Der "NW-Berlin"-Stützpunkt in Lichtenberg

2. Juni 2012 | Fight Back - Antifa Recherche Berlin-Brandenburg

 

Exkurs: Lückstraße 58

Am 1. März 2011 mieteten Neonazis des "NW-Berlin"-Netzwerks die Räumlichkeiten eines ehemaligen Gardinengeschäfts in der Lichtenberger Lückstraße 58 an. Bereits 2010 hatten sie einen Tarnverein unter dem Namen "Sozial engagiert in Berlin e.V."1 gegründet. Bei den Vorstands- und den Gründungsmitgliedern handelt es sich um die bekanntesten Berliner Neonazis. So sind Sebastian Thom (Mitglied im Landesvorstand der Berliner NPD aus Neukölln) und David Gudra (Anti-Antifa-Fotograf aus Lichtenberg) die Vorsitzenden des Vereins. Weitere Mitglieder sind Christian Bentz, Sebastian Zehlecke, Stefanie Piehl, Stephan Alex und Roland Scholz. Jede Einzelne der genannten Personen ist fest in die Berliner Neonaziszene eingebunden. Fast alle waren schon an Bedrohungen und Übergriffen beteiligt, einige haben dafür bereits Haftstrafen verbüßen müssen.


(v.l.n.r.: Björn Wild, Sebastian Thom, David Gudra, Christian Bentz, Sebastian Zehlecke) 

So ist es nicht verwunderlich, dass der Laden als Materiallager für Neonazipropaganda, im Wahlkampf durch die NPD, genutzt wird und sich zu einem Anlaufpunkt für die Neonaziszene entwickelt hat. Der Laden befindet sich in der Nähe der Weitlingstraße und ist vom S-Bhf. Nöldnerplatz zwei Minuten Fußweg entfernt. Die Aktivist_innen aus dem "NW-Berlin"-Netzwerk haben die Existenz ihres Stützpunktes geheim gehalten. Es gibt keine äußeren Anzeichen für die Nutzung des Ladengeschäftes. Auffällig sind nur die Metallplatten, mit denen sie die Scheiben des ehemaligen Gardinengeschäfts verbarrikadierten. Ende August 2011 wurde die Anmietung dennoch durch Antifaschist_innen und Journalist_innen bekannt gemacht. Daraufhin kündigte der Vermieter fristlos den Mietvertrag. Da die Neonazis der Kündigung nicht nachgekommen sind, ist aktuell eine Räumungsklage anhängig.

Seitdem konnten verschiedene Veranstaltungen und Treffen festgestellt werden. Im September 2011 hielten dort lokale und sächsische Neonazis ein gemeinsames Treffen ab. Die Rechten aus Sachsen waren nach Berlin gekommen, um die Stadt zu besichtigen und hatten zuvor schon die Neonazikneipe "Zum Henker" in Schöneweide besucht. Im Dezember 2011 fand dort eine Veranstaltung mit dem sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Arne Schimmer statt, der über eine neonazistische Wirtschaftspolitik referierte. Weiterhin fand im März 2012 eine Feier anlässlich des ersten Jahrestages der Anmietung statt. Am Hitlergeburtstag fand ebenso eine Solidaritätsfeier statt. An der Veranstaltung, zu der über Facebook eingeladen worden ist, nahm neben dem bekannten schwedischen Neonazi Dan Eriksson und dem Anführer der verbotenen Kameradschaft Tor Björn Wild auch der Berliner NPD-Landeschef Sebastian Schmidtke teil.


(v.l.n.r.: Stefanie Piehl, Roland Scholz, Stephan Alex, Dan Eriksson) 

Im Sozialraum haben die neonazistischen Aktivitäten seit Einrichtung des Treffpunktes zugenommen. So ist es in der näheren Umgebung immer wieder zu Angriffen und Bedrohungen gekommen. Häufig sind Schmierereien mit dem Schriftzug "L58 bleibt" festzustellen, womit die Neonazis auf eine Kampagne von Linken anspielen, die sich gegen die Räumung eines Hausprojekts in Friedrichshain einsetzten. Die Aktivist_innen aus dem "NW-Berlin"-Netzwerk schmieren auch verstärkt Parolen wie "NS-Area" oder "NS jetzt!" und Hakenkreuze, welche im Regelfall innerhalb weniger Tage durch aktive Bürgerinnen und Bürger im Weitlingkiez entfernt werden. Es ist zudem zu beobachten, dass die Routen der Schmierereien zwischen den Wohnungen bekannter Neonazis und der Lückstraße 58 verlaufen.


(Soli-Sprühereien und Aufkleber in Königs Wusterhausen) 

Der Laden wird in den wenigen Anmerkungen in neonazistischen Foren zu einem "Nationalen Jugendzentrum" stilisiert, das es zu verteidigen gelte. Dabei handelt es sich bei dem Treffpunkt höchstens um eine Art "Szenewohnzimmer", in dem die immer gleichen Neonazis ihre Freizeit verbringen. Der "NW-Berlin"-Stützpunkt hat kaum Außenwirkung und bietet auch keinerlei Angebote für die Jugend vor Ort. Die Strategie Objekte anzumieten, um sie als Treffpunkt zu nutzen, ist jedoch nicht neu. Nach der langjährigen Jugendzentrumskampagne in Berlin versuchten sie im Jahr 2010 in einem Laden in Pankow ein "Nationales Jugendzentrum" zu etablieren. Zwar als »JUZ« bzw. »Nationales Jugendzentrum« bezeichnet, wurde es nie Außenstehenden zugänglich gemacht. Eine integrative Wirkung, um Jugendliche an die Szene zu binden, konnte es, ebenso wie in Lichtenberg aktuell, nie entfalten. Das Objekt wurde nach wenigen Monaten wieder verlassen und ein Neues gesucht.


(Beschädigungen am "Interkulturellen Zentrum Weitlingkiez") 

In Lichtenberg formiert sich seit Bekanntwerden des Treffpunktes Protest antifaschistischer Gruppen und anderer zivilgesellschaftlicher Akteure wie dem Bündnis für Demokratie gegen den Neonazi-Treffpunkt. Nicht lange nach der Öffentlichmachung wurde großflächig schwarze Farbe an die Fassade des Ladens gesprüht, auch die Fenster sind inzwischen beschädigt. Daraufhin wurde durch die Neonazis kurzzeitig eine Kamera an der Fassade vor dem Laden installiert. Im September 2011 fand eine Demonstration mit 300 Teilnehmer_innen gegen den Laden statt. Auch auf der Silvio-Meier-Demo 2011 wurde die Existenz des Stützpunktes thematisiert. Neben weiteren Aktivitäten wurden mehrere Tausend Flugblätter im Kiez verteilt, die auf die Geschehnisse in und um den Laden aufmerksam machen.

Der Artikel basiert auf einem Text der Recherche-Zeitschrift "Motiv Rechts 3". Sie kann bei der Antifa Hohenschönhausen bestellt werden: www.ah.antifa.de

1 http://www.branchenbuch.ag/branchenbuch/berlin/interessensvereinigungen-kirchen/sozial-engagiert-in-berlin-ev-berlin.html


(Protest gegen eine Veranstaltung in der Lückstraße 58 am Geburtstag Adolf Hitlers, 20. April 2012) 

Bisherige Proteste gegen die Lückstraße 58:

August 2011 - Kurz nach Bekanntwerden der Lückstraße 58 zerstören Unbekannte die Scheiben und färben die Hausfassade mit schwarzer Teerfarbe

August 2011 - Nachdem der Vermieter von dem Hintergrund seiner Mieter erfährt kündigt er ihnen fristlos, seitdem herrscht ein Rechtsstreit um das Objekt 

11.September 2011 - Demonstration von 300 Antifaschist_innen vom Ostkreuz zum NW-Stützpunkt

November 2011 - In Lichtenberg werden tausende Flyer gegen die Lückstraße 58 verteilt

19. November 2011 - Silvio-Meier-Demonstration mit 5.000 Antifaschist_innen gegen den NW-Stützpunkt 

23. November 2011 - Das Lichtenberger Bündnis für Demokratie und Toleranz produziert mehrere tausend Flyer gegen den NW-Stützpunkt und ruft zu Spenden für den Rechtskampf auf 

20. April 2012 - Kundgebung mit 40 Antifaschist_innen vor der Lückstraße 58

Bisher erschienene Recherche-Artikel zur Lückstraße 58:

 

 

 

 

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