Antifaschistischer Jahresrückblick 2013

30. Dezember 2013 | News Redaktion

 Im vergangenen Jahr fanden in Berlin wieder zahlreiche Aktionen gegen die verbliebene Naziszene statt. Seit nun knapp einen Jahr wird das Portal antifaschistischer Initiativen www.antifa-berlin.info in neuer Form fortgeführt. Das Portal bietet nicht nur den Rahmen für antifaschistische Projekte und Kampagnen, sondern informiert regelmäßig über antifaschistische Events und Recherche-Veröffentlichungen. Als kleine Revue entstand folgender antifaschistischer Jahresrückblick 2013. Uns ist bewusst, dass die Berliner Antifa weit vielfältiger ist, als es ein solcher Rückblick es jemals sein wird. Wir hoffen dennoch, nicht zu viel vergessen zu haben. Auf Ergänzungen sind wir gespannt.

Anlässlich des vierjährigen Bestehens der Nazikneipe „Zum Henker“ richten sich auch 2013 wieder vielfältige Proteste gegen die Kneipe. Mit Raum für knapp 100 Nazis ist der Henker die wichtigste Nazilocation in Berlin. In diesem Rahmen gab es mehrere Aktionen, um den Druck auf die Hausverwaltung, die F&M Mietgesellschaft und den Eigentümer, die ZBI Gruppe zu erhöhen, darunter eine Kundgebung vor dem Unternehmenssitz der F&M Mietgesellschaft in Berlin-Mitte am 28. Februar. Schon 2012gab es kreative Aktionen gegen den Vermieter. Darunter die Verleihung des Preises zum „Nazifreundlichen Unternehmen des Jahres, die Thematisierung auf Plakaten und Transpis im Umfeld der Geschäftsstelle sowie die Übersendung von Protestpostkarten. Kurz nach der Kundgebung verkündete ein Verantwortlicher der ZBI Gruppe aus Erlangen die Kündigung des Mietvertrags der Kneipe und der Wohnung des Wirts im gleichen Haus. Das Unternehmen erwirkte eine Räumungsklage, deren Entscheidung das Landgericht jedoch auf Ende Januar nächsten Jahres vertagte. Am 31. Januar 2014 soll das Urteil schließlich gefällt werden.

In der ersten Hälfte des Jahres, kurz vor dem geplanten Naziaufmarsch am 1. Mai, erschien zudem die fünfte Ausgabe der Recherche-Zeitschrift "Fightback - Antifa-Recherche Berlin-Brandenburg", dieses Mal mit mehr als 100 Seiten. Die Fightback ist eine Publikation antifaschistischer Recherche-Strukturen, welche in regelmäßigen Abständen erscheint. In der aktuellen Ausgabe wurde der Teil zu Brandenburg stark ausgebaut. Mit mehr als 850 Namen und über 700 Bildern liefert die Zeitschrift einen umfangreichen Überblick über neonazistische Strukturen in Berlin und Umland. Den Herausgeber_innen geht es darum „eine Basis für konkrete antifaschistische Arbeit in Berlin zu schaffen (Fightback #02).

Nach außen geschwächt zeigten sich die Strukturen des NW-Berlin. Diese haben sich vollständig in die NPD eingegliedert. In den Reihen der NPD-Jugendorganisation JN-Berlin führen sie ihre menschenverachtende Praxis ungehindert weiter. Dabei haben die Nazis die sozialen Netzwerke für sich entdeckt. Über die Aktionen der JN-Berlin wird regelmäßig auf ihrem Facebook-Profil berichtet. Wie schon zu Zeiten des NW-Berlin bedienen sie sich dabei an Aktionscodes der linken Szene und pflegen einen pseudomäßigen autonomen Look. Immer wieder kommt es  zu gewalttätigen Aktionen gegen alle Menschen, die nicht in ihr faschistisches Weltbild passen. In diesem Jahr fanden zudem mehrere Prozesse gegen Sebastian Schmidtke statt. Der Landesvorsitzende der NPD und Chef des Ex-NW-Berlin wurde im Dezember zu 8 Monaten Haft auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Durch den Prozess wurde bekannt, dass die Berliner Naziszene die Internet-Präsenz des NW-Berlin über einen Mittelsmann aus Dortmund organisiert hatte. Weitere Verfahren gegen Nazis gingen mit geringen Geldstrafen zu Ende, so auch ein weiteres Verfahren gegen Schmidtke wegen eines Angriffs auf Antifaschist_innen in NRW.

Im April und Mai folgten im Vorfeld des geplanten Naziaufmarsch am 1. Mai vielfältige Aktionen gegen die lokalen Strukturen der Naziszene in Berlin-Schöneweide. So organisierte das antifaschistische Bündnis „Gemeinsam gegen Nazis“ eine Großdemonstration am 30. April in jenem Kiez. Zur Mobilisierung fand  eine antifaschistische Fahrradtour durch Schöneweide und Neukölln statt. An der Demonstration am 30. April beteiligten sich mehr als 4.000 Menschen. Im Anschluss an die Demonstration fand ein Konzert mit antifaschistischen Bands im Herzen Schöneweides statt. Die Demonstration war Teil der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch am nächsten Tag. In diesem Zusammenhang wurden mehrfach Neonazis im Bezirk geoutet. Lokale Akteur*innenaus Schöneweide führten zudem wieder zahlreiche Veranstaltungen, Putzspaziergänge und Aktionen durch. Die Verantwortlichen Nazis zeigten sich überfordert mit dieser Offensive antifaschistischer Aktionen direkt vor ihrer Nase.

Am Ersten Mai gelang es nicht den in Schöneweide angemeldeten Naziaufmarsch zu verhindern. Eine martialisch abgesicherte und strategisch gut gewählte Route machte effektive Behinderungen des Aufmarsch beinah unmöglich. Dennoch gelang es einigen Antifaschisten mit einer Betonpyramide die Aufmarschstrecke direkt zu blockieren. Am Rande des Aufmarschgebiets gingen die Bullen indes rabiat gegen Gegendemonstrant_innen vor. Ohne eine so enge Kooperation zwischen Bullen und Nazis wäre der Aufmarsch nicht durchführbar gewesen. In Kreuzberg versammelten sich am Abend wieder tausende Menschen zu revolutionären Ersten Mai Demonstration. Neu in diesem Jahr war ein anarchistischer Block, der sich nach Beginn der Demo dem Demozug anschloss und der Demonstration einen unmissverständlichen Ausdruck verlieh.

Wie auch in den Vorjahren fand auch 2013 im Treptower Park die Siegsfeier zum Sieg über den Faschismus statt. Im Laufe des Tages kamen zahlreiche Menschen zum Fest, um den 9. Mai zu feiern. Das Fest ist somit seit Jahren fester Bestandteil antifaschistischer Gedenkpolitik in Berlin. Auch in diesem Jahr gab der Vorbereitungskreis wieder eine Zeitschrift heraus.

Im Juli trat nach langer Zeit mit der trans*genialen f_antifa wieder eine Fantifa-Gruppe in Berlin in die Öffentlichkeit. Nicht nur die Diskussionen über die Frauen- bzw. LGBT-Reihen bei den Silvio-Meier-Demonstrationen in den letzten Jahren haben die Notwendigkeit von feministischen Interventionen in der Berliner Antifa deutlich gemacht. Das im April erschiene Buch "Fantifa. Feministische Perspektiven antifaschistischer Politiken" hatte die Geschichte von Frauen- / feministischen Antifa-Gruppen wieder aus der Versenkung geholt.

Wie seit längerem bekannt ist, entwickelt sich der Ortsteil Buch zunehmend zum Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten. Schon seit Jahren versuchen Nazis den Ortsteil als ihre Homezone zu deklarieren. Aktuell sind die Akteure der Nazi-Clique in Buch Christian Schmidt, Fabian Knop, Tobias Reinhold, Daniel Stern und Mathias Ebert. Nach mehreren antifaschistischen Interventionen im Bezirk ebben die Aktionen der Nazis im Bezirk zwar eher ab, was aberkein Grund sein sollte sich zurückzulehnen.In einem Artikel stellen gut informierte Kreise klar, dass für Antifaschist_innen „das Problem Naziszene in Buch noch nicht erledigt“ ist. Neben Graffitiaktionen gab es in Buch auch mehrere Outings. Auch an Schulen in Buch wurde auf die örtlichen Nazis aufmerksam gemacht. So wurden mehrfach Exemplare der Pankower Jugendzeitung "Rosen auf den Weg gestreut" verteilt.  Auch in diesem Jahr fand in Buch wieder eine Gedenkdemo an Dieter Eich statt.

Wie im gesamten Bundesgebiet nutzen auch Berliner Nazis den rassistischen Diskurs in der Gesellschaft, um rassistische Progromstimmung zu schüren. Dafür knüpften sie an den rassistischen Diskurs um eine, in Hellersdorf eröffnete, Unterkunft für Geflüchtete an. Mit zahlreichen menschenverachtenden Aktionen präsentierte sich die NPD dort als Spitze des rassistischen Mobs. Dies nicht ohne Erfolg: bei den Bundestagswahlen im September 2013 erzielte die NPD in Teilen von Hellersdorf Ergebnisse von bis zu 10%. Dazu kamen zahlreiche Angriffe und Angriffsversuche auf Unterkünfte für Geflüchtete. Die MBR (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus) zählt seit Jahresanfang insgesamt sieben Brandanschläge in diesem Zusammenhang. Antifaschistischen und antirassistischen Strukturen gelang es jedoch mehrfach die Aktivitäten der Rassist*innen zu verhindern. Bei vielen Mobilisierungen kamen mehrere tausend Menschen nach Hellersdorf und machten unmissverständlich deutlich, dass praktische Solidarität mit den Geflüchteten ein fester Bestandteil sozialer Bewegungen und antifaschistischer Politik sein muss.


Als Wortführerin dieser rassistischen Proteste sticht Maria Fank hervor. Die Lebensgefährtin von Sebastian Schmidtke und Landesvorsitze der NPD-Frauenorganisation RNF (Ring Nationaler Frauen) trat während der rassistischen Mobilmachung immer wieder als Rednerin auf. Im Mai wurde bekannt dass Maria Fank eine Ausbildung zur Sozialassistentin an der Akademie für berufliche Bildung (AFBB) in Berlin-Mitte absolviert. Nach der Veröffentlichung geschah lange Zeit nichts. Erst im Oktober fand eine erneute öffentliche Thematisierung statt. Wegen einer, von Antifaschist_innen organisierten Kundgebung vor dem Schulgebäude, ließ die Schulleitung den Betrieb einstellen. Für eine öffentliche Stellungnahme stand das verantwortliche Unternehmen jedoch nicht zur Verfügung. Die Kundgebung konnte eine breite Thematisierung von Fanks Ausbildung in Berliner Tageszeitungen erreichen. Die Schule bot Fank einen Aufhebungsvertrag an und sprach kurzzeitig eine mündliche Kündigung aus. In der Naziszene solidarisierten sich zahlreiche Neonazis mit Maria Fank. Da die Schule den Rausschmiss von Fank letztlich nicht durchsetze, kam es im Dezember zu weiteren Aktionen.

Im November gedachten wieder mehrere Hundert Menschen den Opfern der Novemberprogrome von 1938  Am 9. November fand deshalb eine Gedenkundgebung- und Demonstration in  Moabit statt. Im Rahmen der Demonstration entstand auch in diesem Jahr  wieder eine Zeitung. Seit vielen Jahren organisieren antifaschistische  Gruppen diese Gedenkdemonstration durch Moabit.

Ebenfalls im November fand wieder die jährliche Silvio-Meier-Demo statt. Die Antifaschistische Linke Berlin (ALB)und weiter linke und antifaschistische Gruppen riefen unter dem Motto „Antifa in die Offensive“  zur 21. Silvio Meier Demo auf. Am 23. November beteiligten sich mehr als 6.000 Menschen an der mittlerweile größten regelmäßig stattfindenden Antifa-Demo in Deutschland. Mit Bengalos, Ketten und kraftvollen Sprechchören zog die Demonstration durch Friedrichshain. Zeitgleich zogen etwa 200 Nazis von Schöneweide nach Rudow. Im Vorfeld war der Nazikader Björn Wild von Vermummten zusammengeschlagen und schwer verletzt worden. Björn Wild, Aktivist des NW-Berlin, war in der Vergangenheit mehrfach an Übergriffen auf Antifaschist_innen beteiligt gewesen.  Am 21. November, dem Todestag von Silvio Meier, fand wie jedes Jahr eine Mahnwache am U-Bhf. Samariterstr. statt. Außerdem wurde ein Kiezspaziergang zu verscheidenen Orten linken Widerstands in Friedrichshain organisiert.

Mehrere antifaschistische Strukturen feierten in diesem Jahr zudem ihr 10 jähriges Bestehen. Darunter die Antifaschistische Initiative Reinickendorf (AIR) und die ALB. Mit einer großen Gala wurde in diesem Zusammenhang am 3. November im SO36 auf 10 Jahre linke und antifaschistische Politik für die ALB angestoßen. Mit dabei war die katalansiche Band Obrint Pas. Auch die AIR feierte ausgiebig ihren Geburtstag bei einer Gala mit Konzert.  Das zeigt wie wichtig antifaschistische und linke Strukturen für die Situation in Berlin gewesen sind und weiterhin bleiben. Das Motto „Für immer Antifa“ ist in diesem Zusammenhang ein aktueller Aufruf an uns alle, innerhalb der Strukturen in Berlin weiterhin aktiv und solidarisch zu bleiben.


In Schöneweide fanden auch in der zweiten Jahreshälfte weitere Aktionen statt. In Gedenken an den vor 20 Jahren ermordeten Hans Joachim Heidelberg fand eine antifaschistische Kundgebung am S-Bhf. Schöneweide statt. Hans-Joachim-Heidelberg wurde am 24. Oktober 1993 von Nazis ermordet. Die Täter wurden nie gefasst und in keiner öffentlichen Statistik taucht sein Name auf. Die vom Antifaschistischen Bündnis Südost (ABSO) organiserte Kundgebung thematisierte somit auch die Blindheit öffentlicher Statistiken in vielen Fällen rassistischer Gewalt. Während die Amadeu-Antonio-Stifftung in einer eigenen Statistik von mindestens 184 Opfern faschistischer Gewalt seit 1990 ausgeht, finden sich in den offiziellen Statistiken nur knapp 60 Namen. Auch das zivilgesellschaftliche Bündnis "Uffmucken" organiserte wieder zahlreiche Veranstaltungen im Bezirk, wie ein Aktionstag, ein Poetry Slam, ein Konzert und zahlreiche Putzspaziergänge.

Im Dezember fanden schließlich weitere Aktionen gegen die RNF-Funktionärin Maria Fank statt. Datrunter eine Kundgebung bei der es trotz der restriktiven Politik der Schule endlich gelang mit den Schüler*innen der AFBB in Kontakt und Austausch zu treten. Obwohl die AFBB die Pause verlegen ließ und das Schulgebäude verriegelte, solidarisierten sich zahlreiche Schüler_innen mit dem Anliegen der Antifaschist_innen. Auch Maria Fank ließ sich kurz blicken und bedrohte dabei die anwesenden Antifaschist_innen damit, dass diese bald nichts mehr zu lachen hätten - wir glauben, dass wird eher anders herum sein. Eine Antifa-Demo in den Folgetagen im selben Zusammenhang, war bedauerlicherweise schlecht besucht. Eine breite Zuspitzung des Drucks auf die AFBB und schließlich die Kündigung von Fank gelang dadurch nicht.

Was bleibt also aus antifaschistischer Perspektive vom Jahr 2013? Wagen wir uns an ein kleines Fazit: In Schöneweide konnten die Nazis im Jahr 2013 durch vielfältige Aktionen zurückgedrängt werden. Die fristlose Kündigung für den Henker nach den Protesten gegen die F&M Mietgesellschaft, die erreichte Räumung der Lückstraße 58 zu Mitte nächsten Jahres und die Interventionen gegen die Nazikneipen in  Reinickendorf zeigen, dass die Strukturen der Nazi-Szene durch Druck auf  die privaten Unternehmen (Vermieter, Kneipen etc.), die mit ihnen zusammarbeiten, angreifbar sind. Auch in Buch konnte durch Interventionen dem Versuch der Nazis sich dort festzusetzen und ihre Strukturen zu festigen, etwas entegengesetzt werden. Gleichzeitig zeigt die breite Beteiligung an den antifaschistischen Demos am 30. April und der Silvio Meier Demo, dass Antifa nach wie vor viele tausend Menschen in Berlin mobilisieren kann. Im Jahr 2013 fanden zudem wieder zahlreiche Outings statt und durch die Fokussierung auf Maria Fank konnte eine Akteurin der rassistischen Hetze gegen Geflüchtete auch in ihrem Alltag zur Verantwortung gezogen werden. Es bleibt zu hoffen dass in den kommenden Wochen und Monaten die Aktionen gegen Maria Fank fortgesetzt werden.

Für ein noch vielfältigeres antifaschistisches Jahr 2014, Antifa da geht noch was!


Ergänzungen

Kampagne gegen NPD in Westberlin

In Berlin-Reinickendorf gab es von Oktober 2012 bis Februar 2013 eine kleine aber effektive Antifakampagne gegen den lokalen NPD-Kreisverband und mit ihm kooperierende Kneipen. Neben Kundgebungen und Outings diverser nordberliner Lokalitäten als Kooperationsprtner der NPD (1, 2, 3), sorgten auch militante Aktionen für weiteren Druck. Der federführende NPD-Aktivist Tibor Ha­raz­sti wurde an sei­ner Wohn­an­schrift ge­ou­tet und im März 2013 auf dem Weg zu einer Par­tei­ver­an­stal­tung von Ver­mumm­ten über­fal­len. Meh­re­re Knei­pen dis­tan­zier­ten sich von der neo­na­zis­ti­schen Par­tei, eine Knei­pe im Wed­ding muss­te nach an­ti­fa­schis­ti­schen In­ter­ven­tio­nen schlie­ßen.

Erstveröffentlichung auf Indymedia am 30. Dezember 2013

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