Aufruf: Was zuviel ist, ist zuviel!
Fassungslos schauen viele auf die Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der knapp 13 Jahre lang unbehelligt mindestens neun Menschen ermordete. Morde, die nicht nur durch eine „Zelle“ oder eine „kleine Clique von Verrückten“ begangen, sondern auch durch ein breites Unterstützungsnetzwerk von NPD und Freie Kameradschaften ermöglicht wurden. Auch die Sicherheitsbehörden hatten durch Verschleiern und „Pannen“ ihren Anteil am Gelingen der Morde.
Seit den 80er Jahren bauen Nazis Strukturen für derlei Aktivitäten auf, sammeln Waffen, Sprengstoff und veranstalten Wehrsportübungen. In regelmäßigem Abständen gibt es Festnahmen von Bomben- bauer_innen, Waffenkäufer_innen und Einzeltäter_innen. Doch ebenso regelmäßig wird verharmlost und nach kurzer Aufregung wieder geschwiegen, statt kontinuierlich Vorsorge zu leisten. In Schöneweide ist es schon lange an der Zeit präventiv Schlimmeres zu verhüten, bevor wir uns gegenseitig unsere Fassungslosigkeit attestieren müssen.
Das Braune Netzwerk Schöneweide
Zusammen mit Rockern haben Nazis in Schöneweide ein funktionierendes Netzwerk eingerichtet, dass sie mit Jobs, Geld, Freizeitangeboten und professionellen Strukturen für ihre „politische Arbeit“ ausstattet. Auch hierzu haben die Sicherheitsbehörden lange Jahre geschwiegen, bis Antifas im November 2011 neun Lokalitäten mit rechtem Hintergrund in und um die Brückenstraße aufdeckten.
Vor drei Jahren eröffnete der Nazi Paul Barrington die Kneipe „Zum Henker“ in der Brückenstraße 14 in Oberschöneweide. Seit der Eröffnung dient die Kneipe als Anlauf- und Treffpunkt für das gesamte Spektrum der aktionistischen Berliner und Brandenburger Naziszene. Hier saufen sie nicht nur gemeinsam - der Henker dient ihnen vor allem als verbarrikadierte Multifunktionshalle in der neben Propaganda-Veranstaltungen der NPD auch Liederabende, Rechtsrock-Konzerte und Vernetzungstreffen stattfinden. Die wesentlichen Naziaktionen der letzten Jahre haben ihren Ursprung nicht mehr in der NPD-Bundeszentrale in Köpenick, sondern in Schöneweide.
Die letzten drei Jahre „Zum Henker“ bedeuteten für den Kiez die Dauerpräsenz von Nazis im Stadtbild: ihre Symbole, Sprühereien, Drohgebärden und körperliche Angriffe. Die Hegemoniebestrebungen auf der Straße bekommen alle zu spüren, die mehr oder weniger in das Beuteschema passen oder nicht früh genug ausweichen können. Die Liste der Angriffe, kaputten Scheiben und Bedrohungen ist lang – aber sicher nicht vollständig. Denn was an die Öffentlichkeit kommt, fordert den Betroffenen den Mut ab dafür in Zukunft weitere Angriffe hinzunehmen. Der Henker bietet der Naziszene eine Struktur um konstant Veranstaltungen und Aufmärsche vorzubereiten und um neue Mitstreiter_innen zu schulen.
Drei Jahre Henker heißt, aber auch drei Jahre antifaschistisches Engagement gegen diesen. Auch im Fokus der Proteste gegen „Zum Henker“ ist der Vermieter der Räumlichkeiten (F& M). Dieser weigert sich, trotz zahlreicher Ansagen dem Henker zu kündigen.
Die Braune Straße:Neun Läden mit rechtem Hintergrund in Schönweide
Die Kneipe „Zum Henker“ ist nur eine der rechten Lokalitäten in und um die Brückenstraße. Schöneweide ist nicht nur beliebter Wohnort vieler Nazis geworden, sondern dient ihnen auch als eigener brauner Marktplatz.
So verkauft seit Juli 2011 der Berliner NPD-Vize Sebastian Schmidtke im Laden „Hexogen“ (benannt nach einem Sprengstoff der im 2. Weltkrieg eingesetzt wurde) in der Brückenstraße 9 alles für den Sicherheits- und Militärbedarf (u.a. Schlagstöcke, Reizgas, Rechtsrock-CDs) des „nationalen Aktivisten“. Schmidtke ist zentrale Figur der Naziszene in der Region, meldet Aufmärsche an und ist Verantwortlicher der Webpräsenz des sog. Nationalen Widerstands, auf der regelmäßig politische Gegener_innen mit Steckbrief veröffentlicht werden.
Auch andere bekannte Nazis verdienen in der Brückenstraße Geld. Vor allem die Nazi Rocker Gruppe "Vandalen ariogermanische Kampfgemeinschaft" zeigt Präsenz in Schöneweide. Dem Vandalen Thomas Barruta gehören gleich mehrere Geschäfte in der Brückenstraße und Edisonstraße. Einen „Getränke Partner“- Getränkehandel betreibt Barutta ebenso wie das Striplokal „El Coyote Club“ und die Kneipe „Zur Haltestelle“.
Sammelbecken für in den 90ern aktive Nazis, wie Lars Burmeister (ex-FAP Vorsitzender),ist auch der Rocker Club Gremium MC, der in Schöneweide durch den Club „Dark7Side“ vertreten ist. Diese geschäftstüchtigen Nazis und Vereinigungen haben in den letzten Jahren, teils im Verborgenen, ein Netzwerk aufgebaut, dass es ihnen ermöglicht in Schöneweide unter sich zu bleiben. Die einen fungieren als Arbeitgeber, indem sie Kameraden z.B. als Türsteher engagieren und die anderen bieten Treffpunkte. So ist ein Raum entstanden in dem Nazis vor Repression sicher sind und sich unbehelligt ausbreiten können. Schließt ein Laden, wie 2006 die Kneipe „Spreehexe“ und der Laden „Parzifal“, verlagern die Nazis ihre Aktivitäten auf andere Läden oder gründen neue.
Jeder Übergriff ist ein Übergriff zu viel.
Seit der Eröffnung des Henkers ist die Zahl der Übergriffe in Schöneweide rasant gestiegen und die oben geschilderten Entwicklungen lassen Schlimmes für die Zukunft erahnen. Die Nazis schrecken vor nichts zurück und basteln an ihrer national befreiten Gemeinde fleißig weiter. Regelmäßig kommt es zu Übergriffen auf Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen. So Ende November, als ein Kameruner von drei bekannten, in Schöneweide ansässigen, Nazis im Schöneweide Center beschimpft und angegriffen wurde. Security-Personal griff nicht ein. Das Center entschuldigte sich mit einem 20 Euro-Gutschein bei dem Betroffenen.
Zudem kommt es immer wieder zu nächtlichen Angriffen auf zivilgesellschaftliche Einrichtungen in der unmittelbaren Umgebung der Brückenstraße. Hakenkreuz Schmierereien und anderen Propagandadeliktensind ebenfalls keine Seltenheit. Die Tatsache, dass nach dem oben genannten Vorfall dem Betroffenen ein 20 Euro „Widergutmachungsgutschein“ des Schöneweide Centers angeboten wurde, sowie der Kommentar eines Anwohners zum Neonaziproblem gegenüber dem ZDF: Ich bin Deutscher und deshalb nicht in Gefahr, zeigt die Einstellung des Wohnumfeldes zu diesen Vorfällen. Die landläufige Empörung über den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) und Rechtsterrorismus reicht offenbar nicht, um die Nazistrukturen vor der eigenen Haustür als Problem wahrzunehmen. Das ist aber dringend nötig, denn den Nährboden für den Neonaziterror liefert seit eh und je eine gesellschaftliche Stimmung, die auf rassistische Abschottung und Abschreckung setzt. Die Beiträge der sog. Integrationsdebatte z.B. durch Sarrazin haben im letzten Jahr für ein Aufleben der schlichtesten Ressentiments gesorgt, die den „Das Boot ist voll“- Debatten der 90er Jahre in nichts nachstehen.
Wir wollen das mit dem Wegschauen und Einfach-Geschehen-Lassen Schluss ist! Die Berliner Naziszene von Freien Kameradschaften, rechten Rockern und NPD haben sich ein Netzwerk in Schöneweide eingerichtet. Es gilt dieses offen zu legen und sich diesem durch antifaschistische und antirassistische Positionierung und Präsenz auf allen Ebenen entgegen zu stellen. Hinter jedem Laden stehen Verantwortliche, Vermieter_innen, Besitzer_innen, Versicherungen, Zulieferer_innen und Mitarbeiter_innen. Diese müssen aus der Anonymität gezogen werden. Wir dulden keine national-befreite Zone in Schöneweide!
Braune Netzwerke aufdecken! Nazistrukturen zerschlagen! Solidarität mit allen von Rassismus und Naziterror Betroffenen!
Mobimaterial, Banner und vieles mehr findet ihr hier...
2. März 2012 // 18 Uhr // S-Bahnhof Schöneweide
Weitere Artikel zum Thema
-
12. April 2013
-
5. Oktober 2015
-
12. November 2013
-
3. April 2019
-
24. Oktober 2022