Naziangriffe in Neuölln und Wedding: alte Kader, neue Attacken
Seit Mitte Dezember 2016 kommt es immer wieder zu Bedrohungen und Angriffen gegen Antifaschist*innen in Berlin. Lag der Schwerpunkt der Angriffe anfänglich noch auf dem Berliner Bezirk Neukölln, kam es nun Anfang Februar zu weiteren Aktionen seitens Berliner Nazis, dieses mal in Berlin Wedding. Seit dem sich zuspitzenden europäischen Rechtsruck treten bundesweit wieder alte Kader neonazistischer Organisationen in Erscheinung oder agieren konspirativ, bei denen man davon ausgegangen war, dass sie sich zu Ruhe gesetzt oder sich aus der Szene verabschiedet hätten. Wir wollen mit diesem Artikel einen Überblick über bereits veröffentlichte Recherchen geben und darüber hinaus die anhaltende Kontinuität der Aktivitäten älterer Nazis hervorheben, die bereits Anfang der 90‘er-Jahre in Berlin und Brandenburg aktiv waren und aus unserer Sicht eine erhebliche Rolle in den derzeitigen Angriffswellen spielen.
Den Beginn der Angriffsserie stellte die Nacht vom 11.12 auf den 12.12.2016 dar. In dieser Nacht wurde auf das linke Kollektivcafé „K-fetisch“ ein Brandanschlag verübt, die Scheiben einer Privatwohnung mit einem Stein und einem Glasbehältnis voller Farbe eingeworfen. Wenig später wurde versucht, die Scheiben einer Buchhandlung in Rudow einzuwerfen. Es folgten weitere Angriffe auf Wohnhäuser von Antifaschist*innen und Brandanschläge auf Autos von Menschen, die sich in der Vergangenheit gegen Nazis engagiert hatten.
Auffallend hierbei ist, dass die Anschlagserie kurze Zeit nach der Haftentlassung des Neuköllner Nazis Sebastian Thom begann. Bereits im Jahr 2011 kam es zu einer Anschlagsserie Berliner Nazis, die dem Nationalen Widerstand Berlin zugerechnet werden kann, Thom war damals Teil dieses Zusammenschlusses. Darüber hinaus fungierte er als Vorsitzender der Neukölner NPD. Im selben Jahr betreute Thom einen Wahlkampfstand der NPD Neukölln am U Bahnhof Britz-Süd zusammen mit Oliver Werner. Werner wurde zu diesem Zeitpunkt von der NPD zum Schutz für Infostände eingesetzt, da es zu dieser Zeit zu zahlreichen antifaschistischen Interventionen kam, bei denen unter anderem Uwe Meenen (NPD) in Treptow verprügelt wurde.
Alte Kameraden …
Werner und Thom pflegten schon zu diesem Zeitpunkt ein mehr als freundschaftliches Verhältnis zueinander, man kann wohl davon sprechen, dass Werner als Thoms politischer Ziehvater fungierte. Welches Know-How ihm Werner vermittelte, lässt sich anhand der jüngsten Anschlagserie erneut gut beziffern. So war der mittlerweile 43 jährige Werner schon Anfang der 90‘er-Jahre in militanten Nazizusammenhängen aktiv und kann auf eine lange Laufbahn innerhalb diverser Nazistrukturen zurückblicken. Werners Karriere beginnt, wie für viele andere militante Berliner Faschos in der „Nationale Alternative“ (NA), die am 18. Februar 1990 mehrere Häuser in Berlin Lichtenberg besetzte. Das Haus in der Weitlingstraße 122 fungierte ab diesem Zeitpunkt als eine Art Parteizentrale der NA von der aus es zu zahlreichen Übergriffen auf Antifaschist*innen und Migrant*innen kam. Zudem diente die Weitlingstraße 122 als Treff und Koordinationspunkt für die Bundesdeutsche Naziszene. Zu den Kadern der NA gehörten neben Werner Ingo Hasselbach, Oliver Schweigert, Frank Lutz, Heiko Baumert, Andre Richert, Marcus Bischoff und Arnulf Priem.
Werner beteiligte sich an Wehrsportübungen, lässt sich im konspirativen Verhalten unterweisen und übernahm als Mitglied der Organisation „Freundeskreis revolutionärer Volkssozialisten (FRVS)“ bereits im Jahr 1992 die „Anti-Antifa-Kartei“ vom Berliner Neonazi Oliver Schweigert. Im Oktober 1993 beschlagnahmte die Polizei in Werners Wohnung in Kreuzberg Bombenbauanleitungen, eine Hülse für Rohrbomben und professionelle Zünder. Im Jahr 1994 werden sogenannte „Feindeslisten“ bei Werner gefunden. Im selben Jahr werden in Werners Wohnung vier zylindrische Behältnisse mit insgesamt ca. 1000 Gramm zweier verschiedener Sprengstoffe beschlagnahmt. Weiter bildete Werner mit dem späteren Bullen-Mörder und vor kurzem aus dem Knast entlassenen Kay Diesner ein Anti-Antifa Tandem, späht politische Gegner*innen aus und beteiligt sich an Anschlägen. Ingo Hasselbach der 1993 öffentlichkeitswirksam aus der Naziszene ausstieg beschreibt Oliver Werner in seinem Aussteigerbuch „Die Bedrohung“ rückblickend als „brutalen und vom Nazigeist zerfressenen Fanatiker“. Nachdem der langjährige Freund und Mitstreiter von Werner, Kay Diesner, im Jahr 1997 auf einen linken Buchhändler schießt um anschließend auf der Flucht noch einen Bullen zu erschießen, wird es vorerst ruhig um Werner. Der langjährige Naziaktivist, der im konspirativen Verhalten geschult ist, wendet sich fortan anderen Dingen zu, allerdings ohne dabei seine alten Kameraden im Stich zulassen. Dazu ist bekannt das Werner sich spätestens ab diesem Zeitpunkt im Rocker- und Rotlichtmilieu, also im Bereich der sogenannten „organisierten Kriminalität“ bewegt und als Zuhälter tätig ist. Später wird er zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt die er wegen Menschenhandel in Tateinheit mit Ausbeutung von Prostituierten, Diebstahl und Betrugs im offenen Vollzug der JVA Hakenfelde Berlin absaß. Nach seiner Entlassung wohnte er laut Rechercheergebnissen in Berlin Schöneberg. Öffentlich einsehbar existieren zwei Fotos von Oliver Werner eines aus den 90er Jahren und das letzte von ihm bekannte Foto von dem bereits mehrmals erwähnten Infostand der NPD Neukölln vom 09.07.2011.
… dieselbe(n) Motivation(en)
Bereits 2011 wurde davon ausgegangen, dass Werner zusammen mit Thom und dessen politischem Umfeld zusammen bei klandestinen Aktionen agiert hat. Auch, wenn wir aktuell noch nicht sagen können, ob sich Werner auch an der erneuten Anschlagsserie beteiligt(e), kann festgehalten werden, dass weder Werner noch seine Kameraden von damals sich zurückgezogen oder gar geändert haben, sondern da ansetzen, wo sie bereits vor über 20 Jahren ansetzten: Wissensweitergabe, sowohl ideologischer als auch taktischer Natur, Kaderförderung und Ausbildung. Neben Werner existieren bis heute zahlreiche Akteure des Militanten Nazimilieus in Berlin, beispielsweise Marcus Bischoff. Bischoff war 1993 bei einem Angriff mit Handgranaten auf ein Flüchtlingsheim in Berlin Weißensee beteiligt. Aktuell ist Bischoff in der NPD Berlin aktiv. Werner und Bischoff verdeutlichen, dass die, die in den 90er Jahren schon aktiv und zum Morden bereit waren, nicht einfach verschwinden, sondern dann wieder hervortreten, wen sie ihre Zeit gekommen sehen. Genau jetzt.
Es wird an uns als Antifaschist*innen liegen, wie wir den alten und neuen Akteuren entgegentreten und wie lange wir es noch zulassen, dass Nazis unsere Strukturen angreifen. Während der letzten Wochen und auch im Nachgang der Angriffswelle von 2011 wurden deutliche antifaschistische Akzente gesetzt und hochrangige Nazikader in die Schranken gewiesen. Zudem wurden in Berlin in den vergangen Jahren zahlreiche Naziwohnungen, Kneipen und Treffpunkte angegriffen. Dass dies zu Reaktionen führen könnte, war abzusehen und ist nicht sonderlich verwunderlich, da Nazis immer schon politische Gegner*innen (oder die sie dafür hielten) angegriffen, verprügelt und ermordet haben. Zum einen, weil es Teil ihrer Ideologie ist zum anderen, weil sie sich durch den erneuten Rechtsruck bestärkt und bestätigt sehen.
Dennoch und vor allem deswegen sollte es aus unserer Sicht auch darum gehen, aufzuklären wo und von wem die Daten von Antifaschist*innen in Fascho-Kreise gelangt sind, ohne die die Angriffe gar nicht möglich gewesen wären. Wir denken, dass es Sinn macht, alle möglichen Faktoren mit einzuschließen und auch die Cops nicht von vornherein als potenzielle Freunde der Nazis auszuschließen, so, wie es in einigen antifaschistischen Kreisen der Fall zu sein scheint. Hierbei sei nochmals an die Datenweitergabe im Zusammenhang mit der Rigaer 94 im Sommer 2016 erinnert.
Zudem wollen an dieser Stelle nochmals hervor heben, dass Recherchen den Grundstein antifaschistischer Arbeit bilden. Ohne Menschen, die „unsere Archive“ füllen wäre weder dieser Text entstanden, der sich aus vielen älteren Artikeln speist, noch würden wir auch nur im Ansatz über das Wissen von Adressen, Strukturen und Beziehungen von Nazis verfügen, die für die Umsetzung antifaschistischer Politik zwingend notwendig sind. Jedoch sollte hierbei deutlich betont werden, dass es eben auch Menschen bedarf, die was mit den gesammelte Daten anstellen und Antifa-Arbeit praktisch umsetzen … Sei es nun in Form von Outings oder von militanten Interventionen. Die Genoss*innen aus Leipzig haben mit ihrem Blog über die beteiligten Nazis des Angriffs auf Connewitz am 11.01.2016 enorm gute Arbeit geleistet, und aufgezeigt, wie gute Recherchearbeit aussehen kann. Diese Arbeit gilt es zu honorieren. Bereits am 18.03.2017 wird es die Gelegenheit geben, dies zu tun und den Naziaufmarsch in Leipzig zum kompletten Desaster zu machen!
AK36 im Februar 2017
Ergänzung: Kay Diesner wurde im Juni 2016 aus dem Knast entlassen. Laut Staatsanwaltschaft Lübeck habe sich Diesner in der Haft von der rechten Szene abgewandt und stelle keine Gefahr mehr dar. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau erklärte er bereits im Februar 2013 seinen (angeblichen) Ausstieg. Bis mindestens Ende der 2000er pflegte Diesner nachweislich weiterhin Verbindungen in Nazistrukturen. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau gibt er Anfang 2012 als Datum seines Ausstiegs an. In diesem bestreitet er auch, dass sein Ausstieg etwas mit der bevorstehenden Prüfung einer Haftentlassung nach 18 Jahren (2015) zu tun hat. Stattdessen beklagte er sich, dass er "in den Medien immer noch als der oberböse Neonazi dargestellt" werde, obwohl er "schließlich schon letztes Jahr ausgestiegen" sei. Der Tagesspiegel berichtete damals deutlich kritischer über eine ähnliche Kontaktaufnahme durch Diesner.
Erstveröffentlichung auf AK36 am 25. Februar 2017
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