Das Ende der braunen Straße
Vor 2½ Jahren erklärten Antifaschist_innen die Brückenstraße in Schöneweide zur „braunen Straße von Berlin“. Diesen Titel hatte sie sich redlich verdient. Hier befand sich die wichtigste Nazi-Kneipe Berlins „Zum Henker“ und der Szeneladen „Hexogen“ des NPD-Landesvorsitzenden Sebastian Schmidtke. Die Nazi-Rocker des „Dark7side“, einem Chapter des Gremium MC, hatten nur wenige Meter entfernt ihren Stützpunkt. In der Straße und dem Kiez wohnen noch immer führende Nazi-Kader in mehreren WGs. Die neonazistische Infrastruktur wurde durch einen Buchladen des altbekannten Neonazis Henryk Wurzel und mehrere rechtsoffenen Läden und Kneipen abgerundet.
Durch den von vielfältigen antifaschistischen Initiativen erzeugten Druck kann mittlerweile das Ende der braunen Straße verkündet werden. Im März musste die Kneipe „Zum Henker“ und wenige Wochen später im April der „Hexogen“ schließen. Der „soziale Buchladen“ von Wurzel kapitulierte bereits im Vorfeld des Naziaufmarsches am 1. Mai 2013 in Schöneweide. Auch das „Dark7Side“ ist mittlerweile geschlossen. Einzelne Ladenbetreiber distanzieren sich derweil offen von neonazistischer Kundschaft, auch wenn manche wahrscheinlich dabei vor allem an ihre Profitinteressen denken. Das Nazi-Problem in Schöneweide ist damit zwar noch nicht vom Tisch - weiterhin wohnen hier führende Aktivist_innen der Berliner Naziszene - die Gefahr, dass sie eine Hegemonie aufbauen können, ist jedoch nachhaltig gebrochen.
Im Folgenden möchten wir einen Rückblick auf die antifaschistischen Aktivitäten der letzten Jahre werfen und die verbliebenen Nazi-Strukturen in Schöneweide umreißen.
Antifaschistische Aktivitäten
Das antifaschistische Engagement in Schöneweide konnte auf lange Erfahrungswerte und lokale Verankerung aufbauen. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre gibt es in Treptow-Köpenick neonazistische Strukturen und ebenso lange antifaschistischen Widerstand. Mit dem Antifaschistischen Bündnis Süd-Ost (ABSO) existiert eine etablierte und lokal gut verankerte Antifa-Gruppe. Mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz besteht eine langjährige Vernetzung der Zivilgesellschaft, in dem Problembewusstsein und eingespielte Zusammenarbeit von lokalen Parteien, Kirchen, Initiativen und Gewerkschaften sowie dem Bezirk gegeben sind. Gleichzeitig waren die Berliner Nazistrukturen mit dem Entstehen der ersten Nazitreffpunkte 2009 bereits in einer tiefen Krise. Neben Schöneweide existierten nur (noch) wenig andere neonazistische Schwerpunkte in Berlin, die Szene war (und ist) in der Stadt politisch bedeutungslos. So konnten sich auch andere Teile der Berliner Antifa auf Schöneweide konzentrieren. Diese guten Ausgangsbedingungen ermöglichten es unterschiedliche Strategien parallel zu verfolgen.
Die Initiative Uffmucken konzentrierte sich auf die Förderung alternativer Jugendkulturen. Mit Putzspaziergängen, Fahrradkorsos und kulturellen Events wurden und werden Aktivitäten jenseits klassischer Aktionsformen zusammen mit der lokalen Zivilgesellschaft durchgeführt und den Nazis eine breite gesellschaftliche Front entgegensetzt. Autonome Antifaschist_innen rückten den Vermieter des Henkers in den Fokus und übten auf diesen Druck aus, dem Nazitreff endlich zu kündigen. Lokale Neonazis wurden geoutet und in ihrem Alltag gestört. Mindestens einmal pro Jahr bündelte eine große Antifa-Demo die Aktivitäten und hielt das Thema im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Mit diesen unterschiedlichen Aktionen wurde den Nazis die Straße streitig gemacht. Neben großen Events sorgten häufige kleinere Aktionen für eine regelmäßige Präsenz antifaschistischer Positionen im Kiez und rückten den Neonazis auch mit kleineren Nadelstichen permanent auf die Pelle. Selbstverständlich wurden die Aktionen der Nazis selbst immer kritisch begleitet und/oder gestört. So wurden die Neonazis mehrmals bei ihrer Anreise zu den Naziaufmärschen in Dresden und Magdeburg bereits am S-Bahnhof Schöneweide gestört.
Den Todesstoß versetzen sich die Nazis selbst mit der Ortswahl ihres Aufmarsches am 1. Mai 2013 in Schöneweide. An diesem Tag versuchten mehrere Tausend Menschen, die Neonaziroute zu blockieren. Bereits am Vorabend demonstrierte ein breites Bündnis aus Antifa-Gruppen, Zivilgesellschaft und Parteien gegen die Neonazipräsenz und für eine antifschistische Jugendkultur im Kiez und brachte 5000 Menschen auf die Straße. Die berlinweite Gegenmobilisierung thematisierte in diesem Kontext auch die örtliche Szene und konnte so bereits im Vorfeld genügend Druck aufbauen, der die neonazistische Infrastruktur schließlich zur Erosion brachte. So wurde dem „Henker“, dem „sozialen Buchladen“ und dem „Dark7Side“ im Vorfeld des Aufmarsches gekündigt. Gut ein Jahr sollte es noch dauern, bis die letzten Nazi-Läden und -Kneipen im Bezirk geschlossen waren.
Besonders freut uns, dass sich im Zuge der antifaschistischen Aktivitäten in Schöneweide mit chili [tk] eine neue Jugendantifa-Gruppe in Treptow-Köpenick gebildet hat.
Die verbleibenden Reste der Schöneweider Naziszene
Und jetzt ist alles schön in Schöneweide? Leider nein. Mit der Schließung ihrer Läden hat sich die Nazi-Problematik in Schöneweide nicht erledigt. Weiterhin wohnen mit Sebastian Schmidtke (NPD-Landesvorsitzender) und Maria Fank (RNF-Landesvorsitzende) führende Neonazi-Kader in der Brückenstraße; auch Paul Stuart Barrington (ehemaliger Wirt des Henkers) konnte seine Wohnung über der ehemaligen Kneipe „Zum Henker“ behalten. In der Region wohnen weitere militante Neonazis wie Julian Beyer (NW-Berlin) und Gordon Bodo Dreisch (Die Rechte). Auch wenn die Nazis ihre eigenen Kneipen verloren haben, werden sie noch in einigen Lokalen toleriert.
Die Ergebnisse der NPD (2,6%) und AfD (10,5%) bei den Europawahlen in Treptow-Köpenick zeigen, auf wie viel Zuspruch nationalistische und rassistische Positionen im Bezirk weiterhin treffen. Besorgniserregend sind in diesem Zusammenhang die rassistischen Mobilisierungen gegen eine neue Unterkunft für Geflüchtete in Adlershof. Unweit von Schöneweide gelegen zeigt sich dort, dass die Gewalt gegen Migrant_innen und Linke nicht auf den Ortsteil beschränkt ist.
Fazit
Innerhalb weniger Jahre ist es nicht nur gelungen, den weiteren Ausbau der Nazi-Infrastruktur in Schöneweide zu stoppen und eine drohende rechte Hegemonie in der Region zu verhindern, sondern schließlich auch ihre Läden zu schließen. Dieser Erfolg ist in unseren Augen dem erfolgreichen Zusammenspiel verschiedener Ansätze zu verdanken: die Förderung alternativer Jugendkulturen, die Kooperation mit der lokalen Zivilgesellschaft und dem direkten Druck auf die Nazis sowie dem Vermieter des „Henker“. Ermöglicht wurde dies nicht zuletzt durch die kontinuierliche Arbeit mehrerer Antifa-Gruppen zu dem Thema in den letzten Jahren.
Selbstverständlich wird weiterhin antifaschistisches Engagement in Schöneweide notwendig sein. Die Erfahrungen mit dem Lichtenberger Weitlingkiez zeigen, wie lange es dauert und wie viel Kraft notwendig ist, Neonazis in ihren angestammten Gebieten nachhaltig zurückzudrängen. Mit der Schließung ihrer Infrastruktur ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg gemacht. Es bleibt aber zu befürchten, dass sie versuchen neue Läden und Kneipen zu eröffnen. Angesichts der gestärkten antifaschistischen Strukturen im Bezirk und der mittlerweile seit Jahren sensibilisierten Zivilgesellschaft stehen die Chancen jedoch gut, solche Versuche bereits im Keim zu ersticken.
Mit Schöneweide haben die Nazis ihre letzte „Homezone“ in Berlin verloren. Zwar versuchen einzelne Nazi-Cliquen in Neukölln, Treptow-Köpenick, Lichtenberg und nicht zuletzt in Buch neue Rückzugsräume zu errichten, sind dabei aber bisher nur mäßig erfolgreich. Insbesondere gibt es in Berlin - nachdem Ende Mai auch der Treffpunkt des NW Berlin in der Lichtenberger Lückstraße 58 schließen musste – keine offenen klassischen Nazi-Läden und -Kneipen mehr. Ein Erfolg der antifaschistischen Aktivitäten der letzten Jahre und Jahrzehnte, den wir ruhig feiern sollten. Ausruhen sollten wir uns darauf jedoch nicht, hat Schöneweide doch auch gezeigt, wie viel Arbeit notwendig ist, um eine neonazistische Infrastruktur - wenn sie sich erst mal etabliert hat - wieder zurückzudrängen. Vor diesem Hintergrund sollten wir vor allem die Entwicklung in Buch aufmerksam verfolgen.
(unvollständige) Chronologie antifaschistischer Aktivitäten gegen die braune Straße
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