trans*geniale f_antifa goes Mad Pride
Erinnert sich eine_r an die 1990er Jahre? Weiß noch irgendwer, dass es vor gar nicht allzu langer Zeit Frauen*-Antifa-Gruppen gab? Und kann sich jemensch erinnern, was diese Gruppen gefordert und erkämpft haben? Unser Eindruck ist, dass das Wissen, um feministische Antifa-Gruppen weitgehend verloren gegangen ist. Sich explizit Fantifa nennende Gruppen sind uns heute nicht bekannt. Es scheint, als sei die Verbindung von Feminismus und Antifa in Vergessenheit geraten und die Bezeichnung Fantifa weitestgehend in der Versenkung verschwunden. Eine bemerkenswerte Ausnahme stellt das kürzlich erschienene Buch „Fantifa. Feministische Perspektiven antifaschistischer Politiken“ dar.
Doch wer glaubt, Fantifa sei erledigt, hat sich gewaltig geirrt. Denn jetzt gibt es uns: die trans*geniale f_antifa. Antifa, weil Nazis und die Zustände, die ihre Ideologie möglich machen noch immer abgeschafft gehören. F_, weil Feminismus nicht nur heißt, das Patriarchat kaputtzumachen, sondern auch andere Herrschaftsverhältnisse mitzudenken und zu sabotieren. Trans*genial, weil immer noch viel zu viele Leute glauben, es gäbe nur zwei Geschlechter und wir diese Behauptung wegglitzern werden.
All diese Aspekte unseres Selbstverständnisses, verbanden sich am 13. Juli mit unserer Teilnahme an der „behindert und verrückt feiern Pride Parade“ in Berlin-Kreuzberg. Die Organisator_innen hatten alle „Freaks und Krüppel, Verrückte und Lahme, Eigensinnige und Blinde, Kranke und Normalgestörte“ aufgerufen: „Tanzt Barrieren weg! Hüpft aus den Schubladen! Scheißt auf Diagnosen!“
Weil wir uns davon angesprochen fühlten, nahmen wir mit einer Gender-Queer-Fahne und einem glitzernden Schild an der Parade teil. Um die Farben der Fahne (lavendel, weiß, flaschengrün) zu erklären und die Gender-Queer-Fahne bekannter zu machen, verteilten wir 400 Flugblätter in Leichter Sprache. Viele Menschen nahmen die Flugblätter interessiert entgegen und merkten an, dass sie sich schon gefragt hätten, was die Fahne bedeutet. Einige Menschen teilten uns auch mit, dass sie es toll fanden, dass das Flugblatt in Leichter Sprache geschrieben ist. Schon bei der Auftaktkundgebung am Hermannplatz wurde das Flugblatt von vielen Menschen gelesen und auch angeregt diskutiert.
Mit unserem Schild nahmen wir Bezug auf die Pathologisierung von Trans*menschen: „Trans*sein ist keine ‚Krankheit‘, sondern meine Glitzer-Rebellion!“ Denn noch immer wird Trans*sein im ICD-10, dem Diagnosekatalog der Weltgesundheitsorganisation, aufgeführt und als psychische „Störung“ bezeichnet. Auch im DSM-5, dem diagnostischen Handbuch der American Psychiatric Association – auf das sich weltweit bezogen wird – wird Trans*sein ebenso bezeichnet. Diese „Diagnose“ gehört – genau wie alle anderen Pathologisierungen – abgeschafft.
Bei der Auftaktkundgebung der Parade wurden Redebeiträge verlesen, die auch in Deutsche Gebärdensprache übersetzt wurden. Zwischendurch gab es immer wieder Musik. Später zogen ungefähr 1.000 Menschen Konfetti werfend, tanzend, rollend, Fahnen schwenkend und feiernd durch Kreuzberg. Um auch feministische und Trans*-Standpunkte zu verdeutlichen, riefen wir zusammen mit solidarischen Menschen Parolen wie „Wir sind laut, wir sind hier – feministisch, genderqueer!“ und begrüßten die Anwohner_innen mit „Hallo Kreuzberg, wir sind da – trans*geniale f_antifa!“ Unsere Wut über Pathologisierungen und die ganze andere Kackscheiße drückten wir aus durch den Spruch „Womyn, grrrls and trans* unite – we are angry we will fight!“
Wir freuten uns über die Teilnahme verschiedenster Menschen und über bunt bemalte Transparente und Schilder mit Aussagen wie:
„A person who functions normally in a sick society is themself sick“ („Eine Person, die in einer kranken Gesellschaft normal funktioniert, ist selbst krank“)
„Sex Workers kommen in allen Körpern – wie unsere Kunden“
„Korrigiert ihr noch? – oder liebt ihr schon!“
„All Pathologizations are bullshit“ („Alle Pathologisierungen sind Kackscheiße“)
„Love Disability – Hate § 218 – für das Recht auf Abtreibung, Behinderung und Krankheit“
„Norm mich nicht voll – Normative Körperbilder durchkreuzen!“
„Wir pfeifen auf eure Diagnosen“
Angekommen am Kottbusser Tor wurden auf einer Bühne weitere Redebeiträge verlesen und in Deutsche Gebärdensprache übersetzt. Thematisch ging es unter anderem um die Ermordung von als „behindert“ eingestuften Menschen im Nationalsozialismus oder um den Zusammenhang von Behinderung und Abtreibung. Außerdem gab es Performances und DJ_anes legten auf.
Wir hoffen sehr, dass die erste Mad & Disability Pride Parade in Berlin (und Deutschland) nicht die letzte gewesen sein wird. Denn Ableismus, Pathologisierungen und Trans*phobie sind noch immer feste Bestandteile dieser Gesellschaft. Dass eine Welt ohne diesen ganzen Unsinn möglich – und nötig! – ist, hat die heutige Parade eindrucksvoll bewiesen. Mit unserer Teilnahme hoffen wir, einen kleinen aber feinen Beitrag zu einer verrückteren und emanzipatorischeren Gesellschaft geleistet zu haben.
F_antifa ist noch immer eine Notwendigkeit und Trans*genialität sowieso. Wir sind uns sicher, dass es da draußen noch mehr mutige Menschen gibt, die ähnlich denken und für die Gründung einer eigenen f(_)antifa-Gruppe vielleicht nur auf ein Zeichen gewartet haben. Wenn dem so ist: Hier ist das Zeichen!
Fotos von der Parade:
neukoellnbild
phopectiveberlin
ubiquit23
Die trans*geniale f_antifa im Internet: http://transgenialefantifa.blogsport.de
Erstveröffentlichung auf Indymedia am 14. Juli 2013
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