Indymedia-Debatte: Zum Angriff aufs ZDF...
Der folgende Beitrag will einen Diskussionsprozess über antifaschistische Aktionsformen und Ziele anregen. Hintergrund ist der Angriff auf ein ZDF-Team in Berlin-Mitte am 1. Mai 2020. Ob es nun eine Verwechslung war, ein Schlag gegen die Securitys, ein Angriff auf renitente Filmer*innen, auf den öffentlichen Rundfunk allgemein oder gar gezielt auf die heute-show, ist unerheblich. Denn der Fall ist eine willkommene Möglichkeit, um über antifaschistische Militanz und deren öffentliche Wahrnehmung zu diskutieren.
Was ist überhaupt passiert?
Seit einigen Wochen finden auf dem Rosa-Luxemburg-Platz so genannte Hygiene-Demos (1) unter dem Motto "Nicht ohne uns!" statt. Sie richten sich gegen die Corona-Maßnahmen und nehmen dabei auch auf Verschwörungsideologien bezug. Das zieht eine Mischung aus verschiedensten Spektren an. Seit der ersten Hygiene-Demo beobachten Antifaschist*innen diese Ansammlungen und haben mit unterschiedlichen Aktionsformen (Graffiti, Banner, Gegeninformation, öffentlicher Aufruf, Kundgebungen usw.) Kritik geübt und versucht dieses Gemisch wieder zu spalten, die offensichtlichen Rechten zu isolieren und bei allen anderen Überzeugungsarbeit zu leisten. Ensprechend unübersichtlich ist die Lage vor Ort.
Am 1. Mai wurde im Umfeld der Demo ein pausierendes Team von der ZDF heute-show (sieben Personen, davon drei Securitys) von einer Gruppe Vermummter angegriffen. Bis auf Ausnahme des Satirikers Abdelkarim, der das Geschehen von weiter entfernt beobachtete und die Polizei alarmierte, mussten alle Angegriffenen ärztlich versorgt werden.
Die Polizei hat im weiteren Umfeld mehrere Verdächtige festgenommen, die mit Rad und Auto unterwegs waren. Es heißt in Tatortnähe, aber laut taz (2) gab es mehrere Zugriffe auch an entfernteren Orten. Die Verdächtigen wurden erst zurück zum Tatort gebracht, dort öffentlich sichtbar positioniert und mit Handschellen von den verschiedensten Medien und Schaulustigen fotografiert. Danach kamen sie in die Gefangenensammelstelle.
Es heißt, dass einige von ihnen dem linken Spektrum zuzuordnen sind. Offenbar fiel die Haftprüfung negativ aus, weshalb alle am darauffolgenden Tag wieder entlassen wurden. Draußen warteten schon die Medien, um die Leute zu fotografieren und die Story nochmal groß rauszubringen. Der Fall schaffte es in die überregionalen Medien, in die Bundespressekonferenz und sogar Regierungsmitglieder gaben Statements zu Pressefreiheit, Extremismus usw. ab. Soviel zu den Fakten.
Spekulation und öffentliche Meinung
Durch die teilweise widersprüchliche Berichterstattung und der Spekulationslust geistern verschiedene Varianten und Erklärungsversuche des Angriffs durch die sozialen Medien und politischen Zusammenhänge. Es werden unterschiedliche Täter*innen und sich widersprechende Motivationen diskutiert. Wir wollen uns mit einigen Erklärungen kritisch auseinandersetzen.
Selbstverständlich bleibt für uns dabei, dass Militanz ein wichtiger und notwendiger Bestandteil im Repertoire antifaschistischer Aktionsformen ist. Vor diesem Hintergrund üben wir konstruktive und differenzierte Kritik, statt pauschaler Entsolidarisierung. Nicht weil der Fall besonders krass ist, sondern weil wir in den letzten Jahren immer wieder das gleiche Problem haben: Zerrbilder über - und Entsolidarisierung von - 'robustem Antifaschismus'. Ganz im Sinne der Mindeststandards zum Umgang mit Militanz: "Wir treten ein für einen solidarischen Umgang im Kampf gegen Rechts – auch mit Menschen, die sich dabei exponieren und Betroffene staatlicher Repression werden." (3)
Wir halten es für sinnvoll, solche Diskussionen mit einer gewissen Abstraktion und Weitsicht zu führen, andererseits aber auch konkrete Vorschläge parat zu haben. Uns geht es nicht um Mutmaßungen oder vermeintliche Aufklärung der Situtation, sondern darum, was wir als Antifaschist*innen daraus lernen können. Wenig hilfreich ist nämlich die öffentliche Suche nach der angeblichen Wahrheit oder nach Erkenntnissen zu den Festgenommenen. Leute, die sich über vermeintlich besseres Wissen und (vor)schnelle Analysen profilieren wollen, sehen ihre Stunde nun gekommen. Die Twitter-Spekulationen über Gruppenzugehörigkeiten und Tattoos der Festgenommenen (wie im aktuellen Fall), dienen vor allem den Bullen und ihren Ermittlungsansätzen (dazu mehr in dem gelöschten Indybeitrag "Anna und Arthur haltet die Fresse" vom 5.5.2020, Link unten 4). Leider wurde den Ermittlungsbehörden aus linken Kreisen bereits aktiv zugearbeitet. So äußerte sich das "Soziale Zentrum Käthe Kollwitz" aus Heilbronn in einer Stellungnahme, dass ihnen zwei Personen bekannt wären und diese an Treffen in ihren Räumen teilgenommen hätten (5). So etwas zu äußern zerstört aufgebautes Vertrauen nachhaltig und ist durch nichts zu rechtfertigen.
Bisher diskutierte Szenarien
Szenario A: Rechte Angreifer*innen und linker Beifall?
Es waren Rechte, die das ZDF-Team bzw. explizit die heute-show angegriffen haben: Eine erste und breit diskutierte Möglichkeit, wer und was hinter dem Angriff steckt, ist, dass es Rechte waren. Dafür spricht, dass sich die heute-show als Akteur häufig mit der AfD oder 'Aluhüten' beschäftigt. In diesem Sinne hatte Bernard Loyen auf der Seite von Ken Jebsen schon am 30.04.2020 den Besuch des heute-show-Teams angekündigt: „Ich konnte durch Zufall in Erfahrung bringen, man möchte gezielt Verpeilte und Verstrahlte rauspicken, um sie für das dürstende ZDF-Publikum vorzuführen. Lächerlich machen.“ Die rechte Zielgruppe wusste also, dass das ZDF kommt. Und auch nach der Tat herrschte in rechten Kreisen teils Genugtuung. Und ein paar Tage später wurde auch ein ARD-Kamerateam bei einer rechtsoffenen Demo vor dem Reichstagsgebäude angegriffen (6).
In linken Kreise herrscht hingegen Ratlosigkeit und Unglauben. Aber es gab auch Zustimmung von Linken, die einen Angriff auf Massenmedien zunächst nicht per se ablehnen. Dies wäre aus unserer Sicht grotesk: Eine linke Zustimmung zu einem rechten Übergriff? Eine derartige Querfront ist durch nichts zu rechtfertigen. Aber auch im Falle einer anders gelagerten Täter*innenschaft: Ja, in der linken Szene gibt es zu Recht Kritik an Medien und deren Berichterstattung: linke Perspektiven, die sich nicht parlamentarisch wiederfinden, werden bis zur Unkenntlichkeit verzerrt; beständig wird sich durch die Presse über Persönlichkeitsrechte hinweggesetzt; Polizeimeldungen werden als einzige Quelle genutzt und Medien dienen - im Fall von Corona besonders - einfach als Lautsprecher der Regierenden. Doch Gewalt gegen willkürlich herausgepickte Reporter*innen ist nicht das richtige Mittel um Kritik am Zustand der Medien wirksam werden zu lassen. Denn einerseits wird so der Graben zwischen Medienmachenden und radikalen Linken weiter vertieft und auch die relativ links verorteten Journalist*innen massiv verunsichert (gut nachzuhören im RBB-Podcast 7). Andererseits ist jede antifaschistische Aktion, auch Propaganda und Aushängeschild für die antifaschistische Bewegung als Ganze.
Solidarität heißt hier, der Bewegung keine unüberlegten Aktionen als Stolperfallen vor die Füße zu werfen. Unsere Aktionen sollen unseren Handlungspielraum vergrößern und die unserer Gegener*innen verkleinern. Hier ist das Gegenteil geschehen.
Denn seit jeher wissen wir: Gewalt gegen Personen ist eine Form der politischen Arbeit, die besonders kritisch in (bürgerlichen) Medien und in der Gesellschaft aufgenommen wird. Die Ziele antifaschistischer Subjektbezogenheit sind in der Regel Faschist*innen, die selbst Gewalt ausüben - oder dies durch Meinungsmache oder Unterstützung neonazistischer Strukturen zumindest passiv tun. Die Notwendigkeit der Militanz gegen diese Personen und die Akzeptanz dessen in breiten Schichten, ist sicherlich dem staatlichem Unwillen und Unvermögen gegen Rechts zu agieren, geschuldet. Indem aber nun Medienvertreter*innen des liberalen Sprektrums angegriffen werden, anstatt greifbare Alternativen (Neonazis waren ja nur ein paar Meter entfernt) anzugehen, kann das ähnliche Vorgehen ('Draufhaun & Abhaun') in der Öffentlichkeit als gleiche Gewichtung der Ziele und Mittel interpretiert werden. Der Kampf gegen Neonazis wird mit der Kritik an Medien gewissermaßen auf eine Ebene gestellt und als auf gleiche Weise lösbar dargestellt.
Das empfinden wir als grobes Missverständnis antifaschistischer Arbeit. Denn die Probleme, die auch wir in massenwirksamer Berichterstattung sehen, lassen sich nicht auf diese Weise angehen. Vielmehr birgt hier Militanz am falschen Fleck die Gefahr, das Problem zu verschärfen.
Szenario B: Querfrontmäßige Spontanaktion?
Es war eine spontane Menge aus der Hygiene-Demo und Umfeld heraus: Viel Kritik der Teilnehmenden auf den Hygiene Demos, wenn sie sich dann doch mal äußern, richtet sich gegen ihrer Meinung nach falsche Informationsvermittlung in den Medien, also der sogenannten "Lügenpresse". Diese Kritik wurde durch das gemeinsame Skandieren von Parolen gegen Medienvertreter*innen, aber auch Angriffe in der Vergangenheit deutlich.
Das Ziel von Medien und theoretisch auch der Demonstrant*innen, ist es, den Anlass der Versammlung darzustellen und möglichst objektiv zu informieren. Wenn das Vertrauen in eine objektive Darstellung der Versammlung bei den Teilnehmenden nicht (mehr) gegeben ist, äußert sich das im Misstrauen gegenüber Pressevertreter*innen bis hin zu der Forderung Filmen und Fotographieren zu unterlassen. Satire, welche per se das Ziel hat zu polarisieren und dafür Zitate aus dem Zusammenhang reißt, Leute bloßstellt und auf diese Art 'beschädigt', eckt dabei besonders an.
Auch in linken Kontexten, insbesondere bei Demos, brach sich schon Unmut über filmende Medienvertreter*innen Bahn. Wir kennen diese Diskussionen zur Genüge. Es ist unnötig und unsolidarisch (auch von vermeintlich solidarischen Journalist*innen) alles zu filmen. Solche Fotos von linken Demos setzen die jeweiligen Aktivist*innen Repression durch Polizei und Neonazis aus (einerseits kurzfristig, weil Fotos von Blockaden beispielsweise als Beweis in konkreten Strafverfahren genutzt werden können, andererseits langfristig, weil so Strukturen und Zusammenhänge ausgemacht werden können). Jedoch stellt körperliche Gewalt dann nicht die zwangsläufige Reaktion dar, sondern kann auch Zeugnis von Überforderung sein.
In einem derartigen Spontan-Szenario muss hinterfragt werden, mit wem man sich gemein macht, mit wem gemeinsam Journalist*innen angegriffen werden und wessen politischer Agenda (z.B. deren der "Lügenpresse"-Schreienden) es nutzt.
Szenario C: Schlecht gelaufene Spontanaktion gegen Neonazifilmer*innen ?
Es waren organisierte Leute, die sich gegen ein Neonazi-Filmteam zur Wehr setzen wollten: Dies erscheint möglich vor dem Hintergrund, dass viele Rechte anwesend waren und besonders viele Livestreams oder ähnlich peppige Formate wie auch bei den vergangenen Samstag-Demos produzierten. Dies traf möglicherweise auf eine Unsicherheit der Gefilmten, die ihre Identität nicht preisgeben wollten oder denen es unangenehm war, dass ihre Anwesenheit im Nachgang in einem Querfront-Sinne dokumentiert ist. Der Angriff wäre dann nicht gegen die Presse, sondern gegen die eigene Instrumentalisierung für rechte Medienmacher*innen gerichtet.
Diskussionswürdig finden wir hier Aktionsform und Durchführung. Dabei spielt der möglichst kamerafreie Angriffsort, als auch sichere Rückzugswege eine Rolle, die zuvor hätten sichergestellt werden müssen. Ungeplant in eine Konfrontation zu gehen, birgt hohe Risiken, die nur unter bestimmten Umständen (z.B. in Notwehrsituationen) eingegangen werden sollten. Auch der Kontext, in dem dies stattfindet, muss beachtet werden - in der Nähe großer Versammlungen mit hoher Polizeipräsenz ist das Risiko höher als in anderen (z.B. auf dem Heimweg). Und auch das Ziel scheint hier aus dem Auge verloren worden zu sein: Wer nicht gefilmt werden will, sollte entweder sofort reagieren oder im Anschluss wenigstens das Material an sich nehmen, anstatt körperliche Zeichen zu setzen. Es erhärtet sich der Eindruck, dass hier beliebige Kameraleute exemplarisch bestraft werden sollten und gerade nicht handlungsunfähig (z.B. Kamera weg) gemacht werden sollten. Auf patriachale Muster von Gewaltausübung gehen wir weiter unten ein.
Szenario D: Fehlidentifizierung im Rahmen einer geplanten Aktion?
Es war ein geplanter Angriff - aber es hat versehentlich die Falschen getroffen: Eine weitere Möglichkeit scheint, dass das heuteshow-Team mit einem anderen Film-Team verwechselt wurde. Gerade am 1. Mai, dem Arbeiter*innenkampftag, sollte Nazis nicht die Deutungshoheit gelassen werden und der nervenden Querfrontmasse gezielt eine Abreibung verpasst werden. Es könnte beispielsweise darum gegangen sein, rechte Medien wie Compact zu treffen.
Auch bei diesem Szenario ist auf vielfältigen Ebenen etwas schief gelaufen - mehr als nur eine Fehlidentifizierung. Doch dazu zuerst: Eine solche Verwechslung wäre ein gravierendes Recherche-Versagen. Wer sich nicht sicher ist, sollte nicht Aktionen schieben, die möglicherweise die Falschen treffen. Denn hier spricht schon auf den ersten Blick einiges gegen die Compact-These. Das Compact-TV-Team war bisher immer bei den Demos am Rosa-Luxemburg-Platz. Bisher nie zu siebt - sondern eher allein oder zu zweit. Das hochgerüstete ZDF-TV-Team war hingegen vorher noch nie da und an dem Tag zudem mit Abdelkarim unterwegs.
Um Allgemeiner zu werden: Recherchearbeit stellt ein Herzstück von antifaschistischem Aktivismus dar und bringt eine enorme Verantwortung mit sich. In der öffentlichen Wahrnehmung verschafft uns sorgfältige Recherchearbeit Vertrauen und Wertschätzung. Fehlinformationen diskreditieren diese teils jahrelangen Bemühungen.
Die Unachtsamkeit bei der Bestimmung der Ziele, ist einerseits schlimm für die falsch Identifizierten, weil sie sichtbare und unsichtbare Verletzungen erlitten haben, andererseits auch schlimm für die Personen, die gehandelt haben und nun staatlicher Repression ausgesetzt sind. Unabhängig ob die wahllos im Umfeld Festgenommenen mit dabei waren, musste angesichts der Lage rund um die Hygiene-Demo, mit einer hohen Polizeipräsenz im Umfeld gerechnet werden. Zum anderen muss bei jeder Aktion auch die öffentliche Reaktion im Nachgang abgeschätzt werden. Diese mag zwar bei einem Angriff auf Rechte Magazine anders ausfallen, jedoch ist auch hier fraglich, inwiefern negative Anti-Linke-Stimmungsmache aufgrund des Vorfalls in kauf genommen wurde.
In diesem Zusammenhang fragen wir uns, wie auf einem Plenum ein solcher Plan diskutiert und gemeinschaftlich für gut befunden werden konnte und inwiefern Handlungsdruck und Selbstüberschätzung hier eine Rolle gespielt haben. Aber dazu weiter unten mehr.
Szenario E: "Es waren Linke, aber keine richtigen"
Ein fünftes Szenario beschäftigt sich mit der derzeitigen (De)konstruktion davon, was "links" ist oder eben nicht ist. Wie es grad so passt wird den 'Pumpern mit roten Halstüchern', 'Krawall-Barbies' und 'vermummten Chaoten' das 'Links-Sein' abgesprochen. In verschiedenen Texten, beispielsweise dem erwähnten taz-Artikel wird gefragt, was für linke Personen (links im Sinne der polizeilichen Statistik) wohl im Umfeld der Hygiene-Demos gewesen sein mochten und stellen somit eine Assoziation mit bestimmten kommunistischen Gruppierungen her. In eine ähnliche Richtung schlägt die Idee, dass die betreffenden Personen nur zufällig dem linken Spektrum zugeordnet werden, aber eigentlich unpolitische Haudraufis sind, die frustriert alkoholisiert und verwirrt sind. Solche Klischeevorstellungen werden von sog. Szenekennern genährt, die sich beeilten den Angriff als unantifaschistisch zu deklarieren (8).
Nochmal in aller Klarheit: Weder ist es aus linker Perspektive egal, wen es trifft, noch trifft es mit einem heuteshow-Team die Richtigen. Dennoch: Eine Dekonstruktion von dem, wer oder was "links" ist, wie es seitens der Kritiker*innen geschieht, ist einfach nur unsolidarisch und egozentrisch. Der Umgang miteinander per öffentlicher Distanzierung, sowie die Diskreditierung anderer politischer Ansätze zur eigenen Selbstüberhöhung (als einzig wirklich links) macht es sich zu leicht und kann auch keine Diskussion über Zweck/Mittel-Relationen anregen. Über Praxis kann gestritten werden - ohne Frage - aber nicht indem allen anderen, die nicht auf der gleichen bequemen Welle reiten, die Legitimation abgesprochen wird. Sobald militantes Auftreten die Aufmerksamkeit auf sich zieht, wird umgedeutet, entpolitisiert und distanziert. Die linke Geschichte ist voll von Leuten, die nicht wahr haben wollen, dass Gewalt sehr wohl ein politisches Mittel sein kann. Dass die politischen Gegner*innen jeden Bruch der bürgerlichen Ordnung nutzen um Distanzierung und Spaltung zu verlangen, ist nichts neues. In dieses Horn stößt auch die Polizei, die vermehrt eigene politische Interessen verfolgt und sie auch medial zu inszenieren weiß. Die Zurschaustellung der Tatverdächtigen und die Hinweishäppchen an die Presse sprechen Bände. Fallt doch nicht darauf herein.
Szenario F: Es war eine Auseinandersetzung mit Securitys
Securitiyfirmen sind dafür da, Sicherheit für ihre Auftraggeber*innen zu gewährleisten. Dafür werden sie engagiert. Der Markt an privaten Secu-Firmen wurde in den letzten 20 Jahren kontinuierlich ausgeweitet. Dass sich von diesem Arbeitsfeld (legal, ohne besondere Ausbildung Gewalt ausüben) Menschen angezogen fühlen die nicht besonders emanzipatorisch sind, verwundert nicht. Secus vertreten so ziemlich alles, was Linke ablehnen. Sie leben von Profilierung und versuchen Unzulänglichkeiten oder den Frust über die eigene prekäre Beschäftigung mit dem Ausleben von Macht und Gewalt über andere zu kompensieren. Sie stehen für Disziplin, Gehorsam, Gewalt- und Ordnungsfetisch und sind immer dabei, wenn es um die Durchsetzung der herrschenden Ordnung geht. Teilweise werden sie rangezogen für Tätigkeiten, aus denen sich die Polizei zurückzieht. Denkbar ist, dass die beteiligte Secu-Firma bereits negativ aufgefallen ist, Naziklamotten getragen wurden oder sie sich an dem Tag selbst grenzüberschreitend verhalten haben. In diesem Szenario wäre das ZDF-Team nur zufällig dabei und die Securitys Ziel der Attacke.
Allgemeine Einordung und Verbesserungsvorschläge
"Antifa" ist mehr als bürgerlicher Antifaschismus, so viel ist sicher. Es ist aber auch mehr als nur eine Szene, Kultur, Jugend-Gang oder Klamotten. Es ist eine bestimmte Form der Praxis und Organisierung. Antifa lebt von Langatmigkeit, nicht von Kurzschlüssen. Sicherheit in verschiedenen Dimensionen spielt daher eine große Rolle bei vielen Aktionsformen. Aktivist*innen sollen möglichst langfristig tätig sein können. Es verlangt daher, das eigene Handeln immer in einen größeren gesellschaftlichen und historischen Rahmen zu setzen, wenn man nachhaltig etwas gegen Rechte tun will. Nicht zuletzt haben die an Fehlschläge anschließenden Diskussionen auch einen Wert an sich. Nämlich die Möglichkeit, gemeinsame Analysen zu finden und Situationen neu zu bewerten. Auch lassen sich über aktuelle Diskussionsprozesse schon in der Vergangenheit gelernte Lektionen neu ins Bewusstsein rufen.
Militanz erweist sich dabei schon immer als schwieriges Feld. Fehlgänge - ob diskursiv oder tatsächlich - sind in ihrer Wirklung besonders heftig. Dennoch bleibt militantes Vorgehen sinnvoll und soll nicht per se diskreditiert werden. Hätte es z.B. NPD-Leute getroffen, sähe die Diskussion sicher anders aus. Hat es aber nicht. Und es bliebe die Frage nach Datum, Ort und Folgen.
Nicht erst die Kantholz-Debatte (9) und die mediale Negativdarstellung antifaschistischer Militanz muss(te) zu einer strategischen Neubewertung der Aktionsform führen. Offene Fragen, die auch wir berücksichtigen sollten, sind, wer hat was in den Augen der Öffentlichkeit 'verdient'? Wer ist zu alt für einen Schlag auf den Hinterkopf (die Frage diskutieren wir seit der Gründung der AfD)? Wer ist durch seine Funktion angeblich besonders schützenswert (Pressevertreter*innen, Parlamentarier*innen, Richter*innen, Einsatzkräfte) und wird auch entsprechend vom Mainstream in Schutz genommen? Wie wird eine 'proletarische Abreibung' im Vergleich zu einem koordinierten Überfall wahrgenommen? Wie müssen Aktionen aussehen, damit sich die öffentliche Meinung danach auch als Schutzschild gegen die auf die Aktionen folgende Repression eignet?
Vielfältigkeit
Der ZDF-Vorfall stellt die linke Szene erneut unter einen Generalverdacht, was sich in der aktuellen medialen Aufarbeitung bereits zeigt: es wird auf Biegen und Brechen die Gewaltbereitschaft und Aggressivität zwischen linken und rechten Personen verglichen, oft ohne Kontextualisierung. Hier sollten alle aufpassen, auch noch mitzumachen durch irgendwelche Dekonstruktionen von "Links-Sein" oder pauschalisierten Abwertungen von militanten Aktionsformen. Die Medienlandschaft wird auch in Zukunft ein (noch) kritischeres Auge auf linken Protest haben und möglicherweise auch aufgrund diesen Vorfalls eher kritischer bewerten.
Dass die linke Szene ein breites Maß an Protestformen zur Verfügung stellt, darf daher nicht vergessen werden. Es gilt die Vielfältigkeit der antifaschistischen Praxis wieder präsenter zu machen. Denn die Mittel, wie Linke Protest in den öffentlichen Raum tragen, reicht von Stickern, Graffitis, über Flugblätter und Demos bis hin zu Besetzungen und vielem mehr.
Natürlich ist antifaschistische Praxis auch der direkte Kampf gegen Nazis. Angelehnt an Szenario D können wir aber diskutieren, welche Aktion welches Ziel hat. Die direkte und handgreifliche Auseinandersetzung möchte das Individum direkt ansprechen, ihm die Konsequenzen seines menschenfeindlichen Handelns vor Augen führen, ihm auch die physischen Grenzen klar machen, und letztlich ein Umdenken erzwingen. Aussteiger*innen aus der rechten Szene haben zudem angegeben, dass für sie mitentscheidend war, wie ihr familiäres und berufliches Umfeld empfanden, was sie machten. Eine Methode, die das konkrete Individuum auch unter Druck setzt und Konsequenzen deutlich macht, ist daher das Outing von Neonazis. Das heißt die Verbeitung von Informationsmaterial über die rechten Aktivitäten einer Person in der Nachbar*innenschaft oder dem Arbeitsumfeld.
Antisexistische Militanz
Für uns ist klar: Militanz ist nicht per se mackrig, aber bestimmtes Verhalten in bestimmten Situationen kann Ausdruck patriarchaler Sozialisierung sein und das Patriarchat reproduzieren. Also das bspw. Belächeln mancher Aktionsformen, das Wegducken männlicher Genossen bei Repro-Arbeiten bei gleichzeitiger Überschätzung der eigenen Handlungsfähigkeit. Diese antrainierten Verhaltens- und Rollenmuster betreffen uns alle und entsprechen doch nicht unserem Ideal bzw. dem Kampf für eine befreite Gesellschaft. Daher heißt es auch dabei, den mühsamen Reflexionsprozess fortzusetzen und jeden Tag gemeinsam weiterzulernen.
Wer Gewalt gegen Menschen ausübt, muss auch das eigene Handeln als Reproduktion patriachaler Gewalt reflektieren. Folgende Klassische Muster von Antifa-Mackertum begleiten uns seit Jahrzehnten und sorgen immer wieder für Auseinandersetzungen:
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Es werden (un)nötige Risiken für sich selbst und andere eingegangen (z.B. Unversehrtheit und gutes Wegkommen für alle). Die permanente Selbstüberschätzung der eigenen Fähigkeiten und die nicht zugegebene Beschränktheit des eigenen Erfahrungshorizonts sind in dynamischen Situationen eine Gefahr für alle.
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Dazu gehört eine gewisse Sorglosigkeit bzw. Fahrlässigkeit bei der Auswahl der Ziele und Mittel, sowie die Inkaufnahme von Verletzungen und Beschädigungen zufälliger Leute (verharmlost als "Kollateralschäden"). Dieses Sich-Über-Andere-Hinwegsetzen ist eine eingeübte männliche Herrschaftspraxis und äußert sich letztlich in willkürlichen Handlungen.
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Aktionen werden fast schon mit militärischer Akribie und (angeblicher) Expertise ausgeführt. Das Auftreten (hierarchisch organisiert, uniform) ist entsprechend.
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Der oft eher selbst produzierte Erfolgs- und Leistungsdruck sticht alle Bedenken, Fragen, Bedürfnisse und Ungewissenheiten aus.
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Dabei schützt das generell ausschließendes Gehabe nicht nur vor Repression, sondern hält auch eigene Privilegien aufrecht. Nicht alle dürfen oder können mitmachen weil sie angeblich zu langsam, zu kraftlos, zu unsafe usw. sind.
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Die obligatorische Prahlerei, wenns gut gegangen ist, geht einher mit dem Abtauchen und der Diskussionsverweigerung bei Misserfolg.
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Denn: Im Vordergrund steht meist die persönliche Profilierung in der Gruppe (und vor dem Anspruch an sich selbst) und nicht die Aktion, auch wenn händeringend nach anderen Legitimationen gesucht wird.
Gemeinsames Handeln: Üben hilft
Konkrete Erfahrungen auf der Straße und altbewährte Aktionsformen helfen am besten bei der Entwicklung und Fortbildung der eigenen Praxis. Keine Theoriedebatte kann dies ersetzen. Jedoch sind auch Workshops und Aktionstrainings wichtige Orte des Lernens, der Reflexion und der Vorbereitung. Sie sind ein Ort des Austauschs und des gegenseitigen Lernens und Vertrauensbildung. In Trainingssituationen lassen sich besser Einschätzungen erlernen und neue Handlungsformen ausprobieren, die späteren Überschätzungen vorbeugen. Hier bietet sich ein abgestuftes Modell an: Von beobachtender Teilnahme (z.B. bei Demos), zu aktiver, bishin zu konfrontativer und später militanter.
Unabhängige Diskussionsforen
Der Fall des Angriffs auf das ZDF-Team zeigt auch die Abghängigkeit linksradikaler Debatten von den Deutungen und Narrativen der bürgerlichen Presse. Es scheint als wäre die Berichterstattung der Mainstremmedien Orientierungspunkt auch für interne Diskussionen und Bewertungen. Wenn die Negativbewertung bestimmter Aktionen durch die sog. Leitmedien auch wirkmächtig in szeneinternen Debatten werden, führt dies unweigerlich zu Entsolidarisierungen. Ist es der Schwäche der eigenen Medien wie z.B. indymedia geschuldet, das antifaschistische und linksradikale Positionen im öffentlichen Diskurs keine Rolle spielen? Es war in diesem Sinne sicher nicht hilfreich, dass indymedia einen Artikel gelöscht hat, der sich mit linken Reaktionen zu der Auseinandersettzung mit dem ZDF-Team kritisch befasste (4). Der Anstoß einer öffentlich wahrnehmbaren Debatte unter Linksradikalen wurde damit nicht befördert, sondern in die Hinterzimmer und Plenumsräume verbannt.
Quellen
(1) /news/1687-zur-hygiene-demo-am-rosa-luxenburg-platz
(2) https://taz.de/Angriff-auf-Team-der-ZDF-heute-show/!5681447/
(3) http://neukoelln.blogsport.de/2019/03/22/10-punkte-fur-antifaschistische-courage/
(4) https://web.archive.org/web/20200505203004/http://4sy6ebszykvcv2n6.onion.ws/node/81272
(5) https://sz-kaethe.org/?p=3033
(9) https://www.antifainfoblatt.de/artikel/framing-mit-dem-kantholz
Erstveröffentlichung auf indymedia am 16. Mai 2020
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