Rechter Wahlkampf in Neukölln
Bei der Bundestagswahl am 22.09.2013 erlangte die NPD im Bezirk Neukölln 1,9% der Zweitstimmen und liegt somit prozentual unter dem Ergebnis der Bundestagswahl 2009, bei welcher noch 2,0% der Wahlberechtigten der NPD ihre Stimme gaben. Mit einem Blick auf die absoluten Zahlen wird jedoch deutlich, dass trotz des Prozentpunkte-Verlustes immerhin 76 Personen mehr im Bezirk NPD wählten, als noch 2009: Waren es 2009 nur 2.554 wahlberechtigte Personen, so stimmten diese Wahl 2.630 Neuköllner für die NPD.
Die NPD war neben der nationalchauvinistischen Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) die einzige Partei, die in Neukölln rechts der CDU mit eigenen Direktkandidaten angetreten waren, sprich mit der Erststimme wählbar waren. Der Neuköllner Bundestagsdirektkandidat der NPD und im Wahlkampf unter der Selbstbezeichnung "Scheiß-Deutscher" auftretende Jan Sturm bekam 3.096 Erststimmen (2,2%) im Bezirk, 2009 waren es noch 3.356 Stimmen (2,6%), also hier ein Verlust von 260 Personen, die ihm noch 2009 ihre Stimme gaben. Das höchste Ergebnis bekam Jan Sturm mit 6,6 % im Wahllokal 601, Zwickauer Damm 22. In den südlichen Stadtteilen Rudow, Britz und Buckow war der Stimmenanteil der NPD höher als im Neuköllner Norden, wo sie häufig unter der 1%-Marke lag. Bemerkenswert ist, dass in den Wahllokalen, in deren Nachbarschaft Neonazis der NPD wohnen, der Stimmanteil besonders hoch war. Den höchsten Zweitstimmenanteil errang die NPD ebenfalls in einem Wahllokal am Zwickauer Damm (6,8%), in direkter Nachbarschaft zu Sebastian Thom. Innerhalb des S-Bahnrings erlangte sie ihr höchstes Ergebnis im Wahllokal von Jan Sturm, in der Drorystr. (2,7%). Ihr bezirksweit zweithöchstes Ergbnis bekam die NPD in einem Lokal im Rudower Neuhofer Weg, Wohngegend von Jill-Pierre Glaser und weiteren Neonazis.
Auch wenn es sich aufgrund der relativ geringen Personenzahlen, die in einem Lokal wählen, um wenige tatsächliche Wähler_innen handelt, deutet diese Tatsache auf eine gewisse soziale Verankerung der einzelnen Neonazis in ihren Wohnumfeldern hin. Hier ist gewiss für die Zukunft besonderes antifaschistisches Augenmerk gefragt.
Berlinweit konnte die NPD 1,5% der Zweitstimmen (in absoluten Zahlen: 27.033 Stimmen) auf sich vereinigen, verlor also 0,1% (absolut: ca. 750 Stimmen). Bundesweit erhielt sie 1,3 % und scheiterte somit an der für den Einzug in den Bundestag notwendigen 5 %-Hürde. Im Vergleich zur letzten Wahl verlor sie damit 0,2%. Sie kommt jedoch weiterhin in den Genuss staatlicher Teilfinanzierung.
Im Verlaufe des Jahres 2013 führte die NPD immer wieder Infostände im südlichen Neukölln durch. Im Bundestags-Wahlkampf (4. August bis 22. September 2013) intensivierte sie diese Aktivitäten, phasenweise standen sie beinahe jedes Wochenende an öffentlichen Plätzen. Die NPD selbst behauptet, es seien 28 Stände im Jahr 2013 gewesen - eine nahezu realistische Zahl. Nach den Wahlen Ende September ließen die Aktivitäten stark nach. An der Betreuung der meist etwa zwei Stunden dauernden Stände, beteiligten sich durchschnittlich fünf Neonazis. Unter ihnen neben anderen Berliner NPD-Kadern meist Jan Sturm und Sebastian Thom. Diese beiden waren es unter anderem auch, die selbst die Wahlwerbung in Briefkästen verteilten.
Themen waren "Europa-" und "Sozialpolitik", vor allem aber aktuelle rassistische Moblisierungen, wie Antiziganismus oder rassistisch konnotiertes Agitieren gegen "Kriminalität" und ein geplantes Flüchtlingsheim an der Neuen Späthstraße in Britz. So versuchte die NPD die aktuelle Stimmung gegen Flüchtlinge aufzugreifen. Beispielsweise führte sie eine "Kundgebungsfahrt" am 12. September durch Rudow, Britz und Gropiusstadt druch, bei der die ca. acht Neonazis u.a. am U-Bhf. Britz-Süd, am U-Bhf. Lipschitzallee, in der Hufeisensiedlung, Selgenauer Weg/Neudecker Weg, Parchimer Allee. Bereits am 23. Juli trafen sich knapp zehn Neonazis zu einer NPD-Mahnwache unter einem rassistischen Motto, zeigten Banner und verteilen Flugblätter. Am 3. September führten etwa zehn Neonazis vor einer Veranstaltung des SPD-Kanzler-Kandidaten Peer Steinbrück in der "Alten Dorfschule" eine Kundgebung durch.
Beinahe immer anwesend bei Kundgebungen und Infoständen - als Redner oder anderweitig organisatorisch eingebunden - waren die Neuköllner NPD-Funktionäre Sebastian Thom und Jan Sturm, gelegentlich mit dabei bei den Infoständen desweiteren: David Gallien, Steve Hennig, Dennis Kittler, Roman Kische und im weiteren Umfeld auch Thomas Schirmer und Jana Michaelis. Unterstützung haben sie von weiteren Berliner Neonazis.
Im südlichen Teil des Bezirks war die NPD relativ stark mit Kleinplakaten im Wahlkampf präsent, im Norden Neuköllns tauchten wenige, bzw. keine (innerhalb des S-Bahnring) Wahlpalakte der NPD auf.
Die nationalchauvinistische Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) bekam im Bezirk Neukölln 4,2% (absolut: 5.790 Stimmen) der Zweitstimmen, ihr höchstes Ergebnis errang sie mit 10,6% in einem Wahllokal An den Achterhöfen in Buckow. Ihr Neuköllner Direktkandidat Sari-Christoph Saleh erlangte 3,0% (absolut: 4.139 Stimmen) der Erststimmen. Berlinweit bekam sie 4,5%, bundesweit 4,7% und verpasste so den Einzug in den Bundestag knapp. Im Wahlkampf setzte die Partei vor allem auf Bundesweite Medienpräsenz und eine große Anzahl an Plakaten in sämtlichen Teilen Neuköllns, vor allem jedoch in den südlicheren Stadtteilen.
Die rechtspopulistische Partei "Pro Deutschland" bleibt weiter eine unbedeutende Kleinstpartei, sie bekam in Neukölln 0,3% der Zweitstimmen. Das sind 453 Stimmen, 2009 war sie noch nicht angetreten. In Berlin erhielten sie 0,3%, bundesweit sogar nur 0,2% und haben somit den Einzug in den Bundestag weit verfehlt. Sie steht zudem vor finanziellen Problemen, da sie an der 1%-Hürde scheitert und keine staatliche Teilfinanzierung erhält. Ihren Wahlkampf bestritt die kleine, berlinweit organisierte Gruppierung (eine Ortsgruppe gibt es nicht) in Neukölln mit zwei rassistischen Kleinstkundgebungen am 20. September. Diese standen im Rahmen einer "Kundgebungstour" durch Berlin und thematisierten in der Flughafenstraße und in der Finowstraße zwei islamische Einrichtungen.
Die "Republikaner" sind mit 0,2% (absolut: 214 Stimmen) in Neukölln (2009: 0,5%, absolut: 611 Stimmen), 0,1% berlinweit und 0,2% bundesweit nahezu in der Bedeutungslosigkeit versunken. Ihren Neuköllner Wahlkampf führten sie mit Plaktieraktionen in einzelnen Straßen, Flugblättern und drei Infoständen (5. und 22. Juni zur Unterstzützungsunterschriftensammlung und 31. August in Rudow) - nach eigenen Angaben "mit neuen Kräften, auch in Neukölln." Geholfen hat es nichts.
Der Trend der Ausdifferenzierung im rechten Lager durch sich gegenseitig Stimmen wegnehmende Kleinstparteien setzte sich diesen Wahlkampf stark fort. Nachdem die AfD durch kurzfristige, starke Medienaufmerksamkeit viele Wähler_innen im rechtspulistischen (und auch neonazistischen) Lager auffing, bekam die NPD in Berlin kurz vor der Wahl Konkurrenz durch den neugegründeten Landesverband der Partei "Die Rechte". Diese trat zwar nicht zur Wahl an, führte jedoch zu einer Spaltung im neonazistischen Lager, was sich nicht zuletzt am Tag vor der Wahl an zwei zeitgleich stattfindenden Demonstationen der beiden Spektren zeigte. Diese "Spaltung" zeigt sich auch in Neukölln: Während die "alten" NPD-Aktivisten wie Jan Strum, Sebastian Thom und Jill Glaser weiterhin NPD-Arbeit stemmen, finden sich nun ehemalige Frontbann-Aktivisten wie Roman Kische und Dennis Kittler eher in "Der Rechten" wieder. Ob dies langfristig zu ernsten Zerwürfnissen führt, lässt sich momentan noch nicht sagen.
Neukölln bleibt weiterhin ein Aktions-, aber auch Wählerschwerpunkt der NPD, aber auch für andere rechte Parteien attraktiv. Dass die NPD im Bezirk prozentual etwas schwächer wurde, ist keineswegs ein Zeichen für die Abnahme des Neonazismus oder gar rechter Einstellungen. Allein die Zahl der NPD-Wähler_innen stieg ja um 76 an, ist also vielmehr der allgemein höheren Wahlbeteiligung geschuldet. Durch relative personelle Kontinuität und weiterhin starker Unterstützung aus dem Kameradschaftsspektrum und von der Landes-NPD konnte sie hier einen berlinweiten Aktivitässchwerpunkt im Wahlkampf legen, dürfte sich damit aber auch stark verausgabt haben.
Erstveröffentlichung auf Autonome Antifa Neukölln am 1. Oktober 2013
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