Radke, der genau gegenüber der Asylunterkunft wohnt. Radke ist Betreiber der Internetkneipe J@m. One [Müggelheimerstr. 4, 12555 - 030 65499578] und im Bezirk kein unbekannter, was rechte Aktivitäten angeht. Schon im Dezember 2004 fiel er auf, als er einem Aufmarsch von 200 Neonazis, die an seinem Lokal vorbeizogen, zusammen mit seinen Gästen zujubelte und einen Kasten Bier als Geschenk vor das Fronttransparent der Nazis stellte. Als im Mai 2006 eine Antifa-Demo an seinem Laden vorbeiführte, beschimpfte Radke lautstark die Teilnehmenden. Unter der Hand verteilte Radke zeitweise zudem Kataloge der rechten Modemarke „Thor Steinar“.
Mit Bekanntwerden der Pläne für die Asylunterkunft erstellte Radke am 9. Oktober 2013 die Facebook-Gruppe „Keine Asylheime gegenüber von Schulen!“, um gegen das Heim aktiv zu werden, jedoch noch ohne konkret zu wissen wie. Bestand die Gruppe zunächst aus Radkes Bekannt*innenkreis sowie dem Klientel seiner Kneipe, stieg nach anfänglich schleppender Verbreitung und einer hohen Fluktuation die Gruppenstärke mittlerweile auf aktuell 405 Mitglieder, wovon allerdings nur ein Teil tatsächliche Anwohner*innen sind [Ein Screenshot von aktuell allen Gruppenmitgliedern]. Der aktive Kern ist jedoch deutlich kleiner und beschränkt sich auf fünf bis zehn Personen, die aus ihrem Kreis bisher nicht mehr als 40 Personen zu ihren Aktionen motivieren konnten.
Akteure
Neben Jens Radke sind folgende Personen besonders aktiv mit Beiträgen in der Gruppe und übernehmen auch organisatorische Aufgaben. René Karnath (geb. am 13.09.1988) ist der Anmelder der geplanten rassistischen Demonstration am kommenden Sonntag. Er malte für den ersten Spaziergang ein kleines Transparent mit dem NPD-Logo gegen Asylunterkünfte. Zusammen mit Tim Berfelde (geb. am 13.01.1982) initiierte und mobilisierte er zu den zwei unangemeldeten Ansammlungen (als „Familienspaziergang“ beworben) am 13. April und 27. April 2014 vor der Unterkunft. Sie gehören, wie u.a. Marvin Klose (geb. 27.11.1988) zu einer Gruppe Köpenicker BFC-Fans, die auch auf den Treptow-Köpenicker „Nein zum Heim“-Seiten der Neonazis („Nein zum Heim Köpenick“ und neuerdings „Bürgerinitiative Treptow-Köpenick“) posten und sich an NPD-Kundgebungen Anfang April in Adlershof gegen eine dort geplante Asylunterkunft beteiligen. Hinzu kommt Victoria Timut, die Flyer der Gruppe stecken ging, immer wieder „Nein zum Heim“-Aufkleber verklebt, sich an den „Spaziergängen“ beteiligte und rege in der Gruppe rassistisch hetzt. Administratoren der Gruppe sind neben Jens Radke seit dem 16. Februar auch Tim Berfelde, Vicki Alexander und David Markhoff.
Die bei der „Bürgerinitiative Treptow-Köpenick“ aktive Adlershoferin Yvonne Keller ist ebenfalls Teil des Zusammenhangs, stellt eine Schnittstelle zwischen der Neonazi-Bürgerinitiative und der Allendeviertel-Gruppe dar und bewarb die mittlerweile gesperrte rassistische Petition gegen die Adlershofer Unterkunft (die daraufhin auch von einigen Köpenicker Rassist*innen wie Victoria Timut unterzeichnet wurde).
Zudem sind auch bekannte frühere Neonazis, die längere Zeit nicht mehr durch Aktivitäten aufgefallen sind, Teil der Gruppe. Dazu gehört der frühere NPD-Funktionär und BASO-Chef René Bethage [Infos zu ihm hier oder frühere „Fight Back“-Ausgaben], das „Gruppe 9“-Mitglied Marcel Keller, der 2001 zusammen mit dem lokalen Neonazi Marco Oemus als Ordner auf einer JN-Kundgebung tätig war, aber auch Andreas Krause, der aktuell vor allem in Hellersdorf gegen die Asylunterkunft aktiv ist.
Inhaltliche Ausrichtung der Gruppe
Obwohl Radke und Berfelde mehrere Gruppenregeln aufstellten, die unter anderem vorschreiben, „keine rechten oder linken Parolen“ zu publizieren, finden sich diverse „rechte“, d.h. rassistische und neonazistische, Inhalte auf der Seite. Allgegenwärtig sind rassistische und antiziganistische Kommentierungen, nicht selten mit Gewaltaufrufen, zu tagesaktuellen Medienberichten zum Thema Geflüchetete, aber auch YouTube-Links zu Neonazi-Musikern wie Frank Rennicke oder Fotos von NPD-Plakaten. Zudem wird die NPD für eine Kundgebung Anfang Februar gegen die Unterkunft beklatscht und sich darüber beschwert, nicht vorher davon gewusst zu haben. Inhaltlich liest sich die Seite wie jede andere „Nein zum Heim“-Seite. So werden trotzig weiter rassistische Begriffe wie „Negerkuss“ und „Zigeunerschnitzel“ verwandt und permanent das Verhalten der Heimbewohner*innen kontrolliert und rassistisch kommentiert.
Bisherige Aktivitäten
Bislang war die Gruppe vor allem ein Sammelsurium an Maulhelden. Einen ersten Schritt in die Öffentlichkeit versuchte die Gruppe mit eigenen Flugblättern, die von Jens Radke im Dezember 2013 entworfen, hergestellt und in seinem Laden zum Verteilen bereitgestellt wurden. Auf den Flugblättern forderte die Gruppe die Unterbringung von Asylsuchenden in Kasernen. Außerdem forderte man: „Nein zum Heim“, „keine Asylkinder in Deutschen Klassen“ und „Asylheime gehören nicht in die Nähe von Kitas und Schulen“. Jedoch wurden die Flugblätter kaum verteilt und Radke fing sich eine Anzeige wegen eines fehlenden Impressums ein. Andere wunderten sich in dem Zeitraum über das fehlende Engagement der NPD. So schreibt Marcel Heinze: „echt zum kotzen. Versteh aber nicht warum sich unsere zentrale am mandrella noch nicht mobil gemacht hat...“ (Die NPD-Bundeszentrale in Köpenick befindet sich in der Seelenbinderstraße direkt neben dem Mandrellaplatz).
Lange Zeit beschränkte sich die Gruppe dann auf das fotografische Dokumentieren von „Vorfällen“ und das Abfotografieren von Bewohner*innen der Unterkunft. Die Fotos landeten auf der Seite und wurden infolge rassistisch kommentiert.
Allerdings kam es Ende November bereits zu einem Zwischenfall an der Unterkunft durch Mitglieder der Gruppe: Am 23. November wurde aufgerufen: „18 uhr steh ich heute davor und setz ein zeichen […] wer kein quatscher ist kommt auch hin“. Es erschienen allerdings nur drei Personen. Im Polizeiticker las sich am Tag darauf die Aktion dann folgendermaßen: „Polizisten haben gestern Abend nach einem Hausfriedensbruch in Köpenick zwei alkoholisierte Männer festgenommen. Ein 32-Jähriger war gegen 19.20 Uhr über ein Baugerüst auf den Balkon einer Wohnung im 2. Obergeschoss des Wohnheims in der Salvador-Allende-Straße geklettert und dort von einem Securitymitarbeiter festgestellt worden. Zwei Begleiter des 32-Jährigen wurden von den alarmierten Polizisten in der Nähe des Wohnheimeingangs angetroffen. Gegen einen der Beiden lag ein Haftbefehl vor. Er wurde ebenfalls festgenommen und der Justiz überstellt.“ Die Aktion wurde in der Gruppe allgemein begrüßt, auch wenn sie durch die Festnahme als „nach hinten losgegangen“ bewertet wurde.
Mehrfach wurden Fotos von neuen rassistischen Graffiti am benachbarten Lidl-Markt oder am S-Bahnhof Köpenick eingestellt. Die Urheber sind unbekannt, aber womöglich in der Gruppe zu finden, zumindest wurden die Aktionen in weiten Teilen durch die Mitglieder begrüßt.
Anfang Januar mobilisierte die Gruppe zu Bürgersprechstunden des Bezirksbürgermeisters Oliver Igel. Ernüchternd wurde die Resonanz aus der Gruppe zu dem Termin von den jeweils weniger als zehn Anwesenden wahrgenommen und auch die Gespräche hatten nicht den durch die Rassist*innen erhofften Zweck. Daraufhin wurde mal mehr und mal weniger intensiv darüber diskutiert, ob und wie eine Demonstration gegen die Unterkunft organisiert werden könnte. Ein eigens dafür beworbenes Treffen am 16. Februar im Laden von Jens Radke war ebenfalls schlecht besucht. Von den damals rund 350 Gruppenmitgliedern erschienen nur rund zehn Personen. Der Frust saß daraufhin tief bei den Aktivposten. Victoria Timut etwa schrieb: „wo wart ihr? Ihr besorgten eltern? Könnt so abkotzen! Ihr labertaschen.“
Erst im April kam durch René Karnath und Tim Berfelde wieder etwas Bewegung in die Gruppe, als diese zu einer unangemeldeten Versammlung direkt vor der Unterkunft, genannt „Familien Spaziergang“ am 13. April aufriefen. Karnath malte dafür ein kleines Transparent mit dem NPD-Logo gegen Asylunterkünfte. Es erschienen sogar rund 30 Personen, teilweise Anwohner*innen mit Kindern, aber auch besagte Köpenicker BFC-Fangruppe. Das Auftreten der letzteren, die „mit einer Bierflasche in der Hand und Reserveflasche in der Jogging Klamotte“ bzw. als „Nachwuchs Kiezzuhältern in Jogginghose“ beschrieben wurde, sorgte für kontroverse Diskussionen. Dennoch wurde die Versammlung als Erfolg gewertet und sollte wiederholt werden. Am vergangenen Sonntag, 27. April, sollte sich wieder getroffen werden, allerdings machte die Polizei, die allen Anwesenden vor der Unterkunft Platzverweise erteilte, den Rassist*innen einen Strich durch die Rechnung: Begründung war die Nichtanmeldung der Versammlung. Ein massives Aufheulen begann wegen der Polizeiaktion in der Gruppe: „Es tut mir Leid, aber mir fehlen die Worte. Ich bin traurig und sauer. Wir wurden überwacht und zusammengefercht. Mit Schlagstöcken und Schußsicheren Westen. Mein Sohn hat geweint vor Angst.“ Gäbe es nicht den ausgeprägten Mangel an Empathie bei solchen Rassist*innen, wäre diese Erfahrung vielleicht ein gutes Beispiel, die vielfach schlimmeren Erfahrungen der Geflüchteten in ihren Herkunftsländern durch brutale Regime wenigstens ansatzweise nachzuvollziehen.
Die Konsequenz für die Gruppe war jedoch, für kommenden Sonntag, 4. Mai, einen Aufmarsch gegen die Unterkunft offiziell anzumelden. René Karnath stellt sich als Anmelder zur Verfügung.
In der Nacht zu heute kam es nun zu einem Brandanschlag auf die Unterkunft. Die Neonazis und Rassist*innen, wie dem beschriebenen Personenzusammenhang, sind mindestens die geistigen Brandstifter für solche Taten, wenn die Täter nicht selbst aus ihren Reihen stammen sollten. Die Polizei schreibt: „Zwei Männer besprühten nach bisherigen Erkenntnissen kurz vor 23 Uhr eine Notausgangstür aus Metall des Flüchtlingsheims in der Salvador-Allende-Straße mit einer Flüssigkeit und zündeten sie an. Einer der Täter zeigte dabei den Hitlergruß. Anschließend entfernten sich die beiden Täter. Wenige Minuten später erloschen die Flammen von selbst. Personen kamen nicht zu Schaden. Ein Bewohner hatte die beiden Männer gesehen und einen Wachmann informiert, der seinerseits die Polizei alarmierte. Die Brandstiftung wurde durch die Videoüberwachung aufgenommen. Anhand der Aufnahmen wurden ein 20-jähriger und ein 21-jähriger Mann als Tatverdächtige in der Umgebung des Flüchtlingsheims festgenommen.“ Nach Angaben des Tagesspiegels sind beide „wegen kleinerer Delikte bei der Polizei bekannt, nicht jedoch wegen politisch motivierter Taten, hieß es. Auch sollen sie nicht in der Neonazi-Szene bekannt sein.“
Fazit
Die Facebook-Gruppe um Jens Radke, René Karnath und Tim Bergfelde ist ein Beweis dafür, dass Rassist*innen keinen organisierten neonazistischen Background - wie ihn die meisten anderen, vermeintlichen „Nein zum Heim“-Facebook-Bürgerinitiativen haben - brauchen, um sich zu vernetzen und letztlich auch aktiv zu werden. Zwar fehlt es dem Personenkreis bis heute an Wissen und organisatorischem Know-How, um effektiv Aktivitäten zu entfalten, aber offensichtlich ist die rassistische Ablehnung der Flüchtlingsunterkunft stärker als die bisherigen Rückschläge. Sollte ihnen kein deutlicher Widerstand entgegengebracht werden, könnten die rassistischen Aktivitäten weiter zunehmen und sich durch zunehmende Erfahrung und früher oder später eintretenden Support der NPD professionalisieren. Zudem beweist der Brandanschlag die Ernsthaftigkeit der menschenverachtenden Kommentare und Gewaltaufrufe und somit die mörderische Gefährlichkeit dieses Personenkreises.
Erstveröffentlichung auf Indymeida am 30. April 2014
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