Einschätzung zur Situation in Hellersdorf

15. August 2013 | News Redaktion

Anfang Juli tauchten im Kiez um die Carola-Neher-Straße Plakate im Stadtbild auf, die sich auf die Einrichtung einer Notunterkunft für Asylbewerber_innen in dem ehemaligen Max-Reinhardt-Gymnasium bezog. Ausgegeben wurde dieses Plakat von der bis dahin unbekannten Bürgerinitiative Marzahn / Hellersdorf, die im V.i.S.d.P. den Namen Thomas Crull führte, der 2011 zur Abgeordnetenhauswahl für die NPD kandidierte. Die Lesart der Plakate gab sich zu dem Zeitpunkt auch formulierungsgleich mit Punkten aus dem NPD-Wahlprogramm und transportierte offene rassistische Hetze. So die Forderung nach Abschiebung von „kriminellen Ausländern und Asylanten“ und die Zuschreibung von „Müll, Kriminalität und Lärm“ gegenüber Unterkünften von Asylsuchenden sowie die (vermeintliche) Diskreditierung von Asylbewerber_innen als „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Mit Verbreitung der Plakate wurden auch antifaschistische Initiativen in Marzahn-Hellersdorf auf die Bürgerinitiative aufmerksam und thematisierten ihr Wirken nachfolgend medial.  Parallel dazu wurde eine Facebook-Seite unter dem Label der BMH gegründet, angeblich um Bürgerinnen und Bürgern eine Plattform für ihre Sorgen und Ängste zu geben. Federführend auf dieser Plattform waren zu dem Zeitpunkt Berliner Neonazis aus dem Spektrum des Nationalen Widerstands (NW Berlin) und der NPD. Während Thomas Crull als presserechtlicher Vertreter der Publikationen fungierte, begab sich Matthias Wichmann, langjähriger Aktivist der JN, der NPD und Schützling von Andreas Storr, in seiner Funktion als BVV-Verordneter für die NPD auf Klinkenputz-Tour durch den Kiez, um Anwohner_innen persönlich für die Sache zu gewinnen. Die Plakate wurden unter anderem durch den NW-Aktivist und –Laufburschen Lars Niendorf aus Marzahn an Haushalte und eine Lokalzeitung verteilt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss sich auch der bis dato unbekannte André Kiebis, der später als zentrale Figur in Organisation und Kommunikation fungierte, in die Strukturen der BMH eingearbeitet haben. André Kiebis ist ehemaliger IT-Kaufmann und agierte bisher nicht offen in der neonazistischen Subkultur. Nach einem Artikel  der Berliner Zeitung[1], der auch die Beobachtung der BMH durch Verfassungsschutz thematisierte, wechselte die Aufmachung und die inhaltliche Positionierung ihrer Seite. Es ist davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt André Kiebis seine Rolle als Strohmann für den neonazistischen Hintergrund der BMH übernahm.  Das Verschwinden der Berliner Neonazis als Kommentator_innen und Organisator_innen auf der Plattform lässt vermuten, dass zugunsten der bürgerlichen Fassade und der Anschlussfähigkeit für rechtsoffene und rassistische Bürger_innen ein strategischer Rückzug aus der Öffentlichkeit durch die Neonazis stattfand.

Der „Braune Dienstag“[2]

Die BMH mobilisierte weiterhin zu einer von Bezirk und Land Berlin ausgerichteten Informationsveranstaltung am 09. Juli 2013. In ihrer inhaltlichen Positionierung gab sie sich argumentativ nun weiter gefasst. Jedes Argument, das gegen eine Eröffnung des Heimes sprach wurde genutzt.  Neue Qualität dabei war auch die angebliche Sorge um das Wohl der Geflüchteten und der Bezug auf die deutsche Rolle in weltweiten Migrationsbewegungen. Stil, Rechtschreibung und Argumente deuten auf geschulte Neonazi-Kader_innen hin. Auch logistisch war der Einfluss organisierter und finanzkräftiger Strukturen bemerkbar: so wurden „Nein zum Heim“-T-Shirts an interessierte Bürger_innen zur Verfügung gestellt.  „Nein zum Heim“  wurde im Folgenden zum anschlussfähigen Slogan der BMH aufgebaut, auch durch ein Transparent an einer Brücke und entsprechenden Postings auf der Facebook-Seite. Antifaschist_innen wirkten der Aktivität der BMH entgegen und sorgten dafür, dass Plakate und Transparente nur wenige Stunden im Stadtbild auftauchten. Die Polizei wirkte einem öffentlich geplanten Aktionstag zum Aufhängen von „Nein zum Heim“-Schildern an der geplanten Unterkunft entgegen und verteilte auch für Anwohner_innen Platzverweise. Die Lehre der BMH daraus war, sich in Zukunft nur noch konspirativ zu Aktionen zu verabreden, eine öffentliche Mobilisierung blieb für einige Zeit nach diesem Scheitern aus.

Am Dienstag, den 9. Juli 2013, fand um 18 Uhr auf einem großen Hof die schon vorher angesprochene Informationsveranstaltung unter freiem Himmel statt. Über 800 Menschen fanden sich auf der für 400 Besucher_innen ausgelegten Veranstaltung ein, unter ihnen viele Medienvertreter_innen und einige Refugees vom Protestcamp am Oranienplatz. Schon frühzeitig wurde klar, das die Berliner Polizei auch stadtbekannte Neonazis ohne Kontrolle auf das Gelände lies. Beratungsangebote gegenüber dem Bezirk durch die „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus“, um diese Neonazis zu erkennen und der Veranstaltung zu verweisen, wurden durch die Offiziellen abgewiesen. So konnten sich weitgehend ungehindert Sebastian Schmidtke (NPD Berlin) und Maria Fank (RNF Berlin) zur Thematik äußern, während Christian Bentz und andere Aktivist_innen von NW Berlin solidarische Menschen durch Porträt-Aufnahmen und körperliche Gewalt abschreckten. Anwesend war zudem Julian Beyer, Lars Niendorf, David Gudra, Stephan Alex, Robert Scheffel und Steffen Peplow.[3]  Aber nicht nur die aktive Generation von Neonazis zog das Thema an, sondern auch alte Bekannte. So hatte sich auch Daniela Fröhlich an der „Wortergreifungsstrategie“ der Neonazis beteiligt. Daniela Fröhlich war seit Mitte der 90er zusammen mit ihrem Bruder Matthias die Führungsebene der Kameradschaft Mahlsdorf, die zeitweise täglich Angriffe auf vermeintliche politische Gegner_innen und Menschen, die ihrem neonazistischen Weltbild nicht entsprachen, verübten.[4] Außerdem war sie grundlegend eingebunden in den Aufbau einer Berliner Anti-Antifa-Struktur und zog sich dann aufgrund einer Schwangerschaft und dem gestiegenen Fahndungsdruck aus dem politischen Alltag zurück. Nun scheint sie, zusammen mit anderen ehemals aktiven Neonazis, ein lohnenswertes Ziel ihrer wiederauflebenden politischen Aktivität gefunden zu haben.

Die anwesenden Neonazis waren aber selbst überrascht von der Aktivität, die der rassistische Bürger_innen-Mob entwickelte. Selig grinsend über die Lautstärke der „Nein zum Heim“-Rufe, maßgeblich initiiert durch André Kiebis, applaudierten sie johlend. Rassistische Zwischenrufe, Beleidigung gegenüber vermeintlichen Gegner_innen und körperliche Übergriffe gingen zum Großteil von Anwohner_innen aus. Solidarische Menschen hatten schon zu Beginn der Veranstaltung das Gefühl, nicht unbeschadet den Schulhof verlassen und sich sicher durch den Kiez bewegen zu können. Die Stimmung, die der deutsche Mob erzeugte, lässt Befürchtungen für die Zukunft der Geflüchteten in der Unterkunft aufkommen. Der Hass, der sich an diesem Tag seine Bahnen brach, darf sich in keinem Fall im Alltagsleben der Geflüchteten bemerkbar machen. Eine starke antirassistische Zivilgesellschaft muss hier den Part übernehmen, den der Staat nicht übernehmen kann oder will: Schutz auf allen Ebenen. Nach der Veranstaltung sammelten sich ca. 15 Neonazis hinter einem NPD-Transparent auf einer von Sebastian Schmidtke angemeldeten Kundgebung. Weitere ca. 40 Neonazis standen direkt am Ausgang des Veranstaltungsgeländes und versuchten vermeintliche politische Gegner_innen zu dokumentieren und einzuschüchtern. Anwesende Antifaschist_innen schufen spontan mit einer Demonstration durch den Kiez einen Schutzraum für solidarische Besucher_innen der Veranstaltung und setzten so unmittelbar nach der desaströsen Veranstaltung ein kraftvolles, wütendes und entschlossenes Zeichen gegen Rassismus und Nazis.

Dennoch: das fatale Scheitern der staatlichen Vertreter_innen an diesem Tag ist haarsträubend. Dort, wo die Polizei keine Präsenz gegenüber Neonazis zeigt, wo sich Bürgermeister und Bezirkspolitiker_innen beratungsresistent gegenüber Hilfsangeboten von Antifaschist_innen zeigten, wo im Nachgang durch Bezirk und Stadt das Scheitern der Veranstaltung auf einen Links-Rechts-Konflikt konstruiert wird, wo eine rassistische Grundhaltung der Anwohner_innen verleugnet wird und sie als bemitleidenswerte instrumentalisierte Opfer dargestellt werden: dort bleibt nur zu konstatieren, dass rassistische Weltbilder nicht nur in der Mitte der Gesellschaft existieren, sondern auch institutionalisierte Formen durch den Schutz von Täter_innen in Hellersdorf angenommen haben. Das ist kein Konflikt zwischen Links und Rechts, sondern ein Konflikt zwischen Menschlichkeit und Rassismus!

Medialer Aufschrei und NPD-Pleiten

Der mediale Aufschrei nach der Veranstaltung katapultierte Hellersdorf in die bundesweiten Medien. Politiker_innen aller Parteien leisteten Lippenbekenntnisse, während die Neonazis ihren vermeintlichen Erfolg mit einer Kundgebungstour durch Berlin nur wenige Tage später feiern wollten. Die starke antifaschistische Mobilisierung führte besonders in Hellersdorf für die Tour der NPD am 13. Juli 2013 zu einem Desaster, statt Bürger_innen holten sie sich nur faule Eier und Gemüse ab.[5] Währenddessen arbeitete die BMH an einer parallelen Organisationstruktur mit den neu für die Sache gewonnen Anwohner_innen, die sich über Facebook meldeten. Konspirativ wurde so ein Aktionsnetzwerk aufgebaut, das auch bei einer drohenden Abschaltung der Seite funktionieren sollte. Erste Testläufe machte man mit anschlussfähigen Kleinstaktionen im legalen Rahmen: Anwohner_innen sollten mit durch die BMH verteilte Kreide „Nein zum Heim“ und andere Sprüche auf die Straße bringen. Sorgfältig dokumentiere man jede Schmiererei. Antifaschist_innen reagierten schnell und putzten noch in denselben Nächten die Straße und hinterließen „Rassismus tötet“-Zeichnungen. Auch die Polizei sah sich aufgrund des medialen Drucks zu Handlungen veranlasst und beseitigte einzelne Schmierereien mit Hilfe der Feuerwehr. Während des tagelangen Hin- und Hers verschärfte sich der Inhalt der Kreideschmierereien der BMH und ihres Umfeldes massiv: bald kamen Forderungen wie „Schutz der Familie“, „Erst wir, dann der Rest der Welt“, die sozial-chauvinistische und rassistische Zuschreibung „Assylanten“ und weitere Sprüche, die die kollektive (deutsche) Identität der im Kiez lebenden Bevölkerung betonte und im Gegenzug dazu das Feindbild der „Fremden“ produzierten. Neben einer Kreidezeichnung fand sich auch ein Hakenkreuz.

Das Ende der Kreidezeit

Am 27. Juli wurde deshalb von dem Netzwerk Solidarität, Hellersdorf Hilft Asylbewerbern, Antifaschist_innen und weiteren Aktivist_innen zu einem Kiezspaziergang unter dem Motto „Ende der Kreidezeit“ aufgerufen. Über 70 Leute zogen bunt durch den Kiez und entfernten 50 Kreideschmierereien und verteilten Flugblätter.[6] Schon zum Auftakt der Aktion versuchte André Kiebis durch abfotografieren von Aktivist_innen die Veranstaltung zu stören, was durch engagierte Antifaschist_innen verhindert werden konnte. Die Berliner Polizei versuchte mehrmals, den Spaziergang mit repressiven Maßnahmen zu kriminalisieren und trug damit ihren Teil zur Konstruktion eines Links-Rechts-Konfliktes bei. Im Nachgang der Aktion wurde auf der Seite der BMH Daten von vermeintlichen politischen Gegner_innen zusammen mit einem Foto, das André Kiebis angefertigt hat, veröffentlicht. Die Art und Weise deutet stark auf die vergangenen Veröffentlichungen von NW Berlin hin, sodass eine Verbindung zu Anti-Antifa-Strukturen, durch die starke Aktivität von Christian Bentz wohl zum Umkreis der Lichtenberger NW-Nazis um die Lückstr. 58, angenommen werden kann. Das abstrakte Zusammenwirken von Polizei und Neonazis durch die Einschüchterung und Aufnahme von Personalien von Aktivist_innen wird umso bedrohlicher, als dass die BMH verlauten lässt, eine_n Polizeibeamt_in in ihrer Reihe zu haben.

André Kiebis and Friends – Drohungen und Anti-Antifa

Bereits vorher wurden durch André Kiebis und Neonazis im Umfeld der BMH schon Politiker_innen, Journalist_innen und Amtsträger_innen mit dem Veröffentlichen von Daten und dem Aufruf zur massenweisen Anzeige durch BMH-Mitglieder bedroht. Damit sollte der Rückzug der einzelnen Personen aus der öffentlichen Debatte erwirkt werden, um den Neonazis der BMH das Feld zu überlassen. Das setze sich im weiteren Verlauf fort: so wurde am  5. August 2013 der Radio-Moderator Hendrik Schröder in seiner Sendung „Blue Moon“[7]  öffentlich von einem „Lars“ bedroht, nachdem er ihn auf seinen falschen Namen hingewiesen und nach seinen Verbindungen zur NPD gefragt hat. Aufmerksamen Zuhörer_innen ist aufgefallen, dass Lars wohl André Kiebis war, dessen Name zu diesem Zeitpunkt schon durch ein Plakat engagierter Anwohner_innen der Öffentlichkeit bekannt gegeben wurde. Die Bedrohungen reißen nicht ab, werden nur extremer: Aktivst_innen wurden inzwischen sogar mit Tod durch das BMH-Umfeld bedroht und sexistisch attackiert.

Nach dem Kiezspaziergang kam es nur noch vereinzelt zu Kreideschmierereien, dafür mit deutlich neonazistischem Inhalt wie „88 ist unser Leben“ und „NSDAP / NPD“. Auch wurde aus der frustrierenden Erfahrung des engagierten Entfernens der rassistischen Parolen immer häufiger zur Sprühdose gegriffen und „Nein zum Heim“-Schablonen erstellt. Auch online veränderte sich die Stimmung erneut. Während nach dem Outing[8]  seiner Personendaten André Kiebis für einigen Stunden komplett aus dem Netz verschwand und dann unter neuem Namen kommentierte, fanden auch wieder neonazistische Kader_innen wie Maria Fank ihren Weg auf die Plattform und kommentierten die Einträge der BMH.  Dabei sind sie aber nur ein Teil des übergreifenden rassistischen Konsenses der ca. 150 mit der BMH-Facebook-Seite vernetzten und regelmäßig aktiven tatsächlichen Anwohner_innen. Nicht nur die Selbstbeschreibung der BMH, sondern auch Kenntnisse und Veröffentlichung interner Informationen lassen darauf weiterhin schließen, dass ein_e Mitarbeiter_in des Bezirksamts aktiv versucht, zumindest durch Informationsweitergabe den Umbau der geplanten Unterkunft zu verhindern.

Auch überbezirkliche Kontinuitäten zu anderen vermeintlich bürgerlichen Initiativen gegen Unterkünfte lassen sich erkennen. Rechtsanwalt Jens-Georg Morgenstern ist sowohl für die Unterkunfts-Gegner_innen in Reinickendorf als auch neuerdings in Hellersdorf aktiv. Privat und Beruflich ist der Rockabilly-Fan durchaus auf einer Linie mit seinen Mandanten: während er auf seinem Facebook-Profil den Gründer des Ku-Klux-Klans liked, argumentiert er juristisch mit rassistischen Argumenten wie „Seuchengefahr“.[9] Inzwischen dürfte allerdings auch seine Sozietät „Streifler & Kollegen“ mitbekommen haben, dass Morgenstern keine Bereicherung für die Kanzlei ist. Das Engagement eines so skandalträchtigen Anwalts lässt zudem auch die Fassade der Bürger_innen in Reinickendorf bröckeln.

Fernsehinterviews und Demonstrationen als Flash-Mobs?

Das Mobilisierungspotential der BMH in den nicht-digitalen Raum hinein beläuft sich kurzfristig auf ungefähr 40 Personen, von denen einige enge Kontakte zu den Neonazis von NW Berlin, so z.B. Julian Beyer, haben. Dieses Umfeld der BMH agierte kurzfristig auf eine Anfrage des ARD Morgenmagazins und stellte jüngst einen Teil einer konspirativ organisierten, angeblich spontanen Demonstration, um die Deutungshoheit über den politischen Stand der Anwohner_innen im Sinne zu beeinflussen. Medienanfragen werden allerdings inzwischen kaum noch beantwortet. Man versucht über die Facebook-Seite sich eine Parallel-Realität zu schaffen, und bedient dabei einen verschwörungstheoretischen Narrativ[10], der allen Medien pauschal einen linken und BMH-feindlichen Hintergrund unterstellt. Man schwört sein Publikum darauf ein, sich nur noch über Quellen zu informieren, die vermeintliche Neutralität postulieren – das meint die Facebook-Präsenz der BMH, Zeitschriften der Extremen Rechten und der Conspiracy-Szene als auch Berichte von NW-Berlin-Kader Stephan Alex[11]. Zusammengetragene Fakten durch die Presse werden resistent ignoriert. Das Zusammenhaltsgefühl ist prioritär bei allen Sympathisant_innen.

Grundlegend basiert diese Strategie aber auf dem, dem überwiegenden Teil der  Anwohner_innen innewohnenden, alltagsrassistischen Konsens. Die BMH versucht krampfhaft, sich als Sprachrohr all jener zu stilisieren, um diesen unterschwelligen Rassismus zu eskalieren. Diese Eskalation rief ihre Demonstration vom 9. August 2013 (genau einen Monat nach der Bürgerversammlung) auch hervor: in enger Verbindung mit dem NPD-Wahlkampf-Team, bestehend u.a. aus Maria Fank und David Gudra, wurde die Demonstration durch André Kiebis angemeldet und durchgeführt. Einen großen Teil der Demonstrant_innen stellten dabei Thor Steinar, Consdaple und andere szenebekannte Marken tragende Männer, die auch das vorbereite Transparent („Das Volk sagt Nein zum Heim“) trugen. Auch die mitgeführten Schilder zeigten eine neue Qualität der Argumentation: es wurde durch „Gefühl statt Asyl“ oder „Erst wir, dann ihr“ nicht mehr auf die Gegnerschaft zum Heim abgestellt, sondern eine klare Position gegen das Recht auf Asyl und für die unterschiedliche Wertigkeit von Menschen bezogen. Damit schließt sich der Kreis zu der anfänglichen Übernahme von rassistischen NPD-Positionen. Der Versuch, sich ein bürgerliches Gesicht zu geben, dürfte inzwischen intern durch die BMH und die NPD als gescheitert angesehen werden, auch wenn man aktuell noch versucht, sich krampfhaft und unglaubwürdig zu distanzieren. Im weiteren Verlauf wurden der Polizei zufolge zu Straftaten aufgerufen. Daniela Fröhlich, die als Rednerin am Mikrofon stand oder durch André Kiebis, der seine BMH-Crew mit einem Megafon durch den Kiez navigierte, nahmen zentrale Rollen ein. In der Demonstration lief außerdem Julian Beyer als auch Björn Wild mit. Stephanie Piehl und Christian Bentz waren als Anti-Antifa-Fotograf_innen aktiv.

Ausblick

Wir halten eine Zuschreibungen der Medien über die angeblich anonym agierende Bürgerinitiative für längst überholt. Spätestens seit der Demonstration am vergangenen Freitag ist deutlich geworden, dass hinter der BMH die NPD Berlin und der NW Berlin personell und organisatorisch steht. Mit André Kiebis ist der Strohmann für diese Struktur schon seit Wochen bekannt. Es muss jetzt um eine klare Benennung dieser Strukturen gehen und ein entschlossenes Gegenwirken auf allen Ebenen.

In den nächsten Tagen wird der als Notunterkunft geplante Teil des Lagers eröffnen. Aufgrund der hohen Aktivität der BMH, des Anwohner_innen-Mobs und der organisierten Neonazis sind militante Aktionen gegen die Unterkunft und Asylsuchende zu erwarten. Schon lange wird auf der BMH-Seite die Einrichtung einer Bürgerwehr gefordert und schon zum Einzugstermin könnte der pure Hass des deutschen Volksmobs an den Geflüchteten und ihrer Unterkunft mit schrecklichen Resultaten ausgelebt werden. Die Bedrohung von Leib und Leben von People of Color ist nicht nur durch den NSU und neonazistische Schlägerbanden eine ständige Gefahr, sondern auch durch die rassistische deutsche Mitte möglich.

Dort, wo Polizei und Bezirk ihre Pflichten nicht wahrnehmen können oder wollen, müssen engagierte Antifaschist_innen und Antirassist_innen sowie weitere solidarische Menschen, den Druck auf allen Ebenen aufbauen und verstärken, um den Neonazis ihren vermeintlich sicheren Kiez zu nehmen und eine solidarische Atmosphäre für Geflüchtete aufzubauen. Das kann nicht bei Lippenbekenntnissen und Runden Tischen bleiben, sondern muss praktisch werden.

Praktische Solidarität und ihre Formen

Dazu müssen auch die Anbieter_innen von sozialen Netzwerken in die Pflicht genommen werden, Online-Pogrome und Flash-Mob-Attacken zu verhindern. Rassistische Plattformen auf Facebook oder anderswo darf es nicht geben!

Der Bezirk muss sich klar dazu bekennen, das Marzahn-Hellersdorf ein Problem mit Rassist_innen hat und zwar nicht vereinzelt, sondern in einer großen Mehrheit und auch in der Verwaltung und politischen Ämtern. Er muss dem offensiv entgegenwirken. Dazu reicht es nicht, Funktionärsstellen zu schaffen, sich schöne Titel zu verleihen und ein Imageprogramm[12] zu starten. Vielmehr muss Aufklärung, praktischer Schutz vor Rassismus und bezirklicher Widerstand inkl. Alternativen zum Lagerkonzept des Landes organisiert werden. Dazu muss mit zivilgesellschaftlichen Kräften zusammengearbeitet werden und ihre Hilfe darf nicht ausgeschlagen werden.

Die regionalen Wohnungsgesellschaften und –träger_innen müssen ihrer menschlichen Verpflichtung und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und einen Teil ihrer Wohnungen für ein dezentrales Unterbringungskonzept zur Verfügung stellen. Das gilt insbesondere für die Wuhletal e.G., die ihren rassistischen Vorstand über Bord kippen muss.

People of Color sind seit Jahrzehnten ein elementarer Teil von Marzahn-Hellersdorf. Dem müssen zivilgesellschaftliche Kräfte mit stärkerer Partizipation gerecht werden, genauso wie die jüngere Geschichte des Bezirkes in Hinblick auf diese Menschen gewürdigt werden muss.

Antifaschistische und Antirassistische Aktivist_innen dürfen nicht kriminalisiert werden, ihr Widerstand muss durch alle solidarischen Kräfte gefördert werden. Kreative Aktionen, politische Freiräume und solidarische Institutionen in Marzahn-Hellersdorf müssen ihren Platz erhalten.

Linker Konsens kann nur sein: keine Querfront mit Rassist_innen. Dort, wo die Diskurs-Ergebnisse von Hoyerswerda, nämlich nicht mit dem deutschen Mob zu paktieren, durch Antisemit_innen und Rassist_innen aus der Linken aufgeweicht werden[13], muss man entgegenwirken. Kein Frieden mit Volk und Nation!

Die rassistische Abschiebe- und Lagerpolitik des Staates, das rassistische Vorgehen der Polizei gegenüber Geflüchteten und anderen als nicht-deutsch empfunden Menschen, die rassistische „Das-Boot-ist-voll-Rhetorik“ der Bundesregierung und die Abschottung Europas muss ein Ende haben.

Refugees welcome!

Die Gruppe „Dekonstruktion Ost“ ist ein Zusammenschluss von Aktivist_innen aus Marzahn-Hellersdorf und Berlin. Durch Theorie und Aktion bearbeitet sie schwerpunktmäßig politische Themenfelder im Bezirk, ohne dabei Labelpolitik zu betreiben. Publikationen sind auf dost.blogsport.de verifizierbar. Anfragen zur Druckübernahme oder Nachfragen zur Thematik über die auf der Website angegebenen Kontaktmöglichkeiten.

[1] Berliner Zeitung: „Asylheim Hellersdorf: Anonyme Hetze gegen Asylbewerber“ vom 4.7.13 [http://www.berliner-zeitung.de/berlin/asylheim-hellersdorf-anonyme-hetze...
[2] AG Antifa von Avanti Berlin: „Nur Mob, noch keine Elite“, analyse & kritik 585.
[3] AMH: „Rassist_innen und Neonazis hetzen gegen Flüchtlinge in Hellersdorf! Fight Back!“ vom 10.7.13 [https://linksunten.indymedia.org/de/node/90456]
[4] junge Welt: „Nazis wittern Morgenluft“ vom 14.8.13 [http://www.jungewelt.de/2013/08-14/007.php]
[5] taz: „Nazis im Eierregen“ vom 13.7.13 [https://www.taz.de/Hetze-gegen-Berliner-Fluechtlingsheime/!119815/]
[6] Hellersdorf hilft: „Erfolgreicher und bunter Kiezspaziergang“ vom 28.7.13 [http://hellersdorfhilft.wordpress.com/2013/07/28/erfolgreicher-und-bunte...
[7] Abrufbar, nach rechtlichem Vorgehen gegen Fritz, unter: https://cdn.anonfiles.com/1375925480905.mp3
[8] Anwohner*innen: „Hellersdorf - Rassisten und Nazis geoutet!“ vom 1.8.13 [https://linksunten.indymedia.org/en/node/91741]
[9] Neues Deutschland: „Festnahmen nach Demonstration in Hellersdorf“ vom 12.8.13 [http://www.neues-deutschland.de/artikel/829962.festnahmen-nach-demonstra...
[10] Zum kritischen Nachhören über Wahrheitsschaffung – Fefe/Rieger: „Alternativlos, Folge 23“ vom 6.5.2012  [http://alternativlos.org/23/]
[11] Fight Back: „Anti-Antifa Aktivist als "Journalist" unterwegs - Stephan Alex“ vom 11.8.13 [https://linksunten.indymedia.org/de/node/92352]
[12] „Auftakt und Vorstellung der neuen Imagekampagne des Bezirks Marzahn-Hellersdorf“ vom 15.8.13 [http://www.berlin.de/ba-marzahn-hellersdorf/aktuelles/presse/archiv/2013...
[13] SoL: „Flugblattaktion zur Flüchtlingsunterkunft in Hellersdorf“ vom 10. 8.13 [https://linksunten.indymedia.org/de/node/92280]

Erstveröffentlichung auf Indymedia Linksunten am 26. Dezember 2024

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