Proteste gegen den „Marsch für das Leben“

24. September 2012 | Nazis auf die Pelle rücken

In Berlin protestierten am Samstag mehrere hundert Menschen gegen den „Marsch für das Leben“, mit dem christlich Fundamentalist_innen jährlich ihre reaktionäre Weltanschauung auf die Straße tragen und für ein Verbot von Abtreibungen demonstrieren. Die lautstarken und bunten Proteste, zu denen ein Bündnis von feministischen und antifaschistischen Gruppen aufgerufen hatte, richteten sich gegen die Bevormundung von Frauen* und den Abtreibungsverbotsparagrafen 218 und forderten stattdessen die Entscheidungsfreiheit von Menschen über ihre Körper und die Anerkennung der freien Selbstbestimmung. Die Redebeiträge der Fundamentalist_innen konnten teilweise übertönt werden und ihr „Marsch“ wurde über die gesamt Strecke von Gegendemontrant_innen und feministischen Parolen begleitet. Die Berliner Polizei versuchte indes ihre Überforderung mit ruppigen Vorgehen, willkürlichen Personalienaufnahmen und Platzverweisen zu kompensieren.

Jahrelang zog der „Marsch für das Leben“ unbehelligt durch Berlins Mitte. 2008 regten sich erstmals Proteste. Feministische und antifaschistische Gruppen schlossen sich in dem Bündnis „1000 Kreuze in die Spree“ zusammen. Getreu dem Motto der Proteste fand in den folgenden Jahren immer wieder eine Reihe von Kreuzen den Weg ins kühle Nass. 2011 wurde die Route in Reaktion auf die Gegenproteste erstmals so geändert, dass die Abtreibungsgegner_innen auf ihrem Weg vom Bundeskanzler_innenamt zur St. Hedwigs Kathedrale am Bebelplatz das Überqueren der Spree vermieden. Seit letzten Jahr verzichtet der veranstaltende „Bundesverband Lebensrecht“ ebenfalls auf die Nennung von 1000 angeblich täglich in der BRD abgetriebenen Kinder im Titel ihrer Demonstration. Die Änderung der Route und das Abrücken von der absurd in die Höhe geschraubten Zahl von Abtreibungen, sind sicherlich auch auf die seit Jahren andauernden Proteste zurückzuführen. Auch in diesem Jahr organisierte das nun mehr unter dem Namen „What the Fuck“ agierende Bündnis im Vorfeld mehrere Veranstaltungen und Workshops zu verschiedenen Aspekten rund um die Themen Abtreibungspolitik und christlicher Fundamentalismus. Diese beschäftigen sich u.a. mit der vom antifeministischen und autoritären Weltbild des christlichen Fundamentalismus ausgehenden Gefahr, aktuellen Entwicklungen im Abtreibungsrecht in England und Deutschland und der Präimplantationsdiagnostik (Mitschnitte zum Nachhören). Eröffnet wurde die Reihe mit einem Vortrag vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum zur offenen Flanke der selbsternannten Lebenschützer_innen zur extremen Rechten, die nicht zuletzt immer wieder in völkischen und holocaustrelativierende Verlautbarungen zum Ausdruck kommt.

„Abtreibung ist der größte Weltkrieg aller Zeiten gegen die Kinder“

Diese Äußerung einer Rednerin bei der Auftaktkundgebung am Samstag ist symptomatisch für die ideologische Verortung der „Lebensschützer_innen“. Auf der unter anderem auch vom Bundesverband der „Jungen Union“ unterstützen „Marsch“ mit etwa 2000 Teilnehmer_innen fanden sich wie auch schon in den Vorjahren Menschen mit T-Shirts der Aktion „Linkstrend stoppen.“ Dabei handelt sich um eine Initiative aus dem Graubereich zwischen Rechtsaußen-Hardlinern der CDU und der „Neuen Rechten.“ Die dazugehörige Petition tritt nicht nur für „konsequenten Lebensschutz“ ein, sondern wettert darüber hinaus auch gegen „Geschlechterumerziehung“ und die „Gefahr der Islamisierung“. Zu den Erstunterzeichner_innen gehören neben diversen „Junge Freiheit“-Autoren und dem Politiker der rechtspopulistischen Partei „die Freiheit“ Rene Stadtkewitz auch der Bundesvorsitzende des „Bundesverbandes Lebensrecht“ Martin Lohmann, der mehrmals Interview-Partner der „Jungen Freiheit“ war. Eine Kuriosität in diesem Kontext war hingegen einer der eingesetzten Ordner_innen, der auf dem Rücken das eindeutig antichristliche, neopaganistische Symbol „Adler fängt Fisch“ trug. Das Zeichen ist markenrechtlich registriert durch die von 1989 bis zu seinem Tod 2009 durch den Neonazi Jürgen Rieger geleitete extrem rechte „Artgemeinschaft germanischen Glaubens – Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung.“ Auch in diesem Jahr gab es Grußworte u.a. vom CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Volker Kauder.

Der „Marsch“ und die Proteste 2012

Das Bündnis „What the Fuck“ hatte für den Tag zwei Kundgebungen am Auftakt und am Abschlussort der Fundamentalist_innen organsiert, ergänzt wurden die Proteste durch eine dritte Kundgebung des „Netzwerk Sexuelle Selbstbestimmung“ am Brandenburger Tor. Bis zu 250 Menschen nahmen jeweils an den Kundgebungen teil. In Redebeiträgen wurde u.a. das Verhältnis von christlichen und Islamischen Fundamentalismus beleuchtet, zudem gab es Grußworte von internationalen Aktivist_innen aus England und Österreich und der Gegenpäpstin Rosa I. Zahlreiche Gegendemonstrant_innen hatten sich bereits bei der Auftaktkundgebung und später beim „Marsch“ unter die Christ_innen gemischt und begleiteten diesen mit feministischen Sprüchen, Konfetti und Lärmartikeln. Die eigentlich zum Schweigen verdonnerten Christ_innen, die in diesem Jahr von vier Bussen aus Polen unterstützt wurden, ließen sich immer wieder aus der Ruhe bringen. Gegner_innen wurden bespuckt und mit Kreuzen geschlagen. Eine junge Frau, die sich gegen einen solchen Angriff zu verteidigen versuchte, wurde von der Polizei in Gewahrsam genommen. Überhaupt schwankte der massive Polizeieinsatz u.a. mit Hunden und Pferden zwischen übermotiviert und überfordert. Kreuze wurden entrissen und willkürlich Personalien von Anwesen aufgenommen. Ein Teil der angereisten Christ_innen mussten sich vor der Kathedrale die Beine in den Bauch stehen, beim Abschlussgottesdienst in der katholischen St.Hedwigs Kathedrale war nicht genug Platz für alle. Das Bündnis „What the Fuck“ kündigt unterdessen an auch am 21.09.2013 wieder gegen den „Marsch für das Leben“ zu protestieren.

Bilder vom Tag: flickr 1|2, Demotix

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