Nach der Räumung des Oranienplatz: Demonstration zu Henkels Villa
2012 starteten revoltierende Flüchtlinge aus Würzburg einen Marsch quer durch die Republik nach Berlin, um gegen die unhaltbaren Zustände der Lagerunterbringung und Residenzpflicht zu protestieren. Gleichzeitig war der Marsch auch der Startschuss für eine neue Bewegung, die den Geflüchteten zum ersten mal seit langem, wieder eine Stimme verlieh und die Folgen der deutsch-europäischen Flüchtlingspolitik ins öffentliche Bewusstsein rückte. Endlich wurde auf breiter Ebene über Residenzpflicht, Lagerunterbringung von Geflüchteten, rassistische Polizeikontrollen, Bleiberecht, die unmenschliche Abschiebepraxis oder das EU-Grenzregime berichtet. Um den öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten errichteten die Refugee-Aktivist_innen im Oktober 2012 das Refugee-Protestcamp auf dem Berliner Oranienplatz. Dieses spielte daraufhin, als Ort des politischen Protestes, eine zentrale Rolle.
Am 8. April wurde das Camp nun abgerissen. Unter Einwilligung und mit Hilfe einzelner Gruppierungen innerhalb des Camps rückten Bagger an und zerstörten Zelte und Hütten. Der gestrige Tag markiert einen Tiefpunkt des seit zwei Jahren andauernden Refugeeprotestes. Seit Ende letzten Jahres hatten verschiedene Flüchtlingsdelegationen mit Intergrationssenatorin Dilek Kolat verhandelt, nun scheint es dem Berliner Senat offensichtlich gelungen zu sein, den Protest zu spalten.
Prinzip: „teile und herrsche“
Zunächst wurde in einem ersten Schritt, einem Teil der Flüchtlinge die Unterbringung in einem Haus der Caritas zugesichert, wobei es bereits im Dezember hieß, der Oranienplatz werde freiwillig geräumt. Dies funktionierte allerdings nicht, da die freigewordenen Plätze in den Zelten schnell von neuen Refugees belegt. Trotz allem waren zu diesem Zeitpunkt schon erste Risse, zwischen der sogenannten Lampedusa-Gruppe und anderen Aktivist_innen zu beobachten. Als dann auch noch von Seiten der Grünen Politikerin Susanna Kahlefeld der Vorwurf erhoben wurde, Unterstützerinnen und Unterstützer der Refugee-Bewegung sowie einzelne Aktivist_innen und Aktivist_innen der Bewegung hätten Spendengelder in Höhe von 11.000 Euro veruntreut, eskalierte die Situation zum ersten mal. Diese Behauptung, die niemals belegt wurden, verursachten extreme Spannungen innerhalb der Bewegung, wobei den Beschuldigten auf der anderen Seite auch niemals Gelegenheit gegeben wurde, die Sache klarzustellen. Indessen erhoben Grüne und der SPD immer wieder der Vorwurf, linke Gruppierungen würden die Flüchtlingsbewegung für ihre eigenen Ziele instrumentalisieren. In Anbetracht des instrumentellen Verhältnisses beider Parteien zu Teilen der Geflüchteten ist dies ein absurder Vorwurf.
Während der Berliner CDU-Innensenator Frank Henkel in den Medien gerne den starken Mann markierte, der ständig von einer polizeilichen Räumung schwadronierte, setzte der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit darauf, die Situation auszusitzen. Er wollte die hässlichen Bilder nicht, wie weiße Polizisten auf schwarze Geflüchtete einschlagen und setzte stattdessen auch weiterhin auf das Verhandlungsgeschick seiner Integrationssenatorin. Diese hatte in der Zwischenzeit ihren Beziehungen zur Lampedusa Gruppe intensiviert und unliebsame Delegierte der Geflüchtetenbewegung langsam aber sicher aus dem Entscheidungsprozess hinausgedrängt. Zum Schluss wurde nur noch mit Refugee-Vertreter_innen verhandelt, die auf ihrer Linie lagen und denen sie am Ende ein wachsweiches Einigungspapier voller guter Absichten präsentierte. Kompromissbereite Geflüchtete sollten eine wohlwollende Einzelfallüberprüfung erhalten und für die Dauer dieser Überprüfung eine Duldung ohne Abschiebung erhalten – in der Regel sechs Monate. Außerdem würde ihnen ein Platz in einem Wohnheim zustehen, sowie monatlich etwas Geld. Im Endeffekt also eine Lagerunterbringung mit finanzieller Entschädigung und sechsmonatiger Sicherheit vor Abschiebung. Was danach geschieht? – Keiner weiß es. Eine gesicherter Aufenthalt in Deutschland? – Keine Zusage. Ansonsten? – Keine Garantien.
Für die meisten der politischen Aktivist_innen war dies jedoch unannehmbar. Sie hatten ihren Protest begonnen mit drei Forderungen: Abschiebestop. Abschaffung der Lager. Abschaffung der Residenzpflicht. Keine dieser Forderungen war in der Zwischenzeit erfüllt worden. Warum also sollten sie ihren Protest beenden? Der andere Teil der Geflüchteten war von der Aussichtslosigkeit des Kampfes und der ständigen Hinhaltetaktik der Politik so zermürbt und verzweifelt, weshalb sie sich für das Angebot des Senats entschieden. Die Not der Menschen auszunutzen, sie gegeneinander aufzuhetzen und dabei Verletzte in Kauf zu nehmen ist schäbig und menschenverachtend. Die Haltung des Berliner Senats, das traurige Aussitzen von Klaus Wowereit, Frank Henkels Law and Order-Parolen, die Manipulationen von Frau Kolat und auch das prinzipienlose Verhalten von Frau Hermann, die als Grüne Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg letztendlich die Räumung des Platzes verlangte, sind schlicht und ergreifend ekelhaft.
…nicht aufhören, bis die Scheiße aufhört
Wir sind wütend über die Räumung und wir sind enttäuscht darüber, wie gut die Spaltung des Protestes funktioniert hat.
Wir wollen unsere Wut darüber zum Ausdruck bringen und wollen sie gegen diejenigen richten, von denen die Aggression gegen die sozialen Bewegungen in dieser Stadt ausgeht:
- Gegen die Presse, allem Voran der Axel Springer-Gruppe, die seit Monaten mit Horrorstorys über "Slums", "Vermüllung" und "Seuchengefahr" ihre Leserschaft auf eine scheinbar notwendige Räumung vorbereitet.
- Gegen die Camp-GegnerInnen bei CDU, SPD und Grünen.
- Gegen die Berliner Polizeiführung, die Geflüchtete regelmäßig kontrollieren, schikanieren lässt und zu Abschiebungen überführt.
- Gegen Innensenator Frank Henkel, der diese Räumung mit zu verantworten hat und der verantwortlich ist für das brutale Niederknüppeln von Gegenprotesten während der zwei Zwangsräumungstermine in Neukölln und Kreuzberg in diesem Monat und die Niederschlagung der Antirepressionsdemo im März. Frank Henkel ist politisch verantwortlich für diese Räumungen, die Einschüchterung von Protestbewegungen und das Wegsperren einzelner Aktivistinnen und Aktivisten. Er ist verantwortlich für die Unterdrückung des politischen Protestes in dieser Stadt.
Doch wenn Henkel seine Hundertschaften zu uns schickt, um antirassistischen und sozialen Widerstand in die Enge zu treiben, dann werden wir jetzt zu ihm kommen und ihm am 11. April mit einer gemeinsamen Demo, in seinem beschaulichen Pankower Ambiente, einen Besuch abstatten.
Rassismus bleibt weiterhin ein Problem, so lange dieser Staat Nichtdeutsche Menschen und Geflüchtete systematisch ausgrenzt und diese an den europäischen und deutschen Außengrenzen sterben müssen.
Soziale Ausgrenzung bleibt auch weiterhin ein elementares Problem in dieser Stadt, so lange Menschen aus ihren Vierteln verdrängt, aus ihren Wohnungen geworfen und ihnen das Lebensnotwendigste vorenthalten bleibt.
So lange das der Fall ist, wird auch der Kampf weiter gehen:
- Für Abschaffung der Lager, Abschaffung der Residenzpflicht und sofortigen Abschiebestop!
- Henkel, Kolat, Wowereit, Kahlefeld müssen gehen!
- Stoppt die Repression gegen soziale Bewegungen!
Fr. 11. APRIL 2014 | 18.00 UHR | ANTONPLATZ | BERLIN-WEISSENSEE
(S-Greifswalder Str. > Tram M4 | Tram: M4, M13, M12 | 30 Min. vom Innenstadtbereich)
Erstveröffentlichung auf Indymedia am 9. April 2014
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