Hans-Joachim Heidelberg – vor 20 Jahren von Nazis ermordet!
Am frühen Morgen des 24. Oktober 1993 wird Hans-Joachim Heidelberg auf dem Vorplatz des S-Bahnhofs Berlin-Schöneweide ermordet. Die Täter: Nazis, die den 28 Jahre alten Mann mit ihren Springerstiefeln niedertreten und regungslos am Boden liegen lassen. Das Motiv: Hans-Joachim Heidelberg hatte eine sogenannte geistige Behinderung. Vermutlich musste er sterben, weil die Täter sein Leben für „lebensunwert“ hielten. Es wurde ermittelt, aber eine genaue Rekonstruktion der Tat war nicht möglich. Tatverdächtige Jugendliche wurden laufen gelassen. Bis heute konnten keine Täter ermittelt werden.
Doch schon damals wussten Antifaschist_innen und engagierte Bürger_innen, dass die Mordtat auf das Konto von Nazis geht: Anfang der 1990er Jahre, kurz nach der „Wende“, häuften sich Morde an Migrant_innen, Linken, Wohnungslosen und Punks in den Neuen und Alten Bundesländern. Auch Menschen mit sogenannter Behinderung gerieten ins Raster von Nazis. Trotzdem ist die Feindschaft gegenüber Menschen mit sogenannter Behinderungen (auch: Ableism) bis heute ein kaum wahrgenommenes Tatmotiv. Deutlich zeigt sich dieser Umstand in den Ermittlungen von Behörden und in den Statistiken über neonazistische Gewalt. Dabei liegt auf der Hand, dass Hans-Joachim Heidelberg sterben sollte, weil er in den Augen der Täter „anders“ war. Gesellschaftlich ist die Diskriminierung gegenüber Menschen mit sogenannter Behinderung fest verankert. Das Bild von Behinderung als schlimmes Schicksal trägt dazu bei, das nicht der Mensch als individuelle Persönlichkeit wahrgenommen, sondern „der arme hilflose Behinderte“ gesehen wird, was zwangsläufig zu Bevormundung und Dominanz führt. Dazu kommen die vielen Barrieren die Menschen mit sogenannter Behinderung täglich ausgesetzt sind und ihnen eine gesellschaftliche Teilhabe am Leben verunmöglichen. Die Hauptprobleme von Menschen mit sogenannter Behinderung sind somit nicht in den individuellen Beeinträchtigung zu suchen, sondern in den ausgrenzenden, gesellschaftlichen Bedingungen, dem eingeschränkten Zugang zur gesellschaftlicher Teilhabe und massiven Vorurteilen ihnen gegenüber. Ausgrenzung zeigt sich dort, wo der Wer eines Menschen danach beurteilt wird, was er_sie „kann“ oder „nicht kann“. Aus diesem Nährboden speist sich die Ideologie von Nazis. Mit der Vorstellung von einer angeblichen Heerenrasse werden Menschen nach Verwertbarkeit sortiert. Dieser Dominanzgedanke einhergehend mit einer Einordnung von Menschen nach Nutzbarkeit fängt bei verbaler Diskriminierung an und steigert sich wie bei Hans-Joachim Heidelberg in Gewalttaten bis hin zum Mord.
Der Staat erkennt die meisten (Todes-)Opfer rassistischer, antisemitischer, homophober oder eben behindertenfeindlicher Gewalt nicht an, weil die politische Tatmotivation und die Perspektive weder in den polizeilichen Ermittlungen noch vor Gericht eine Rolle spielen. Während die offizielle Statistik der Bundesrepublik für den Zeitraum 1990 bis 2011 gerade einmal 60 Todesopfer rechter Gewalt zählt, listet die Amadeu Antonio Stiftung (AAS) für den gleichen Zeitraum 184 Opfer auf. Hans Joachim Heidelberg könnte ein weiterer Name auf der Liste sein.
Der Tatort: Bis heute ist Schöneweide ein gefährliches Pflaster für alle Menschen, die nicht ins Raster der Nazis passen. Bereits seit Anfang der 1990er Jahre treiben neonazistische Parteien und „Kameradschaften“ hier ihr Unwesen. Der Kiez ist „Hochburg“ und Treffort der Berliner Neonaziszene geworden. Seitdem antifaschistische Gruppen die Ausmaße neonazistischer Umtriebe in Schöneweide in der Broschüre „Die Braune Straße von Berlin“ offenlegten, kommt der Kiez aus den Schlagzeilen nicht mehr heraus. Mit der Kneipe „Zum Henker“ und dem Naziladen „Hexogen“ verfügen die Rechten über zwei zentrale Eckpfeiler der regionalen Szene. Sebastian Schmidtke, Betreiber des „Hexogen“, gilt als die zentrale Figur in der „Szene“. Er ist Chef der Berliner NPD und mutmaßlicher Kopf des Neonazinetzwerk „Nationaler Widerstand Berlin“ (NW-Berlin). Auf das Konto der NW-Mitglieder gehen diverse Straf- und Gewalttaten, die sich gegen Antifaschist_innen, Migrant_innen und andere richten.
Wir erinnern an Hans-Joachim Heidelberg und die grausame Tat vor 20 Jahren.
Wir solidarisieren uns mit allen Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt.
Wir fordern die Anerkennung von Hans-Joachim Heidelberg als Opfer rechter und behindertenfeindlicher Gewalt und die Nennung in der Statistik der Amadeu Antonio Stiftung.
Wir fordern die grundsätzliche Überprüfung aller Morde seit 1990, die vom Staat bis heute nicht als politisch motiviert anerkannt werden!
Kein Vergeben! Kein Vergessen!
Gedenkkundgebung
Hans-Joachim Heidelberg – vor 20 Jahren von Nazis ermordet! Kein Vergeben – Kein Vergessen!
24. Oktober 2013 – 18 Uhr – S-Bhf. Schöneweide
Erstveröffentlichung auf Antifaschistisches Bündnis Süd-Ost am 14. Oktober 2013
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