Von der Rigaer Straße nach Neukölln und zurück
Der LKA-Beamte Pit Weber, der sich privat mit dem Hauptverdächtigen der Neuköllner Anschlagsserie Sebastian Thom getroffen haben soll, war vor allem „gegen Rechts“ im Einsatz. Fotos zeigen ihn 2018 in Zivil auch bei einem Großeinsatz in der Rigaer Straße.
Pit Weber (r.) am Eingang der Rigaer94 während der Razzia am 29.3.2018. (Foto: RBB)
Am 17. April 2019 berichtete der RBB über einen zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr zurückliegenden Vorgang: Am 16. März 2018 erkannten Observationskräfte des Berliner Verfassungsschutzes bei ihrer Überwachung Sebastian Thoms und dessen Stammkneipe, dem Ostburger Eck in Rudow, einen Kollegen der Observationsabteilung beim LKA Berlin wieder. Es seien noch drei weitere Neo-Nazis am Treffen beteiligt gewesen und Thom habe sich danach mit dem Beamten „W.“ in dessen Fahrzeug vom Ort entfernt. Nach einem kurzen Medienrummel geschah im folgenden Jahr nicht mehr viel. Bei der Polizei verblieb man damit, die Möglichkeit einer Verwechselung hochzuhalten. Disziplinarmaßnahmen nicht nötig, Aufklärung auch nicht.
Rechtsoffene Kneipe "Ostburger Eck" in Rudow im Jahr 2008. (Screenshot: Google)
Im März 2020 machte ein Indymedia-Bericht den Namen des Beamten öffentlich: Pit Weber. Der Name deckt sich mit den uns zu den anschließenden (nicht-)Ermittlungen in der Polizeibehörde vorliegenden Informationen. Im Januar 2019 ist er auf eigenen Wunsch aus dem Polizeidienst ausgeschieden und arbeitet seitdem bei einer IT-Sicherheitsfirma mit dem Namen „Deutsche Cyber-Sicherheitsorganisation“.
Rigaer Straße, 29. März 2018, morgens: 350 Polizist_innen halten sich in der Umgebung bereit. Eine Person wird beim Gassigehen in der Nähe der Rigaer94 überwältigt und ihr der Schlüssel zur Rigaer94-Hoftür abgenommen. Es folgen Razzia und vier Monate U-Haft gegen einen Bewohner. Zuvor hatte am Dorfplatz (Rigaer Ecke Liebigstraße) ein betrunkener Passant mit einer Flasche auf einen Hund eingeschlagen und war daraufhin zu Boden gebracht worden. Kurz nach dem Vorfall baute das LKA 5 (Staatsschutz) ein großes Verfahren und erwirkte mit der Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft gegen Isa aus der Rigaer94. Der Presse wurden aus dem Polizeiapparat Infos über dessen Rolle als angeblichen „Türsteher der Rigaer“ gesteckt. Das Verfahren, verhandelt im Sicherheitssaal hinter Panzerglas, endete mit einem Freispruch in der Sache. Es hatte sich beim Eingreifen schlicht um Nothilfe gehandelt. So weit, so empörend.
Uns liegen jetzt Fotos vor, die den LKA-Beamten Pit Weber an besagtem Morgen im März 2018 beim Einsatz der Polizei in der Rigaer Straße zeigen. Er war zur Lageaufklärung in Zivil, sowie auch mit Leibchen, als ein Trupp des PMS / LKA 64 das Haus betrat, am Einsatz beteiligt. Wir konnten ihn auf bereits öffentlichen Fotos vom Einsatz anhand weiterer uns vorliegender Fotos aus anderen Situationen identifizieren.
Links oben: Pit Weber in Zivil am 29.3.2018. (Foto: Indymedia)
Ferner liegt uns auch die Information vor, dass er auch im Vorlauf anderer Großlagen an der Observation “linker Szeneobjekte” beteiligt war, sein Schwerpunkt allerdings bei der „PMK rechts“ gelegen hat. Es ist anzunehmen, dass er dem MEK "Aufklärung/Operative Dienste" / LKA 64 angehörte, gemeinhin bekannt als PMS-Sondereinheit. Auf weiteren Fotos vom besagten Einsatz im März 2018 sind bekannte Angehörige der Einheit zu sehen.
Ob es sich bei dem Polizeizeugen Pit/Piet Frederik Weber (phonetisch), der in den Verfahren u.a. gegen Balu und Thunfisch 2017 als Belastungszeuge auftrat, um den selben Beamten handelt, konnten wir nicht abschließend klären. LKA-Pit Weber von den Fotos aus der Rigaer Straße war nach unseren Informationen vor dem „Aufstieg“ ins Landeskriminalamt einfaches Mitglied einer Hundertschaft und wurde bei Demonstrationen eingesetzt. Der Belastungszeuge Weber gehörte wiederum der 23. Einsatzhundertschaft (EHu) an.
Zurück zur Rigaer-Anklage: Am Verfahren gegen Isa war neben dem kürzlich versetzten Matthias Fenner, als dem anklagenden Staatsanwalt, von Seiten der Polizei Zarah Pulver beteiligt. Sie bereitete in Telefonaten die „Zeug_innen“ auf das Verfahren vor, schrieb u.a. an einem Psychogramm Isas mit. Ihre Rolle in der Drohbriefaffäre wurde nie aufgeklärt. Ihr Lebensgefährte Sebastian Kayser hatte im Dezember 2017 Briefe mit Daten zu 45 Personen aus Polizeidatenbanken versandt, die er oder seine Kolleg_innnen dem Umfeld der Rigaer94 zurechneten. Während er selber bis September 2012 beim PMS/LKA 64 „gegen Links“ im Einsatz war (und von 2013 bis 2015 beim Staatsschutz/LKA 5), stammen manche der in den Briefen enthaltenen Daten aus einer Zeit erst nach seinem Wechsel zur Direktion Einsatz (Dir E), wo er die Briefe am Dienstrechner ausdruckte. Doch woher die neueren Daten?
Um es mit den Worten von Torsten Akmann vom Innensenat zu sagen: „Weder bei der Polizei Berlin noch bei der Staatsanwaltschaft Berlin liegen einen Anfangsverdacht begründende Anhaltspunkte für weitere Tatbeteiligte vor.“. Durch den Innensenat bestritten (Drucksache 18/19822) wird auch ein dienstlicher Hintergrund der bei Kayser gefundenen Powerpoint-Präsentation mit weiteren privaten Daten unter dem Titel „Nervensägen“ und mit dem Hinweis „nicht erwischen Lassen“. Es lägen zu dem „dienstlich gelieferten USB-Stick (…) keine Hinweise vor, die auf eine Interaktion mit einem Publikum hindeuten“. Der kleine Hinweis „LKA 6 642“ links oben im Bild spricht da eine andere Sprache.
Drohbrief des “Zentrums für politische Korrektheit” mit gesicherten Fingerabdrücken, Dezember 2017. (Foto: Indymedia)
Folie der “Nervensägen”-Präsentation, oben Links: “LKA 6 642” (PMS-Einheit). (Foto: Recherche 030)
Wie es der Zufall will, soll Zarah Pulver, selber beim Staatsschutz/LKA 5 in der Auswerteeinheit u.a. zuständig für den Kontakt zu den operativen Kräften (LKA 64, LKA 62), verschiedene Abfragen nach Daten von in den Briefen Genannten getätigt haben. Da sie aber eben auch dienstlich mit diesen Personen betraut war, könne eine berechtigte Abfrage der Daten nicht ausgeschlossen werden, findet die Polizei. Was „dienstlich betraut“ heißt, zeichneten letztes Jahr Recherchen der ZEIT nach. Zarah Pulver war demnach für eine Einschätzung verantwortlich, auf deren Grundlage im Juni 2016 die Observation zweier dem Umfeld der Rigaer zugerechneter Personen begann – und die Beschattung Anis Amris endete. Nur sechs Monate vor dessen verheerendem Anschlag am Breitscheidplatz.
Kommen wir noch einmal zum Leiter der Staatschutz-Abteilung der Staatsanwaltschaft und einer weiteren Verbindung zu einer in den Drohbriefen namentlich genannten Person: In der Ermittlung unter Matthias Fenner anlässlich einer Auseinandersetzung an einem AfD-Infostand in Neukölln am 10. September 2016 wurde u.a. diese Person aufgrund der Aussage eines nicht vor Ort gewesenen Beamten des PMS (also LKA 64) verdächtigt, an dem Angriff beteiligt gewesen zu sein. Während in der Akte, die der beschuldigten Person übermittelt wird, die Namen der AfD-Zeug_innen durchgehend anonymisiert sind, wird der Name der Person ungeschwärzt per Brief durch das LKA 521 direkt an die Landesgeschäftsstelle der AfD übermittelt. Als Opfer wird in der Akte u.a. Tilo Paulenz geführt und durch Oberstaatsanwalt Matthias Fenner vernommen, wobei es wohl mindestens zu den bekannt gewordenen Sympathiebekundungen durch letzteren kam. Ein Gericht lehnte die Eröffnung der Hauptverhandlung ab und beendete damit die "Ermittlungen" des Oberstaatsanwalts Fenner mit der Begründung, dass es weder Anhaltspunkte dafür sehe, dass die Auseinandersetzung durch einen Angriff ausgelöst wurde noch dass die verdächtigte Person irgendetwas damit zu tun gehabt hätte.
Eine Veröffentlichung über das Wirken des LKA 64-Beamten Pit Weber, der sich laut Berliner Verfassungsschutz mit dem wohl einschlägigsten Neo-Nazi Berlins getroffen haben soll, kommt eben doch nicht ohne Abschweifungen aus. Der Drohbriefschreiber soll unterdessen auf den Polizeiabschnitt versetzt worden sein, in dessen Zuständigkeitsbereich die Rigaer Straße fällt. Überschneidungen gibt es zwischen den in den Drohbriefen aufgeführten Daten, der bei Thom sichergestellten Datensammlung, sowie einigen der vielen Angriffe auf Wohnanschriften von Antifaschist_innen. Eine wegen des Treffen Thoms mit Weber gestellte Strafanzeige hatte der zuständige Oberstaatsanwalt Matthias Fenner bereits nach einem Monat eingestellt.
Was bleibt? Ein lädierter Oberstaatsanwalt, der gegen Linke und insbesondere die Rigaer94 schon seit Jahren ein Verfahren nach dem anderen aus der Luft greift. Diese ist für das PMS/LKA 64 und den Staatsschutz/LKA 5 ohnehin Intimfeind. Mit den Drohbriefen wird das Vorgehen der Beamt_innen angekündigt: man wird Neo-Nazis in die Auseinandersetzung einbeziehen. Der LKA-Beamte Pit Weber führt möglicherweise die Verhandlungen mit den Neuköllner Neo-Nazis um Sebastian Thom, und die schreiten dann zur Tat. So funktionieren rechte Netzwerke.
Erstveröffentlichung auf Recherche030 am 20. August 2020
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