Das Problem heißt Rassismus! Aktionen in Berlin zum NSU-Prozessbeginn
Am 17. April 2013 beginnt in München der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder und Unterstützer des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Der sogenannte NSU ermordete, soweit bislang bekannt, innerhalb von sieben Jahren aus rassistischen Gründen neun Menschen mit Migrationshintergrund und verübte zwei Sprengstoffanschläge in einem Laden und einer Straße, bei denen Menschen mit Migrationshintergrund nur mit großem Glück nicht getötet, jedoch schwer verletzt wurden. Das Motiv für den Mord an einer Polizistin liegt noch im Dunkeln.
Der sogenannte NSU bestand nicht nur aus den Personen, die in München angeklagt sind, sondern war und ist ein neonazistisches Netzwerk, dessen Strukturen noch nicht im Einzelnen bekannt sind. Die täglichen Enthüllungen weiterer Unterstützer*innen und V-Leute machen ganz klar, dass sich das Problem NSU nicht mit einem Prozess gegen das letzte Mitglied des vermeintlichen Terror-Trios lösen wird, wie es Staat und Justiz gerne aussehen lassen.
Das Problem geht viel tiefer. Es geht über das Trio und auch über die seit Jahren und Jahrzehnten gewachsenen Neonazistrukturen hinaus.
Zum Prozessbeginn haben in der Nacht vom 9. April auf den 10. April 2013 das Ladengeschäft des Berliner Neonazis Henryk Wurzel, die Landesvertretung des Verfassungsschutzes in Berlin sowie das Wohnhaus des für seine rassistischen Äußerungen bekannten CDU-Politikers Kurt Wansner angegriffen bzw. markiert.
Die Morde und Anschläge des sogenannten NSU fanden nicht in einem luftleeren Raum statt. Sie sind in einen gesellschaftlichen Kontext einzuordnen, in dem Rassismus alltäglich präsent ist: Von rassistischen Beschimpfungen und Übergriffen auf der Straße bis hin zu Gesetzgebung und politischer Praxis (Wahlrecht, Staatsbürgerschaftsregelung, Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, Residenzpflicht, Abschiebungen...). Es ist ein Ausdruck dieses in der Gesellschaft etablierten Rassismus, dass nach den Morden des NSU ausschließlich die Angehörigen und Freund*innen der Ermordeten im Zentrum der Ermittlungen standen und durch die Presse mit rassistischen Verdächtigungen wie „organisierte Ausländerkriminalität“ oder Drogenmafia diskreditiert wurden. Hinweise der Angehörigen, dass sie von einem rassistischen Motiv ausgehen, wurden ignoriert. Dabei sind rassistische Angriffe bis hin zu Morden seit vielen Jahren als Alltag zu bezeichnen. Die rassistische Ignoranz der staatlichen Ermittlungsbehörden setzte sich auch nach Bekanntwerden des sogenannten NSU fort. Statt die Verquickungen mit dem Verfassungsschutz endlich aufzudecken, werden Akten geschreddert, V-Leute weiterhin gedeckt und alles ohne maßgebliche Konsequenzen für die Verantwortlichen.
Stellvertretend für das militante, faschistische Netzwerk in Berlin haben wir in der Siemensstr. 14 in Oberschöneweide den Buchladen „Bücherparadies“ mit Steinen und Farbe angegriffen. Hinter der „Schöffler & Wurzel GbR“, die den Laden betreibt, steckt der Neonazi Henryk Wurzel mit seinem Bruder. Henryk Wurzel war in den 1990er Jahren bei der Wählervereinigung „Die Nationalen e.V.“ und der „Nationalistischen Front“ aktiv. Im April 1995 war er an einem Brandanschlag auf den Jugendclub „Gerard Phillipe“ in Alt-Treptow beteiligt. Nach zwei Jahren im Knast übernahm Henryk Wurzel 1997 die Führung der „Kameradschaft Treptow“. Später war er im Berliner Ableger des „Märkischen Heimatschutzes“ aktiv, der sich 2006 auflöste. Mittlerweile hat sich Wurzel in die NPD eingegliedert, wo er im Lichtenberger Kreisverband 2007 als Kassenwart und 2009 als Rechnungsprüfer Aufgaben übernahm. Am 1. Mai 2009 nahm er an der NPD-Kundgebung in Köpenick teil, Ende 2010 unterschrieb er eine Petition zur Freilassung des Holocaust-Leugners Horst Mahler. Derzeit versucht er seine Nazikarriere zu vertuschen – für uns ein Grund mehr sie wieder in die öffentliche Diskussion zu bringen.
Stellvertretend für das bewusste Schüren rassistischer Stimmungen und Durchsetzen einer rassistischen Staats-Politik haben wir das Wohnhaus des durch seine rassistischen Äußerungen bekannten CDU-Politikers Kurt Wansner (Wochenendweg 14) markiert. Der Neuköllner CDU-Politiker Kurt Wansner ist seit 1995 Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin und dort ausgerechnet integrationspolitischer Sprecher der CDU. Seit Jahren fällt er immer wieder mit besonders rassistischen Äußerungen und Forderungen auf. Wansner agierte zum Beispiel gegen die Benennung der Silvio-Meier-Straße und forderte 2011 die sofortige Abschiebung der „U-Bahn-Schläger“. Auch reihte er sich bei den CDU-Mitgliedern ein, die auf einer Bürger*innenversammlung im Dezember 2012 Stimmung gegen ein neues Asylbewerber*innenwohnheim in Kreuzberg machten. Anlässlich des Refugee-Camps auf dem Oranienplatz in Kreuzberg schließlich forderte er schärfere Asylgesetze.
Eine solche rassistische Haltung ist auch im deutschen Sicherheitsapparat breit verankert, was die Rolle des Verfassungsschutzes in Zusammenhang mit dem NSU zeigt: Die Verstrickungen des VS mit Nazistrukturen allgemein, z.B. durch V-Leute und Geldspenden, und dem NSU im Besonderen (Schreddern der Akten, V-Leute etc.) können von einer interessierten Öffentlichkeit immer noch nur erahnt werden, da die Ermittlungen zum NSU von Staatsorganen beständig erschwert werden. Stellvertretend für diesen Sicherheitsapparat haben wir die Landesvertretung des Verfassungsschutzes (der dem Berliner Senat für Inneres und Sport untergeordnet ist) in der Klosterstr. 47 farbig markiert.
Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen.
Für eine Gesellschaft ohne Rassismus!
Autonome Antirassist*innen Berlin
Erstveröffentlichung auf Indymedia am 10. April 2013
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