Raven für Deutschland
Zehntausende Menschen gingen am vergangenen Wochenende (27. Mai) in Berlin gegen die AfD auf die Straße. Über Glanz und Elend des liberalen Antifaschismus.
Die Interventionistische Linke ist in Feierlaune: »Einen solch vielfältigen, lauten und von der Stadtgesellschaft getragenen Protest gegen einen rechten Aufmarsch hat Berlin seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen«, schreibt die Organisation in einem ersten Auswertungspapier zu den Protesten gegen einen angekündigten Großaufmarsch der faschistischen »Alternative für Deutschland« am vergangenen Wochenende. Die IL hat Grund zur Freude. Tatsächlich waren die Gegenkundgebungen riesig, viele Menschen beteiligten sich auf die eine oder andere Weise. Der Aufmarsch der AfD blieb dagegen weit hinter den Erwartungen der Möchtegern-Massenpartei zurück.
Von taz bis bento, von Grün bis Rosa-Rot, vom about:blank bis ins Mensch Meier klopft man sich auf die Schultern, ja sogar Springers Welt knüpft an die #afdwegbassen – Manifestation positiv an und erklärt, man brauche »mehr Techno in Deutschland«, denn da gehe es immer um »Liebe«. Und das schließlich sei besser als »Hass«, was schon Doktor Motte wusste: »Habt euch alle lieb! Und habt auch die lieb, die ihr nicht lieb habt.« Ähnlich wie die Welt-Autorin Laura Aha kommentiert die Interventionistische Linke. Es habe eine »basslastige Manifestation praktisch-solidarischer Lebensentwürfe« stattgefunden.
Alles gut also? Zehntausende auf der Straße für »praktisch-solidarische Lebensentwürfe«, Faschisten weggebasst, die befreite Gesellschaft zum Greifen nah? Wohl kaum. Eine nüchterne Betrachtung der Lage sollte nicht leugnen, dass es sehr schön ist, dass viele Berliner*innen die AfD ablehnen. Ebenso aber sollte man sich eine Kritik an dem politischen Rahmen, den bestimmte – zumindest in ihrer Selbstbeschreibung – »linksradikale« Gruppen und Aktivist*innen für diese Proteste gestellt haben, nicht sparen.
Mit der »offenen Gesellschaft« den Hass stoppen
Das breiteste Bündnis gegen das völkische Fahnenmeer trug den Titel »Stoppt den Hass«. Es verurteilt völlig korrekt den Rassismus, Antifeminismus und die homofeindliche Agenda der Truppe um Höcke, Gauland, Weidel und Co. Zweifelhafter wird schon die Einschätzung, die AfD habe das Ziel, »die Gesellschaft zu spalten« – ganz so, als ob diese Gesellschaft nicht ohnehin in sich gespalten wäre anhand von Klassenunterschieden oder rassistischen Trennlinien etwa.
Das Problem des Aufrufs ist generell die Diagnose des Status Quo. Es gibt nämlich keine. Kapitalismus kommt nicht vor, Kritik an der amtierenden Regierung auch nicht. Es gibt keinen Krieg, keine Waffenexporte, keine Armut. Auch Sexismus und Rassismus sind offenbar Alleinstellungsmerkmale der »Alternative für Deutschland«. Der stellt man sodann auch nichts entgegen als »eine demokratische und offene Gesellschaft«.
Die Kritiklosigkeit dürfte der Preis gewesen sein, den die Interventionistische Linke, als eine der Architekt*innen des Bündnisses für die intendierte Breite zahlen musste: Will man mit Linkspartei, Grünen und SPD zusammenarbeiten, wird es schwer sein, einen Aufruf durchzubringen, der auch nur in irgendeiner Weise auf die gesellschaftliche Realität in diesem Land Bezug nimmt.
Das ist zunächst unspektakulär. Man muss in jedem Bündnis überlegen, welche Inhalte man in den Vordergrund stellt. Aber nutzt es? Die Auffassung, die dahinter steht, ist letztlich die des »kleineren Übels«. Nicht die amtierende Regierung und etablierten Parteien sind der Hauptgegner, sondern die faschistischen Bewegungen. Aus Angst davor, letztere könnten die Macht übernehmen, ist man bereit mit ersteren zu kooperieren – zumindest von SPD bis »Die Linke«.
Das Antifaschismus-Verständnis, das hier vorherrscht, ist das Pendant zu dem, was Nancy Fraser im Rahmen einer Kritik an einigen Strömungen des Feminismus »progressiver Neoliberalismus« genannt hat. Antifaschismus zieht sich auf die Verteidigung der Errungenschaften der gegenwärtigen Gesellschaft zurück, und wird – losgelöst von einer Diagnose der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft – zu einer Rechtfertigungsideologie des Status Quo.
Letzterer aber ist ja nicht einfach Liebe, Liebe, Liebe. Die Gesellschaft in der wir leben, bringt drückende Armut, mörderische Kriege und brutale Unterdrückung in derartig vielen Facetten hervor, dass es einem selbst bei noch so viel Euphorie über die Anzahl von gegen die AfD mobilisierten Menschen nicht entgehen kann. Kleines Beispiel: Es ist schlichtweg etwas eigenartig, neben EU-Fahnen und SPD-Funktionären gegen Leute zu demonstrieren, die ein hartes Grenzregime an den europäischen Außengrenzen fordern. Neben dir stehen die, die genau das durchgesetzt haben.
Nun könnte man aber einwenden: Der Status Quo ist allemal besser, als das, was die AfD will. Und man würde Recht haben. Allein, alle Erfahrungen zeigen leider, dass das Bündnis der Linken mit dem Establishment am Ende doch nur den Rechten nutzt. Wer es nicht glaubt, braucht noch nicht einmal eine Zeitmaschine. Die Reise in andere europäische Länder reicht völlig.
#Wegbassen – Bratwurstessen für die Jungen und Hippen
Das zweite große Bündnis zum Event ist das der Berliner Clubs. Hier ist zunächst zu sagen: Das ist eben eine Party neben der AfD-Demo. Ähnlich wie früher bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Sozialdemokraten zum Bratwurstessen gegen rechts riefen, rief man hier eben zum Pillen-Schlucken gegen rechts. Die inhaltliche Kritik auf den meisten Schildern dieser Demonstration geht so: Nazis sind Müll, stinken, sind dumm, hässlich, können dieses oder jenes nicht. Auch ok, kann man machen. Ist aber jetzt nicht unbedingt jener großartige politische Erfolg, den manche Linksradikale gerne drin sehen wollen.
Zumindest nicht aus der Perspektive einer radikalen Linken. Denn da hätte die eigentliche Arbeit bei der Politisierung und Organisierung der zur Party angetanzten erst begonnen. Das aber war kaum zu beobachten. Man muss dem Club-Culture-Aufruf lassen: Im Unterschied zu »Stoppt den Hass« gibt es zwei Zeilen zur Kritik der aktuellen Verhältnisse. Ansonsten war es eben viel Ironie, fun, fun, fun und die Verklärung der Tanzfläche zur befreiten Gegengesellschaft: »Auf unseren Dancefloors vergessellschaften sich Menschen mit unbegrenzten Herkünften, vielfältigsten Begehren, wechselnden Identitäten und gutem Geschmack.«
Ähnlich wie bei »Stoppt den Hass« findet auch hier eine Idealisierung der bestehenden Verhältnisse statt. Berlin ist eigentlich schon total tolerant, egalitär, weltoffen, queer. Nur die hässlichen Spaßbremsen von der AfD wollen das kaputt machen. Gesellschaftliche Widersprüche, lokale wie globale, werden hier verdeckt. Am Ende gerät das Raven gegen das Deutschland der AfD zum Raven für das vermeintlich offene und nette Deutschland von SPD&Co.
Wer auch hier ein Beispiel möchte: Das SchwuZ, das hier auch für die Liebe und so mit mobilisiert, lässt an diesem Wochenende Konzerne bei sich werben, denen man weitaus mehr Menschenrechtsverletzungen, Morde und Hetze vorwerfen kann als der AfD – und das kann man sagen, ohne letztere zu verharmlosen.
Nicht schon wieder nörgeln
Das alles soll keine »Nörgelei« sein. Es ist auch keine Kritik ad hominem und richtet sich nicht gegen die Leute, die auf der Straße waren. Es bedeutet schlichtweg: Wer langfristig gegen Faschisten, aber auch gegen diesen Staat und sein Kapital erfolgreich sein will, muss solche Probleme und Widersprüche thematisieren und über ihre Lösung nachdenken. Kritik als Nestbeschmutzerei abzutun, hilft da nicht weiter. Und Aufrufe, die so gehalten sind, dass man nicht weiß, ob die SPD sie selbst verfasst hat, auch nicht.
# Von Fatty McDirty
Erstveröffentlichung auf Lower Class Magazin am 31. Mai 2018
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