Silvio Meier Demo und was danach in Marzahn geschah
Am 21. November, 23 Jahre nach dem Mord an dem antifaschistischen Aktivisten und Hausbesetzer Silvio Meier im U-Bahnhof Samariter-Straße, fand die Gedenkdemo zum ersten Mal außerhalb vom Szenekiez statt. Das diesjährige Bündnis brach mit der Tradition und verlegte die Demo in einen der aktuellen Brennpunkte von Berlin – nach Marzahn.
Die alljährliche Mahnwache in Gedenken an Silvio Meier fand mit knapp 100 Menschen an der Gedenktafel im U-Bhf Samariter Straße statt. Im Anschluss versammelten sich trotz schlechten Wetters über 2.000 Antifaschist*innen und Antirassist*innen vor dem Marzahner Einkaufszentrum Eastgate, von wo aus die Demonstration gegen 16 Uhr startete.
Im Vorfeld gab es große Töne seitens der Nazis um Rene Uttke und Enrico Stubbe. Sogar von Blockaden wurde schwadroniert. Mehr als ein Banner an der Bahnstrecke aufzuhängen, eine Handvoll kleiner Schmierereien, Schnipsel am S-Bhf Marzahn zu werfen und ganze 3 Böller, die aus Fenstern flogen (danke für die Recherchearbeit) kam dann aber nicht zustande, um den „deutschen Bezirk zu verteidigen“. Während der Demo selbst ließen sich die bekannten neonazistischen ProtagonistInnen an der Route nicht blicken.
Die laute und entschlossene Demo zog über zwei Stunden durch Berlin-Marzahn. Die Route führte vorbei an mehreren Naziwohnungen und Orten von rassistischen Übergriffen. Es ging auch an dem Ort vorbei, wo am 24. April 1992 Nguyen Van Tu von einem Nazi erstochen wurde, und endete dann ohne großen Stress am S-Bhf Mehrower Allee. Selbstkritisch schätzten die Organisator*innen ein, dass die Bewohner*innen in de naheliegenden Geflüchtetenunterkünfte zuvor nicht über die Demo informiert waren. Dankenswerterweise nahmen noch während des Aufzuges antirassistische Aktivist*innen Kontakt mit den Geflüchteten auf und konnten diese beruhigen.
Durch solidarisch Sprechchöre aus der Demo und informierende Redebeiträge zu verschiedenen Ursachen und Folgen von Flucht, konnte nach Wochen ein anderes Statement, als das der Nazis, in die Kiez getragen werden.
Mit mehreren Vorfeldaktionen (link is external) und der Demonstration (link is external) wurde auch die seit langer Zeit vorherrschende Hegemonie der Rechten etwas entgegen gesetzt.
Doch eine kraftvolle antifaschistische Demo allein wird die Stimmung im Bezirk nicht ändern. Es müssen weitere Initiativen folgen, um auch dauerhaft die Nazis von den Straßen, Plätzen und Hinterhöfen, den rechtslastigen Kneipen und Fashion-Stores zu vertreiben und ein solidarisches Klima gegenüber Migrant*innen zu schaffen. Die Silvio-Meier-Demo ist dorthin gegangen, wo es brennt. Nun gilt es auch im Alltag zu löschen und wieder in den Randbezirk zu kommen, wenn BrandstifterInnen unterwegs sind und Hass verbreiten. Schon am gleichen Abend wurde dies deutlich.
Und im Anschluss?
Am Abend der Demo versuchen 6 Neonazis in der Unterkunft am Glambecker Ring zwei Geflüchtete zu attackieren (link is external). Sie werden rassistisch beleidigt und angespuckt, können aber schlimmeren entgehen. Nur wenige Tage später, am 27. November wird eine Frau aufgrund ihres Kopftuches von zwei Rassisten bedrängt (link is external). Eine solidarische Person, die der Frau zur Hilfe kommt, wird mit einen Messer angegriffen und beraubt.
Zu dieser ohnehin angeheizten Situation kam dann am Montag, den 30. November, eine NPD-Demo hinzu. Diese begann gegen 18Uhr am U-Bhf Cottbusser-Platz mit ersten Vorbereitungen. Lange vor dem Startzeitpunkt sammelten sich bereits 20 Nazis vor Ort. Gleichzeitig trafen sich eine Handvoll KameradInnen am Kundgebungsort an der Kreuzung Alte Hellersdorfer Str. Ecke Zosseneer Str. und warteten dort auf Anschluss.
An den beiden Auftaktorten hatte die Polizei die Lage mit Vorkontrollen und massiver Präsenz im Kiez, mit mindestens 5 Hundertschaften gut im Griff. Kurz vor 19 Uhr kam dann Bewegung in die inzwischen auf 120 TeilnehmerInnen angewachsene NPD-Demo am U-Bahnhof. Darunter bekannte NPD-Kader wie Sebastian Schmidtke (link is external), Andreas Käfer (link is external) sowie Jens Irgang und Aileen Rokohl (link is external) von der NPD Barnim. Mit mehreren Transparenten und Fahnen, die jedoch aufgrund von Polizeiauflagen teilweise wieder eingepackt werden mussten, stellten sie anscheinend den Frontblock der Demonstration. Die OrdnerInnen-Aufgaben und Demo-Struktur bestand unter anderem aus Personen des ‚Nationalen Widerstand Berlin‘ wie David Gudra (link is external) und Benjamin Weise (link is external) aber auch Hellersdorfer Nazis wie Daniela Fröhlich. Daniela Fröhlich (link is external) zeigt sich hier besonders aggressiv und versuchte mit ihrem Regenschirm immer wieder Pressevertreter*innen an ihrer Arbeit zu hindern. Die beiden Blöcke hinter dem Lautsprecher-Wagen waren mit Front- und Seitentransparent an den Stil der sogenannten Autonomen Nationalisten angelehnt. Mit einem eigenen Block waren unter anderem Personen aus der Fraktion der „Antikapitalistischen Aktion“ vertreten. Ebenfalls anwesend waren die Marzahner René Uttke, Patrick Krüger, (link is external) sowie Kai Schuster (link is external). Sebastian Schmidtke (link is external) hielt noch am Startpunkt U-Cottbusser Platz eine Rede bevor sich die Demo kurz nach 19 Uhr in Richtung der Alte Hellersdorfer Strasse in Bewegung setzte. Die Nazis verwendeten, wie üblich bei den vergangenen NPD-Veranstaltungen in Berlin, mit einen weißen Fiat-Bus mit Meißener Kennzeichen als Lautsprecherwagen. (link is external)Über diesen wurde im Verlauf der Veranstaltung die bereits von den letzt- und diesjährigen ‚Montagsdemos‘ bekannten Parolen skandierten.
Der Gegenprotest belief sich bis zu diesem Zeitpunkt auf bis zu 120 solidarische Menschen am U-Bahnhof Cottbusser Platz. Zusammen mit den Teilnehmer*innen der Kundgebung der demokratischen Parteien und Zivilgesellschaft in Helle Mitte beteiligten sich über den Abend insgesamt bis zu 200 Personen an antifaschistischen Protesten. Sie setzten mit lauten Sprechchören, sowie mit Transparenten ein deutliches Zeichen gegen die rassistische und menschenverachtende Hetze von NPD und Konsorten. Dazu wurden sie am U-Bahnhof über längere Zeit eingekesselt und erst deutlich nach Abmarsch der Nazis zu anderen Kundgebungen durchgelassen. Einigen Gruppen ist es im Anschluss daran aber dennoch gelungen, die Nazi-Demo immer wieder kurzzeitig zu begleiten und der rassistischen Hetze eigene Parolen entgegenzusetzen. Diese wurden von den Cops aber aus dem Umfeld der Demo weggeschickt oder verjagt.
Vom U-Cottbusser Platz liefen die Nazis über die Hellersdorfer Straße und im Folgenden die Alte Hellersdorfer Straße entlang. Gegen 20 Uhr kam die Demo an die Kreuzung Alte Hellersdorfer/ Ecke Zossener Strasse. Die dort noch wartenden Nazis wurden eingesammelt und recht zügig ging es dann in östlicher Richtung weiter auf der Zossener Strasse. Schon eine Viertelstunde später bog der Mob südlich in die Stendaler Strasse ein, auf der die Nazis mehrere Böller zündeten und es keine weiteren Proteste gab. Die Berliner Polizei hatte die wenigen Störwilligen in der Umgebung im Griff.
Es gibt Berichte, wonach sich im Umfeld der Demo auch mehrere, kleine Nazigruppen bewegt haben sollen. Am Endpunkt der NPD-Demo, am Alice-Salomon-Platz, protestierten nochmals zahlreiche Antifaschist*innen gegen die Neonazis. Eine größere Gruppe versuchte dazu noch einmal in unmittelbare Sicht- und Hörweite zu gelangen, wurde von den Cops aber daran gehindert.
Während sich ein Großteil der Nazis gegen 21 Uhr mit der U-Bahn entfernten, fuhr mindestens eine Gruppe aus 15 Nazis um René Uttke mit der Straßenbahn zurück nach Marzahn. Während der Fahrt kam es aus dieser Gruppe heraus zunächst zu verbalen Pöbeleien und Bedrohungen, mindestens eine Person wurde auch körperlich attackiert. Die noch im Bezirk anwesenden Cops sahen sich scheinbar nicht gewillt oder befähigt, auch diese Gruppe bekanntermaßen bedrohlicher „AnwohnerInnen“ ein Stück des Weges zu begleiten.
Ein weiterer Teil der ehemaligen TeilnehmerInnen der NPD-Demo versammelten sich im Anschluss noch im ‚Viwa-Imbiss‘ am Startpunkt U-Cottbusser Platz zum Saufen. Ganz ähnlich auch die Möchtegern-Hools von Bärgida, die im Anschluss an ihre allwöchentliche Montagsdemo in Mitte, unweit des Geschehenes in die Kneipe ‚Icke‘ in der Hellersdorfer Promenade einkehrten.
Antifaschistischer Protest bleibt wichtig, sei es zu einer Silvio Meier Demo oder Montags bei Bärgida in Berlin-Mitte oder eben zu Demonstrationen im Randbezirk.
Fotos Silvio Meier Demo
https://www.flickr.com/photos/presseservice_rathenow/albums/72157659168190083 (link is external)
https://www.flickr.com/photos/neysommerfeld/sets/72157659128170144 (link is external)
https://www.flickr.com/photos/boeseraltermannberlin/albums/72157660888710880 (link is external)
https://www.flickr.com/photos/pm_cheung/albums/72157660740613097 (link is external)
https://www.flickr.com/photos/pm_cheung/sets/72157660892055650 (link is external)
Fotos zu NPD
https://www.flickr.com/photos/pm_cheung/sets/72157659541694943/with/23349770651/ (link is external)
http://www.kriminalreport.info/30-11-2015-demonstrationen-in-hellersdorf/
Aktuelle Infos unter:
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Auflistung der Vorfälle in MH:
Register ASH (link is external)
Erstveröffentlichung auf AKMH (link is external) am 27. Dezember 2024
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