Justizskandal: DNA um jeden Preis! Ermittlungsbehörden verschleppen Alibi

28. März 2017 | News Redaktion

Einen Monat nach den Durchsuchungen bei Berliner Antifaschist_innen ist die zuständige Staatsanwaltschaft noch immer keinen entlastenden Spuren nachgegangen. Statt das Alibi eines Beschuldigten zu überprüfen, hält sie daran fest, weitere Zwangsmaßnahmen zu initiieren. Um sich vor weiteren Übergriffen zu schützen, musste sich der Betroffene dem behördlichen Zugriff zwischenzeitlich bis auf Weiteres entziehen. Vier Wochen nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen, geben wir nun einen aktuellen Überblick zum Stand des Verfahrens.

Zur Vorgeschichte

Im Dezember 2015 gab der bekannte Neonazi Peter Brammann bei der Polizei zu Protokoll, unweit seines Wohnortes in der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte, von drei unbekannt gebliebenen Personen attackiert worden zu sein. Im Zuge der Auseinandersetzung habe er mehrere Prellungen, sowie eine Augenreizung durch Pfefferspray erlitten. Nach ambulanter Behandlung habe er das Krankenhaus wieder verlassen. Die Polizei leitete ein Ermittlungsverfahren wegen „gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung” ein, gegen unbekannt.

Brammann gehört zu den Urgesteinen der Berliner Rechtsrockszene. Er ist Sänger der Neonaziband „Deutsch, Stolz, Treue“ (D.S.T.) und wurde in diesem Zusammenhang bereits wegen Volksverhetzung und des „Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verurteilt. Neben Kontakten zu überregional bekannten Neonazibands, wie Spreegeschwader und Landser, werden ihm in diversen Publikationen (1, 2) Verbindungen zu militanten Neonazinetzwerken, wie den sogenannten Hammerskins und Blood and Honour nachgesagt. Bei Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem Internetvertrieb seiner Band, fanden Polizisten im Jahr 2007 eine scharfe Pumpgun.

When they kick at your front door

Nachdem auch eineinhalb Jahre nach der Auseinandersetzung mit Brammann keine Täter ermittelt werden konnten, lässt die Berliner Staatsanwaltschaft nun scheinbar jede Hemmung fallen: Am 28. Februar diesen Jahres wurden in Berlin-Mitte und Kreuzberg mehrere Durchsuchungsbeschlüsse gegen vermutete Nazigegner_innen unter Einsatz eines SEKs vollstreckt. Nach eigenen Angaben lagen die Hoffnungen der Ermittler im Auffinden sogenannter Beweismittel. In einem Fall wurde dabei einer Person unter Zwang DNA entnommen. Ein weiterer Beschuldigter, der zum Zeitpunkt der Durchsuchungen nicht zu Hause war, konnte sich den angedachten Zwangsmaßnahmen bis auf Weiteres entziehen.

Stelle dir vor, du hast ein Alibi und niemanden interessierts

Beinahe vier Wochen sind seither vergangen – obwohl bereits drei Tage nach den Durchsuchungen sowohl dem leitenden Ermittler beim Polizeilichen Staatsschutz, Göbel, als auch der mit der Führung der Ermittlungen betrauten Staatsanwältin, Sadri-Herzog, mitgeteilt worden war, dass im Falle des Beschuldigten, bei dem die DNA-Entnahme noch auf Vollstreckung wartet, ein Alibi im Raum steht.

Wer davon ausgeht, derlei entlastende Angaben würden von den Ermittlungsbehörden überprüft und gewürdigt, täuscht sich. Während die Polizei weiterhin Kräfte aufbietet, um vor der Wohnung des noch immer Beschuldigten herumzulungern, wartet seine Arbeitsstelle seit knapp dreieinhalb Wochen vergeblich auf eine Rückmeldung der Behörden, um die entlastenden Angaben beglaubigen zu dürfen.

Es zeigt sich auf der einen Seite, eine fortgesetzte Untätigkeit und der Unwillen der Ermittlungsbehörden, entlastendes zu Tage zu fördern. Auf der anderen werden weitere Ermittlungen und Eingriffe in die Rechte von Beschuldigten mit Nachdruck forciert und es wurde in diesem Zusammenhang mehrfach unter fadenscheinigen Vorwänden versucht, die angedachten Zwangsmaßnahmen umzusetzen. Was auf den ersten Blick noch mit Begriffen wie Willkür oder Behördenversagen zu fassen wäre, ist in der Gesamtschau nichts anderes als praktiziertes Feindstrafrecht, welches im Umgang mit vermuteten Nazigegner_innen bei weitem kein Einzelfall ist.

Chronik der Ereignisse

28. Februar, Dienstag
Unmittelbar nach der Durchsuchung, bei der die Wohnungseingangstür ausgetauscht werden musste, wird die Herausgabe der neuen Wonungsschlüssel auf Anweisung des Staatsschutzes an die Bevollmächtigten des Wohnungsinhabers verweigert. Sowohl eine bevollmächtigte Person als auch die später hinzukommende anwaltliche Vertretung des Betroffenen werden abgewiesen. Erst eine Intervention beim stellv. Abteilungsleiter des Staatsschutzes führt zu einer Herausgabe der Wohnungsschlüssel.

2. März, Donnerstag
Seine Arbeitsstelle bescheinigt dem Betroffenen für die Tatzeit ein Alibi und benennt mehrere Zeugen.

3. März, Freitag
Die Bescheinigung geht per Fax an LKA und Staatsanwaltschaft – darauf folgt keine Reaktion.

9. März, Donnerstag
Der Betroffene erhält eine Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung am darauffolgenden Montag. Seine anwaltliche Vertretung hakt nach und erhält eine Ausfertigung des Schreibens, aus der hervorgeht, dass es sich nicht um eine Vernehmung, sondern um einen Termin zur Vollstreckung einer richterlich angeordneten DNA-Entnahme handelt. Bei Nichterscheinen droht eine Zwangsvorführung.

10. März, Freitag
Auf anwaltliche Rückfrage erklärt das LKA, von der Staatsanwaltschaft noch keine Weisung bekommen zu haben, Hinweisen auf ein Alibi nachzugehen. Die DNA-Entnahme soll am kommenden Montag durchgesetzt werden.

13. März, Montag
Beschuldigter entzieht sich der DNA-Entnahme und bis auf Weiteres dem Zugriff der Behörden.

21. März, Dienstag
Polizisten lungern vor der Wohnung des Beschuldigten herum.

23. März, Donnerstag
Arbeitsstelle bestätigt, dass bislang keine Kontaktaufnahme durch das LKA zur Abklärung eines Alibis stattgefunden hat. Seit mehr als drei Wochen haben die Behörden bereits Kenntnis hiervon. Anwaltliche Vertretung erhält Akteneinsicht, woraus sich weitere Zweifel an der Substanz und dem Zustandekommen des Tatvorwurfs ergeben.

To be continued…

Erstveröffentlichung auf Soligruppe am 27. März 2017

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