Das Ende unserer Geschichte… Auflösungserklärung der Antifa Hohenschönhausen

22. August 2020 | News Redaktion


Die Zeit der Gründung…

Die Antifa Hohenschönhausen wurde im Sommer 1999 – also vor mehr als 20 Jahren – gegründet. Wir waren damals geprägt durch eine starke und dynamische Antifa-Szene in Berlin, die aus unterschiedlichsten Gruppen bestand und berlinweit sowie bundesweit mobilisierungsfähig war. Hinter uns lagen die großen bundesweiten Antifa-Mobilisierungen in das thüringische Saalfeld mit enormer staatlicher Repression in den Jahren 1997 sowie 1998 oder auch die große bundesweite Antifa-Mobilisierung zum G8-Gipfel in Köln im Jahr 1999.

Die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) war zu dieser Zeit eine der bekanntesten und mitgliederstärksten Antifa-Gruppen in Deutschland. Viele der im Rahmen der Jugendarbeit der AAB entstandenen Berliner Antifa-Jugendgruppen wie bspw. die Jugendantifa Friedrichshain (JAF) und die Antifaschistischen Rote Dornen (ARD) verließen damals den organisatorischen Rahmen der Großgruppe und arbeiteten eigenständig. Bundesweit gab es die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) und das Bundesweite Antifa Treffen (B.A.T.), das in Abgrenzung zur AA/BO entstand. Zahlreiche Gruppen waren im Rahmen dieser Vernetzungsstrukturen kontinuierlich im Austausch. Auf politisch-konzeptioneller Ebene versuchte die AAB im Jahr 1998 in der Broschüre „Konzept Antifa“ ein politisches Konzept zu entwerfen, das ins Zentrum den Begriff des „revolutionären Antifaschismus“ stellte. Dieser könne – dem Diskussionspapier der AAB folgend – deswegen systemüberwindend sein, weil mit dem Kampf gegen den Faschismus zugleich die gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen er hervorgeht, mit bekämpft werden. Dieses Papier prägte auch die anfänglichen Diskussionen in der Antifa Hohenschönhausen.

Die Neonazi-Szene befand sich in dieser Zeit im Umbruch. Mitte der 1990er wurde in zwei Wellen ein Großteil extrem rechter Gruppen verboten – die Deutsche Alternative, die Nationalistische Front, die Wiking-Jugend und die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei. In der Folge wurde es ruhiger in der Neonazi-Szene. Die extreme Rechte nutzte die Zeit zur Restrukturierung. Die NPD und ihre Jugendorganisation öffneten sich in Richtung Neonazi-Szene und dienten als quasi einzig verbliebenes, legales Sammelbecken. Auf dem Bundesparteitag 1996 manifestierte sich dieser Kurswechsel der Partei in dem sogenannten Drei-Säulen-Konzept, dem „Kampf um die Straße“, dem „Kampf um die Parlamente“ und dem „Kampf um die Köpfe“. Zeitgleich entwickelten die Neonazikader Christian Worch und Thomas Wulff das Konzept der sogenannten Freien Kameradschaften als alternative Antwort auf die staatliche Repression. Diese Entwicklungen prägten auch Lichtenberg. Die NPD und Freien Kameradschaften wurden zu den prägenden Akteuren der extremen Rechten im Bezirk.

„Let's Get It Started“ – Black Eyed Peas

Durch die Jugendzeitung „Abuje“ entstanden im Sommer 1999 mehrere lose Netzwerke von Jugendlichen und Heranwachsenden, die sich antifaschistisch engagieren wollten und deren Engagement in der Antifa Hohenschönhausen gebündelt wurde. Aus mehreren Treffen in Hohenschönhausen wurde ein gemeinsames Gruppentreffen. Unter dem Titel „Nazis stoppen, auch in Hohenschönhausen“ präsentierte sich die Antifa Hohenschönhausen mit einem Artikel im Antifa-Jugend-Info der Silvio-Meier-Demo im November 1999 erstmalig der Berliner Antifa-Öffentlichkeit.

Unsere Gruppe war von Anfang an eine Sammlung unterschiedlichster Menschen. Sie bestand aus Schüler*innen und Abiturient*innen. Im Rahmen der Antifa Hohenschönhausen organisierten sich Menschen, die erstmalig in Kontakt mit politischer Organisierung kamen sowie Aktivist*innen, die bereits in anderen linken Gruppen oder Antifa-Gruppen aktiv waren. Die Gruppe vereinte Menschen, die aus unterschiedlichen Subkulturen – Punks, Hip Hopper, Hippies, Skins – kamen, die sich linksliberal oder als autonome Antifas definierten. Im Gegensatz zu dem Bild antifaschistischer Gruppen als männerdominierte Strukturen organisierten sich in der Antifa Hohenschönhausen in den letzten 20 Jahren viele Frauen. Das Geschlechterverhältnis war meist ausgeglichen.

In den folgenden Jahren entwickelte sich eine stabile Gruppe, die sich zunehmend professionalisierte und eine feste Größe in der Berliner Antifa-Szene wurde.

„Laß das Glotzen sein - greif ein“- Dritte Wahl

In der Gründungszeit der Antifa Hohenschönhausen war extrem rechte Gewalt bundesweit alltäglich. In dieser Zeit gründete sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU), der bis 2011 – gedeckt durch ein großes Unterstützer*innen-Netzwerk – mordend durch Deutschland zog. Diese Gewalt von Neonazis war für unsere Gruppe und andere Antifa-Gruppen über die vielen Jahre nichts Abstraktes und nichts aus der Zeitung. Wir erlebten, wie wir, Freund*innen und Genoss*innen in vollen Straßenbahnen oder S-Bahnen ohne Hilfe Mitreisender angegriffen wurden und die Täter*innen entweder nie gefasst wurden oder mit lächerlichen Strafen aus Gerichtsverfahren gingen.

Im Jahr 2000 wurde uns bekannt, dass Neonazis einen Brandanschlag auf eine linke Kneipe in Prenzlauer Berg durchführen wollten, in der sich u.a. das zu dieser Zeit entstehende Antifaschistische Bündnis [A3] – darunter die Antifa Hohenschönhausen – traf. Die Täter wurden der Gruppierung „National-Revolutionäre Zellen“ zugerechnet, die im Mai 1999 in einem "Interview aus dem Untergrund" terroristische Aktionen angekündigt hatte. Verhindert wurde der Anschlag nur dadurch, dass die Neonazis kurz vor Erreichen des Treffpunkts abbrachen, weil sie sich beobachtet fühlten.

Wir erlebten, wie Neonazis antifaschistische Veranstaltungen, Stände – darunter auch unsere – und Festivals bewaffnet angriffen. Trauriger Höhepunkt war ein Brandanschlag mit Molotow-Cocktails von Neonazis am 14. Juli 2001 auf die Bühne des Jugendfestivals „Le monde est à nous“ im brandenburgischen Königs Wusterhausen. Mehrere Genoss*innen und Freund*innen von uns, die als Schutz vor Angriffen und Beschädigungen auf der Bühne geschlafen hatten, wurden nur durch Zufall nicht schwer verletzt. Wir als Gruppe waren die Schutzschicht der darauf folgenden Nacht.

Wir erlebten wie später Autos durch Neonazis angezündet, Briefkästen gesprengt oder an den Wohnungen von Genoss*innen Drohungen gesprüht wurden. Und wir erlebten, dass Polizei diese Gewalt nicht verhindern konnte oder wollte. Im Rahmen von antifaschistischen Selbstschutz schützten unsere Genoss*innen und wir unsere Veranstaltungen sowie Strukturen. Wir konnten so Schutzräume für linke Menschen in Lichtenberg schaffen und sie vor den Angriffen von Neonazis schützen. Antifa war für uns auch ein zentrales Politikfeld, weil eine direkte und persönliche Notwendigkeit der Gegenwehr bestand.

„Keine Atempause - Geschichte wird gemacht - Es geht voran“ - Fehlfarben

Nach mehr als 20 Jahren blicken wir mit einem lachenden und weinenden Auge zurück auf eine kontinuierliche, radikal linke und antifaschistische Politik in Lichtenberg und darüber hinaus, die wir aktiv mitgestaltet und geprägt haben.

Zusammen mit euch haben wir zahlreiche Aktionen in Lichtenberg und Berlin gegen Neonazis und Rassist*innen durchgeführt. In Berlin und darüber hinaus schmiedeten wir Bündnisse gegen viele Neonazi-Aufmärsche.
Wir recherchierten zu neonazistischen Strukturen und Netzwerken in Lichtenberg. Dabei ging es nie um einen reinen Selbstzweck. Informationen zu den lokalen extrem rechten Strukturen waren die Basis für unsere politische Arbeit. Im Fokus stand die Aufklärung über die neonazistische Gefahr. Dafür stehen die Recherche-Reihe „Motiv.Rechts“ und viele weitere Publikationen. Darüber hinaus waren wir oft mehr als der Dorn im Auge der organisierten Neonazis im Bezirk. Wir waren Teil einer offensiven Berliner Antifa-Bewegung. Ergebnis dessen waren zahlreiche Kampagnen gegen Neonazis, verhinderte Neonazi-Aktivitäten und zahlreiche Einschnitte für neonazistische Infrastruktur.

Zusammen mit euch sind wir in andere Bundesländer gefahren, um Genoss*innen zu unterstützen und Neonaziaufmärsche zu verhindern. Wir fuhren nach Halbe, nach Sachsen oder aufgrund des NSU-Prozesses nach München. Im Rahmen der Globalisierungsbewegung erlebten wir in Göteborg, Genua oder Rostock eine massive staatliche Repression.

Wir haben erinnerungspolitische Arbeit in Lichtenberg realisiert, mit Zeitzeug*innen gesprochen und sie von ihrem Widerstand gegen den Faschismus in Deutschland, Frankreich und Spanien berichten lassen. Wir haben die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus und den Widerstand dagegen mit verschiedenen Kampagnen und Publikationen mit Leben erfüllt. Wir waren als korporatives Mitglied der Berliner VVN-BdA eng verbunden mit unseren älteren Genoss*innen.

Wir haben Frei- und Kommunikationsräume für linke und antifaschistische Menschen geschaffen. Gemeinsam mit befreundeten Gruppen organisierten wir mehrere hundert Veranstaltungen. Es wurden Informationen ausgetauscht und gemeinsam diskutiert. Wir demonstrierten leidenschaftlich. Und wir feierten und hatten gemeinsam Spaß. Einige Träume platzten in den letzten Jahren. An der Schaffung eines kontinuierlichen Freiraumes in Form eines antifaschistischen, selbstverwalteten Jugendzentrums scheiterten wir. Umso mehr freuen wir uns über die verschiedenen Haus- und Freiraumprojekte, die in den letzten Jahren in Lichtenberg entstanden sind und eigene politische Impulse setzen bzw. Raum dafür geben.

Dem Motto „Gemeinsam sind wir stark“ folgend war uns ein zentrales Anliegen die Vernetzung im Bezirk. Im Gegensatz zu den Innenstadtbereichen wie Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder Kreuzberg waren die äußeren Stadtbezirke Berlins nie durch eine Überzahl von Antifa-Gruppen oder linken Strukturen geprägt. Oft waren wir anfänglich antifaschistische „Einzelkämpfer*innen“. Dies führte in Lichtenberg zu einer anderen Vernetzungs- und Bündnispolitik. Es entstanden bunte Bündnisse bestehend aus verschiedensten Akteuren. Diese konnten u.a. Menschen aus Jugendclubs, sozialen Vereinen, linken außerparlamentarischen Gruppen, bezirklichen Parteien oder deren Jugendorganisationen sein. In einigen Fällen wurde diesen Netzwerken von Genoss*innen anderer Bezirke mangelnde Radikalität vorgeworfen. Zentral für unsere Gruppe war jedoch die Einsicht in die Notwendigkeit, dass nur breiter Widerstand auf verschiedensten Ebenen mit verschiedenen Mitteln im Kampf gegen die extreme Rechte erfolgreich sein kann. Und die Erfolge gaben dem Ansatz in Lichtenberg Recht. In den letzten Jahrzehnten wurden erfolgreich neonazistische Strukturen und Akteure zurückgedrängt. In diesen Bündnissen und Netzwerken wurde eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gelebt, die zum Teil bis heute Bestand hat. Dafür möchten wir unseren politischen Freund*innen danken.

„The Times They Are a-Changin’“ – Bob Dylan

Seit vielen Jahren befindet sich die klassische Antifa-Bewegung, deren Teil wir über 20 Jahre waren, in einer Krise. Viele klassische Gruppen und Strukturen lösten sich in den letzten Jahren auf. Einige Antifa-Gruppen transformierten sich. Neue Gruppen kamen und verschwanden zum Teil nach kurzer Zeit. Andere Formen der Organisierung, die stärker durch eine gesellschaftliche Individualisierung geprägt sind, entstanden. Viele lose Netzwerke bildeten sich. Das Konzept der Antifa stand mehrfach in der Diskussion. Mehrere Kongresse antifaschistischer Gruppen zeugen davon.

In Zeiten von Erfolgen extrem rechter und rechtspopulistischer Parteien wie der Alternative für Deutschland (AfD), dem Rassismus in der Gesellschaft oder auch verschwörungsideologischen Corona-Demonstrationen ist auch eine antifaschistische Stimme dringend notwendig. Diese Stimme bedarf jedoch neuer Ansätze und Antworten. Tradierte Konzepte greifen beim Wandel in Teilen der extrem rechten Bewegung in den letzten Jahren nur noch bedingt. Das alte Motto „Antifa heißt Angriff“ wirkt wie ein Blick auf eine Zeit, die vergangen scheint und eher in das Reich der Phrasendrescherei gehört.

Der Fokus auf die Kameradschaftsszene oder parteiförmig organisierte Neonazis wie bspw. der NPD bedarf in Lichtenberg und Berlin einer Neubewertung. Sie scheinen isolierter und handlungsunfähiger denn je. Außer Acht gelassen werden darf diese Formierung innerhalb der neonazistischen Szene natürlich nicht. Zentraler aus unserer Sicht sind „neue“ Akteure der extremen Rechten wie die AfD, die in den Parlamenten sitzt, darüber finanzielle und personelle Ressourcen erhält und politische Diskurse mehr oder weniger beeinflusst. Auch die Corona-Krise fördert regressive Diskurse. Von traditionellen Neonazis über Reichsbürger hin zu antisemitischen Verschwörungstheoretikern versuchen verschiedene Akteure eine öffentliche Bühne zu erlangen. Eine Antifa-Bewegung, die erfolgreich sein will, muss sich in einen Reflexionsprozess begeben und ihre Aktionen und Aktionsformen an diese veränderte extreme Rechte anpassen. Diese strategischen Diskussionen haben wir – und viele andere Gruppen, wenn nicht die gesamte Antifa-Szene – verpasst.

Zudem scheinen andere (Teil-)Bewegungen aktuell wirkmächtiger und mobilisierungsstärker als die Antifa-Bewegung zu sein. Dazu gehören die Mieter*innen-Bewegung, die in Berlin u.a. mit der Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen!“ starke Impulse in Richtung des Berliner Senats sendet oder die Klimaproteste, die tausende Menschen auf die Straße brachten und ihre radikal linke Ausprägung im Bündnis „Ende Gelände“ findet. Ebenso gibt es in Berlin starke Impulse der feministischen Bewegung.

Weiterhin existiert – wie in den letzten Jahren – die Möglichkeit, selbstorganisierte Geflüchteten-Proteste zu unterstützen und zusammen mit den Refugees den Kampf gegen gesellschaftlichen Rassismus und das europäische Grenzregime, das nicht zuletzt durch die entmenschlichenden Zustände in Griechenland oder tausenden ertrunkenen Geflüchteten im Mittelmeer sichtbar wird, zu führen. In dieser Situation liegt auch in Zukunft ein gesellschaftliches Konfliktfeld, in dem eine radikale Linke wieder wirkmächtig werden kann.

Darüber hinaus hatte und hat die klassische Antifa-Bewegung kaum Antworten auf veränderte Lebensrealitäten ihrer Aktivitist*innen. Bereits der Übergang von Ausbildung bzw. Studium ins Berufsleben stellt für die meisten Genoss*innen eine hohe Hürde für die weitere politische Arbeit dar und führt oft zu einem Rückzug aus der Organisierung oder ins Private. Noch gravierender sind die Unwägbarkeiten für Genoss*innen mit Kindern. Die Antifa verharrt damit im Stadium einer Jugendbewegung, solange keine organisatorischen Angebote für verschiedene Lebensabschnitte angeboten oder gemeinsam entwickelt werden.

Für uns war Antifa mehr als eine rebellische Jugendbewegung. Wir waren Antifas als Schüler*innen, als Student*innen oder Ausbildende sowie als Arbeitende. Die Genoss*innen unserer Gruppe, die sich für Kinder entschieden, wurden schnell damit konfrontiert, dass es in der Antifa oder es in unserer Gruppe nur in Einzelfällen Antworten auf diesen Lebensentwurf gibt. Dies erschwert und verunmöglichte politische Arbeit.

Ebenso prägt aus unserer Sicht der Trend zur Individualisierung als ein dominierender gesellschaftlicher Trend des jungen 21. Jahrhundert die Antifa-Bewegung. Die Fähigkeit, sich kontinuierlich längerfristig zu organisieren, scheint seit der Jahrtausendwende bei vielen Aktivist*innen abzunehmen. Viele Gruppen zerfallen nach wenigen Jahren, wenn sie überhaupt so lange existent sind. Mitglieder verlassen Gruppenzusammenhänge schneller. Lose Netzwerke oder Organisationsansätze werden zunehmend dominant. Ein Wissenstransfer über erfolgreiche Aktionsformen findet selten statt.

„It's the End of the World as We Know It” - REM

Anfang der 1990er Jahre etablierte sich eine neue Antifa-Bewegung, deren Teil auch die Antifa Hohenschönhausen war. Vorläufer waren antifaschistische Strukturen, die sich in den 1980er Jahren aus der Hausbesetzer*innen- und Autonomen-Bewegung heraus gründeten. Die Antifa war ein Teilbereich der linksradikalen Bewegung. Habitus und Aktionsrepertoire übernahm die Antifa von den Autonomen. Die Antifa-Bewegung – als Teil-Bewegung – wurde in dem Zeitraum stark, in dem die Rest-Linke zunehmend in Ratlosigkeit versank. Die Wende mit dem Zusammenbruch eines großen Teils der sozialistischen Welt, der weltweite Siegeszug des Kapitalismus, der nationale Taumel im Zuge der Wiedervereinigung und ein Rassismus, der sich auf der Straße Bahn brach, von den Medien mit Das-Boot-ist-voll-Schlagzeilen begleitet wurde und in der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl mündete, hinterließen ihre Spuren in großen Teilen der Linken. Was die Linke verzweifeln ließ, sorgte auf der anderen Seite dafür, dass sich Anfang der 1990er Jahre überall in der Deutschland Antifa-Gruppen gründeten. Mit der Wut über die rassistischen Zustände und der Gegenwehr gegen Neonazis gelang es über Jahre kontinuierlich viele Menschen zu mobilisieren und zu politisieren. Dies führte zu einer Verselbständigung des einstigen Teilbereiches: die Antifa wurde für viele Jahre eine eigene linke wirkungsmächtige Bewegung.

Diese Zeiten sind aus unserer Sicht schon lange vorbei. Jede linke Bewegung hat ihre Zeit. So auch die Antifa-Bewegung. In den letzten Jahren wurde aus unserer Wahrnehmung die Antifa wieder Teilbereich der linksradikalen Bewegung. Wie die Student*innen-Bewegung, die Anti-AKW-Bewegung oder die Hausbesetzer*innenbewegung prägt jede Bewegung die Linke und hinterlässt ihre Spuren.

„Alles hat mal ein Ende, weiß doch jeder von euch - Auf Wiederseh'n“ – Goldene Zitronen

Wir entstammen einer Zeit, in der sich politische Gruppen mit einer Auflösungserklärung verabschiedeten. Der Tradition folgend wollen wir nicht sang- und klanglos als Gruppe verschwinden. Die letzten Jahre und die Entwicklung der Antifa-Bewegung haben auch ihre Spuren an unserer Gruppe hinterlassen. Viele Genoss*innen verließen die Gruppe. Leider konnten wir – trotz oft richtiger Fragestellungen und Problembewusstsein –, keine adäquate Antwort im Sinne einer politisch-organisatorischen Perspektive für die Antifa Hohenschönhausen entwickeln. Auch die Bindung neuer, junger Genoss*innen ist aus unserer Sicht nicht mehr im Rahmen der Gruppe möglich. Die Rückbesinnung auf Jugend-Antifa-Arbeit nach mehr als 20 Jahren politischer Arbeit, Erfahrungen und zahlreichen Diskussionen scheint illusorisch. Die Verbliebenen haben nicht mehr die Kraft, die Gruppe in dieser Form zu halten. Alle diese Aspekte und Entwicklungen zeigen uns, dass ein „Weiter so“ als Antifa Hohenschönhausen keine gemeinsame Perspektive mehr darstellt.

Die letzten 20 Jahre und die Organisierung in dieser Zeit haben uns und unsere Leben geprägt. Für einige von uns sind diese Jahre ein Großteil ihres Lebens. Dies machte die Entscheidung, die Gruppe aufzulösen, nicht einfach. Das Projekt „Antifa Hohenschönhausen“ wird damit Teil linker Geschichte in Berlin und Lichtenberg. Die Entscheidung ist jedoch konsequent, um für uns neue Perspektiven zu öffnen.

Die Antifa Hohenschönhausen war für viele von uns mehr als eine politische Gruppe. Wir fanden Freund*innen – auch in anderen politischen Gruppen –, die uns über die Jahre sowohl im Politischen als auch Privaten begleiteten und auch weiterhin begleiten werden. Danke für die Zusammenarbeit und die gemeinsamen Kämpfe.

Viele Generationen von Aktivist*innen durchliefen die Antifa Hohenschönhausen. Viele blieben einige Jahre. Einen großen Dank an diese Genossin*innen, die Teil der Antifa Hohenschönhausen waren und die Gruppe geprägt sowie gestaltet haben. Es war eine tolle Zeit. Wir wünschen allen ehemaligen Mitgliedern der Antifa Hohenschönhausen viel Erfolg, Kraft und Mut.

Die Allermeisten von uns werden auch weiterhin politisch aktiv sein. Es gibt noch einiges zu tun, denn es gibt kein Ende der Geschichte.

Antifa Hohenschönhausen, August 2020

PS: Die Homepage der Antifa Hohenschönhausen wird als Dokumentation unseres Handelns weiter im Netz vorhanden sein. Zudem werden verschiedene Projekt, in denen die Antifa Hohenschönhausen aktiv war, weiterhin aktiv sein.

Erstveröffentlichung auf ah.antifa.de am 3. Dezember 2024

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