Befreiung selber machen! – Gedenken an die Befreiung Nordostberlins vom Faschismus
Die wohlkalkulierten Tabubrüche der AfD und das nach Rechtsrücken vieler Parteien der »Mitte« haben ein Klima erschaffen, das auch klassiche Nazis dazu ermutigt immer offener aufzutreten. In einer Stadt wie Berlin, in der die NPD seit Jahren keine Strahlkraft auf der politischen Ebene entalten kann, ist der Gedenkmarsch für Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß das beste Beispiel für das neue Selbstbewustsein, dass Nazis aus den Siegen der Rechtspopulisten ziehen. NS-verherrlichenden Aufmärsche sind in vielen europäischen Ländern mittlerweile keine Seltenheit mehr. Diese Glorifizierung von mörderischen Organisationen wie der SS gilt es Einhalt zu gebieten. Darum rufen wir dazu auf, von April bis Juni gegen das »Comeback« alter Nazis und deren Fans aktiv zu werden.
Der alte Nazistaat als Personalpool der BRD
Ehemalige Nazis hatten es nach der Zerschlagung Nazideutschlands nicht sonderlich schwer, wieder ihren Weg in die so genannte Mitte der Gesellschaft zu finden. Sie erhielten unter Adenauer nicht nur Straffreiheit, sondern Anstellungen und gutbezahlte Posten in den Aufsichtsräten, bei BKA und BND und im Staats- und Regierungswesen. Um mal einige Beispiele zu nennen: Kurt Georg Kiesinger war NSDAP-Mitglied und wurde sogar 2. Bundeskanzler, Walter Scheel und Karl Carstens, ebenfalls beide NSDAP-Mitglied, wurden später jeweils Bundespräsidenten. Hans Globke, Kommentator der Nürnberger Rassengesetze, war späterer Staatssekretär im Kabinett Adenauers. Hitler-General Adolf Heusinger wurde nach dem II. WK zum Generalinspekteur der Bundeswehr, und auch BRD-Außenminister Genscher war ehemals ein NSDAP-Mitglied. Der Marine-Richter Hans Karl Filbinger, der bis zuletzt gerne Todesurteile verhängte, war zunächst NSDAP-Mitglied und wurde später als CDU-Mitglied ab 1951 zum Ministerpräsidenten in Baden-W. Reinhard Gehlen leitete als Generalmajor der Wehrmacht die Abteilung »Fremde Heere Ost« (FHO, Aufklärung). In der Bundeswehr bekleidete er den Dienstgrad eines Generalleutnants der Reserve, gründete dann die Organisation »Gehlen«, die 1955 von der Bundesregierung übernommen wurde und den Namen BND bekam. Dass der Verfassungsschutz so braun war wie wir ihn kennen, erklärte dessen Begründer Kanzler Adenauer mit den Worten: Es handle sich um Leute, »die von früher was verstehen«. Es gab bei den Beamten und den sonstigen Funktionseliten von Staat und Gesellschaft so etwas wie eine Totalkontinuität, d.h. bestehende organisatorische Strukturen wurden personell komplett übernommen. Das trifft im Besonderen auf die Judikative zu, denn nach 1945 wurde nicht ein Richter für seinen Rechtsprechungsakts im Faschismus strafrechtlich belangt. Im Gegenteil: Statt Verurteilungen gab es für Nazis Beförderungen bis zum »Oberpräsidenten«! Während in der Sowjetischen Besatzungszone, dann später DDR, die antifaschistisch-demokratische Ordnung aufgebaut wurde, waren die alten Nazis in der jungen Bundesrepublik überall an wichtigen Schalthebeln der Macht vertreten.
Deutschland – Versorger und schützende Hand für NS-Kriegsverbrecher
Bis heute schützt und versorgt die BRD eheamlige Nazikrigesverbrecher. So wurden Deutsche, die an den Massakern in der Emillia Romagna in Italien oder dem griechischen Dismoto beteiligt waren nie ausgeliefert. Die Prozesse und das Bemühen der Angehörigen um Aufklärung dauerten bis in die 00er Jahre an. Auch den ausländischen NS-Kollaborateuren, die für Deutschland in den Kampf zogen, hält die BRD bis heute die Treue. So versorgt der deutsche Staat etwa belgische Mitglieder der Waffen-SS. Die noch rund 30 lebenden SS-Männer erhalten aktuell noch zwischen 425 und 1275 Euro. 2016 versuchte das belgische Parlament vergeblich die BRD zur Einstellung der Zahlungen zu bewegen. Die Zahlen der geleisteten Zahlungen sind exorbitant hoch, zwar sollten mit dem »Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes« vom 14. Januar 1998 die Zahlungen für NS-Kriegsverbrecher eingestellt werden, jedoch betrifft dies nur Anträge ab 1997, was die ganze Aktion ziemlich ad absurdum führt, wenn Mensch das Alter der Täter*innen bedenkt. So merkte Ulla Jelpke (DIE LINKE) dazu an: »Tatsächlich ausgeschlossen wurden lediglich 99 Personen von damals knapp 940.000, also gerade einmal 0,01 Prozent. Es ist offensichtlich, dass lediglich ein Bruchteil der Kriegsverbrecher ermittelt worden ist. «. Viele haben die Renten also noch erhalten, so haben in Lettland Mitte der 90er Jahre noch rund 1500 einstige Angehörige der Waffen-SS Rentenzahlungen erhalten.
Normalisierung europaweiter NS-Gedenken
Die Beteiligung ausländischer Freiwilliger am mörderischen Feldzug der Deutschen wird international in unterschiedlichen Maße aufgearbeitet. Einerseits können SS-Veteranen-Verbände durch europäische Städte ziehen, andererseits wird damit die Frage nach Beteiligung eigener Soldaten auf die Wehrmacht und die Besatzung reduziert. Eine kritische Aufarbeitung dieser Kollaboration fand in vielen europäischen Ländern oft erst zu Beginn der 00er Jahre statt. In machen Ländern steht sie bis heute aus. So wurde erst vor einem guten halben Jahr auf Drängen des Simon-Wiesenthal-Centers in Finnland damit begonnen, die Rolle der Waffen-SS-Division »Wiking« zu untersuchen. Das rund 1.400 Personen starke Freiwilligenbataillon kämpfe an der Ostfront und war an Ermordung von Jüd*innen und Kriegsgefangenen beteiligt. Gerade in den Ländern des Baltikums wird die Unterstützung Nazideutschlands zu einer Art Notwehrakt gegen Kommunisten, und die Täter*innen werden zu Freiheitskämpfer*innen umgedeutet. So findet beispielsweise im lettischen Riga jährlich ein Aufmarsch von Angehörigen der lettischen Waffen-SS statt. Am 16. März diesen Jahres zogen rund 1.000 lettische SS-Veteranen und deren Unterstützerinnen durch die Hauptstadt des Landes. Die so genannte »lettische Legion«, welche rund 150.000 Soldaten umfasste, wurde während des deutschen Besatzung gegründet und begann am 16. März 1944 einen Angriff gegen die Rote Armee im Gebiet Pskow. Auch in der ungarischen Hauptstadt Budapest fand erst im Februar ein NS-glorifizierender Aufmarsch statt, welcher sich zwischenzeitig zum zweigrößten Nazi-Aufmarsch nach Dresden entwickelte. Dieser so genannte »Tag der Ehre« bezieht sich auf einen letzten Ausbruchsversuchs von SS-Verbänden, Wehrmacht und ungarischem Militär im Februar 1945 in Budapest gegen die Rote Armee. Diese Gedenkmärsche haben sich zu Wallfahrtsorten der militanten Neonaziszene entwickelt, was sich auch an der regelmäßigen Beteilugung deutscher Faschisten aus dem Partei- und Kameradschaftsspektrum zeigt. Hier können sie, um einiges freizügiger als beim Rudolf-Hess-Marsch, ihre faschistischen Träume ungehemmt ausleben.
Nordostberlin: NS-Kontinuitäten und die ausbleibende Empörung darüber
Im Prenzlauer Berg existiert seit kurzem die Kneipe »Bryggeri Helsinki« am Helmholtzplatz. Der Betreiber der Kneipe, Pekka Kääriäinen, stammt aus Helsinki und ist der Vorsitzender des SS-Traditionsvereins »Veljesapu-Perinneyhdistysry« (Brüder Hilfe e. V.). Nach den ersten Veröffentlichungen war der Betreiber sehr bemüht darum, die Rolle des Vereins auf Traditionspflege zu reduzieren und veränderte dabei auch kurzerhand die Website – Hakenkreuze und Runen verschwanden. Nun ist er auch von seinem Vorsitz zurückgetreten, wobei dies wohl eher als Versuch zu deuten ist, ökonomische Schadensbegrenzung zu betreiben. Das Berliner Bündnis gegen Rechts (BBgR) fordert in diesem Zusammenhang, dass, solange eine kritische Auseinandersetzung über die Beteiligung an den Verbrechen der Freiwilligen der finnischen SS-Division ausbleibt und keine, Würdigung der Opfer stattfindet, wir uns weiter mit dem Thema beschäftigen werden.
Auch anderweitig lokal ist die Debatte um die Rehabilitierung von SS-Angehörigen noch lange nicht abgeschlossen. In Pankow.-Rosenthal trägt seit 2004 eine Grundschule den Namen von Rudolf Dörrier. Dieser kann als äußert kreativer Kopf beschrieben werden, wenn es darum geht seine eigene Position und auch Taten zu verschleiern und zu verharmlosen. Er kam 1927 nach Berlin-Pankow und bewohnte dort die Hiddenseestraße, wo seit 2008 sogar eine Gedenktafel an ihn erinnert. Zunächst angestellt bei den jüdischen Eltern seiner Ehefrau, wurden diese 1942 deportiert und schließlich ein Jahr später im KZ Theresienstadt ermordet. Nach diesem Mord an seinen Schwiegereltern ist seine spätere Tätigkeit als Wachposten im KZ Sachsenhausen umso perfider. Seine Einberufung zur Wehrmacht fand 1939 statt, am 21. Mai 1944 trat er als Unterscharführer in die Waffen-SS ein und begann gleichzeitig die Ausübung des Wachpostens. Im Janur1945 wurde er von der SS wieder nach Berlin-Pankow entlassen. Es gelang ihm, bisher unklar wie, seine Rolle innerhalb der Wehrmacht und der Waffen-SS zu verheimlichen. So trat er sogar der SED, wodurch er sich als »Antifaschist« inszenieren und sich einen Namen als bekannter Historiker und Pankower Ortschronist machen konnte. Seinen Namen erhielt die Grundschule ausgerechnet über ein Schüler*innen-Projekt, welche ihn auch persönlich kennenlernten. Anstatt sich mit den eigenen Taten auseinanderzusetzen, belog er die Öffentlichkeit bis zu seinem Tode im Jahr 2002. Erst 2017 wurden seine Tätigkeiten bei der Waffen-SS und im KZ Sachsenhausen bekannt. Eine Umbenennung der Schule, wie sie derzeit in Rosenthal diskutiert wird, wäre die einzig richtige Konsequenz. Das ist gerade in Anbetracht der Opfer des KZ Sachsenhausen und allen anderen, die von der Waffen-SS bestialisch ermordet wurden, nur angemessen, insbesondere wenn es einem ernst ist mit der Aufarbeitung des deutschen Faschismus. Auch wäre es gegenüber den Schüler*innen angebracht, welche wohl glaubten eine Identifikationsfigur für sich und andere Kinder gefunden zu haben.
Entnazifizierung jetzt!
Wenn wir aus dem Umgang der BRD mit den eheamligen Funktionsträgern des NS-Regimes und mit seinem eigenen Nazivolk eines lernen können, dann folgendes:
Erstens: es hat in der Nachkriegs-BRD keine frewillige Aufarbeitung der Nazizeit und der Mitschuld der deutsche Bevölkerung an den Naziverbrechen gegeben. Zu dieser Auseinandersetzung mussten die Westdeutschen erst gezwungen werden – u.a. durch die Student*innenbewegung der 1969er Jahre. Zweitens: im Deutschen Staat gibt es eine faschistische Kontinuität. Sicherlich leben wir nicht mehr im Deutschland der 60er Jahre und Vieles ist liberaler geworden. Faschistische Netzwerke wie der NSU, der mit Unterstützung des Verfassungsschutzes und der Sicherheitsbehörden 12 Menschen aus rassistischen Motiven ermorden konnte, stützen allerdings unsere Aussage, dass sich der braune Faden bis heute durch die Gesellschaft zieht. Mit dem Wissen um den antidemokratischen Konstruktionsfehler dieses Staates können die aktuellen Morddrohungen gegen Seda Başay-Yıldız wohl kaum als ein Ausnahmefall gesehen werden. Başay-Yıldız vertritt die Nebenklage im NSU-Prozess. Die Spur der Drohbriefe, die mit Kürzel NSU 2.0 unterzeichnet sind und welche sie seit Monaten erreichen, führen die Amtsstuben der Frankfurter Polizei. Von diesem Staat ist aus unserer Sicht darum keine Hilfe zu erwarten, wenn es darum geht, den Schwur der KZ-Häftliche von Buchenwald zu verwirklichen: Den Faschismus mit all seinen Wurzeln zu vernichten.
Die Entnazifizierung wird uns im Jahr 2019 keiner Abnehmen. Deswegen sagen wir: Befreiung selber machen! Jeder Ehrung ehemaliger Nazikriegsverbrecher, jedem positiven Andenken an Antisemiten oder die deutsche Kolonialgeschichte muss entschieden entgegengetreten werden. Und das vor allem praktisch. Wir rufen euch darum dazu auf selbst aktiv zu werden – gegen Altnazis und alle die sie verehren. Und gegen den allgemeinen Rechtsruck, in dessen Fahrwasser klassische faschistische Bewegungen wieder an Fahrt gewinnen.
– Startet von April bis Juni 2019 eigene Aktionen!
– Kommt am 24. April nach Weißensee, um mit uns den Widerstandskämpfer*innen zu gedenken!
– Kommt am 8. Mai nach Buch, um der Befreiung zu gedenken. Wenn die NPD wieder eine Kundgebung abhalten sollte, um das Gedenken zu stören, werden wir dass nicht hinnehmen!
Befreiung, Entnazifizierung, Dekolinalisierung – selber machen!
Hoch die internationale Solidarität!
Viva la Liberación!
#befreiungselbermachen // #entnazifizierungjetzt
Aufrufende Gruppen:
North East Antifa (NEA), Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Pankow, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e.V.) Weißenseensee-Hohenschönhausen
24.04.2019 | Weißensee | Befreiungsgedenken
17.30 Uhr | Antifa-Denkmal am Weißensee (neben der Berliner Allee 125)
Org.: NEA, DKP Pankow, VVN-BdA Weißensee-Hohenschönhausen
08.05.2019 | Berlin-Buch | Befreiungsgedenken
Sowjet-Ehrenmal. Wiltbergstraße
10.30 Uhr: Kranzniederlegung | 17.00 Uhr: Gedenkveranstaltung
(11.00 Uhr – 17.00 Uhr: Ausstellung und Infotisch)
Org: NEA, Die Linke Pankow, VVN-BdA Pankow
April – Juni 2019 – Werdet selbst aktiv!
#befreiungselbermachen & #entnazifizierungjetzt
Erstveröffentlichung auf Antifa Nordost am 8. April 2019
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